Abendschatten

[126] Hell und freudig blitzt die Sonne in den schönen Abend ... ganz langsam aber und unmerklich immer tiefer in die Dünen sinkend ...

und wie sie sinkt, sinkt aus dem Eichwald auch der Schatten ... immer tiefer den Hang herab und drängt sich Spur um Spur über den weißen Strand ihr nach.


Den Hut im Schoße sitzt ein Mädchen zwischen dem Gestein, um das die Wellen sich wie flüssiger Smaragd zerrieseln, und träumt aufs Meer ...

vielleicht

dem weißen Dampfer nach, der draußen den Horizont hinuntersinkt, langsam und unmerklich, wie hinter ihr vom Eichwald her der Schatten immer näher rückt und näher.
[127]

Noch liegt die Sonne hell und leuchtend über ihr ...

schon aber grenzt sich eine graue Linie den Stein hinauf und greift ihr Kleid und faßt ihren Gürtel und kriecht sich in die Falten ihrer weißen Bluse ... leise, heimlich, immer höher, immer grauer ...

Sie doch sitzt und träumt ...


Sekundenlang noch zittert ein Sonnenflimmer um ihr braunes Haar, daß es wie Gold aufglänzt ...

ein leis wehmütiges Erlöschen dann

und sie ist ganz im Schatten, wie der ganze Strand ...

nur auf den Wellen draußen glastet noch ein roter Schein.

Quelle:
Cäsar Flaischlen: Gesammelte Dichtungen. Band 1: Von Alltag und Sonne. Stuttgart 1921, S. 126-128.
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