3. Gröben und Siethen jetzt

[352] Herr Karl von Jagow, Erbjägermeister der Kurmark, hatte, wie hervorgehoben, Gröben und Siethen im Herbst 1859 erworben. Er blieb aber persönlich auf seiner väterlichen Besitzung Rühstaedt bei Wilsnack in der Priegnitz und übertrug die Verwaltung der beiden Teltowgüter einem ausgezeichneten Landwirte, der denn auch ohne Verzug allerlei Verbesserungen einleitete. Diese waren in der Tat nötig geworden, da seit dem Tode Graf Leos alles zurückgegangen oder doch ins Stocken geraten war. Das Interesse der Frauen drehte sich eben um andere Fragen als landwirtschaftliche. Mit Wiesenkulturen und Bruchentwässerungen, an die sich bald auch eine lohnendere Behandlung der Forstreviere schloß, wurde begonnen und in rascher Reihenfolge folgten Wirtschaftsgebäude, Tagelöhnerhäuser und Etablissements aller Art. Auch eine neue Brennerei ward als unerläßlich hergerichtet, da das, was sich aus alter Zeit her noch so nannte, kaum noch diesen Namen verdiente.

Zugleich aber war der Wunsch des Herrn von Jagow, eines Besitzes wieder los und ledig zu sein, der viel Anforderungen und wenig Erträge mit sich brachte, von Jahr zu Jahr gewachsen, und er verkaufte deshalb beide Güter im Jahre 1879 für die Summe von 180000 Talern an den Engroskaufmann Badewitz in Berlin. Seitens dieses letzteren ist, der kurzen Spanne Zeit unerachtet, bereits viel geschehen und (um nur eines zu nennen) ein geschmackvolles und modernen Ansprüchen mehr entsprechendes Herrenhaus in Siethen errichtet worden.


Gröben jetzt

[352] Gröben gilt bei seinen Bewohnern und fast mehr noch bei seinen Sommerbesuchern als ein sehr hübsches Dorf. Ich kann aber dieser Auffassung, wenn es sich um mehr als seine bloße Lage handelt, nur bedingungsweise zustimmen. Gröben hat ein märkisches Durchschnittsaussehen, ist ein Dorf wie andre mehr, und alles was als bemerkenswert hübsch in seiner Erscheinung gelten kann, ist seine von einem hohen Fliedergebüsch, daran die Nachtigallen schlagen, umzirkte Kirche.

Diese Kirche wurde gegen Schluß des dreizehnten Jahrhunderts erbaut, und zwar aus Feldstein, wie die meisten unserer Dorfkirchen aus jener Epoche. Wie viele Wandlungen dieselbe während einer vielhundertjährigen Zeit erfahren hat, ist schwer festzustellen, und ich beschränke mich auf Hervorhebung der zuletzt erfolgten. Es war dies ein vollständiger Um- und Neubau, der in den fünfziger Jahren auf Veranlassung der Gräfin Schlabrendorf geb. von Ryssel durch den damaligen Baumeister, jetzigen Geheimen Baurat Adler begonnen und 1860, zwei Jahre nach dem Tode der Gräfin, beendigt wurde. Baumeister Adler, bekanntlich auch Archäolog, hatte sich seiner Aufgabe pietätvoll unterzogen und nicht nur das alte Feldsteinmauerwerk aus dem dreizehnten Jahrhundert beibehalten, sondern auch alles neu Herzustellende, wie Kanzel,51 Altar, Taufe, dem frühgotischen Stile jener Epoche nachzubilden gewußt. In eben diesem Stile wurde zuletzt auch eine jetzt rechts neben dem Altar hängende, vom Generalleutnant Grafen zu Dohna herrührende Tafel gestiftet, auf der wir folgender Inschrift in Goldbuchstaben auf dunklem Grunde begegnen: »Frau Gräfin Emilie von Schlabrendorf, geb. von Ryssel, stiftete durch Testaments-Legat den[353] Neubau der Kirche. Frau Johanna von Scharnhorst, geb. Gräfin von Schlabrendorf, ließ den Bau der Kirche ausführen und 1860 vollenden.«

Von so bemerkenswerter Schönheit alle diese Details sind, so werden sie doch an Interesse von dem übertroffen, was seitens des Baumeisters aus der alten Kirche mit in die neue hinüber genommen wurde: Grabsteine, Glasfenster, Schildereien.

