14. Kapitel
Hoppenrade von 1819 bis jetzt.
Hoppenrade kommt unter ein Kuratorium (von Rabe) und wird an den Amtmann Haupt verpachtet
1819–1836

[199] Nach dem Ableben der Frau von Arnstedt (1819) hätte der einzige Sohn derselben, der vorerwähnte damals in Düben stehende Husarenleutnant von Arnstedt, die Güter übernehmen und jeder seiner drei Schwestern ihren Anteil auszahlen oder verzinsen müssen. Er empfand indes, daß er weder der wirtschaftlichen noch der geschäftlichen, am allerwenigsten aber einer sich vielleicht erhebenden finanziellen Schwierigkeit auch nur annähernd gewachsen sei, weshalb er sich mit seinen Schwestern dahin einigte, daß man dem Landrate Grafen von Wartensleben und neben diesem dem Kammerdirektor von Rabe eine Generalvollmacht über Hoppenrade-Löwenberg erteilen und ihr und der Güter Schicksal in die Hände dieser[199] beiden Kuratoren niederlegen wolle. Graf Wartensleben war nur ein Name, der Kammerdirektor von Rabe jedoch, der von jetzt ab in seiner Kuratoreneigenschaft auf fast vierzig Jahre hin erst in den Vordergrund und später wenigstens in die Mitte der Szene tritt, unterzog sich seiner Aufgabe mit Ernst und Eifer, wenn auch zeitweise nicht mit ausreichendem Erfolg, und schritt sofort zur Verpachtung der großen Güterkomplexe. Hoppenrade, das uns hier ausschließlich interessiert, kam bei dieser Gelegenheit an den Amtmann Haupt in Pacht, einen renommierten Landwirt, und nach dem Tode desselben an den jüngeren Haupt. Aber weder der eine noch der andere, von Förderung der Kulturen gar nicht zu sprechen, zeigte sich auch nur imstande, den Betrieb au niveau zu halten. Unter dem älteren Haupt waren wenigstens die Pachtzahlungen immer noch prompt geleistet worden, unter dem jüngeren nahm auch das ein Ende. Ja, der eintretende Verfall war ein so vollkommener, daß nicht einmal mehr die Steuern und Abgaben bezahlt werden konnten. So kam es denn, daß sich 1836 der Pächter, der jüngere Haupt, für insolvent erklärte.


Hoppenrade bleibt unter dem Kuratorium von Rabe, wird aber, statt an die Familie Haupt, an den Kammergerichtsrat von Wülknitz verpachtet
1836–1856

Die Folge dieser Insolvenz würde notwendig die Sequestration der Güter gewesen sein, wenn nicht, in so bedrängter Lage, der Kammergerichtsrat Otto von Wülknitz, einer der Schwiegersöhne der Frau von Arnstedt, ein kühnes und kluges Spiel gespielt und dadurch sein und seiner Anverwandten Vermögen gerettet hätte. 1836 trat er, ohne sich durch die Hauptsche Bankrotterklärung abschrecken zu lassen, in die Pacht ein und schritt ungesäumt zur Wiederherstellung einer auf jedem Gebiete devastierten Wirtschaft.

Er würde dies, bei den bedeutenden Mitteln, die dazu nötig waren, einfach nicht gekonnt haben, wenn ihm nicht kurz vorher ein kleines, aber ziemlich wertvolles Gut, das Gut Hohenturm bei Halle, durch Erbschaft zugefallen wäre. Er verkaufte Hohenturm für 80000 Taler, teilte diese Summe mit seiner miterbenden Schwester, einer Frau von L'Estocq, und warf nun den ganzen, ihm verbleibenden Rest von 40000[200] Talern in Hoppenrade hinein. Alles gewann dadurch rasch ein anderes Ansehen, und schon Anfang der vierziger Jahre ließ sich an einem zufriedenstellenden Resultate nicht mehr zweifeln, immer vorausgesetzt, daß der Ausgang des 1809 erst vorläufig abgeschlossenen und seitdem von seiten der Familie von Bredow wieder aufgenommenen Erbschaftsprozesses nicht alles wieder in Frage stellte. Wülknitz indessen, ein eminent kluger Mann und speziell durch seine juristische Kenntnis unterstützt, erwies sich auch auf diesem Gebiet als glücklich und überlegen, und hatte den Triumph, eine hüben und drüben mit Aufwand aller Kraft geführte Streitsache zum zweiten Male zu seinen und seiner Anverwandten Gunsten entschieden zu sehen.32

Das war im Sommer 1848. Von diesem siegreichen Prozeßschluß an, der endlich einen, bis dahin nie dagewesenen Sicherheitszustand geschaffen hatte, durchdrang ihn nur noch der eine Wunsch, das bis dahin lediglich in Pacht gehabte Hoppenrade zu seinem freien Eigentum zu machen. Dazu waren, voraufgehend, drei Dinge nötig,

erstens: Zustimmung der Familie behufs Aufhebung der Fideikommißeigenschaft von Hoppenrade,

zweitens: entsprechender Antrag und Durchsetzung dieses Antrages bei den Gerichten, und

drittens: Abfindung aller Gläubiger aus den alten von Arnstedtschen Zeiten her, will sagen Abfindung aller der Geldleute, die bis dahin an das Fideikommiß-Hoppenrade mit ihren endlosen Geldansprüchen nicht herangekonnt hatten, das Allod gewordene Hoppenrade dagegen sofort mit Beschlag belegt haben würden.

Am meisten Schwierigkeit unter diesen drei Punkten bot der erstgenannte: die Zustimmung der Familie.

Dies hing so zusammen.

Es lag selbstverständlich bei Beginn dieser Umwandlungs-Angelegenheit Herrn von Wülknitz ob, allen anderen Erbschaftsberechtigten gegenüber – deren Interessen nach wie vor von dem Kurator und Kammerdirektor von Rabe wahrgenommen wurden – Erklärungen darüber abzugeben, bis zu welcher Höhe Hoppenrade, seinen Erträgen nach, von ihm,[201] Wülknitz, bezahlt werden könne. Die Summe, die von Wülknitz bei dieser Gelegenheit nannte, war keine geringe. Frau von Kettler indes, eine scharf rechnende Frau, fand sie zu niedrig, protestierte mithin und schuf aus dieser Anschauung heraus allerlei Schwierigkeiten. Ihnen zu begegnen würde nun freilich dem klugen Wülknitz, der unter anderm auch die Klugheit hatte, den Bogen nie zu straff zu spannen, ein leichtes gewesen sein, wenn nicht der Widerstand der damals in Dresden lebenden Frau von Kettler von Berlin aus und zwar durch niemand anders als durch den Kurator und Generalbevollmächtigten von Rabe beständig genährt worden wäre. Was diesen zu diesem Widerstande bewog, ob Kuratoren-Herrschergewohnheit oder Launenhaftigkeit oder bloß die Lust, einem andern die Pläne zu kreuzen und das Spiel zu verderben, ist nicht recht ersichtlich, aber das steht fest, daß er sich von Anfang an gegensätzlich, ja geradezu feindlich gegen Wülknitz stellte, den er doch, aller zuzugebenden Eigennützigkeit des letzteren unerachtet, als einen Retter der Familie hätte begrüßen müssen. Aber davon war er weit entfernt und faßte vielmehr seine Kuratorenstellung einfach dahin auf, daß die beiden unschuldigen und bedrohten Parteien, Kettler und Örtzen, gegen die beständig machinierende Partei Wülknitz unter allen Umständen geschützt werden müßten. Dieser in der Persönlichkeit beider begründete Antagonismus zeigte sich im großen und kleinen, und als Wülknitz, um nur ein Beispiel zu geben, unmittelbar nach der Pachtübernahme die doch mindestens nicht zu verachtende Summe von 40000 Talern in das devastierte Hoppenrade hineingesteckt hatte, schrieb Rabe an Baron Örtzen: »Er wird bald damit ausgewirtschaftet haben; uns aber kommen die 40000 Taler unter allen Umständen zugute.«

Das waren nicht Worte, die freundliche Beziehungen anknüpfen konnten, und so ging denn der Krieg durch volle zwanzig Jahre hin. Im Vorteil blieb auch hier wieder Wülknitz, weil er doch der gescheitere war, was von Rabe selbst schließlich anerkannt wurde. »Respekt vor Wülknitz. An dem hab' ich meinen Mann gefunden. Der hat mich überlistet.« Und Wülknitz seinerseits versicherte: »Wo Rabe hinsieht, gibt es ein Loch; sein Blick brennt bis auf die Haut und wenn ich den dicksten Flaus anhabe.« Beide waren märkische Naturen, wie sie nicht schöner gedacht werden konnten, scharf und schneidig, auch wohl, wenn es nichts kostete, mit Gemütlichkeitsallüren,[202] aber immer eulenspiegelsch, vorsichtig und sarkastisch. Unter allem, was in ihrer Seele blühte, war die blaue Blume der Romantik, insonderheit aber die des romantischen Vertrauens am spärlichsten vertreten.

