Lord Maxwells Lebewohl

[347] »Leb wohl, leb wohl, liebe Mutter mein,

Und leb wohl, meines Vaters Haus,

Lebt wohl, es soll geschieden sein,

Ich muß in die See hinaus;

Leb wohl, du Garten im Sonnenschein,

Drin die Maienglöckchen stehn,

Und vor allem leb wohl, liebe Lady mein,

Ich muß von dannen gehn.


Lord Johnston erschlug ich am Wege hier,

Es war eine dunkle Nacht,

Lord Johnston erschlug meinen Vater mir,

Und so hab ich's quitt gemacht;

Drei Jahre harrt' ich bei Nacht, bei Tag,

Meinen Vater gerächt zu sehn,

Ich hab' nicht Reu, was kommen mag,

Aber von dir muß ich gehn.


Und hätt' ich Reu, ich dächt' an den Tag,

Der wie gestern vor mir steht,

Wo mein Vater auf seinen Knieen lag

Und die Johnstons um Gnade gefleht;

Sie hieben ihm ab die flehende Hand,

Geschehn ist, was geschehn,

Nun muß ich lassen Lieb' und Land

Und, lieb' Lady, von dir gehn.


Leb wohl, Carnarven, mein Fels, mein Schloß,

Leb wohl auf manches Jahr,

Leb wohl, du Wald, du stiller Genoß,[347]

Darinnen ich glücklich war,

Leb wohl, Lochmabens Birkenhain,

Und du Platz, wo die Tannen stehn,

Und vor allem leb wohl, lieb' Lady mein,

Denn ich muß von dir gehn.«


Sie hielt ihn an ihr Herz gepreßt:

»Bleib hier und bleibe mir!

Meines Bruders Schloß ist stark und fest

Und doppelt fest mit dir;

Die Hamiltons und die Douglas beid',

Sie werden zu uns stehn –«

»Es bricht mein Herz in Weh und Leid,

Aber von dir muß ich gehn.«


Er nahm einen Ring, an dem Ringe hing

Ein Kreuz von rotem Stein:

»Nimm hin den Ring und trage den Ring

Und vor allem gedenke mein,

Denn ach, vergäßest du mich je,

Um nach andrem Glück zu sehn,

Rück flög' ich über die schäumende See,

Und um alles wär' es geschehn.«


Der Tag war grau, das Deck war klar,

Lord Maxwell ging zu Schiff,

Der Wind in allen Segeln war,

Die Bootsmannspfeife pfiff;

Ein Streifen schwand das Ufer jetzt,

»Ade!« Die See ging hohl,

Und Wind und Wogen verschlangen zuletzt

Lord Maxwells Lebewohl.[348]


Quelle:
Theodor Fontane: Sämtliche Werke. Bd. 1–25, Band 20, München 1959–1975, S. 347-349.
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