4. Auf einer Jungfrauen Absterben

[39] Was soll man ferner tun? Sie ist nunmehr vorbei,

das liebe schöne Kind. Die Augen sind entzwei;

diß ist der letzte Hauch, in dem die fromme Seele

aus ihrem Miethause, des keuschen Leibes Höhle,

in ihr recht' Vaterland, den hohen Himmel, reist.

Diß, was hier hinterbleibt und auf die Erde weist,

ihr wolgeschmückter Leib, will hin, woher er kommen,

in seiner Mutter Schoß. Es hat zu sich genommen

ein iedes seinen Teil. Ihr bleichen Eltern ihr,

ihr klagt nun gar zu spat! Vor war sie noch allhier,

vor war man noch in Furcht, sie würde nicht genesen;

itzt steht sie nicht mehr auf. Er ist nun da gewesen,

der Leibes Gast, der Geist. Itzt hilft kein Weinen nicht,

kein Bitten, keine Buß', und was man sonst verspricht

in einer solchen Angst. Sie hat den Wundsch erfüllet,

der doch auch eure war. Ihr Leid ist ganz gestillet

und eures hebt sich an. Stillt aber eures auch,

daß sie recht ruhen mag! Beweist der Christen Brauch,

der zwar den frühen Tod der Seinen heißt betauren,

nicht aber trostlos läßt auch mitten in dem Trauren!

Sie unterscheiden wol, was ihr und Gottes ist,

der mehr als Seines nichts hinwieder ihm erkiest,

zur Unzeit und zur Zeit. Was er zuvor verborget,

das fodert er mit Recht'. Ein heidnisch Herze sorget,

spricht: Einem, der jung stirbt, dem ist der Himmel Feind.

Nicht so! Wer zeitlich fält, mit dem ist Gott mehr Freund.

Die Liebe haßt Verzug: ie bälder Einer stirbet,

ie lieber ist er Gott. Was aber hier verdirbet,

der Leib, die Zier, die Kunst und was man sonsten liebt

(darinnen euer Kind euch billich mehr betrübt,

dieweil sie fertig war), das folgt der Flut der Zeiten.

Gott aber wird den Leib hinwieder zubereiten,

daß er soll ewig sein, da denn die Kunst und Zier,

die nicht kan untergehn, wenn wir sind nicht mehr wir,

in den verklärten Leib wird wieder eingegossen,

daß sie gleich ewig sein. Indeß habt ihr genossen
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der zwar wol kurzen Zeit, da eure Tochter euch

von Herzen hat erfreut. Sie war an Schönheit reich,

an vielen Gaben hold, der Rehen zu vergleichen,

der weisen Künstlerin, ein ausgestecktes Zeichen

der angewandten Zucht. Vollkommen war sie schon,

ob sie gleich war ein Kind. Drum muß sie jung davon.

Ein Obst, das balde reift, wird zeitlich abgenommen.

Wir sind von wilder Art. Gönnt ihr, zu was sie kommen,

und wisset, daß die Zeit, die sie, als wie man schätzt,

allhier zu kurz gelebt, die Ewigkeit ersetzt!


Quelle:
Paul Fleming: Deutsche Gedichte, Band 1 und 2, Stuttgart 1865, S. 39-41.
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