Im Jahre 1856 (nach anderen Angaben erst am 4. Dezember 1858) war Wülknitz auf jedem Punkte Sieger, alles war geglättet und er erstand Hoppenrade für die Summe von 350000 Talern.


Hoppenrade wird freier Besitz des Kammergerichtsrats von Wülknitz
1856–1860

Wülknitz, so sagt' ich, war Sieger, und dieser endliche Sieg war ihm zu gönnen, ihm, der auf jedem erdenklichen Gebiete so viel Rührigkeit und Energie gezeigt hatte. Denn was sich auch, wie wohl kaum zu bestreiten, von Selbstischem in sein Tun mit eingemischt haben mochte, das Geleistete war groß und alle Teile hatten schließlich ihren Vorteil davon. Aus den brachliegenden Ländereien waren wieder gut bestellte Felder, aus dem niedergeschlagenen 9000 Morgen-Forst ein neu heranwachsender Wald und aus dem vernachlässigten Viehstand eine Stammschäferei geworden.

Er hatte gewonnen, wonach er gestrebt, aber eigentliches Glück war doch nicht seiner Mühen Lohn gewesen. Er kam, wie schon mehrfach bemerkt, aus dem Kampfe nicht heraus, und wenn auch zuzugestehen ist, daß er sein lebelang nicht bloß kampfesmutig, sondern auch kampfeslustig war, so ward ihm doch schließlich des Kämpfens zu viel. Besonders hart litten die Seinen unter seiner beständigen Arbeit und Unrast, am meisten die Frau, die nicht nur die ruhigen und idyllisch-heiteren Prinz-Heinrich-Tage, wenigstens als Kind, noch mit erlebt hatte, sondern auf deren Herz und Gemüt auch alle die weichen und liebenswürdigen Eigenschaften ihrer Mutter, unsrer Krautentochter, übergegangen waren. Es ist erschütternd, in einem mir vorliegenden Briefe von ihrem Betroffensein zu lesen, als sie nach siebzehn Jahren, und nun als »Pächterin«, in das einst so schöne Schloß Hoppenrade zurückkehrte. »Das war also die Stätte meiner Kindheit und meiner Jugend; alle Tapeten von den Wänden gerissen und Löcher in den Dielen. Niemand da, der mich empfing, und da saß ich denn auf dem Koffer, der eben abgeladen war, und sah vor mich hin und in eine sorgenvolle Zukunft.«[203]


Hoppenrade seit 1860

Und was nun noch zu berichten ist, ist kurz.

Hoppenrade blieb nur auf wenige Jahre hin ein freier und ritterschaftlicher Besitz in von Wülknitz' Händen. Am 15. Oktober 1860 bereits ging es durch Kauf an den Kammerherrn und Erbmundschenk von Vorpommern, Hellmut von Heyden-Linden über, der die ganze Kaufsumme bar auszahlte. Sämtliche Kinder und Enkel aus der Krautentochter-Deszendenz, und zwar, außer den Wülknitzens, drei Schwerine, drei Kettlers, drei Örtzens, empfingen ihren Anteil, und alle Beziehungen zu Hoppenrade waren gelöst.

von Wülknitz selbst, nachdem er sich eine Zeitlang an Baugründungen in Berlin beteiligt hatte, ging nach der Schweiz. Daselbst starb er 1866 zu Montreux.

Auch Herr von Heyden-Linden, in Pommern reich begütert, hatte sich seines neuen märkischen Besitzes nur kurze Zeit zu freuen. Er starb bald danach, und Hoppenrade kam an seine beiden Enkel: Georg Freiherr von Werthern und Ida Maria Freiin von Werthern.

Ersterer ist der gegenwärtige Besitzer. Er hat die schönen Räume wieder herstellen lassen und bewohnt sie wenigstens zeitweilig.


*


Eine stille Stätte jetzt, dies abseits vom Wege gelegene Schloß, eine Stätte, von der niemand mehr spricht, am wenigsten vielleicht die, die tagaus tagein es umwohnen. Aber von ihr, die hier auf ein paar Jahrzehnte hin ein poetisches und fast märchenhaft phantastisches Leben hervorzuzaubern wußte, von ihr erzählen sie noch, und in den Spinnstuben horcht alles auf, wenn von Elliot und seiner goldenen Kutsche, von den tausend Lichtern im Harenzackenwald und von dem Badegetümmel in Mon Caprice, versteht sich unter allerlei Zusätzen aus eigener erregter Phantasie, gesprochen wird.

Ja, die schöne, längst aus dieser Zeitlichkeit geschiedene Krautentochter, sie lebt fort an dieser Stelle. Von allen denen aber, die nach ihr kamen, erzählt niemand mehr, und nur ein Grab im Park noch gibt Andeutung von dem, was später und bis in unsere Tage hinein hier halb zu Gast und halb zu Hause war. Ein Grab im Park und auf einem Steine die wenigen Worte: »Clara von Wülknitz, geboren am 10. September 1826, heimgegangen am 1. November 1850.«[204]

Blumen und Efeu wachsen drüber hin und zur Seite steht eine Gruppe von Zypressen und Weymouthskiefern.

Einer Enkelin letzte Ruhestatt und darunter ein Leben, das vielleicht ernst und schwermütig gerade hier erlosch, an einer Stelle, wo die schöne »Grandmama« den Becher der Freude leerte, erst den Schaum und dann – den Rest.[205]

Ohne Beziehungen zu Hoppenrade selbst, noch zu seiner vieljährigen Herrin, der schönen Frau von Arnstedt, steht der schon auf Seite 199 von uns erwähnte


Fähnrich von Arnstedt,

der uns in einem Schlußkapitel dieses Abschnittes beschäftigen soll. Nur eine Namensvetterschaft liegt vor, freilich begleitet von einer in mehr als einem Stück verwandten, keine Selbstbeherrschung kennenden Natur- und Temperamentsanlage, die die schöne Frau schließlich bis an den Rand des wirtschaftlichen Ruins, den Namensvetter aber auf das Schafott führte.[206]

Emil von Arnstedt,

Fähnrich im Leibregiment; enthauptet am 25. April 1837


I.

Am 25. April 1837 mittags stand an den Straßenecken in Frankfurt a. O. die folgende Warnungsanzeige:

Der Portepeefähnrich Emil Otto Friedrich Alexander von Arnstedt des 8. Infanterie-Regiments, 21 Jahre alt, aus Ballenstedt im Herzogtum Anhalt-Bernburg gebürtig, hatte – aus Rache für angeblich von seinem Lehrer an der hiesigen Divisions-Schule, dem Lieutnant Wenzel, unverdient erhaltene Zurechtweisungen und vermeintliche aber unbegründet befundene Verleumdungen bei den höheren Vorgesetzten – am 5. Dezember v. J. morgens, mit schon tags vorher überlegtem Vorsatze, den Wenzel im Gange der Kaserne durch einen Pistolenschuß getötet.

Das in der Untersuchungssache wider den von Arnstedt am 7 Januar d. J. angeordnete Kriegsgericht hatte seinerseits dahin erkannt:

daß der Angeschuldigte wegen Ermordung des Vorgesetzten mit dem Rade von oben herab vom Leben zum Tode zu bringen,

welcher Ausspruch durch Allerhöchste Cabinets-Ordre vom 14. d. M. dahin mildernd bestätigt worden:

daß der Angeschuldigte wegen Ermordung des Vorgesetzten, statt der verwirkten Strafe des Rades von oben, durch das Beil vom Leben zum Tode zu bringen sei,

und ist diese Todesstrafe heut öffentlich an dem von Arnstedt vollzogen worden.33

Frankfurt, 25. April 1837. Königl. Gericht der 5. Division.[207]

Hierdurch war eine Sache zum Abschluß gebracht, die, vom ersten Augenblick an, nicht nur in Frankfurt a. O., sondern auch in den Adels- und Militärfamilien der ganzen Provinz ein großes und gerechtfertigtes Aufsehn erregt hatte. Hinsichtlich des voraufgegangenen Lebens des von Arnstedt aber stehe hier, was ich darüber bei Personen, die dem Unglücklichen einst nahe standen, erfahren konnte.


