Der Fischer von Kahniswall

[69] »Fischer Kahnis hielt eine Fähre, da, wo der Rahnsdorfer Spreearm in den Seddinsee eintritt. Das Häuschen, das er bewohnte, war des sumpfigen Untergrundes halber von ihm selber auf einem eigens hergerichteten Damm oder Wall aufgeführt worden, und weil alles damals noch ohne feste Bezeichnung war, erhielt diese Wallstrecke, wo sein Häuschen stand, den Namen Kahniswall. Die Kolonisten von Gosen und Neu-Zittau, seine nächsten Nachbarn, vergaßen über diesen Ortsnamen sehr bald den Namen dessen, der Wall und Häuschen erst geschaffen hatte, und nannten ihn, nach seiner Schöpfung, den ›Fischer von Kahniswall‹. Diese Bezeichnung verblieb ihm auch sein lebelang, trotzdem er, bei jungen Jahren schon, die nach ihm benannte Heimstätte verließ. In der Geschichte jedoch, die Sie nun hören sollen, werd' ich ihn, der Kürze halber, einfach bei seinem Namen nennen.

Kahnis hatte eine junge Frau, eine Kossätentochter aus Schmöckwitz, die sehr blond und sehr hübsch war, viel hübscher als man nach ihrem Geburtsort hätte schließen sollen. Er war, bei Beginn unserer Erzählung, drei Jahre mit ihr verheiratet und hatte zwei Kinder, Krausköpfe, die er über die Maßen liebte. Seine Hanne aber liebte er noch viel mehr. Hatte sie doch, allem Dreinreden unerachtet, aus bloßer Neigung zu ihm – er war ein stattlicher Spreewende – eine Art Mesalliance geschlossen.

So kam der Oktober 1806. Eh' der Unglücksmonat zu Ende war, waren die Schelmen-Franzosen in Berlin, und drei Tage später auch in Köpenick. Hier sah sie nun unser Kahnis. Es waren Kürassiere von der Division Nansouty. Als er hörte, daß ein paar Schwadronen auch auf die umliegenden Dörfer gelegt werden sollten, überkam ihn ein eigentümlich schreckhaftes Gefühl, eine Eifersuchtsahnung, ein Etwas, das er bis dahin nicht gekannt hatte. Wer wollt' es ihm verargen? Er war gerade gescheit genug, um zu wissen, daß die Weiber, in ihrer ewigen Neugier, das Fremde und Aparte lieben, und so sehr er seiner Hanne unter gewöhnlichen Verhältnissen traute, so wenig glaubte er ihrer sicher zu sein, wenn es sich um einen Wettstreit mit den[69] Nansoutyschen Kürassieren handelte, die alle sechs Fuß maßen und einen drei Fuß langen Roßschweif am Helme hatten. Ich muß sagen, daß er sich hierin, wie in vielen anderen Stücken, als ein einfacher, aber sehr verständiger Mann bewies.«

Kapitän Backhusen nickte zustimmend.

»Kahnis sann also nach, wie er der Gefahr entgehen könne, überschlief es und sagte dann anderen Tages früh: ›Hanne komm'; ich mag die Kerls nicht sehen. Sie haben keinen Herrgott und stehlen Kinder. Hier an der Straße sind wir nicht sicher vor ihnen. Ich weiß aber einen guten Platz, wo sie uns nicht finden sollen. Ewig wird es ja nicht dauern.‹ Daß er aus eifersüchtiger Furcht seinen Vorschlag machte, davon schwieg er. Er verfuhr wie immer die Ehemänner in ihrer Bedrängnis und tat alles ›um der Kinder willen‹. Hanne war eine gute Frau und zärtliche Mutter; zudem hielt ihre Erkenntnis gerade die Höhe von Schmöckwitz. Sie gab also unserem Kahnis einen herzhaften Kuß, zum Zeichen, daß sie mit allem einverstanden sei. Und das ist immer das Beste, was Frauen tun können.«

Kapitän Backhusen nickte abermals zustimmend.

