46. Auf des Hochgelehrten Herrn Oleariens, Fürstl. Holstein. Großgesandten u.s.w. Rats und geheimen Secretariens u.s.w. seine Rede über deroselben erlittenem Schifbruche auf Hoheland im November des 1635. Jahrs

[167] 1636 October 3.


Mich dünkt, ich höre noch den Zorn der tollen Wellen,

den Grimm der wilden Flut, daß mir die Ohren gellen;

mir ist, als seh' ich noch die angereihte Not,

die augenblicklich euch gesamten schwur den Tod,

in einer langen Qual durch zweimal sieben Tage.

Hilf Gott, was führtet ihr allda für eine Klage!

Was vor ein Angstgeschrei! Noch war bei aller Pein

die härtste, daß ihr noch im Leben mustet sein.


Der Bauer hatte schon das Winterfeld bestellet,

der Gärtner für den Frost nach Notdurft Holz gefället;

die Sonne, die verließ nun gleich den Scorpion,

das unglückhafte Tier. Der abgewandte Mon

zog seine Hörner ein, wie furchtsam, anzusehen,

was bei der bösen Nacht euch würde bald geschehen.

Der Tag war ohne Tag. Die Nacht war mehr als Nacht,

als die kein edler Stern durchaus nicht lichte macht'.

Neptun kan keinem gut für seinen Schaden sagen,

der sich in seiner Flut auf späten Herbst will wagen.

Er selbst ist nicht sein Herr, wenn Äolus sich regt

und ihm der Wellen Schaum in seine Haare schlägt.

Es war zur Abfahrt schon für euch ein böses Zeichen:

zwei Schiffe kunten sich zu weichen nicht vergleichen.

Der übergebne Baum lief fast wie taub und blind

in sein Verderben hin. Das Wetter und der Wind

versetzt' euch euren Lauf, daß er auf so viel Striche

nach Norden, seinen Feind, ohn' Acht des Schiffers wiche.

Der sichre Steuerman tät fast, als ob er schlief',

bis das verirrte Schiff mit allen Segeln lief

auf Ölands harten Grund. Die starken Planken krachten,

der Kiel saß auf dem Fels, es schlug der Zorn der Wachten

Kajüten hoch und mehr. Und was noch mehr erschreckt,

die Luft war mit der Nacht und Wolken ganz bedeckt.[167]

Ihr wustet in der Angst nicht, wie euch war geschehen.

Ein Wort war Aller Wort: Ach, möchten wir nur sehen!

Der Eine fiel erblaßt auf sein Gesichte hin,

der Ander rüffe laut: Hilf, Jesu, wo ich bin?

Der Höchste ließe da so vieler Seelen Flehen,

so mancher Herzen Angst ihm noch zu Herzen gehen,

schuf wieder die Vernunft, daß bei so böser Fahrt

auch das verzihne Schiff noch ganz behalten ward.

Ihr mustet weiter fort, Gott weiß mit was für Grauen,

und euer furchtsams Heil der strengen See vertrauen,

die gleich auf diese Zeit in unerhörter Tat

so manches kühnes Schiff in sich verschlucket hat.

Ihr wurdet vor gespart nach einem größern Glücke:

was euch der Tag gab vor, das zog die Nacht zurücke.

Der Sturm flog Klippen hoch; der Mast gieng über Bord;

so must' auch der Meisan von Grund' aus mitte fort.

So trieb das kranke Schiff mit Tiefen ganz beschlossen,

mit Wassern unterschwemmt, mit Wellen übergössen,

des Wetters leichter Ball. Der Grund war unbekant.

Und täte sich denn auf ein nicht zu fernes Land,

wer kant' es, was es war? Ihr, wie Verlorne pflegen,

vergaßt der ganzen Welt, rieft blos nach Gottes Segen

auf euren nahen Tod. Die Focke war zu schwach

das schwere Schiff zu ziehn aus diesem Ungemach'.

Ihr ließet euch so bloß dem feindlichen Gewitter,

triebt sicher in Gefahr. Kein Tod, der war euch bitter.

Das Leben war euch leid. Es war in aller Pein

nur diß der ärgste Tod, nicht straks tot können sein.


Wir, die wir unser Heil noch ferner mit euch wagen,

was traf auch uns vor Angst! Was führten wir für Klagen

in Hargens lieber Stadt, die ofte nach euch sah'

und ofte mir rief zu: Ach, sind sie noch nicht da?

Der Weg zum Strande zu ward ach! wie viel getreten!

Die Kanzeln wündschten euch mit sehnlichen Gebeten.

Das Rathaus und der Markt, ja, fast ein iedes Haus

besprachte sich von euch und sah erbärmlich aus.

Die Zeit war längst vorbei, in der ihr woltet kommen.

Kein Schiff von Holstein her kam durch den Belt, geschwommen.[168]

Wir schickten hin und her zu wissen, wie es sei.

Die Post lief wunderlich, man sagte mancherlei:

der hätt' euch auf der See gesehn, der gar gesprochen,

der meinte, hier und da wär' euer Schiff gebrochen.

Da wär' ein deutsches Pferd, ein solch und solcher Man,

dort wieder diß und das ans Land getrieben an.