Emil von Arnstedt wurde 1816 zu Ballenstedt im Anhaltischen geboren. Sein Vater war der Hauptmann von Arnstedt, der sich zu nicht genau zu bestimmender Zeit, wahrscheinlich gleich nach Schluß der Befreiungskriege, mit einer sehr schönen Dame, einer geborenen Aldobrandini, vermählt hatte Während der zwanziger Jahre wurde von Arnstedt, der Vater als Hauptmann in das 12. Infanterieregiment, dessen eines Bataillon damals in Sorau stand, versetzt und auf dem Sorauer Gymnasium empfing Emil von Arnstedt, der Sohn, seine Ausbildung. »Wir vergeudeten unsere Zeit«, so heißt es in Mitteilungen eines ihn überlebenden Mitschülers. »Es wurde uns nichts geboten, was wir im späteren Leben hätten brauchen können. Immer Latein und Griechisch und daneben etwas Mathematik, noch dazu bei Lehrern, die selber keinen Begriff davon hatten. Wir mußten uns damit getrösten, einen Direktor zu haben, der als ein Ausbund von klassischer Gelehrsamkeit galt und vielleicht es auch war. Aber daß diese Gelehrsamkeit einem von uns zugute gekommen wäre, dürfte sich kaum behaupten lassen. So war uns die Schule widerwärtig, und anstatt etwas zu lernen, gingen wir Abenteuern nach oder durchlebten sie doch in unserer Phantasie. Bei Arnstedt kam noch sein Äußeres hinzu. Er war bildhübsch und schien für Aventüren und Liebesverhältnisse wie geboren. Etwa mit 18 Jahren kam er nach Frankfurt und trat ins Leibregiment. Sein Umgang und seine Lektüre waren, wie sie damals zu sein pflegten. Avantageure, Fähnriche, dann und wann auch ein paar der jüngeren Offiziere, versammelten sich, um sich von gehabten oder noch zu habenden erotischen Triumphen zu unterhalten. Es war nicht das Feinste, was da zur[208] Sprache kam, um so weniger, als man sich's angelegen sein ließ, das ohnehin nicht sehr Lobesame noch durch Übertreibung und Renommisterei zu würzen. Idealen wurde nachgestrebt, aber woher waren diese Ideale genommen? Aus lasziven Romanen, die mit Hilfe zahlreicher Übersetzungen eben damals in die Mode kamen. Die knappen Geld- und Lebensverhältnisse besserten nichts; im Gegenteil, alles was sonst vielleicht einen wenigstens äußeren Anstand gezeigt hätte, verlor auch diesen noch. Es war eine traurige Zeit, innerlich haltlos, äußerlich mittellos. Arnstedt persönlich hatte Verfügung über Esprit und Energie, beide Vorzüge jedoch traten in den Dienst von etwas Schlechtem und verhäßlichten sein Bild mehr, als daß sie es verschönert hätten. Auch der ›Dienst‹ litt schließlich in unzulässiger Weise. Von Ordnung, Pünktlichkeit und Adrettheit konnte keine Rede sein, wo Debauchen aller Art auch dem von Natur kräftigsten Körper den Frohsinn und die Frische nahmen. Allerlei kleine Strafen waren an der Tagesordnung und steigerten sich mehr als einmal bis zu strengem Arrest. Aus dem Arrestlokale wurde dann fleißig in Zetteln korrespondiert, meist an einen Freund und Vetter Adalbert von L.«

Neben den weiterhin mitzuteilenden Hauptbriefen liegt mir auch eine der Vorspielzeit angehörige Korrespondenz vor und ich entnehme derselben einige charakteristische Stellen. Am 6. November 1836, einen Monat vor der unheilvollen Tat, heißt es, aus dem Arrest, auf einem dieser Zettel: »Wie bist Du mit dem lettre d'amour angekommen? Vergiß heute Abend die Guitarre nicht. Ist es wahr, daß Jolly übergefahren? Es sollte mir sehr leid tun. Vergiß auch nicht die Pfeifenspitze, das Buch und den Zucker«. Und am 12. November. »Heut ist Dein Geburtstag. Ich erinnere Dich an die Bibelworte: ›Habe Gott vor Augen und im Herzen‹ und an das für Dich noch gewichtigere: ›Hüte Dich, daß Du in keine Sünde fallest‹.« Und nun folgt eine völlige Kapuzinerpredigt, abwechselnd in Reim und Prosa, darin er sich selbst als ein sittliches Vorbild aufstellt und den Freund, versteht sich ironisch, auffordert, ihm auf dem einzig heilbringenden Tugendwege zu folgen. Am 25. schreibt er auf rosafarbenem Papier und fühlt sich deshalb zu besonderen Zartheiten veranlaßt. Wenigstens eine kleine Weile. »Grüße meine liebe Modeste, vor allem aber grüße meine liebe Klara. Du kennst ja meine Connaissancen besser als ich. Klara steht mir am höchsten. Wenn es in Deinen[209] Kräften steht, so verschaffe mir wieder etwas Geld und Zucker. Es braucht ja nicht harter zu sein, wenn er nur halbwege süß ist. Und schicke mir auch das Gesangbuch. Es liegt linker Hand in meinem Fach.«

Dieser Brief vom 25. ist unterzeichnet »Dein unglücklicher E. v. A.« Ob dies »unglücklich« ernsthaft oder scherzhaft gemeint war, ist nicht recht ersichtlich, ich vermute jedoch das erstere. »Mein Onkel, der Oberst von Werder«, so heißt es nämlich zwei Tage später, am 27., »hat mich wissen lassen, daß ich wahrscheinlich nicht länger im Regimente bleiben könne. Das ist mir unangenehm. Doch laß ich mir deshalb keine grauen Haare wachsen. Mein Capitain hat ihm alles gesagt und ich habe sein ganzes Mißfallen erregt. Bei seinem letzten Besuch las ich in einem Deiner Bücher, worauf er mir sagte: ›ich sollte mich lieber mit etwas Nützlicherem beschäftigen, statt Romane zu lesen.‹ Wie kann der gute Mann nur glauben, daß ich jetzt zu etwas anderem Lust hätte! Vorzüglich aber ist er darüber aufgebracht, daß ich, wie er sich ausdrückte, mit lüderlichen Referendarien und sogar mit einem Küper Umgang hätte. Kommt es zum Schlimmsten und werd' ich entlassen, so findet ein junger Kerl wie ich auch wohl sonst noch sein Fortkommen, in einer andern Stadt oder einem andern Land oder unter einer andern Zone. Leute meines Schlages sind nie ganz zu verachten und werden als Soldaten zum Totschießen immer gesucht. Mißlingt aber alles, so befreit mich wohl ein Lot Pulver von meiner Qual. Es sollte mir aber leid tun, scheiden zu müssen, denn erstens wäre es doch schade um ein so fideles Haus und zweitens, weil ich verliebt bin«.

Nun folgen sentimentale Betrachtungen, eine ganze Seite lang, die dann wieder in Zynismen auslaufen.


II.

