16. Also hat Gott die Welt geliebet u.s.w

[450] Ists müglich, daß der Haß auch kan geliebet sein?

Ja, Liebe, sonst war Nichts, an dem du küntest weisen,

wie stark dein Feuer sei, als an dem kalten Eisen

der ausgestälten Welt. Du, höchster Sonnenschein,


wirfst deiner Stralen Glut in unser Eis herein,

machst Tag aus unsrer Nacht. Und was noch mehr zu preisen,

du wirst des Armuts Schatz, des Hungers süße Speisen,

giebst Himmel für die Welt. O Pein der Höllenpein,


o Todesgift und Tod, o wahrer Freund der Feinde,

o Meister, der du auch dein Werk dir machst zum Freunde,

wirst deiner Diener Knecht, wirst deiner Tochter Kind.


Was tu ich, daß ich doch den Abgrund will ergründen!

Ich weiß so wenig mich in dieses Tun zu finden,

so viel du höher bist, als alle Menschen sind.
[450]

Quelle:
Paul Fleming: Deutsche Gedichte, Band 1 und 2, Stuttgart 1865, S. 450-451.
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