Wie sicher anfangs wir auf euer Glücke waren,

so kleinlaut wurden wir, als nichts nicht zu erfahren

als Trauern von euch war. Die Furcht wuchs mit der Zeit,

es dachte mancher schon gar auf ein Trauerkleid,

der traurig schien' um euch. Es war so bald nicht Morgen,

wir eilten auf den Wall. Wir freuten uns mit Sorgen,

wenn auf verdachter See ein falsches Segel kam.

So wurden wir zuletzt' auch unsrer Hofnung gram.


Es liegt ein hohes Land in Amphitritens Armen,

die manches Schiffes sich hier pfleget zu erbarmen,

das deinen Scheren zu, o Finnland, wird gejagt,

da sein gewisser Tod weit von ihm nach ihm fragt.

Das Land heißt, wie es liegt: hoch in die Luft gestrecket,

dem stets sein kales Haupt mit Wolken ist bedecket,

kalt, felsicht, trucken, leer, wild, doch ohn' alles Wild,

kaum dreier Fischer Stall, ein wahres Ebenbild

der reichen Armut selbst. Hier waret ihr gesonnen

zu sehn, was Klotho euch würd' haben abgesponnen,

Gold oder blasses Blei. Ihr liefet willig an.

Das soll man gerne tun, was man nicht ändern kan.

Das Schiff, das obenher von Winden war zerrissen,

ward von der Fluten Macht nun unten auch geschmissen

hart an den blinden Glind. Das Rohr sprang plötzlich ab.

Hier saht ihr euren Tod, hier saht ihr euer Grab.

Der Kiel ging mors entzwei mit Krachen und mit Schüttern,

die Planken huben sich mit Zittern an zu splittern.

Die See brach häufig ein. Das tote Schiff ertrank,

das leichte Gut floß weg, das schwere, das versank.

Da war es hohe Zeit sich an das Land zu machen,

Da saht für euer Heil ihr recht den Himmel wachen;

ihr sprunget furchtsam aus, des nahen Landes froh.

Das reiche Gut des Schiffs mag bleiben, wie und wo[169]

und wem das Glücke will. Ein Man, der Schifbruch leidet,

schätzt nichts dem Leben gleich, tut, was er dennoch meidet,

stürzt bloß sich in die See, faßt einen duppeln Mut.

Bringt er nur sich darvon, so hat er alles Gut.

Das arme Land erschrak für diesen neuen Gästen,

halb furchtsam und halb froh. Es hatte nichts zum Besten,

an allem Mangel reich. So nahmet ihr vorlieb,

was an, den holen Strand aus eurem Schiffe trieb'

an Früchten, Brot' und sonst: diß wärte ziemlich lange.

Es war euch billig auch für nahem Winter bange,

der euch den Tod auch schwur durch Hunger und durch Frost,

bis daß uns endlich kam von euch die edle Post.

Ganz Liefland weinte froh, nachdem es euch vernommen;

ganz Revel lief euch nach, da es euch sahe kommen.

Die Kirchen dankten Gott, die Schulen wündschten Heil.

Was vor nur Seufzen war, ward Jauchzen in der Eil'.


Diß hat mein teurer Freund mit alles ausgestanden,

diß alles gibt er hier zu lesen allen Landen,

sein wahrer Zeuge selbst. Hörts, wers nicht lesen kan!

Schau, deutsche Christenheit, das wird für dich getan!

Es hat Gewalt und Neid sich hart an uns gewaget,

wir haben sie getrost zu Felde doch gejaget.

So hat der lange Weg beglaubt genung gemacht,

was List und was Gefahr uns hatten zugedacht.

Der Höchste hat uns nun erfreut auf allen Schaden,

hat uns gesund gebracht nach seinen milden Gnaden,

hier, da die Wolge sich in so viel Ströme reißt

und in die Kaspersee mit vollen Krügen geußt.

Der spreche ferner ja zu unsern hohen Sachen,

der wolle weiter so für unser' Häupter wachen,

sie führen hin und her! Das edle Holstein lacht,

daß diß sein großes Werk so weit nun ist gebracht.

Was Kaisern ward versagt, was Päbsten abgeschlagen,

was Königen verwehrt, steht uns nun frei zu wagen.

Auf, Nordwind, lege dich in unser' Segel ein,

das wolgefaßte Werk wird bald volführet sein!


1636. vor Astrachan, den 3. Tag des Weinmonats.
[170]

Quelle:
Paul Fleming: Deutsche Gedichte, Band 1 und 2, Stuttgart 1865, S. 167-171.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Deutsche Gedichte
Deutsche Gedichte

Buchempfehlung

Strindberg, August Johan

Inferno

Inferno

Strindbergs autobiografischer Roman beschreibt seine schwersten Jahre von 1894 bis 1896, die »Infernokrise«. Von seiner zweiten Frau, Frida Uhl, getrennt leidet der Autor in Paris unter Angstzuständen, Verfolgungswahn und hegt Selbstmordabsichten. Er unternimmt alchimistische Versuche und verfällt den mystischen Betrachtungen Emanuel Swedenborgs. Visionen und Hysterien wechseln sich ab und verwischen die Grenze zwischen Genie und Wahnsinn.

146 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon