14. An ihren Spiegel

[497] O du drei viermal mehr Glückseliger als ich,

der du der Liebsten Glanz in deinem Auge trägest

und selbst zu lieben sich das schöne Kind bewegest,

daher sie nur wird stolz, sieht weit hin über mich,


giebt ihre Gunst ihr selbst und achtet mehr auf dich,

in dem du bist bemüht und höchsten Fleiß anlegest,

daß du dich, wie sie sich, an allen Gliedern regest,

durch dich schaut sie sich an und redet selbst mit sich.


Du rechtes Freudenwerk von früh an bis zu Nachte,

wie mach' ichs, daß ich sie doch einmal so betrachte,[497]

als wie du allzeit tust? So mein' ich, kan es gehn,


versuch es einen Tag und gönne mir dein Glücke,

und daß ich wieder gleich in ihre Blicke blicke,

so laß diß Auge hier an deine Stelle stehn,


Quelle:
Paul Fleming: Deutsche Gedichte, Band 1 und 2, Stuttgart 1865, S. 497-498.
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