»Gesagt, getan. Viel Zeit war ohnehin nicht zu verlieren. Unsere Fährleute gingen rasch ans Werk, und das Einschiffen ihrer Habseligkeiten begann. Das große Fährboot hatte ja Platz vollauf. Betten und Wiege, die Bibel und die Kuckucksuhr, die Kinder und die Ziege wurden geladen, und ehe die Sonne unter war, fuhren alle Insassen von Kahniswall, nichts weiter als die kahlen Wände zurücklassend, nach der Insel im Seddinsee hinüber. Da der Seddinsee nur eine Insel hat, so muß es Robins-Eiland gewesen sein. Hier bezogen sie zunächst ein Camp, in dessen Mitte Kahnis aus Balken und Bohlen eine Wohnstätte zusammennagelte, die halb Blockhaus, halb Bretterhütte war. Der Winter setzte alsbald hart ein; aber wer wie Kahnis drei Jahre lang von dem Fährpfennig der Gosener Kolonisten und dem Marktertrage seines Fischkastens gelebt hatte, der war eben nicht verwöhnt. Zudem verstand er sich darauf, den Unbilden der Witterung zu begegnen. Schilf, das er in dichten Bündeln auf sein Block- und Bretterhaus packte, dazu ein darüber gebreitetes altes Segeltuch, gaben Schutz gegen Regen und Kälte; eine Feuerstelle war bald aufgemauert und lange bevor die Ostersonne im Seddinsee sich spiegelte, fand Kahnis, daß die alte Kuckucks-Wanduhr auf der Insel gerade so gut schlüge, wie daheim auf Kahniswall. Die Ziege gab Milch; an Fischen und Sumpfvögeln war Überfluß, und als die Brutzeit herankam, lagen die Enten-[70] und Kiebitzeier zu vielen Hunderten rings um die Insel her. Allsonnabendlich brachte er seine Fische nach Köpenick, kaufte Wochenbrot, und beobachtete das politische Wetterglas, vor allem die Köpenicker und ihre Einquartierung. Was er da sah und hörte, machte ihn nur fester in seinem Entschluß, das Kriegswetter erst vorüberziehen zu lassen; das Franzosenzeug war gerade so, wie er es sich gedacht hatte, aber das Weiberzeug war viel schlimmer. Er beglückwünschte sich deshalb zu seiner Inseleinsamkeit, und fuhr jedesmal fröhlich wieder heim.

Im Spätsommer Anno acht hieß es: ›Jetzt ziehen sie ab‹. Kahnis aber schüttelte den Kopf und sagte: ›Sie sind noch da; und wenn sie nicht mehr da sind, so kommen sie wieder; Hanne, wir wollen bleiben, wo wir sind.‹ Und darin war unser Robinson auf Robins-Eiland klüger als mancher Allerklügste. Denn sie kamen wirklich wieder.

Kahnis freilich, als er so sprach, hatte nicht seine Klugheit, sondern nur seine Neigung befragt. Das Wahre von der Sache war: er wollte nicht mehr fort. Aus dem Schlupfwinkel, den er zwei Jahre früher als ein Flüchtling betreten und zunächst nur wie einen Lagerplatz eingerichtet hatte, war längst ein ansehnliches Gehöft mit Stube und Stall, mit Kammer und Keller geworden, das nicht mehr inmitten einer schilfbewachsenen Insel, sondern im Zentrum eines von Garten- und Ackerstreifen durchzogenen und von einem Schilfgürtel nur eben noch eingefaßten Wiesenrondells lag. Hier gruben und pflanzten Mann und Frau wie die ersten Menschen, und als endlich, nach zweimaliger Entscheidung, nach Leipzig und Waterloo, wirklich der große Friede kam, und Kahnis nun ehrenhalber sagen mußte: ›Hanne, jetzt ist es Zeit‹, da senkte diese den Kopf und erklärte, daß sie bleiben wolle. Das war es, was er zu hören gewünscht hatte. Nun gestand er ihr auch, daß er nicht aus allgemeiner Franzosenfurcht, sondern aus ganz besonderer eifersüchtiger Sorge vor den Nansoutyschen Kürassieren auf die Insel gezogen sei. Hanne machte kein Aufhebens von diesem Geständnis. Sie nahm nur das Schmeichelhafte heraus und entschlug sich aller tugendlichen Empfindsamkeit. Viel Nachdenken war überhaupt nicht ihre Sache.