Der vorstehende Brief vom 27. November ist der letzte vor der Tat geschriebene. Vielleicht, daß diese schon beschlossene Sache war, als er drei Tage später (am 30. November) aus dem Arrest entlassen wurde, wenigstens war ihm der Offizier, der seinem Rachegelüste zum Opfer fiel, seit lange verhaßt. Einige behaupten, daß auch Eifersucht mit im Spiele gewesen sei. Gleichviel, am 5. Dezember früh geschah die Tat, Arnstedt selbst machte die Meldung davon und wurde, kaum aus dem Gefängnis entlassen, aufs neue dahin abgeführt. Die[210] vorgesetzte militärische Behörde nahm es, wie selbstverständlich, sehr ernst, sah von allen Rücksichten ab und ließ ihn in Ketten legen. Er machte jedoch das Unmögliche möglich und führte, trotz dieser Ketten und sonstiger Behinderungen, eine lebhafte Korrespondenz, die nicht bloß bruchstückweise wie die vorhergehende, sondern in ihrer Totalität mir vorliegt. Ihr charakteristischer Zug ist ein ungeheures Maß von Selbstsucht und Leichtsinn. An diesem Leichtsinn nimmt einigermaßen auch der Freund, Adalbert v. L., teil, an den sich die Briefe richten. Bis zuletzt sprechen sie von Ball, Vereinen, Kotillonorden und Liebesgeschichten. Aber das ist nicht das Schlimmste. Schlimmer ist der Gefühlsmischmasch, das entsetzliche Durcheinander von Sentimentalität und Obszönität, in welcher Hinsicht diese Briefe vielleicht einzig dastehen und geradezu ein psychologisches, sicherlich ein zeitbildliches Interesse beanspruchen dürfen. Oft wechselt der Inhalt von Zeile zu Zeile; Liebe zu Mutter und Geschwistern, Anflüge wirklicher Herzensneigung, Anruf und Gebete zu Gott, Gedichte, Flehen um Erhörung, Freundschaftsversicherungen (auch ehrlich gemeinte), Rachegelübde, Vergiftungspläne, Samtrock, Blumensträuße, Pikschlitten und Gitarre, Witzeleien und Zynismen, – in diesem Mengemus geht es fort bis zur letzten Stunde, bis ans Schafott. Von Reue keine Spur; es ist als ob er einfach ein ihm feindliches Tier über den Haufen geschossen habe. Was ihn beschäftigt, ist nur die Frage: »Komme ich bald wieder frei? Und wie hübsch wird es dann sein!« Eine bodenlose Rücksichtslosigkeit in jedem Wort, und nur immer auf Augenblicke dämmert in ihm die Vorstellung von dem Ernst seiner Lage. Eine wahre Höllenlektüre, deren Kernstücke sich der Mitteilungsmöglichkeit entziehen, aber deren anständigere Stellen auch vollkommen ausreichen, um die Häßlichkeit jener halben, unehrlichen und verlogenen Zeit der dreißiger Jahre zu demonstrieren.


Emil von Arnstedts erster Brief aus dem Gefängnis

30. Dezember 1836. Mein lieber Adalbert. Mit Dir unterhalte ich mich am liebsten, denn Du bist mein Vertrauter. Daher sollst Du etwas von jenem Morde hören. Du reistest doch Freitag Abend ab, an jenem Tage, dem der schönste Abend meines Lebens folgte. Ich sprach mit Deiner Mutter und äußerte ihr mein Bedauern über die Reise. Klara war so gut,[211] so liebenswürdig, wie ich sie nie sah; ich überließ mich ganz der Freude, obgleich ich schon eine trübe Ahnung hatte. Leutnant Keßler, Putlitz, Gauvain, waren auch da; mit letzterem tauschte ich noch die Kotillon-Dame (Klara gegen Modeste) und wir waren sehr vergnügt. Emma Bantz, die Schiller, die eine Faller (Sidonie) und mehrere hübsche Mädchen (Flora) waren da. Nach dem Balle fuhr Klara nach Hause und ich begleitete Flora. Sonnabend gehe ich in die Divisionsschule, Sonntag auf Parade; fragt Wenzel mich, ob ich Donnerstag 9 Uhr abends zu Hause gewesen sei? Ich sage »ja«. Da meint er, »es ist eine ungeheure Frechheit von Ihnen, das zu behaupten«. Er zeigt mich an, beide Obersten machten mich schlecht, und ich erhalte wieder mal 24 Stunden Arrest. Es kochte fürchterlich in mir. Ich wollte zu Schlomkas gehen, wo Klara war, auf dem Beamtenverein. Alles war vor bei, ich mußte in der Stube bleiben. Kurze Zeit nach der Parade kommt Wenzel wieder zu mir und macht mich schlecht, »daß meine Stube nicht so in Ordnung sei«, während doch mein Bursche auf Wache war. Nicht die Worte selbst, sondern die Art und der Ton, wie sie gesagt wurden, haben mich so in Wut gesetzt. Dazu kam, daß mir mein Onkel (es war dies der später kommandierende General von Werder) sagte, »er würde sich genötigt sehen, den König um meine Entlassung zu bitten«. Ich war wütend. Hätte nur ein Mensch freundlich mit mir gesprochen, so wär' ich auf andere Gedanken gekommen. Hättest Du mir doch zur Seite gestanden! Kurz, ich faßte den Entschluß, meinem Leben ein Ende zu machen. Pistol, Pulver, Blei, alles war bald angeschafft und die Waffe geladen. Da dacht' ich an meine Mutter, an meine Freunde und Kameraden, an Dich und vor allem an meine liebe Klara. Ohne Abschied konnte ich nicht von euch scheiden. Ich war, offen gesagt, zu schwach, mich schon von der Welt loszureißen. Da fuhr mir der Gedanke durch den Kopf, er muß sterben. Dieser Gedanke hat mich nicht wieder verlassen. Da ich überzeugt war, daß ich meine Lieben nicht mehr sprechen würde, so nahm ich schriftlich von den drei mir am teuersten auf dieser Welt Abschied. Es sind dies die Briefe an Dich, Klara und meine Mutter. Mein Tagebuch hatte ich geschlossen und eine meiner Locken solltest Du nebst diesem Brief erhalten. Am Montag früh (um fortzufahren) kam Wenzel zu mir und fuhr mich an, »warum ich nicht in der Schule sei?« Ich sagte ihm »weil ich Arrest habe«. Schon den vorigen Nachmittag hatte[212] ich ihn erwartet und die geladene Pistole in Bereitschaft; er kam nicht. Jetzt antwortete ich ihm »daß ich gleich kommen würde«, worauf er eilig mein Zimmer verließ, da er wohl meine wütenden Blicke sah. Ich sprang nach dem Spinde, holte die Waffe und stürzte ihm nach. Auf 15 bis 20 Schritte schoß ich das Pistol ab und traf ihn, da er sich gerade umdrehte, in die linke Achsel quer durch die Brust, so daß die Kugel, nachdem sie den rechten Arm noch zerschmettert hatte, dicht unter der Haut sitzen blieb. Er ging nun noch einige Schritte taumelnd zurück und stürzte dann vorwärts aufs Gesicht. Ich meldete mich sogleich selbst als Mörder und wurde nach der Wache gebracht. Am folgenden Tage hatte ich an der Leiche Verhör; der Körper wurde seziert und die Brust ganz aufgeschnitten. Keine Miene habe ich verzogen, bloß um zu beweisen, daß dieser Anblick mich nicht schreckte. Die ersten Tage meiner Einkerkerung waren für mich fürchterlich; nur alle 24 Stunden erhielt ich warmes Essen, bis ich dann von mitleidigen Menschen gespeist wurde. Du hast hier ein offenes wahres Bekenntnis einer schrecklichen Tat; nur die Liebe zu euch, ihr Lieben, hielt mich an diesem Leben fest. Denn ich zog doch die Festung dem Tode vor, und daß ich nicht hingerichtet würde, davon war ich damals fest überzeugt. Jetzt ist es freilich anders, denn ich sehe nicht nur die Möglichkeit, sondern sogar die Wahrscheinlichkeit ein. Aber laß das gut sein, es kann alles noch besser werden, als wir denken. Für jetzt freue ich mich nur, daß meine liebe Mutter hier ist, und daß ich mich mit Dir unterhalten kann. Denn obgleich mir Weitze und Landvoigt so viel Gutes erweisen, so kann ich doch nicht das für sie fühlen, was mein Herz für Dich empfindet. Mit welcher Gefahr ich schreibe, glaubst Du gar nicht, denn an meiner Stubentür, in welcher eine Scheibe ist, steht der Posten und ich habe nur einen kleinen Winkel, wo er mich nicht beobachten kann. Wenn ich nur bald von hier wegkomme. Zwar werde ich dann Dir und meiner Klara entführt, doch mein Herz bleibt bei euch und gewiß werde ich Dich stets von meinem Befinden benachrichtigen. Nur muß ich bitten, daß auch Du mich recht ausführlich benachrichtigst und mir schreibst, was ihr für den Silvesterball vorhabt. Du weißt gar nicht, wie glücklich es mich macht, von Dir und Klara etwas zu hören; daher sei nicht karg mit Deinem Schreiben, es soll Dir keinen Schaden verursachen. Grüße meinen guten Heinrich, August, Jean etc., aber vor allen grüße sie, die ich[213] so heiß liebe. Sage ihr, daß alle Pulse nur für sie schlagen, daß kein Augenblick vergeht, in welchem ich nicht an sie denke. Ach, es heißt mit Recht: »Süße Quelle meiner Leiden, ewig, ewig lieb ich Dich«, denn jener unvergeßliche Abend (Freitag, den 2. Dezember) ist die Hauptursache. Aber ich klage keinen Menschen an, nur mich allein und meine fürchterliche Verblendung. Ich kann mit Recht sagen »ich opferte mich für andere«, denn mir bleiben von der Tat nur die Hefen, meine Kameraden genießen das Gute. Nur bleib mir treu, erfreue mich mit einem recht langen Schreiben und grüße Klara von Deinem immer noch verliebten

Vetter Emil


Zweiter Brief Emil von Arnstedts an seinen Vetter Adalbert von L.

