2. Letzte Begegnung

[247] (14. Juni 1888)


König Oskar, vom Mälar kommt er daher,

Fährt über den Sund, fährt über das Meer,

Nun sieht er die Küste: Deutsches Land,

Heide, Kiefer, märkischen Sand,

Und nun Avenuen und Schloß und Alleen –

Er kommt, um den sterbenden Kaiser zu sehn.


Dem melden sie's. »König Oskar ist da.«

Kaiser Friedrich wie suchend um sich sah,

Ein leuchtendes Bildnis hängt an der Wand,

Sein Bildnis von Angelis Meisterhand,

Orangeband, Orden, Helmbuschzier,

Pasewalker Kürassier,[247]

Er blickt drauf hin, und den Blick sie verstehn:

»So soll mich König Oskar sehn.«


Und sie legen ihm Koller und Küraß an,

Aufrecht noch einmal der sterbende Mann,

Aufrecht und hager und todesfahl –

König Oskar tritt in den Marmorsaal,

Sprechen will er, er kann es nicht,

Ein Tränenstrom seinem Aug' entbricht.

Da steht sein Freund in des Jammers Joch,

Gebrochen und doch ein Kaiser noch:

Den Pallasch zur Seite, den Helm in Hand,

Kaiser Friedrich vor König Oskar stand.


»Bild einst von Größe, Schönheit, Glück,

Das ist das letzte, das blieb zurück.«

Stumm neigt sich der König, und noch einmal,

Und nun zum dritten und – läßt den Saal.


Quelle:
Theodor Fontane: Sämtliche Werke. Bd. 1–25, Band 20, München 1959–1975, S. 247-248.
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