So gingen die Jahre. Die Kinder wuchsen heran, verließen Haus und Insel; endlich starb auch die Frau. Kahnis stellte den Sarg auf sein bestes Boot und fuhr quer über den See, um der Toten auf dem Schmöckwitzer Kirchhof ein christliches Begräbnis zu geben. Denn in Lutheri Catechismo von Jugend auf fest, war[71] er, der seit langen Jahren mehr mit Gott als mit den Menschen gelebt hatte, in seinem Glauben immer lebendiger geworden. Am Ufer warteten die Träger, Schmöckwitzer Kossäten. Als sie den Sarg niederließen, da, zum ersten Male, kam ein Schwanken in sein Herz, und er erschrak, wenn er an die Öde von Robins-Eiland dachte; denn er war nun ganz allein. Aber die Anhänglichkeit an den Boden, den er sich errungen hatte, siegte auch diesmal, und guten Mutes kehrte er in seine Einsamkeit zurück. Die Insel war seine Welt geworden.

Sein Leben blieb dasselbe: allwöchentlich fuhr er zu Markt und bot seine Fische feil, wie er es vierzig Jahre lang getan hatte. Er war wohl gelitten in Köpenick; sie kannten ihn alle; und nur zu Zeiten blieb er aus. Dann lebte er mit den Köpenickern in Fehde. Oft um kleiner Dinge willen, aber auch um großer. 1848 ließ er sich ein halbes Jahr lang nicht sehen und kam erst wieder, als ›Vater Wrangel‹, dessen Bild er damals mit einer breiten Goldborte an die Stubentür klebte, seinen siegreichen Einzug gehalten hatte. Die Köpenicker, als sie ihn wiedersahen, vergaßen allen politischen Hader und sagten nur: ›Alte Leute sind wunderlich.‹

Meine Geschichte geht zu Ende. – Es war am ersten Sonnabend des Monats Oktober 1850. Kahnis blieb aus. Die Köpenicker rechneten nach, worin sie's wohl wieder versehen haben könnten, konnten aber nichts finden. Daß Kahnis einmal eines von ihm und seiner Laune ganz unabhängigen Zwischenfalles halber fehlen könne, das fiel niemanden ein. Darin waren die Schmöckwitzer klüger. Diese, als er Tages darauf in ihrer Kirche fehlte, wußten, was geschehen war. Sie fuhren hinüber und fanden ihn neben der Schwelle seiner Tür, auf einem Bündel Schilf sitzend, das er sich seit lange, als seine Altersbank, zurechtgelegt hatte. Es war ersichtlich, daß er, die warme Herbstsonne suchend, an dieser Stelle eingeschlafen war, um nicht wieder zu erwachen. Die Verwandtschaft der Frau richtete ihm ein groß Begräbnis her; der Schmöckwitzer Küster schrieb an die beiden Söhne, die mit sieben Enkeln und anderthalbhandbreitem Krepp um den Hut, von Berlin und Rathenow herüberkamen, die ganze Köpenicker Fischerzunft aber, die, schon zwei Stunden vor Beginn der Feierlichkeit, bei der Insel angefahren war, folgte jetzt in dreißig Booten nach Schmöckwitz hinüber. Der Prediger, der den alten Mann sehr geliebt, und seiner Gemeinde als das Bild eines schlichten und frommen Christen oft empfohlen hatte, sprach über das Schriftwort: ›Ei Du frommer und getreuer[72] Knecht, Du bist über wenigem getreu gewesen, ich will Dich über viel setzen; gehe ein zu Deines Herren Freude.‹ Und denselben Spruch hat auch der Schmöckwitzer Tischler auf das Grabkreuz unseres Freundes geschrieben.«


*


»Dies Grab müssen wir besuchen,« rief jetzt Kapitän Backhusen mit Emphase; »das ist mein Mann; allein sein, nichts von der Welt wollen!« Und Leutnant Apitz und unser Supercargo, trotzdem sie als Typen ausgesprochenster Gesellschaftsneigung gelten konnten, stimmten begeistert bei. Denn mit Nachdruck ausgesprochene Sätze sind ihres Einflusses immer sicher.

Wir waren inzwischen bis in unmittelbare Nähe der Schmöckwitzer Brücke gekommen. Kapitän Backhusen gab ein Zeichen mit Horn und Sprachrohr, und gleich darauf, während die halbe Dorfjugend hinzudrängte, hob sich eine der Brückenklappen und gestattete uns, unter Salut und Zoll, die Einfahrt aus dem Seddinsee in den Zeuthenersee zu machen. Unsere erste Station war erreicht: Schmöckwitz. Die »Sphinx« legte an, wir stiegen ans Ufer, um auf eine halbe Stunde wieder terra firma unter den Füßen zu haben.