1. Januar 1837. Mein lieber Adalbert! Von Herzen Glück zum neuen Jahr. Du bist doch mein bester Junge und wirst es bleiben, daher will ich Dir auch vertrauen. Ist mein Tod nicht zu umgehen, so steht mir der Weg der Flucht immer noch offen. Ich habe schon im stillen gearbeitet und Du wirst mich gewiß dabei nicht im Stiche lassen. Als ich gestern gegen sieben Dein kräftiges »Oho!« erschallen und die Schellen läuten hörte, war ich schon im Begriff, als Maske auf den Silvesterball zu kommen. Nur der Gedanke an die Bemühungen meiner guten Mutter34 hielten mich davon ab. Daß es mir gelungen wäre, wirst Du wohl nicht bezweifeln, denn ich gab Dir schon Beweise der Art. Über Deinen Brief habe ich eine unaussprechliche Freude gehabt. Schreibe mir ja, was Klara macht, wie sie von mir denkt, ob sie sich meiner noch erinnert. Glaube mir, nichts straft mich mehr, als das Vernageln meiner Fenster, aber ich muß gestehen, es war in den ersten Tagen[214] auch zu auffallend. Alle Mädchen gingen an meinem Fenster vorüber und schauten herauf. Mir war so rasend zumute; doch habe ich mich köstlich dabei amüsiert. Denn Du kennst mich ja, wenn ich hübsche Mädchen sehe. Aber nur eine erfreut mich wahrhaft, wenn sie mich eines Blickes würdigt. Schon oft hatte ich das Vergnügen, sie zu sehn. Ach, wenn ich sie nur noch einmal sprechen könnte! Oh, guter, treuer Freund, wenn Du ein kleines Liebeszeichen für mich empfangen könntest, es sollte mir meine Ketten tragen, ja vergessen helfen. Meine gute, liebe Mutter arbeitet Tag und Nacht für mich und ihren Bemühungen verdanke ich so viel. Ach, wenn ich ihr doch genug dafür danken könnte! Wenn Du wüßtest, wie es in mir gärt und kocht; wenn das so fort geht mit meiner Behandlung, werd' ich nächster Tage verrückt. Denke Dir alle 24 Stunden wird bei dieser Kälte nur einmal eingeheizt; wenn ich schlafen gehe, darf ich mich nicht ausziehen und was dergleichen Schikanen mehr sind, die man sich ausdenkt. Keine Binde, keine Hosenträgerschnalle, nichts darf ich haben; daß ich andere Sachen habe, das wissen sie nicht. Aber nun will ich alles gern ertragen. Ich besitze eine liebe, treue Mutter, eine gute Schwester, geprüfte, treue Freunde und vielleicht auch das Herz eines Mädchens, das mein ganzes Sein ausmacht. Ich bin nicht verlassen, denn man nimmt sich meiner tätig an. Wenn nur nicht gerade meine Richter auch meine Feinde wären. Aber laß das gut sein, ihren Zweck erreichen sie nicht, denn obgleich ich dem Tode mit Trotz ins Gesicht sehe, so ziehen mich doch alle Pferde der Erde nicht zum Schaffot. Dafür sage ich Dir gut, und Du kennst mich alte, treue Seele. Der Frau kannst Du unbedingtes Vertrauen schenken, sie ist treu wie Gold, und obschon sie sehr beobachtet wird, Weiberlist geht über alles. Und ich bin Gott sei Dank auch nicht auf den Kopf gefallen. Bald mehr Lebe froh, genieße Deine Zeit; man ist bloß einmal jung. Grüße meine Freunde und meine heißgeliebte Klara, und sage ihr wie unaussprechlich ich sie liebe und wie ich nur stets an sie denke. Lebe wohl.


Adalbert von L. an Emil von Arnstedt

3. Januar 1837. Mein lieber Arnstedt. Von Klara soll und will ich Dir schreiben. Ja, sie liebt Dich noch mit der Liebe, wie sie Dich stets geliebt hat und Deine Locke trägt sie beständig[215] auf ihrem Herzen. Sie lebt nur für Dich; auf dem Beamtenverein sprachen wir nur von Dir und heut noch gehe ich zu ihr, um sie zu einem Briefe zu vermögen. Es war am Silvester wenig los auf dem Verein, nur ungefähr 10 bis 12 tanzbare Damen; ich habe mit Klara den Kotillon getanzt und wie gesagt nur von Dir gesprochen. Als ich nach Frankfurt zurückkam, hörte ich gleich, daß Du im Gefängnis ungeheuer bekurt worden wärest; aber Du hast auch wirklich die ganze Damenwelt auf Deiner Seite. Wenn Deine Richter Damen wären, so würdest Du gewiß freigesprochen und noch obendrein General. Deinem vis-à-vis traue ich nicht; sprich nicht davon, daß ich mit Dir korrespondiere. Wenn Du heraus könntest, fast glaub' ich, ich würde Dich wegbekommen. Überlege Dir die Sache und schreibe mir darüber. In der Stadt geht das Gerede, ich korrespondiere mit Dir und sollte deshalb festgenommen werden; es ist aber nichts und ich mache mir auch nichts daraus. Nimm Dich nur in acht, daß Du nicht schlecht dabei wegkommst, denn der alte Oberst von Werder sieht mir höllisch auf die Finger und sitzt jetzt den ganzen Tag am Fenster. Soweit schrieb ich heute vormittag; jetzt kann ich Dir auch etwas von Klara erzählen. Ich fuhr sie heute Pikschlitten, und ich hoffe von meiner Überredungskunst das Beste. Es würde mich glücklich machen, wenn sie Dir ein paar Zeilen schriebe. Mein lieber Arnstedt, bist Du in Deinem Briefe auch ganz offen gegen mich gewesen? Hast Du wirklich ganz allein den Entschluß gefaßt? Ich nehme zwar nicht an, daß Du eine Verbindung mit andern in dieser Hinsicht gehabt hast, aber wenn es wirklich so sein sollte, so rette uns Dein teures Leben. Du hast vielleicht Dein Ehrenwort gegeben; es ist so, nun gut, in Amerika, wenn Du los kämest, weiß niemand etwas davon, und Du stehst so gut als Ehrenmann da, wie jeder andre. Glaube mir, meine einzige Bitte zu Gott ist jetzt Dein Leben, und wenn alle die Gebete erhört werden, welche dafür zum Himmel emporsteigen, so wirst Du gewiß erlöst. Verzweifle nur nicht, stelle Dich wahnsinnig, aber werde es nicht. Kann ich Dir in sonst etwas dienen, so sprich es aus. Alles was ich tun kann, tue ich gewiß mit Freuden. Tu nur keinen übereilten Schritt; Dein Entschluß, nicht auf dem Schaffot zu sterben, ist Dir von Gott eingegeben. Ich könnte nicht leben, wenn ich Dich hinrichten sähe. Dein Adalbert von L.[216]


Emil von Arnstedt an Adalbert von L.

