7. Hier ist Nichts denn finstre Nacht

[241] Hier ist Nichts denn finstre Nacht,

blinde Schatten, schwarze Hölen,

da die einversperrten Seelen

kaum nicht werden umgebracht.

O die dreimal armen Seelen,

die sich also müssen quälen!


Wer ist jener, den du siehst?

Ists nicht der, der nächtlich sorgend,

täglich traurend, allzeit borgend,

arm bei großem Reichtum ist?

Mich erbarmt der armen Seelen,

die sich so in ihm muß quälen.


Dieser sucht sein höchstes Gut

in der Kost und braunen Trauben,

kreucht mitt' Rock' und mit der Schauben,

tut, was Blut nimmt und den Mut.

Es ist leichte zu gedenken,

wie die Seele diß muß kränken.


Der, der hier so hoch trit her,

der ists, den die Ehrendünste

und die leichten Hofegünste

machen auf den Schein so schwer.

Solt' es stehn bei seiner Seelen,

sie würd' ihr ein Bessers wählen.


Was ist Plato, was Porphyr,

Kleobulus, Periander,

Simonides, Aristander

und der Große von Stagyr?

Heiden sind sie, taub an Ohren,

blind an Augen, große Toren.


Giebt mir nun die Nacht den Tag?

Kein Stern kan sich selbst nicht malen,

Phöbe selbst borgt' ihre Stralen

und verleiht sie, weil sie mag.[241]

Sie und ihr Volk muß erblinden,

steigt ihr Bruder von der Inden.


Eitel ists und ohne Frucht,

was ihr Eiteln ohne Früchte

von früh' an bis unter Lichte

in den falschen Büchern sucht,

nur daß ihr im Reden-Kriegen

hinterlistig ob mögt siegen.


Mein Gott! Was verträgt man nicht,

freuret, schwitzet, fastet, wachet,

leidet, daß ein Andrer lachet,

dem es an Vernunft gebricht,

bis man etwas angewonet,

das doch endlich wenig lonet.


Soll mir denn ein blasses Blat

so verzaubern Farb' und Sinnen,

soll ich Schönheit heißen können,

was viel Runzeln macht und hat,

und mir durch die Pest der Schriften

lassen Seel' und Mark vergiften?


O ihr Weisen auf den Schein,

wer bezahlt euch Leib und Leben,

das ihr blicklich hin müßt geben,

wenn ihr so wolt weise sein?

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .


Weisheit ist nicht, wie ihr denkt,

eine Kunst, die so zu lernen:

Weisheit kommt her aus den Sternen.

Sie ists, die der Himmel schenkt

und in solche Seelen senket,

die sich vor zu ihm gelenket.


Vater, der du Aller bist,

doch um so viel mehr der Deinen,

laß mir dein Licht, Selblicht, scheinen,

scheide Warheit von der List!

So wird aller Weisen Wissen

meiner Einfalt weichen müssen.
[242]

Quelle:
Paul Fleming: Deutsche Gedichte, Band 1 und 2, Stuttgart 1865, S. 241-243.
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