11. Kapitel
Das Lied von der »Eroberung von Ketzer-Angermünde«. einiges über die Balladendichtung jener Zeit

[62] Wie die erste »Schlacht am Cremmer Damm« und genau achtzig Jahre später die Niederwerfung der Quitzows durch Eroberung ihrer Burgen, ihre dichterische Behandlung fanden, so auch der Kampf um Ketzer-Angermünde,12 der als der Rehabilitierungs- und erste Loyalitätsakt des bis dahin frondierenden märkischen Adels betrachtet werden kann. Auch die diesen Vorgang behandelnde Volksballade – deren eigentlicher Held Kaspar Gans ist – ist wie die vom »Cremmer Damm« nicht märkischen, sondern pommerschen Ursprungs und zeichnet sich wie diese durch ein Treffen des Balladentons aus. Einige Stellen sind inhaltlich nicht ganz leicht verständlich, werden es aber, wenn man die Wusterwitzsche Beschreibung, die wir in unserem vorigen Kapitel gaben, zur Erklärung mit heranzieht. Die Ballade selbst aber lautet:


Ein neues Lied Euch gesungen sei:

Nach dem Winter kommt der Mai,

Das haben wir wohl vernommen;

Und daß Kettr-Angermünde märkisch ward,

Das soll dem Markgrafen frommen.[62]


*


Johann von Briesen ließ sich jagen

Von Kettr-Angermünde bis Greifenhagen,

All' Mut war ihm gebrochen;

Da ging er zu Hofe nach Alten-Stettin

Und hat zu dem Herzog gesprochen:


»Gnädger Herre, was zu halten stand:

Kettr-Angermünde und das Stolper Land,

Ist verloren und verdorben;

Der Markgraf hält es jetzt in Hand

Und doch hieß es: er sei gestorben.«


Da ließ der Herzog entbieten und holen

All seine Mannschaft, Pommern und Polen,

Nach Vierraden ritt man zu Tische;

Da setzten sie sich und hielten Rat

Und aßen süße Fische.


Der nun folgenden Strophe fehlen zwei Mittelzeilen, aber den drei verbleibenden entnehmen wir unschwer, daß man von Vierraden aufbrach und über den Vierradener Damm hin auf Angermünde zuritt.


Da ritten sie weiter und kaum heran

Angermünde ward ihnen aufgetan,

Alle haben dem Herzog geschworen

Und alle riefen: »Stettin, Stettin«

Und Brandenburg war verloren.


Aber draußen hinter Wall und Graben,

Die Märkischen schon sich gesammelt haben,

Vierhundert Reiter und Knechte;

Die Gans von Putlitz führet sie,

Zischend, auf daß sie fechte.


Die Gans, der wollt' es nicht behagen,

Sie streckte zornig ihren Kragen

Über die Pommern alle;

Da schwebte der märkische Adler hoch

Und die Greifen kamen zu Falle.


Die Gans aber wuchs in Grimme noch,

Sie schlug mit den Flügeln ein Brescheloch

Und da stand sie nun zwischen den Steinen,[63]

Und als sie bis zum Markte kam,

Waren sie zehn gegen einen.


Da gingen die Schwerter die Klinker die Klang,

Herr Detleff Schwerin mit dem Putlitz rang

Und wollte den Preis erwerben;

Da mußte Herr Detleff von Schwerin

Für seinen Erbherrn sterben.


Das war des Herzogs schwerster Tag,

Als da Herr Detleff vor ihm lag,

Zerhackt, in Blut und Wunden,

Und er rief: »O hätt' ich über den Damm

Erst wieder zurück gefunden!«


Er sprach es und ritt im Zuge vorn,

Er gab seinem Rosse Schlag und Sporn

Und suchte die Zügel zu fassen;

So kam er bis an das »hohe Haus«,

Da ward er eingelassen.


Das war zu Vierraden. Auf Schlosses Brück'

Noch einmal sah er zurück, zurück,

Im Herzen voll Weh' und Leide:

»Kettr-Angermünde, du vielgute Stadt,

Daß so ich von dir scheide!«


*


Der aber, der dies Lied euch sang,

Ein Schmiedeknecht ist er schon lang

Und sie nennen ihn Köne Fincken;

Und er führt ein Hämmerchen auf der Hand

Und Gut-Bierchen mag er trinken.