12. Januar 1837. Mein guter lieber Adalbert. Meine Flucht aus dem Kerker, auf die Du hinweist, ist kinderleicht; bedenke aber dann weiter. Ich bin hier entblößt von allen Mitteln, zur Reise braucht man Geld, auch müßt' ich von Kopf bis Fuß anders gekleidet werden. Die Sache ist also kostspielig und ich kann von Dir solches Opfer gar nicht annehmen. Reißen aber alle Stränge, so muß Rat geschafft werden, auch Geld, es mag kommen woher es will, und wenn ich mich dem Satan verschreiben sollte. Ich warte mit Schmerzen auf die Rückkehr meiner Mutter (wahrscheinlich von Berlin, wo sie dem König ein Gnadengesuch überreichen wollte), von der hängt viel ab. Fällt das Resultat glücklich aus, so bleib' ich vernünftig, wo nicht, so werd' ich wahrscheinlich wahnsinnig, und dann fang' ich damit an, daß ich alles kurz und klein schlage. Ich werde meine Rolle schon spielen. Du mußt mir jedesmal schreiben, wann Du meinen Brief erhalten hast und das Datum darauf setzen. Ich schicke Dir Deine Briefe mit; Du hebst sie mir auf, daß, wenn ich sie fordere, Du sie mir geben kannst. Verwahre die von mir geschriebenen so, daß, wenn man bei Dir nachsuchen sollte, man keinen findet. Ich schicke Dir hier einen Brief an meine liebe Kl. mit; ich überlasse es Deinem Gutachten, denselben abzugeben oder nicht. Zugleich liegt hier die Zeichnung zu dem Schlüssel meiner Ketten bei, zur Flucht muß ich sie lösen, habe ich aber den Schlüssel nicht, so muß ich das Schloß zerbrechen, was mich verraten möchte. Kannst Du mir nicht diesen Schlüssel machen lassen? In diesem Falle benachrichtige mich, wenn er fertig ist. Das Weitere sollst Du dann hören... Ach wenn ich Dir doch mit Worten schreiben könnte, welche Freude ich über Deinen Brief empfand! Im Vertrauen auf diesen Brief schreib ich an Klara. Möchte sie mir doch antworten. Sie ist mein Gedanke bei Tag und Nacht. Im Traume umgaukelt sie mich. Liege ich abends so wachend auf meiner Pritsche, so ist es oft, als stände sie vor mir und lächelte mich freundlich an.


Sehnend breit' ich meine Arme

Nach der Teuren Schattenbild,

Ach ich kann es nicht erreichen

Und das Herz bleibt ungestillt.[217]


Wenn Du, lieber Vetter, mir von ihr einen Brief senden könntest, ich würde vielleicht schon aus Liebe wahnsinnig. Es ist doch ein köstlich Ding, daß wir uns so unterhalten können. Ja, ja, die Liebe und die Not sind erfinderisch, und wer weiß wie es stünde, wenn dies nicht wäre. Benachrichtige mich doch offen, was die Leute so über meine Bestrafung sprechen. Ob der Entschluß in mir oder bei Andern gereift ist und ob ich freiwillig oder durch das Los zum Mörder wurde, darüber laß mich schweigen, und auch Du schweige gegen andre. Nun lebe wohl, schreibe bald und sei nicht so kurz mit Deinen Worten; Du schreibst fünf Zeilen und ich Dir immer ellenlange Briefe. Laß ja den Schlüssel machen; siehe Dich aber mit dem Schlosser vor, er muß Dich entweder genau oder gar nicht kennen. Dein Emil


III.

Um die Mitte Januar bricht die Korrespondenz ab, um erst zwei Monate später wieder aufgenommen zu werden. Ob hier Briefe fehlen oder ob einfach die Wachsamkeit eine größere geworden war, läßt sich aus der Korrespondenz selbst nicht entnehmen. Diese wird immer äußerlicher und zum Teil auch zynischer, je näher die Katastrophe rückt, was unerklärlich wäre, wenn man nicht annehmen müßte, die Hoffnung auf Begnadigung habe ihn bis zuletzt begleitet. Ich lasse nun wieder die mit dem 10. März aufs neue beginnenden Briefe sprechen.


Adalbert von L. an E. von Arnstedt

10. März 1837. Lieber Arnstedt. Gott sei Dank, endlich mal wieder etwas von Deiner lieben Hand. Meine Freude beim Anblick Deiner letzten Zeilen war unaussprechlich. Du verlangst einen ausführlichen Bericht und ich versuche es. Mit Deiner lieben Mutter und Deiner schönen, Dir sehr ähnlichen Schwester waren wir am Abend vor Deiner Abreise (dieses ist unverständlich) recht vergnügt bei Landvogts; Dein Schwesterchen war etwas angetrunken und daher sehr liebenswürdig und heiter. Auch von Klara, so verlangst Du, soll ich Dir schreiben. Nun, ich darf Dir der Wahrheit gemäß versichern, daß sie Dich liebt und immer lieben wird. Unsre Gespräche haben nie einen andern Gegenstand als Dich, und Du erfüllst ihre ganze Seele. Nur einmal hat sie mich geärgert: als ich[218] ihr Deinen Brief gab, hat sie diesen Brief an Kirchner gezeigt. Neulich, auf dem Beamtenvereine, haben wir uns ziemlich amüsiert; die Stelle dicht an der Tür, wo Du mit Klara das letzte Mal gesessen, wird jetzt immer von uns eingenommen, weil sie ihr die liebste ist. In der Loge war ich auch neulich. Franziska wird jetzt von einigen Dragoner-Fähnrichen becourt; zugleich macht sie Gedichte an Dich.35 Es ist alles weder gehauen noch gestochen, doch es sind ja Verse. Woher weißt Du, daß ich jetzt einen kurzen schwarzen Samtrock habe? Tanze nur fleißig schottisch, damit Du doch etwas Bewegung hast. Schreibe mir auf die Rückseite dieses Briefes.

Dein treuer Vetter A. L.


Arnstedt antwortete denselben Tag noch (10. März) und schrieb, wie proponiert war, auf die Rückseite des Briefes.

Mein lieber guter schwarzröckiger Vetter. Daß Du einen schwarzen Samtrock hast, habe ich längst gewußt, aber das ist neu, daß ich Dich vielleicht nächstens darin sehen werde. Ich habe nämlich Hoffnung als »Staatsgefangener« nach Magdeburg zu kommen; ist das aber der Fall, so werde ich mit Extrapost fortgebracht. Da können wir uns dann möglicherweise sehen und sprechen; man muß nur alles ausspekulieren und pfiffig sein. Was hat denn Kirchner zu dem Briefe gesagt? Ihr werdet mich übrigens sehr verändert finden. Mein Haar umhüllt mich wie ein Mantel, und mein Bart hängt bis zur Erde, denn es sind jetzt runde fünfzehn Wochen, daß ich eingesperrt wurde. In zwei bis drei Jahren hoff' ich wieder frei zu sein; kann und darf ich dann in unserem Heere nicht fortdienen, so ist Rußland oder Griechenland mein Asyl. Aber erst verlebe ich einige Zeit bei Dir. Nächsten Freitag kommt Vetter Fritz wieder zu mir; da könntest Du mir etwas Herzstärkendes zuschicken, eine Flasche Wein oder einen guten[219] Leckher oder Leckhin. Aber es muß in einer Flasche sein, die der Vetter in die Tasche stecken kann. Franziska dichtet. Nun ich auch und mein Neuestes ist ein Lied »An den Arrest«.


Als ich dich zum ersten Mal erblickte,

Diesen Augenblick vergeß ich nie,

Als ich mich auf deine Pritsche drückte,

Wurde mir, ich weiß es selbst nicht wie.


Du siehst, ich bin auch ein Dichter. Dein Emil, Suitier in Ketten


Fünf Tage später, derselbe an denselben

15. März 1837. Mein lieber Adalbert... Mein Urteil wird und muß bald kommen und wird hoffentlich nicht so streng ausfallen. Daher Geduld. Bin ich erst an meinem Bestimmungsort, so erhältst Du die erste Nachricht. Nun aber, was macht Klara? Denkt sie meiner noch oder bin ich vergessen. Laß mich nicht vergebens auf Antwort warten. Grüße sie und sage ihr, daß mein Herz nur für sie schlägt, daß ich durch sie lebe und atme... Ich hoffe noch auf frohe Tage und rufe deshalb auf Wiedersehen. Grüße Klara. Gesund bin ich und fidel wie immer, obgleich mir die Flügel beschnitten sind. Dein Emil


Adalbert von L. an Emil von Arnstedt

24. März 1837. Mein guter, lieber Arnstedt. Dein liebes Briefchen habe ich erhalten. Du fragst darin unter andern, wie Klaras Vater und ihre Mutter von Dir denken? Ersterer urteilt wie fast alle Männer, also lieblos, die letztere jedoch bedauert Dich von Herzen. Du frägst auch, wer jetzt Klara bekurt? Die Leute meinen, ich täte es; aber es ist nicht wahr, unser Gespräch dreht sich immer nur um Dich. Du schreibst auch, Deine Locken wären jetzt Dein Mantel und Dein Bart reichte bis zur Erde. Junge, da mußt Du ja allerliebst aussehen, doch bitte ich Dich, opfere etwas davon und schicke es mir, aber einen recht großen Wusch, denn alle Welt will eine von Deinen Locken haben. Heute zum Charfreitag ist nirgends etwas los, aber am Ostermontag bin ich auf dem dritten Club. Dein A. von L.[220]


Emil von Arnstedt an Adalbert von L.

