Ecce poeta!

[24] Frag nicht, ob Dornen mich verwundet! ... Nein, nein! ...

wozu auch das Herz dir müd machen mit unnützer Qual und Sorge! nein, vergiß dein Leid, vergiß deine Tränen und freue dich der Rosen, die ich dir bringe ... und wär's auch nur für ein paar Stunden! ...

freue, freue dich ihrer und komm und laß sie mich ins Haar dir flechten, weiß und rot und rot und weiß, und laß mich deine Jugend überglühn mit ihrer Lust, wie der Sommer draußen das Gelände überwogt mit seiner Wonne, daß es aller Wintertraurigkeit vergißt ... und laß sie mich auf den Weg streun, den du schreitest ... meine Rosen, weiß und rot und rot und weiß ... und frag nicht, ob mich Dornen verwundet, als ich sie brach!

Freue dich ihrer und freue dich des Lieds,[25] das ich dir jauchze ... ich habe nichts als diese Rosen und als dieses Lied ... und frage nicht, was ich dafür geopfert und womit ich sie erkauft! ... wozu dir das Herz müd machen! Nein, nein, frag nicht, verlange nicht, mir in die Brust zu sehn!


Verlange nicht, mir in die Brust zu sehn! ... was du sähest, würde dich erschrecken, wie du erschräkst, wenn ein Traum dich vor ein Grab führte und du auf dem Marmorstein darüber den eigenen Namen läsest ... mit eisiger Hand griffe es dir ins Herz und dein Lachen würde verstummen, wie es verstummt, wenn man einen Menschen mit dem Tode ringen sieht und dasteht und keine Macht hat, ihm zu helfen.


Du sähest einen langen Zug Söldner und Knechte und neugierige Weiber und Kinder, die Anhöhe vor der Stadt hinauf, lärmend und johlend, und in ihrer Mitte einen bleichen Mann, mit denkmüdem Antlitz, zusammenbrechend fast unter der Last eines Kreuzes, einen Dornkranz auf der[26] blutenden Stirn ... und wie sie ihn weiter zerrten unter Schimpf und Schande, lärmend und johlend: er habe König sein wollen und den Menschen Trost bringen in ihrer Mühsal und Glauben und Freude und ...

könne sich selbst nicht helfen!!


Und du sähest, wie sie ihn preis gäben und höhnten, wie sie mit rohem Gelächter ihm Nagel um Nagel schlügen durch Hände und Füße und wie sie das Kreuz aufrichteten im Blutschein der sinkenden Sonne und wie er dahinge, in der Qual seiner Seele und im Schmerz seines Leibes und wie er zu Gott schriee, dessen Bote er sein wollte, und wie sie nach ihm stächen und seiner Zuckungen sich freuten ... und lärmend und johlend wieder zur Stadt zurückzögen, als ob nichts geschehen weiter ...


Und du sähest, wie die Nacht hereinbräche über die einsame Stätte. Schwarz und düster ragt das Kreuz in den schweigenden Himmel.[27] Gleichgültig flackern die Sterne in ihrer Ewigkeit, gleichgültig hebt sich der Mond über den blauen Saum der Wüste. Alles ist einsam, tot und leer. Nur am Fuße des Kreuzes liegt eine alte Frau mit weißem Haar und blind geweinten Augen ... nein, nein, Kind, verlange nicht, mir in die Brust zu sehn!


Nein, nein! verlange nicht, mir in die Brust zu sehn ... du hättest doch keine Macht mir zu helfen, auch wenn du wolltest! Mit eisiger Hand nur griffe es dir ins Herz und du würdest weinen müssen und weinen und nicht mehr froh werden können ...

und ... ich habe die Menschen erlösen wollen von ihren Tränen!! ...

es würde dir Falten ins Gesicht furchen, wie jener alten Frau am Fuße des Kreuzes, und dein Haar bleichen und kein Gebet vermöchte mich zu retten:

Denn ich müßte es doch leiden, denn ich könnte doch nicht widerrufen, denn ich bin doch, was[28] ich bin: ich bin doch ein Bote meines Vaters und ein König und gekommen in die Welt, den Menschen Trost zu bringen in ihrer Trübsal und Glauben und Freude ... und ob sie mich auch ans Kreuz schlagen dafür ...


Nein, nein! verlange nicht, mir in die Brust zu sehn! und forsche nicht, was hinter dem Lied, das ich dir jauchze, und frag nicht, ob mich Dornen verwundet bei den Rosen, die ich dir breche ...

nein, nein!

freu dich, freu dich ihrer und komm und laß sie mich ins Haar dir flechten, weiß und rot und rot und weiß, und laß mich deine Jugend überglühn mit ihrer Lust, wie der Sommer draußen das Gelände überwogt mit seiner Wonne, und laß sie mich auf den Weg streun, den du schreitest, meine Rosen, weiß und rot und rot und weiß, und frag nicht, ob mich Dornen verwundet!

Quelle:
Cäsar Flaischlen: Gesammelte Dichtungen. Band 1: Von Alltag und Sonne. Stuttgart 1921, S. 24-29.
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