20. An die Stolze

[414] Und gleichwol kan ich anders nicht,

ich muß ihr gönstig sein,[414]

obgleich der Augen stolzes Licht

mir mißgönnt seinen Schein.

Ich will, ich soll, ich muß dich lieben,

dadurch wir beid' uns nur betrüben,

weil mein Wundsch doch nicht gilt

und du nicht hören wilt.


Wie manchen Tag, wie manche Nacht,

wie manche liebe Zeit

hab' ich mit Klagen durchgebracht,

und du verlachst mein Leid!

Da weißt, du hörst, da siehst die Schmerzen

und nimmst der keinen doch zu Herzen,

so daß ich zweifle fast,

ob du ein Herze hast.


Bist du denn harter Stein und Stahl,

die man doch zwingen kan?

Feld, Wiesen, Wälder, Berg und Tal

seh'n meinen Wehmut an.

Die Vögel seufzen, was ich klage.

Der hole Pusch ruft, was ich sage.

Du nur, du Stolze du,

hältst Ohr- und Augen zu.


Ach, denke, denke, was du tust!

Ich kan nicht anders sein.

Ich hab' an meinem Leiden Lust,

du hassest meine Pein.

Kan ich denn keine Huld' erlangen,

so laß mich die Gunst nur empfangen

und wolle doch mit mir,

daß ich stracks sterbe hier!


Quelle:
Paul Fleming: Deutsche Gedichte, Band 1 und 2, Stuttgart 1865, S. 414-415.
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