25. März 1837. Mein lieber Adalbert. Heute ist der Geburtstag meiner Mama, ich durfte ihr direkt keinen Gruß, keinen Glückwunsch senden und mußte es durch einen Mann tun lassen, dem ich nicht gewogen bin, durch meinen Hauptmann. Früher trat ich an der Hand meiner Geschwister und meines guten sel. Vaters vor meiner Mutter Ruhebett und beschenkte sie mit Blumen und anderen Kleinigkeiten, sagte auch als der Älteste ein hübsches Gedicht her. Jetzt darf ich ihr nicht einmal schreiben! Bei Gott, das schmerzt tief, das kränkt mich; doch weg mit trüben Gedanken. Wiederkommen bringt Freude. Weiß ich doch, daß liebende Herzen mir entgegenschlagen. Ich sende Dir auf Deinen Wunsch eine Locke so gut ich sie habe. Gib aber davon nicht jedem oder auch nicht jeder. Brauchst Du mehr, so steht mein Kopf zu Diensten, doch bitte ich Dich um die Namen der Expektanten. Habe Dank für die Flasche. Hast Du nicht ein altes Spiel Karten zu meiner Unterhaltung, es wird Tod und Leben gespielt. Morgen also siehst Du Kl. »Ach, süße Quelle meiner Leiden, ewig, ewig lieb ich Dich.« Beobachte sie gut. Wenn sich irgend ein fremder Schnippschnapp an sie machen sollte, sieh, ich schwöre Dir, meine Hand griffe zum zweiten Male nach der Mordwaffe und dieses Ziel würde sie noch weniger fehlen. Ach, ich bin ein schrecklicher Mensch in meiner Einsamkeit geworden und denke nur an blutige Rache. Du verzeihst mir, daß ich so rede. Aber Du weißt, lügen ist nicht meine Passion. Auf ein fröhliches Wiedersehn. Gott segne Dich! Wie immer Dein Vetter Emil von A.


Adalbert von L. an Emil von Arnstedt

Lieber guter Arnstedt! Ich habe eben jetzt keine guten Nachrichten für Dich bekommen; der König soll das kriegsgerichtliche Urteil dem Kammergericht übergeben und dieses das Urteil bestätigt haben. Doch harre und hoffe. Vielleicht, daß Dir doch noch die Gnade offen steht. Wenn Dir Dein Urteil publiziert ist, kannst Du verlangen, die zu sehen und zu sprechen, welche Du gern hast, und ich glaube, ich werde doch einer der ersten sein. Hoffentlich aber ist alles nur Fama.[221]


Emil von Arnstedt an Adalbert von L.

Lieber Adalbert! Laß das gut sein. Im Fall der Not weiß ich zu sterben. Ich beschwöre Dich bei allem was Du liebst, laß Dir ein schnell wirkendes Gift für mich bereiten, denn ich bin fest überzeugt, daß Du mich nicht willst richten sehn. Wenn es dann Not am Mann ist, schickst Du mir die Pülverchen oder die Mixtur und ich lache dem Schaffot Hohn. Du wirst mir dies nicht abschlagen. Volto (?) subito. Dein Emil von A.


Derselbe an Denselben

2. April 1837. Mein lieber Vetter Adalbert. Du antwortest mir nicht. Das ist nicht recht; denke Dir doch meine Ungeduld! Ich rechne zum 5. auf einen langen Brief von Dir. Ich habe jetzt die Erlaubnis, Reisebeschreibungen zu lesen und bin deshalb bald in den Sandwüsten Afrikas, bald in Amerikas reizenden Gefilden. Könnt' ich dort in Wirklichkeit mit Dir sein! Wie lauten die Nachrichten über mich? Zum Tode wird es wohl noch nicht gehen; ich habe ja noch nichts gemacht im Leben und sollte schon sterben! Aber sorge nur immer für eine kleine Phiole mit Rettung aus der Not. Wie ist es Dir am Freitag ergangen? Was macht Modeste, Louise, Flora, Agnes, und vor allem was macht sie? Schreibe bald Deinem alten Vetter.

Nachschrift. Das Wetter ist furchtbar und tobt und heult. Es würde sich bessern, wenn ich frei wäre. Dein Aemilius Buridan, Hauptmann der schwarzen Bande.


Adalbert von L. an Emil von Arnstedt

6. April 1837. Lieber Arnstedt. »Harren und Hoffen, hat oft eingetroffen.« Ich rufe es Dir heute zu. Deine Sache soll jetzt wie folgt stehen. Der König hat zu seiner Beruhigung das (wahrscheinlich auf Tod lautende) Urteil dem Ober-Auditoriat übergeben; dieses hat sich die Zeichnung des Ganges, in welchem Du Wenzel erschossen hast, schicken lassen und hat nach Kenntnisnahme dieser Zeichnung den Ausspruch getan: daß ein Zielen in diesem Gange nicht möglich gewesen sei. Worauf Du nun, so heißt es, und in gleichzeitiger Berücksichtigung Deiner Jugend, zu zwanzig Jahr Festung verurteilt seist. Nun weiß der König nicht, was er tun soll. Das[222] ursprüngliche Urteil liegt zu seiner Unterschrift da. Er wird es aber hoffentlich nicht unterschreiben... (Es folgen nun wieder ganz gemütlich Ball- und Gesellschaftsnachrichten, allerlei kleiner Klatsch, Rendezvous und zuletzt Bemerkungen über Treue und Untreue...) »Du darfst nicht zu viel von Klara fordern und darfst nicht vergessen, daß sie Deine erste Liebe nicht war und Deine letzte hoffentlich nicht sein wird. Ich glaube bestimmt, wenn Du schönere Mädchen sähest, würdest Du Klara vergessen.« Und zuletzt: »Was mir angenehm ist, ist das, daß Du Reisebeschreibungen zu lesen hast. Suche nur ein hübsches Plätzchen in jenen Regionen aus; ich ziehe mit Dir so weit der Himmel blau ist.« Dein Adalbert


Emil von Arnstedt an Adalbert von L.

Mein lieber Adalbert. Ein ruhiges Plätzchen in jenen Regionen aufzusuchen, ist wohl leicht; doch ob Du mit mir dort Freud und Leid teilen willst, das bedenke. Man verläßt nicht gern ohne Not Eltern, Hab und Gut. Nein, wähle Dir ein hübsches junges Weib, habe Kinder, und wenn ich dann vielleicht aus jenen Regionen ohne Fuß oder Arm zurückkehre, so gewähre dem alten zerschossenen aber gewiß noch fidelen Krüppel ein Plätzchen an Deinem Herd. Doch das liegt in weiter Ferne. Vorläufig nur das, daß ich in der ganzen Welt mein Fortkommen zu finden hoffe, denn wennschon ich nichts als Blut zu vergießen gelernt habe, so braucht man doch Leute, die sich für Geld und gute Worte totschießen lassen, allerorten, sogar bei den Wilden und Negern. Es umarmt Dich

Dein Vetter Emil


Adalbert von L. an Emil von Arnstedt

Lieber Arnstedt. Noch eins, aber etwas Ernsthaftes. Ich glaube, ja ich bin gewiß, daß wir einander gut sind und uns von Herzen lieben. Versprich mir, so wie ich Dir jetzt hier verspreche, daß wir – – – nein, es ist zu phantastisch; laß den Satz unausgeschrieben. Wenn wir uns lebendig wiedersehn, will ich Dir mündlich sagen, was ich eigentlich wollte. Da dies vielleicht die letzten Briefe sind, die wir wechseln, so noch einen Vorschlag. Wenn Du verurteilt wirst, ist das einzige Mittel, Dich nicht auf das Schaffot bringen zu lassen, Du beißt Dir die Pulsadern durch. Es ist der beste Tod und man soll sanft einschlafen. Wenn Du leben bliebest und wie Du[223] schreibst als Krüppel wiederkämst, so wollt' ich das letzte Stückchen Brot mit Dir teilen. Lebewohl. Dein Adalbert


Emil von Arnstedt an Adalbert von L. (Letzter Brief.)

