Gielsdorf

[438] Gielsdorf – durch den schönen Ihlandsee von Wilkendorf getrennt – ist seit vierhundert Jahren im Besitze der Familie. In einen der alten Kirchenpfeiler wurde, mit Bezugnahme darauf, eine Steintafel eingemauert, die folgende Inschrift trägt: »Zur Erinnerung an die 1460 unter Churfürst Friedrich geschehene Belehnung des Werner Pfuel mit Gielsdorf und an den vierhundertjährigen Besitz seiner Erben. Gustav von Pfuel, 1860.«

Auch in der Gielsdorfer Kirche befindet sich ein ausgemeißelter Taufstein, doch ist derselbe ersichtlich aus späterer Zeit, nicht so groß wie der Wilkendorfer und, statt in Granit, in bloßem Kalkstein (wahrscheinlich aus dem benachbarten Rüdersdorf) ausgeführt. In Front trägt der Stein ein flach gearbeitetes Kreuz, und als Umschrift um dasselbe, in Form eines Kranzes, die Worte: NON GLORIOR NISI IN CRUCE DOMINI.

Die Emporen der alten Kirche ruhen auf kurzen, grobgeschnitzten Holzpfeilern; in einen derselben sind die Worte eingeschnitten: BERTRAMB V. PFUEL. ANNO MDCX. Dieser Bertramb von Pfuel war ein Vetter Kurt Bertrams von Pfuel, der während des Dreißigjährigen Krieges eine Rolle spielte und auf den wir weiterhin zurückkommen.

Unter dem Altar der Gielsdorfer Kirche soll ein anderer Pfuel (Christian Friedrich) bestattet sein. Eine Stückkugel riß ihm, beim Sturm auf Kaiserwerth, den Kopf weg und Rumpf und Glieder wurden in Gielsdorf begraben. Das war 1702. Er war Oberst in einem Infanterieregiment. Sein Bild befindet sich in Jahnsfelde. Ein Spruch in der Jahnsfelder Kirche gedenkt sein. Dieser von Friedrich de La Motte-Fouqué herrührende Spruch lautet:


Italien hat und Niederland

Den edlen Kämpfer oft geschaut.

In vieler wilden Schlachten Brand

Hat er das Feld mit seinem Blut betaut.

Als letzter Kranz ward ruhmvoll ihm beschert

Zu sterben, vorbewußt im Sturm auf Kaiserswerth.[438]


Dieses »vorbewußt« bezieht sich auf folgenden Vorfall, der als Tradition in der Familie fortlebt. Am Tage vor dem Sturm auf Kaiserswerth will Pfuel in sein Zelt treten. Die vor dem Zelt stehende Schildwache salutiert nicht, erblaßt aber und zeigt nur auf das Innere des Zelts. Pfuel tritt jetzt ein und sieht sich selber, schreibend, am Tische sitzen. Er tritt hinter die Gestalt, blickt dem ruhig Weiterschreibenden über die Schulter und liest sein Testament. Dann verschwindet die Gestalt. Pfuel wußte jetzt, daß er andern Tages sterben werde. Er setzte sich auf den Feldstuhl, auf dem eben sein Doppelgänger gesessen, schrieb an seine Frau und nahm Abschied von ihr. Anderen Tages fiel er an der Spitze seiner Sturmkolonne.

Es ist sehr wahrscheinlich, daß diese Geschichte zu Chamissos schönem Gedichte »Die Erscheinung« Veranlassung gegeben hat. Wenigstens ist die Situation dieselbe. Chamisso war mit Fouqué befreundet und Fouqué seinerseits kannte die Familientradition des ihm verwandten Pfuelschen Hauses.

Quelle:
Theodor Fontane: Sämtliche Werke. Bd. 1–25, Band 10, München 1959–1975, S. 438-439.
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