Schmöckwitz, eine Art Kapitale dieser Gegenden, wirkt doch ganz nur wie ein Dünendorf an der Ostseeküste. Öd und ärmlich. Hinter Sandhügeln versteckt, in tiefen Löchern und Einschnitten liegen einzelne Häusergruppen, während sich alte und junge Kiefern, oft mehr waagrecht als aufrecht stehend, an den sandigen mit Strandhafer überwachsenen Abhängen entlang ziehen. Inmitten des Ganzen die Kirche, ein trister Bau, aus dem Anfang dieses oder vielleicht des vorigen Jahrhunderts.

So wenig einladend nun das Äußere derselben war, so drang ich doch nach vielfacher auch auf diesem Gebiete gemachter Erfahrung, die jedes Vorwegurteil verpönt, auf Besuch des Innern. Denn die trivialste märkische Dorfkirche kann immer noch das Rührendste und die häßlichste immer noch das Schönste verbergen. Hier freilich war ein solcher Ausnahmefall nicht gegeben. An weißgestrichenen Wänden hingen die üblichen Gedächtnistafeln; unter der Kanzel stand ein bestaubter Altar, beiden gegenüber aber, dicht gedrückt unter der Decke hin, blinkten die dünnen Röhren eines Harmoniums, dieses verkümmerten Enkelkindes der Orgel. In der Mitte der Kirche paradierte ein Kronleuchter, zum Andenken an die Jahre 13, 14 und 15 gestiftet. Er zeigte die Form einer Kosakenmütze und war mit einem in[73] Blech geschnittenen Eisernen Kreuz geschmückt. Derselben Zeit gehörte auch eine Landsturmfahne an, die auf ihrem roten Flanellappen einen schwarzen Adler und die Bezeichnung: »1. Division, 1. Brigade« trug. Was hier so niederdrückend wirkte, war die melancholische Abwesenheit alles Freien und Selbständigen; die Armut kann poetisch sein, die Armseligkeit nie.

Wir traten auf den Kirchhof hinaus, dessen Gräber, wie die Häuser des Dorfes, gruppenweise versteckt in den Senkungen des Hügels lagen. Nur hier und dort ein Busch, ein Blumenbeet.

Um den Eindruck zu bannen, den das Innere der Kirche auf uns gemacht hatte, forschten wir nach Kahnis' Grab, freilich zunächst umsonst. Der Küster, der erst wenige Monate im Dorfe war, hatte den Namen nie gehört, zeigte sich indessen beflissen, in seiner Schulklasse zu fragen. Als er wieder zu uns trat, war er in Begleitung eines halbwachsenen Mädchens, dessen flachsblonde Zöpfe zu einer dichten Krone zusammengelegt waren. Sie begrüßte uns unbefangen, schritt auf einen abseits gelegenen, halbverwilderten Fliederbusch zu und sagte dann, indem sie die Zweige auseinanderbog: »Das ist Kahnis' Grab.« Auf einem eingefallenen Hügel, der mehr mit Moos als mit Gras überwachsen war, lag ein halbumgestürztes Kreuz; die Inschrift war längst vom Regen abgewaschen. Als wir neugierig fragten, »woher sie die Stelle so gut kenne«, zeigte sie, statt jeder anderen Antwort, auf ein Hänflingsnest, das sich in dem Gezweig versteckte. Die beiden Alten flogen auf, umkreisten aber die Stätte. Kapitän Backhusen, als er des geängstigten Pärchens ansichtig wurde, lüpfte den Hut und sagte dann: »Das sind wir dem Andenken Kahnis' schuldig, den Frieden dieses glücklichen Haushaltes nicht länger zu stören.« Und damit traten wir unseren Rückzug an.