So das Lied von der Eroberung von Ketzer-Angermünde, an das ich, eh ich zu einer Schlußbetrachtung über die Quitzows und ihr Recht oder Unrecht übergehe, noch einige literarische Bemerkungen knüpfen möchte.

Das deutsche Volkslied beziehungsweise die deutsche Volksballade gefeiert zu sehen, ist seit den Tagen Herders und der Romantiker etwas Herkömmliches geworden, darüber aber, daß neben diesem allgemein Volksliedmäßigen auch noch eine historische, nach der dichterischen wie landesgeschichtlichen[64] Seite hin gleich ausgezeichnete Volksballade geblüht hat, ist man hinweggegangen, entweder weil man die Tatsache nicht genügend gekannt oder sie nicht recht zum Bewußtsein gebracht hat. Und doch ist in niederdeutschen Landen (auf welche sich meine Bemerkungen ausschließlich beziehen) ein, um es zu wiederholen, speziell historischer Balladenschatz gezeitigt worden, der an Schönheit und Bedeutung hinter dem englisch-schottischen nicht zurückbleibt, ja ihn vielleicht in diesem und jenem übertrifft. Jede der von mir mitgeteilten Balladen kann als ein Beweis dafür gelten, und Dichtungen wie die vom »Cremmer Damm« und von »Ketzer-Angermünde«, reichen an die Chevyjagd, die Schlacht bei Otterbourne, den Aufstand in Northumberland und viele andere Percy- und Douglasballaden heran.13 Wer sich der Aufgabe unterzöge, das zu suchen und zu bearbeiten, was von etwa 1330 bis 1530 an derartigen historischen Volksepen und Volksballaden in Norddeutschland, ganz besonders aber in Westfalen, Friesland und Schleswig-Holstein gedichtet worden ist, würde der Literatur und landesgeschichtlichen Forschung[65] einen gleich großen Dienst leisten und vielleicht imstande sein, manches davon (ähnlich wie sich das Nibelungenlied einzubürgern wußte) den Schmuck- und Lieblingsstücken unserer insonderheit der Schule dienenden Anthologien einzureihen.


Chevyjagd

»... Nun denn, wohlan!« rief Percy da,

»Dies Feld sei unsere Schranke,

Noch schlüpfte keiner mir hindurch.

Sei's Schotte oder Franke.


Das ist der Hirsch, den ich gesucht,

Nun lohnt es sich zu jagen,

Es brennt mein Herz, Mann gegen Mann,

Die Schlacht mit ihm zu schlagen.«


Lord Douglas hört's. Er ruft ihm zu:

»Da soll mich Gott verderben,

So wahr ein Lord ich bin wie du

Du oder ich muß sterben.


Doch hör mich, Percy, Schande wär's

Und Schimpf an unsrem Leben,

So vieler Mannen schuldlos Blut

Mit in den Kauf zu geben.


Es sei all' unser Streit gelegt

In unsre beiden Speere...«

»Verdammt sei der, rief Percy da,

Der andren Sinnes wäre...«


Das gab ein Stechen und ein Hau'n,

Manch breite Wunde klaffte,

Längst unser englisch Bogenvolk

Nicht mehr den Bogen straffte.


O Christ, es war für Herz und Sinn

Ein Leid, nicht auszusagen,

Wie stöhnend da in Sand und Blut

Die Menschenknäule lagen.


Und immer schwankte noch die Schlacht,

Da endlich...


Cremmer Damm

Markgraf Ludwig, der tapfere Held,

Zum Damme sah man ihn reiten,

Er dachte: »Die Pommern stehen im Feld

Und werden den Damm überschreiten.


Trompeter, sage dem Herzog an,

Ich hätte groß Verlangen,

Ihn und seine Ritter, Mann für Mann,

Hier drüben zu empfangen.


Und wenn es hier drüben ihm nicht behagt,

So wollt ich ihm versprechen,

Auch auf dem Luchdamm, unverzagt,

Eine Lanze mit ihm zu brechen.«


Drauf der Herzog: »Er woll ihm Rede stehn,

Nicht-kommen das dünk ihm Sünde,

Sie wollten sich treffen und wollten sehn,

Wer das Spiel am besten verstünde.«


Drauf ging es auf den Damm hinauf,

Dicht standen da die Märker,

Die wehrten sich einzeln und zu Hauf

Doch die Pommern waren stärker.


