47. Als die Holsteinische Gesellschaft von Astrachan

[171] 1636 October 10.


Gehabe dich itzt wol, du Grenzstadt der Nagaien,

die hin und wieder sich in Horden hin zerstreuen,

und deiner Reußen auch, die dich mit strenger Hand

den Tartern abgejagt und ihnen zugewandt!

Gehabe dich itzt wol mit deinen schönen Mauren,

die um den Tagmurlan noch itzund frölich trauren,

nach dem ihr Steinwerk heißt! Du königliche Stadt,

die durch drei Wochen uns gnung Lust verschaffet hat,

gehabe dich itzt wol! Wir haben nun vernommen,

was für ein güldnes Land du hier hast überkommen,

das Ceres düngt und baut, Pomona liebt und hegt,

das Bacchus um und um mit Reben überlegt.

Der Himmel ist dir Freund, der dieses dein Gefilde

mit reicher Fruchtbarkeit so hat gemachet milde.

Du machst, daß fast mein Sinn sein Vaterland vergißt,

mit dem du liegst gleich hoch und gleiche fruchtbar bist,

nur daß dus nicht auch bist. Ich danke deiner Floren,

in welcher Kräuterschoß ich oftmals mich verloren

und mancher langen Tag mir habe kurz gemacht,

so daß ich nicht ward gewar, als bis er war verbracht.

Oft hast du an den Strand dein' edlen Archimacken,

die frech von Schenkeln sind und tragen stolz die Nacken,

uns lassen ziehen vor, bist mit uns ausspaziert,

und hast uns an der Hand um und in dich geführt,

das Völklein lassen sehn, das anders keine Hilfe

für Frost und Hitze hat als unter dürrem Schilfe,

das strenge lebt und stirbt, und den nur arm sein dünkt,

der Reichtum Reichtum heißt, und köstlich ißt und trinkt.

Auch hast du uns erzählt, wie nah' an deinen Gränzen

der Kainkover-Strand von Salze solle glänzen

und die Westover-See, wie durch der Sonnen Glut

zu Salze wird gekocht der Mozakovsker Flut,

auch wie die Jaike fleußt, das Wohnhaus der Kalmücken,

die manchen reichen Raub dir aus der Hand entrücken,[171]

die Jaike, die sich auch in den Hyrkau ergeußt

und dieser deiner Rha fast wie zu Trutze fleußt.

Da hast uns Lust geschafft mit Wind- und Federspielen,

zu Land' und auf der Flut, auf Bergen und in Pfülen.

Bald warest du bei uns, bald waren wir bei dir.

Du bist uns feindlich nie, stets freundlich kommen für.

Gehabe dich itzt wol mit allen diesen Lüsten,

mit aller deiner Zier! Das Heil der deutschen Christen

und dein selbsteigner Nutz gebeut uns ferner auf;

er will vollführet sein, der edle schöne Lauf

des edlen schönen Tuns, das auf der Famen Wagen

bis über den Saturn wird hin und her getragen;

das der ersuchte Herr des Himmels selbsten treibt

und in sein Sternenbuch mit güldner Dinte schreibt.

Der günstige Nordost, der bläst aus vollen Backen

die holen Segel auf, er jagt die hohen Flacken

auf die Gualesker-See, auf die vor unsrer Zeit

kein deutscher Dannenbaum zu schwimmen war befreit.

Es fügt uns Wind und Stern auf Terky der Zirkassen;

sein fürstlicher Mutschal reist vor, uns zu umfassen

in seiner Landesstadt. Wir kommen auf Bachu,

auf Derbent, auf Gilan und wo wir denken zu.

Gehabe dich itzt wol, o Astrachan, du werte,

die uns vor kurzer Zeit zu sehen so begehrte,

die ganz an ihren Strand vor ihre Tore lief

und ihr Glück zu! Glück zu! in unsre Salven rief!

Der Knall und das Geschrei von euch und unsern Stücken

vermengten Furcht und Lust. Nun siehst du unserm Rücken

mit stillem Sehnen nach, schickst manches feuchtes Ach

uns bis auf deine See, bis gar in Persen nach.

Es müsse der dein Strom so sicher ewig fließen

und mit gefreiter Flut sein Ufer überschießen!

Für das, daß er uns dir so wol hat zugeführt,

so soll er stets mit Dank und Ehren sein geziert,

wie denn auch du mit ihm! So bleibe denn gewogen!

Wir ziehen einen Weg, den Niemand ist gezogen,

den der selbst mit uns tut, dem nichts nicht mißgelingt,

der allem Glücke selbst sein rechtes Glücke bringt.[172]

Kein Glück' ist Glück' ohn' ihm. Wir sind getroster Sinnen.

Was gilts, wir wollen noch der Ehren Lob gewinnen,

daß die Vergessenheit auch unser denken soll.

Du aber, edle Stadt, gehabe dich itzt wol!


Quelle:
Paul Fleming: Deutsche Gedichte, Band 1 und 2, Stuttgart 1865, S. 171-173.
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