Eine Viertelstunde später waren wir wieder an Bord der »Sphinx« und fuhren nun, unseren Kurs wechselnd, auf die Südspitze des Zeuthenersees zu. Auch hier noch ist der Segelklub zu Haus, dessen anwesende Mitglieder nicht ermangelten, mir »Hankels Ablage«, »Haches Gruß«, den »Gingang-Berg« und ähnlich wunderlich benannte Punkte vorzustellen. Aber der Zeuthenersee ist doch schon Vorterrain; die Villen hören auf, der Einfluß der Hauptstadt schwindet und die eigentliche »Wendei« beginnt. Die Ufer still und einförmig. Nur dann und wann ein Gehöft, das sein Strohdach unter Eichen versteckt; dahinter ein Birkicht, ein zweites und drittes, kulissenartig in die Landschaft gestellt. Am Horizonte der schwarze Strich eines Kiefernwaldes. Sonst nichts als Rohr und Wiese und ein schmaler Gerstenstreifen[74] dazwischen; ein Habichtpaar in Lüften, das im Spiel sich jagt; von Zeit zu Zeit ein Angler, der von seinem Boot oder einem halbverfallenen Steg aus die Schnur ins Wasser wirft. Wenig Menschen, noch weniger Geschichte. Selbst der Feind mied diese Stelle. Darum fehlen hier auch die Schlachtfelder auf viele Meilen hin. In einer alten Chronik heißt es: »Der Dreißigjährige Krieg kam nicht hierher, weil ihm die Gegend zu arm und abgelegen war.« Er wußte wohl, was er tat. Wie ein Feuer ohne Nahrung, wär' er in diesem See- und Spreegebiet erloschen.

Der Grundzug der Wendei, wenigstens an dieser Stelle, ist Trauer und Einsamkeit.

Um Mittag hatten wir die Südspitze des Zeuthenersees erreicht; von fern her blickte der Königs-Wusterhausener Turm zu uns herüber. Dann fuhren wir in die Neumühler-Schmalung ein, die den Zeuthenersee mit dem Krüpelsee verbindet, endlich aus dieser Schmalung in den Krüpelsee selbst.

Die Landschaftsbilder blieben dieselben und wechselten erst, als wir, bei Dorf Cablow, aus der bis dahin befahrenen Seenkette der wendischen Spree in diese selbst gelangten. Nicht viel breiter als ein Torfgraben, zieht sie hier die Grenze zwischen dem Teltowschen und dem Beskow-Storkowschen Kreis, bis sie, nach einer Wegstrecke von kaum einer Meile, bei dem Dorfe Gussow abermals zu einem See sich breitet, dem Dolgensee. Unsere Fahrt verlangsamte sich jetzt, da mittlerweile beinahe völlige Windstille eingetreten war; erst eine bei Sonnenuntergang aufspringende Brise führte uns glücklich über den See bis Dolgenbrod. Es war völlig dunkel geworden, und nur der Schein weniger Lichter bezeichnete die Stelle, wo, hinter Bäumen und Rohrgehegen, das Dorf zu suchen sei. Wir selber warfen Anker inmitten dreier Torfkähne, die schon vor uns an diesem Platz ein Unterkommen gesucht hatten. Zugleich wurde die Sturmlaterne ausgehängt. Als ich mein Befremden über diese Vorsichtsmaßregel ausdrückte, zeigte Kapitän Backhusen auf eine dunkle sternlose Stelle am Horizont, die ihm Sturm zu bedeuten schien, zum zweiten aber auf die Torfkähne, zwischen denen wir allerdings wie eingeklemmt lagen. »Zieht ein Wetter herauf und diese drei großen ›Christophs‹ reißen sich los, so werden wir zerquetscht wie ein Polarschiff im Eismeer. Die Laterne tut nicht alles, aber viel. Zum mindesten zeigt sie uns die Stelle, wo wir untergehen.«

Um diesen Trost reicher, suchten wir unser Lager. Müde von des Tages Last und Hitze, schliefen wir unbekümmert ein.[75]

Quelle:
Theodor Fontane: Sämtliche Werke. Bd. 1–25, Band 12, München 1959–1975, S. 69-76.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Wanderungen durch die Mark Brandenburg: Eine Auswahl
Wanderungen durch die Mark Brandenburg, 8 Bde., Bd.2, Das Oderland
Wanderungen durch die Mark Brandenburg: Vollständige, kommentierte Ausgabe in 3 Bänden
Wanderungen durch die Mark Brandenburg, 5 Tle.
Wanderungen durch die Mark Brandenburg, Band 1: Band 1: Die Grafschaft Ruppin

Buchempfehlung

Ebner-Eschenbach, Marie von

Meine Erinnerungen an Grillparzer

Meine Erinnerungen an Grillparzer

Autobiografisches aus dem besonderen Verhältnis der Autorin zu Franz Grillparzer, der sie vor ihrem großen Erfolg immerwieder zum weiteren Schreiben ermutigt hatte.

40 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon