26. Schmerz der Trennung

[422] Was säumst du dich, o Seele, zu zerspringen

für Angst, für Qual, die dich und mich umringen,

Und bist noch du, mein Herze, nicht entzwei?

Tu's doch, tu's bald und mach' uns beide frei!

O daß ich doch den Tag erleben müssen,

der mir verbeut das schöne Kind zu küssen,

der mir versagt das liebe Mensch zu sehn!

Ach mir! was mehr? Es ist um mich geschehn.

Anstat daß ich nicht eine Viertelstunde

vor kunte sein von ihrem süßen Munde,

da muß ich nun sein ewig ohne sie.

Wo? Ach! wo ist sie nun, die werte, die?

Sagts sicher nach, ihr stummen Wasserscharen,

wie herzlich oft wir beide bei euch waren.

Bringts kühnlich aus, ihr Lüfte, was ihr wißt,

wie vielmal wir uns haben laß geküßt.

Du blaßer Mund, was ists nunmehr gewesen,

daß du so oft von ihrem bist genesen?

Wo ist dein Geist, ihr süßer Atem bin.

von dessen Kraft ich noch verzäubert bin.

Ich ruf' euch an, o Sonn, o Mon, o Sternen

und was uns sonst das Glücke wirkt von Fernen,

ich ruf' euch an, seid Zeugen über mir,

was ich für Angst hier leide wegen ihr.

Gehabt euch wol, ihr schönsten meiner Tage,

der ich mit ihr so viel zu haben pflage!

Gehab dich wol, du manche süße Nacht,

die ich mit ihr in Liebe durchgebracht!

Ade, o Platz, den Göttern selbst begehret,

der du sie mir so vielmal hast gewäret,

Sei tausentmal, sei tausent, tausentmal

gegrüßt! Du bleibst in Lust, ich leb' in Qual,

Ihr Bäch', ihr Püsch, ihr Gärten und Gefilder

und was ihr hegt, ihr schönen Lenzenbilder,[422]

du Sommerlust, du Herbst, du Winterzier,

zu guter Nacht, ich scheid', ihr bleibt bei ihr!


Quelle:
Paul Fleming: Deutsche Gedichte, Band 1 und 2, Stuttgart 1865, S. 422-423.
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