21. An Herrn Heinrich Nienborgen, Zar u.s.w. Majest. in Rußlande u.s.w. Deutschen Oberdolmetscher in Groß-Naugarod

[132] 1634 im Sommer.


Solt' ich, geehrter Freund, zu wohnen mir erkiesen,

und wäre Wollen Tun, ich ließe meine Wiesen,

mein feistes Osterland in seiner Wollust stehn,

im Fall' ich könte nur um euer Reußen gehn,

um euer Moskow sein. Die ewigen Gepüscher,

die wären meine Lust. Die Ströme solten frischer,

die Bäche sänfter gehn, indem ich stimmet' an

ein Lied, das ieder ehrt und kaum der dritte kan,

das mich mein Opitz lehrt', der Preis der ersten Sängen,

die redlich Deutsch verstehn. Die Oder flosse strenger;

der wilde Mayn schoß hin. Was war er als nicht zahm,

der ungelehrte Rhein? Als nur mein Opitz kam

und ließ den schönen Ton erst um den Bober schallen,

so, sagt man, hab' es ihm so überwol gefallen,

daß er sein schilficht Haupt hat dreimal hoch empört

und dreimal laut gejauchzt. Die nahe Neiße hört'

und schrie es weiter aus. Der alte Necker lachte,

die niederdeutsche Maas entsatzte sich und dachte:

was ist diß für ein Lied, das höher wird geführt

als meine Künstler tun? Drum ist er auch geziert

als keiner noch vor ihm. Der Tajo kan ihn nennen,

die Seine lobet ihn, die Themse wird ihn kennen.

So seh' ich selbsten itzt, daß eurer Wolgow auch

er nicht ist unbekant. Das ist der Tugend Brauch,

sie dringt durch alle Welt. Nun gläub' ich, daß dem Tiger

er unbewust nicht sei, ingleichen auch dem Niger,

und wo Maragnon braust. Der edle Ferdinand,

der Preis von Österreich, hat ihm mit eigner Hand

in das gelehrte Haar die Blätter eingewunden,

die immer Jungfern sind und nie welk werden funden.

Sein Preis der ist sein Lohn. Er und sein schönes Tun

wird über allen Neid und ewig sein, wie nun.[132]

Ich, so es billich ist, daß man nach großen Helden

auch einen schlechten Trost und schwachen Man darf melden,

wie nichts ich von der Kunst der neuen Saiten weiß,

wolt' auch mein Höchstes tun. Das Lob erweckt den Fleiß.

Ich wolt', als wie ich vor bei meiner Muld' und Saalen,

um euren Obi tun, in den begrünten Talen

der Neeper wohnhaft sein und eures Landes Zier

auf mein' und euer' Art den Wäldern singen für.

Ich weiß, ich wär' euch lieb. Der römischen Poeten

ohn' einen erster Preis hat dieses bei den Geten

zu Tomis auch gethan, zu Tomis, die ihn hat

verjagt und tot gesehn. Der Phasis und Orat,

der Tyras und Dyrasp vernahmen seine Lieder,

Melanthus, Hypanus und Lykus, seine Brüder,

verlernten Skytisch sein. Das ewige Latein

brach Cynaps wilde Flut, hieß Sagarn zahmer sein,

und die ich fast nicht weiß, wo vor Orestens Schwester

der Phöben Priestrin war, da seiner Freunde bester

samt ihm nach Landes Art ein Opfer solten sein,

wenn Iphigenie sich nicht geleget drein

und ihren schönen Streit, von höchster Liebe kommen,

nachdem sie sie erkant, erfreut hätt' unternommen.

Sein Welschland und sein Rom war ihm die Tartarei.

Dort war er höchst verhaßt, hier war er lieb und frei,

zog Kotys Gunst recht vor Augustus fauler Gnade.

Kein Freund, kein Fußfall half. Das pontische Gestade

war ihm als wo bei Ost die starke Tiber scheußt

und sich in Thetis Schoß mit vollen Krügen geußt.

Kunst hat ihr Vaterland im Abend' und im Morgen.

Ihr Haus ist Süd und Nord. Wer sie hat, darf nicht sorgen,

ist, wo er ist, bei sich, weiß keinen Unterscheid,

was Glück' und Unglück' heißt. Ihm gilt gleich Lieb' und Leid,

die Tugend bricht die Furcht. Was soll ich aber hoffen,

was nicht zu haben ist? Doch hab' ich angetroffen

hier einen solchen Geist, so liebet, was ich kan,

der mit Verlangen hört, wenn ich die Faust schlag' an.

Das bist, Herr Nieborg, du! Die edlen Pimpleinnen,

Parnassens Landesvolk und Othrys Bürgerinnen,[133]

sind dir vor andern wert, nachdem sie deutsche sind,

und lieben mehr, als vor .................................


Periere bene multa.

Quelle:
Paul Fleming: Deutsche Gedichte, Band 1 und 2, Stuttgart 1865, S. 132-134.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Deutsche Gedichte
Deutsche Gedichte

Buchempfehlung

Aischylos

Die Orestie. Agamemnon / Die Grabspenderinnen / Die Eumeniden

Die Orestie. Agamemnon / Die Grabspenderinnen / Die Eumeniden

Der aus Troja zurückgekehrte Agamemnon wird ermordet. Seine Gattin hat ihn mit seinem Vetter betrogen. Orestes, Sohn des Agamemnon, nimmt blutige Rache an den Mördern seines Vaters. Die Orestie, die Aischylos kurz vor seinem Tod abschloss, ist die einzige vollständig erhaltene Tragödientrilogie und damit einzigartiger Beleg übergreifender dramaturgischer Einheit im griechischen Drama.

114 Seiten, 4.30 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon