Havelland

[242] (Statt eines Vorwortes

zu dem 3. Band »Wanderungen« 1873)


Grüß Gott dich, Heimat! ... Nach langem Säumen

In deinem Schatten wieder zu träumen,

Erfüllt in dieser Maienlust

Eine tiefe Sehnsucht mir die Brust.

Ade nun, Bilder der letzten Jahre,

Ihr Ufer der Somme, der Seine, Loire,

Nach Krieges- und fremder Wässer Lauf,

Nimm, heimische Havel, mich wieder auf.[242]


Es spiegeln sich in deinem Strome

Wahrzeichen, Burgen, Schlösser, Dome:

Der Julius-Turm, den Märchen und Sagen

Bis Römerzeiten rückwärts tragen,

Das Schildhorn, wo, bezwungen im Streite,

Fürst Jazko dem Christengott sich weihte,

Der Harlunger-Berg, des oberste Stelle

Weitschauend trug unsre erste Kapelle,

Das Plauer Schloß, wo fröstelnd am Morgen

Hans Quitzow steckte im Röhricht verborgen,

Die Pfaueninsel, in deren Dunkel

Rubinglas glühte Johannes Kunkel,

Schloß Babelsberg und »Schlößchen Tegel«,

Nymphäen, Schwäne, blinkende Segel –

Ob rote Ziegel, ob steinernes Grau,

Du verklärst es, Havel, in deinem Blau.


Und schönest du alles, was alte Zeiten

Und neue an deinem Bande reihten,

Wie schön erst, was fürsorglich längst

Mit liebendem Arme du umfängst.

Jetzt Wasser, drauf Elsenbüsche schwanken,

Lücher, Brücher, Horste, Lanken,

Nun kommt die Sonne, nun kommt der Mai,

Mit der Wasser-Herrschaft ist es vorbei.

Wo Sumpf und Lache jüngst gebrodelt,

Ist alles in Teppich umgemodelt –

Ein Riesenteppich, blumengeziert,

Viele Meilen im Geviert.

Tausendschönchen, gelbe Ranunkel,

Zittergräser, hell und dunkel,

Und mitteninne (wie das lacht!)

Des roten Ampfers leuchtende Pracht.

Ziehbrunnen über die Wiese zerstreut,

Trog um Trog zu trinken beut,

Und zwischen den Trögen und den Halmen,

Unter nährendem Käuen und Zermalmen,[243]

Die stille Herde ... das Glöcklein klingt,

Ein Luftzug das Läuten herüberbringt.


Und an dieses Teppichs blühendem Saum

Die lachenden Dörfer, ich zähle sie kaum:

Linow, Lindow,

Rhinow, Glindow,

Beetz und Gatow,

Dreetz und Flatow,

Bamme, Damme, Kriele, Krielow,

Petzow, Retzow, Ferch am Schwielow,

Zachow, Wachow und Groß-Bähnitz,

Marquardt an der stillen Schlänitz,

Sentzke, Lentzke und Marzahne,

Lietzow, Tietzow und Rekahne,

Und zum Schluß in dem leuchtenden Kranz:

Ketzin, Ketzür und Vehlefanz.


Und an deinen Ufern und an deinen Seen,

Was, stille Havel, sahst all du geschehn?!

Aus der Tiefe herauf die Unken klingen –

Hunderttausend Wenden hier untergingen;

In Lüften ein Lärmen, ein Bellen und Jagen,

»Das ist Waldemar« sie flüstern und sagen;

Im Torfmoor, neben dem Cremmer-Damme,

(Wo Hohenloh' fiel) was will die Flamme?

Ist's bloß ein Irrlicht? ... Nun klärt sich das Wetter,

Sonnenschein, Trompetengeschmetter,

Derfflinger greift an, die Schweden fliehn,

Grüß Gott dich, Tag von Fehrbellin.


Grüß Gott dich, Tag, du Preußen-Wiege,

Geburtstag und Ahnherr unsrer Siege,

Und Gruß dir, wo die Wiege stand,

Geliebte Heimat, Havelland![244]


Quelle:
Theodor Fontane: Sämtliche Werke. Bd. 1–25, Band 20, München 1959–1975, S. 242-245.
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