Contenti estote

[50] Tieck, jung noch, kam zum alten Reil.

»Herr Geheimrat, ich leide schon eine Weil',

Eigentlich hab' ich immer gelitten-

Ich möchte mir Ihren Rat erbitten.«


»›Nun, lassen Sie hören, lieber Tieck,

Vielleicht Migräne, vielleicht Kolik?

Sie schütteln den Kopf. Vielleicht was am Herzen

Oder an der Leber? Haben Sie Schmerzen?‹«[50]


»Nicht eigentlich das. Wohl mal, daß es sticht,

Aber wirkliche Schmerzen hab' ich nicht.«


»›Sehr erfreulich. Und wenn ich's damit nicht traf,

Wie steht's mit der Hauptsach'? Wie steht's mit dem Schlaf?‹«


»In dem Punkt zähl' ich mich zu den Gesunden,

Ich schlafe doch mindestens meine neun Stunden.«


»›Vortrefflich. So bleibt uns als letztes Gebiet

Nur noch die Verdauung; wie ist der Apptit?‹«


»Auch damit geht es; ich kann nicht klagen,

Ja, ich glaube, mein Bestes ist der Magen;

Oft wenn ich erschöpft bin – mit Freunden bei Tische,

Gleich hab' ich wieder die volle Frische.«


Da lachte boshaft der alte Reil.

»›Lieber Tieck, mit Ihnen hat es nicht Eil',

Appetit und Schlaf und keine Schmerzen,

Da danken andere Gott im Herzen,

Ihre Krankheit ist nichts als ein krankhaft Verlangen,

Es ist Ihnen immer zu gut gegangen,

Ein bißchen mehr Sorge bei schmalerem Brote,

Das fehlt Ihnen, Freund. Contenti estote.‹«


Quelle:
Theodor Fontane: Sämtliche Werke. Bd. 1–25, Band 20, München 1959–1975, S. 50-51.
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