8. Auf Jungfrau Beaten Marien Möstels Begräbnüß an die betrübten Eltern

[263] 1632 Herbst.


Freilich, freilich müßt ihr klagen,

ihr betrübten Herzen ihr,

daß fast inner zweier Tagen

euch ein zweifach Leid stößt für,

da ein einzigs dieser beiden

mehr kränkt als sonst hundert Leiden.


Und ach! wär' es doch noch blieben

bei dem einen nur allein,

das euch hat von uns getrieben

und nicht ließe sicher sein,

das des schönen Leipzigs Mauren

nunmehr setzt in Furcht und Trauren.


Weil ihr großer Not entgehet,

so fallt ihr in größre Strick',

nun ihr seht, wie vor euch stehet

nur auf einen Augenblick

lebend, frisch, krank und erlegen

eurer Ehe süßer Segen.


Satten Fug habt ihr zu zagen

bevoraus um letzten Fall,

doch ihr müsset selbsten sagen,

daß es nichts hilft überall.

Blos auf den nur muß man sehen,

der diß Alles läßt geschehen.


Gott der pflegets so zu machen,

reißt oft unser Liebstes hin[263]

und will sogestalter Sachen

uns ihm nach und zu sich ziehn,

weil wir stets die Sinnen haben

da, wo unser Schatz vergraben.


Tauret mich die frische Jugend,

ihrer Schönheit sondre Zier

und die nicht gemeine Tugend,

die so schöne schien herfür,

so vergeßt auch nicht beineben,

wie sie sind der Flucht ergeben!


Kaja wäre nicht verdorben,

wehrte Tugend letzter Not.

Helene lebt' ungestorben,

hülfe Schönheit für den Tod.

Und was soll hier Schönheit tügen?

Sie sagt selbst ihr Unvergnügen.


Ie subtiler ausgeschmücket

den beleibten Wind, sein Glas,

uns Venedig überschicket,

ie geschwinder bricht auch das;

und ie zärter ist der Faden,

ie behender nimmt er Schaden.


Wenn die keuschen Lilgen prangen

und in höchstem Schmucke stehn,

weil noch auf ihr' hellen Wangen

die gelinden Westen wehn,

sind sie frisch auch funden worden

gegen einen strengen Norden.


Kränket euch ihr plötzlichs Ende,

daß sie nicht gab gute Nacht,

wer kan wider Gottes Hände,

der ja alles gut sonst macht?

Ohne Pein ist sie verschieden;

das geschicht nicht einem Ieden.


Kein behender Tod ist böse

als der auf die Bösen fält.

Daß auch uns Gott bald erlöse,

ist der höchste Wundsch der Welt.[264]

So vielmehr ist sie genesen,

weil sie niemals krank gewesen.


Oder schmerzt euch ihr Erliegen

und die Art des Todes mehr?

Seht doch, wie durch itzigs Kriegen

manche Stadt liegt tot und leer!

Und was ist ein Mensch zu nennen

gegen dem, das einst soll brennen?


Als sie noch am Eiteln klebte,

war ihr Eitels nicht gemein.

Selig war sie, weil sie lebte;

solte sie es itzt nicht sein?

Itzt, da sie nun ewig bleibet,

wo man seligs Leben treibet,


wo die großen Möstel gehen

neben greiser Ewigkeit

und in jener Zeit bestehen,

so doch kennet keine Zeit?

In die Scharen aller Frommen

ist sie herrlich eingenommen.


Laßt Gott euren Sinn sich geben

und verwirrt euch nicht zu sehr!

Gönnet ihr das ander' Leben

und gedenkt um so viel mehr,

weil Gott zweifach euch betrübet,

daß er euch auch zweifach liebet!


Quelle:
Paul Fleming: Deutsche Gedichte, Band 1 und 2, Stuttgart 1865, S. 263-265.
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