Die Märkischen konnten nicht bestahn,

Das Luch war ihr Verderben,

Und viele mußten da liegen gahn

Und ohne Wunde sterben.


Und mählich wichen sie Schritt um Schritt,

Vor Cremmen weiter zu fechten, –

Die Pommern folgten im festen Tritt,

Die Ritter mitsamt den Knechten.


Aber vor Cremmen hielten sie an,

Die Märkischen standen da Mann an Mann

Und waren nicht zu vertreiben.[66]


12

Woher die Bezeichnung Ketzer- oder plattdeutsch Kett'r-Angermünde kommt, diese Frage hat seit mehr als einem Jahrhundert die märkische Geschichtsschreibung beschäftigt. Einige meinen, im 13. und 14. Jahrhundert hätten sich unter den Einwohnern von Angermünde viele Ketzer befunden andere meinen, Ketzer bedeute Kietzer, noch andere heben hervor, daß Ketzer ein Handwerksausdruck sei und bei den Wollarbeitern eine Spindel voll Garn bedeute. Ketzer-Angermünde kann also bedeuten: eine Ketzer-Stadt oder eine Kietzer-Stadt oder eine Tuchmacher-Stadt. Alle drei Annahmen haben etwas für sich und ich habe, der Reihe nach, jede einzelne für richtig gehalten, bin aber schließlich doch wieder zu eins zurückgekehrt und glaube jetzt: Ketzer bedeutet Ketzer in dem gewöhnlichen Sinne des Wortes. Nach Gercken starben in Angermünde um 1336 vierzehn der Ketzerei angeklagte Bewohner den Feuertod. Es sollen Luciferaner, Anhänger des Bischofs Lucifer von Cagliari gewesen sein. Mir scheint es jetzt das Wahrscheinlichste, daß der Beiname der Stadt von diesem Vorgang her datiert.

13

Zwischen der den Douglas- und Percykampf behandelnden Chevyjagd und der den Kampf zwischen Markgraf Ludwig und Herzog Barnim behandelnden Cremmer-Damm-Ballade tritt eine große Verwandtschaft zutage, wie folgende Gegenüberstellung zeigen mag:

Es ist nicht möglich, sich gegen die Wahrnehmung einer geradezu frappierenden Ähnlichkeit zu verschließen, die vor allem inhaltlich, desgleichen in Ton und Bau, zutage tritt und nur zu kleinem Teil aus der von derselben Hand herhörenden Übersetzung beider Balladen erklärt werden kann. Es ist mir ganz unzweifelhaft, daß man in Schottland entweder die pommersche oder in Pommern die schottische Ballade gekannt haben muß. Ist die pommersche Ballade echt, so muß sie die ältere sein, denn das Ereignis, das ihr zugrunde liegt: die Schlacht am Cremmer Damm, fällt in das Jahr 1334, während das der englisch-schottischen Ballade zugrunde liegende Ereignis, die Schlacht bei Otterbourne, erst in das Jahr 1388 fällt. Bischof Thomas Percy, der Herausgeber der berühmten altenglischen Balladensammlung, die seinen Namen trägt (Percy's Reliques of ancient english Poetry), setzt sogar die Chevyjagd noch um ein Jahrhundert später, in die Zeit Heinrichs VI. Und so hätten wir denn eventuell einen neuen Triumph altdeutscher Lied- und Balladendichtung zu verzeichnen. Aber freilich, ist die Cremmer-Damm-Ballade, die zuerst im Jahre 1765 auftaucht, echt? Sosehr ich es wünsche, so kann ich doch Zweifel nicht ganz unterdrücken. Ihnen Ausdruck zu geben, ist hier nicht der Platz, ich würde mich aber freuen, mit einem Balladen-Sachkundigen, der außerdem des Plattdeutschen mächtig ist, also mit Männern wie Klaus Groth, Adolf Wilbrandt, Karl Eggers, Heinrich Seidel, in einen Meinungsaustausch über diesen Punkt eintreten zu können. Das plattdeutsche Original findet sich im 21. Stück der Greifswaldschen Nachrichten und daraus abgedruckt in Buchholtz' Geschichte der Churmark Brandenburg Teil 11. S. 383

Quelle:
Theodor Fontane: Sämtliche Werke. Bd. 1–25, Band 13, München 1959–1975, S. 62-67.
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