12. Ich bin ein guter Hirte

[28] Ja freilich, freilich ja, du bist der gute Hirte,

ich bin ein böses Schaf, das in der Wüsten irrte,

von dir weit, weit von dir. Ich gieng der Weide nach,

die mich zur Hellen stieß und dir das Leben brach.

Mein Leben war dein Tod, dein Hunger mein Vermügen,

mein Überfluß dein Durst. Ich wäre blieben liegen.

Der Mietling flohe weg, der wilde Wolf brach ein

und ließ mich schwaches Vieh kaum, kaum noch übrig sein.

Du, Jesu, suchtest mich, du fundest mich, mich Armen,

und trugst mich wieder heim; es ist bloß ein Erbarmen,

daß ich bin, der ich bin. Herr, weide ferner mich!

Herr, speise mich mit dir! ich dürst', ich hunger, dich.

Du bist das Himmelbrot; wer dich ißt, der wird leben.

O Brunnen Israel, du, du kanst Wasser geben,

das aus dem Himmel quillt und wieder rinnt hinein.

Wer dich ißt, wer dich trinkt, wird stets gesättigt sein.


Quelle:
Paul Fleming: Deutsche Gedichte, Band 1 und 2, Stuttgart 1865, S. 28.
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