Lieber Adalbert! Dank, tausend Dank für Speis und Trank und für Deine Nachrichten. Aber was meinst Du mit dem, was Du unausgesprochen läßt? Du machst mich neugierig. Freund, was lange währt, wird gut; laß nur sein, und wenn ich 7000 Jahre auf Festung komme, das schadet nichts; dann leben wir doch noch einmal vergnügt zusammen und gedenken vergangener Mißgeschicke.


Zittre nicht, zage nicht,

Sei nicht ungeduldig,

Was du nicht bezahlen kannst,

Bleib' den Leuten schuldig.


Dein Vetter Emil von A.


*


Mit diesem, dem Kommersbuch statt dem Gesangbuch entnommenen Trostesverse ging er aus der Welt: »Was du nicht bezahlen kannst, bleib' den Leuten schuldig.«

Am liebsten (und dies soll ihm unverdacht sein) wär' er den Leuten seinen Tod schuldig geblieben. Aber es war anders beschlossen und er mußte mit seinem Leben zahlen. Der König, wie schon eingangs hervorgehoben, bestätigte am 14. April das schon am 7. Januar vom Kriegsgericht gefällte Urteil und elf Tage später erfolgte die Hinrichtung. Dem Berichte eines Augenzeugen entnehm' ich darüber das Folgende.

»Fähnrich von Arnstedt wurde den 25. April 1837, 5 Uhr morgens, auf einen mit zwei Pferden bespannten bäuerlichen Korbwagen gesetzt und begleitet von einer kleinen Abteilung seines Regiments (Leibregiment) in einem raschen Schritttempo nach dem für die Hinrichtung bestimmten Platze hinausgefahren. Ihm gegenüber rückwärts saßen zwei Unteroffiziere. Der Weg war nicht allzu weit und lag auf den Frankfurter Wiesen, dicht am sogenannten Meisterwerk. Am Ende der hier die Dammvorstadt durchschneidenden Sonnenburger Straße war ein Sandhügel aufgeworfen und vor dem in der Nähe davon aufgestellten Richtblock stand der Scharfrichter. Als Arnstedt all dieser Vorbereitungen von seinem Sitze her ansichtig wurde, gab er sich einen Ruck und sagte zu den Unteroffizieren: ›er[224] werd ihnen zeigen, wie ein preußischer Soldat sterben müsse.‹ Gleich danach angekommen, sprang er rasch vom Wagen, trat an den Scharfrichter heran und fragte diesen ›was er zu tun habe, um ihm sein Amt zu erleichtern.‹ Worauf dieser antwortete, ›daß er den Atem anhalten solle.‹ Nach Verlesung der Order wurde dann das Urteil rasch vollstreckt und der Körper eingesargt und an Ort und Stelle begraben.«

In einem zweiten Briefe, der von seinem noch lebenden Vetter an mich gerichtet wurde, heißt es: »Als der Zug vorüberkam, lag ich im Fenster meines elterlichen Hauses und empfing ein letztes, freundliches Kopfnicken. Ein mir unvergeßlicher Moment. Worte des Abscheus über von Arnstedts Tat hab ich nie vernommen, aber viel Tränen sind dem bildhübschen Menschen nachgeweint worden, ja, eine mir bekannte ältere Dame, die jenen Hinrichtungstag mit erlebt hat, gerät noch jetzt in ein nervöses Zittern, wenn sie desselben gedenkt.«


*


Ich meinerseits füge hinzu: das Ganze (neben manch' andrem, was sich daraus lernen läßt) kann als ein merkwürdiger und beängstigender Beweis von der berückenden Macht einer dämonisch sinnlichen Persönlichkeit gelten. An dem siegreichen Einflusse dieser Persönlichkeit scheiterten alle moralischen Bedenken. Einem ungewöhnlich hübschen Menschen zuliebe verwirrten sich die Begriffe von Recht und Unrecht und ein Verbrecher wurd' ein Held. Die Frauen, alt und jung, gingen natürlich mit gutem Beispiel voran. Andererseits können wir einzelnen Briefen der vorstehend mitgeteilten Korrespondenz wenigstens das als Trost entnehmen, daß es neben diesem innerhalb der Frankfurter Frauenwelt epidemisch auftretenden Fähnrich-Enthusiasmus auch Männer gab, die das Ding als das ansahen, was es war, als die schnöde, schändliche Tat eines reichbegabten, aber durchaus bösen und von Anfang an den finstren Mächten verfallenen Menschen.

Er hatte nur einen Mitschuldigen: die Halbheit, Zerfahrenheit und Verwirrung der Zeit, in der er lebte. Nichts war innerlich in Ordnung, ein Bovist, alles hohl und faul, und ein bitteres Lächeln überkommt den, der jene Tage noch mit durchkostet hat, wenn er von ihnen wie von einer hingeschwundenen »guten, alten Zeit« oder gar wie von einem »verlorengegangenen Paradiese« berichten hört.[225]

32

Um diese Zeit soll Wülknitz einem Anverwandten die Lebensregel mit auf den Weg gegeben haben: »Wenn du einem Bredow begegnest, so wisse, er ist dein Feind.« Ob die Bredows ebenso summarisch verfahren sind weiß ich nicht. In jedem Falle war ihnen stark mitgespielt worden.

33

Ich entnehme den Wortlaut dieser »Warnungsanzeige« der am 29. April 1837 ausgegebenen Nummer des von Dr. C. W. Spicker redigierten »Frankfurter Wochenblattes«. Diese Nummer ist aus bloß drei Stücken sehr merkwürdig komponiert. Sie beginnt mit einem Nekrologe des wenige Tage vorher, 77 Jahre alt verstorbenen Majors Wenzel, des Großvaters des von Arnstedt erschossenen Leutnants Wenzel. Dann folgen drei Spalten »Sentenzen und Erzählungen aus Rückerts Weisheit des Brahmanen«, an welche Weisheitssentenzen sich die ›Warnungsanzeige‹ mit dem Bericht über die Arnstedtsche Hinrichtung unmittelbar anschließt. In den Weisheitssentenzen heißt es gleich zu Beginn:

Im Meer gen Süden wohnt auf Inseln ein Geschlecht,

Reich in Zufriedenheit, in Einfalt schlicht und recht;

Und über alle herrscht die Inselkönigin,

Die hat nicht Waffenmacht und friedlich ist ihr Sinn,

Ihr Waffen ist Gebet usw.

34

Seine Mutter, eine noch sehr schöne Frau, war von Sorau nach Frankfurt gekommen, um von hier aus Schritte zur Rettung ihres Sohnes zu tun, oder wenigstens eine Strafmilderung durchzusetzen. Bei dem großen Interesse das die Stadt, namentlich die Frauenwelt, an dem Hergange nahm, kam man ihr vielfach entgegen und unterstütze sie mit Rat und Tat. Auch mit Geld, denn sie war unbemittelt. Eine von ihrer Hand geschriebene Quittung liegt mir vor. Dieselbe lautet: »Vier Doppel-Louisdor zur hülfreichen Verwendung für meinen unglücklichen Sohn von edlen Menschenfreunden anonym erhalten zu haben, bescheinige ich hiermit, und sage den edlen Gebern meinen heißesten, gerührtesten Dank. Frankfurt, 28. Dezember 1836. Verwitwete von Arnstedt, geb. von Aldobrandini.«

35

In diesem Briefe war auch ein kaum zwei Finger breiter Zettel mit Fräulein Franziskas jüngster, an von Arnstedt gerichteter Dichtung eingeschlossen. Diese lautete:

Ewig wird die Freundin Dich lieben,

Mit Dir sterben will sie, bei Dir ruhn.

Immer mag die Welt mich auch darum verdammen,

Leben kann ich ohne Dich nicht mehr.

Nur um eine Zeile von Ihrer Hand bittet Franz....

(Darunter hatte von Arnstedt mit Bleistift geschrieben: äußerst dumm.)

Quelle:
Theodor Fontane: Sämtliche Werke. Bd. 1–25, Band 13, München 1959–1975, S. 199-227.
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