An Grabsteinen war, als es an ein Abtragen und Niederreißen ging, eine Fülle vorhanden, die nur noch durch die Fülle von Särgen übertroffen wurde, die, dicht nebeneinander, in einer unterm Altar in Kreuzesform angelegten Gewölbereihe standen. Alle diese Gewölbe, weil sie mit Einsturz drohten, mußten zugeschüttet werden und so kam es, daß uns verschiedene mit mehr oder weniger interessanten Inschriften und Emblemen versehene Särge verlorengingen. Von den Grabsteinen dagegen sind uns an zehn oder zwölf erhalten geblieben, die, der Mehrzahl nach, in den Chorumgang eingemauert, eine malerische Nischenwand hinter dem Altar bilden. Alle sind vorzüglich erhalten und wenigstens eines derselben mag hier eingehender gedacht werden. Es ist dies der Grabstein eines jungen, schon in den Kirchenbuchauszügen erwähnten Schlabrendorfs, der bei Mollwitz fiel. Die Inschrift lautet: »Steh Sterblicher und betrachte die unvergängliche Kron', welche erlanget hat der Hochwohlgeborene Ritter und Herr, Herr Johann Christian Siegmund von Schlabrendorf, Sr. K. Majestät in Preußen bei Dero Infanterie unter dem hochlöblichen Regiment Sr. Excellenz des Herrn Generallieutenants v. d. Marwitz hochverdienter Lieutenant, Herr der Güter Gröben, Beuthen, Jütchendorf und Waßmannsdorf, welcher den 20. Dezember 1711 auf dem Hause Gröben geboren und den 10. April 1741 in der zwischen der Preußischen und der Österreichischen Armee bei Mollwitz in Schlesien vorgefallenen scharfen Aktion, in der auf Seiten der Preußischen der Sieg geblieben, durch einen Musquetenschuß, so ihn durch den Kopf getroffen, für Gottes, des Königs und des Vaterlandes Ehr' und Rechte seinen Heldengeist aufgegeben, nachdem er sein Alter gebracht auf 29 Jahr und 4 Monat.«

Ein andrer Schlabrendorf, der fünfundfünfzig Jahre früher vor Ofen fiel und auch ebendaselbst begraben wurde, hat selbstverständlich keinen Grabstein in Gröben, sondern nur eine Gedächtnistafel, mit einer Malerei darüber. Man sieht einen Fluß (die Donau), an dessen Ufern hüben und drüben zwei bastionsartige Festungswerke: Pest und Ofen, liegen. Über dem einen[354] Festungswerke steht eine große, rauchumhüllte Feuerkugel, die mutmaßlich als eine platzende Bombe gelten soll. Eine naive symbolische Darstellung eines durch Bombardement erlittenen Todes. Darunter steht: Der hochedelgeborene Herr, Herr Gustavus Albertus von Schlabrendorf, ist geboren Anno 1665 den 21. Juni, sein Leben aber hat er beschlossen am 15. Juli Anno 1686 als Fähnrich und tapfrer Soldat in Sr. Churfürstlichen Durchlaucht von Brandenburg Armee vor der Festung Ofen in Ungarn.


So griff der tapfre Held zugleich den Erbfeind an,

Sein unerschrockner Muth ließ seine Kraft nicht fallen,

Es war ihm nur zur Lust Carthaunen hören knallen,

Und rühmet jedermann, was dieser Held gethan.

Wohl, seine Tapferkeit nun auch sein Leben zeigt,

Das er für's Vaterland beherzt hat hingegeben,

Es soll sein Nam' und Ehr' bei Mit- und Nachwelt leben,

Unsterblich Der, deß Ruhm bis an die Wolken steigt.


So viel über die Schildereien und Grabsteine. Wichtiger ist das schon erwähnte Glasfenster mit dem Schlabrendorfschen Wappen und der Bischofsmütze darüber, das mit großer Wahrscheinlichkeit als ein Geschenk des Havelberger Bischofs, Johann von Schlabrendorf, anzusehen ist. Außer seinem historischen Interesse hat es auch ein kunsthistorisches, insoweit es uns ein Beispiel (deren es wohl nicht allzu viele mehr geben dürfte) von der Art und Weise der zu Beginn des sechzehnten Jahrhunderts in unserer Mark in Übung gewesenen Glasmalerei gibt.

Aus der Kirche schreiten wir nunmehr dem Dorfausgange zu, wohin der Kirchhof ums Jahr 1811 verlegt wurde. Schon das Jahr darauf empfing der neue Begräbnisplatz ein Sandsteinmonument, dessen auffallende Stattlichkeit sich bei der in den Kriegsjahren überall herrschenden Armut einzig und allein aus der Aufregung erklären läßt, die damals in Veranlassung eines besonderen Unglücks- und Todesfalles in der Gröbener Gemeinde hervorgerufen wurde. Noch jetzt lebt die Geschichte fort und wird mit mutmaßlichen Ausschmückungen wie folgt erzählt.

Es war die Zeit, wo wieder, wie alljährlich, das zu drei, vier Stämmen zusammengebolzte Floßholz in langer langer Linie die Nuthe herunterkam, um erst bei Potsdam in die Havel und dann bei Havelberg in die Elbe zu gehn. Und wie gewöhnlich hatte man auch diesmal wieder allerlei Mannschaften[355] an Bord kommandiert, die, mit Rudern und Stangen in der Hand, durch beständiges Abstoßen vom Ufer das Auf- und Festfahren des Floßholzes hindern mußten. Es waren ihrer elf, lauter junge Burschen von Trebbin und Thyrow her, darunter auch des Gröbener Kiezer-Schulzen ältester Sohn. Denn Gröben, trotzdem es nur ein kleines Dorf ist, hat doch ein wendisches Anhängsel, einen »Kiez«, auf dem die Fischer wohnen bis diesen Tag. Und auf dem Floße war gute Zeit, und immer die, die nicht Dienst hatten, hatten sich's bequem gemacht und lagen auf Strohbündeln in einer großen Bretterhütte. Da vergnügten sie sich und trieben allerlei Kurzweil und trieben es arg. Es war aber Sonntag und um die neunte Stunde zog ein Wetter herauf, wie noch keines hier gewesen, und war ein Blitzen, als ob feurige Laken am Himmel hingen. Und einer, dem es bang um's Herz wurde, war vor die Hüttentür getreten und betete zu Gott, daß er sich ihrer erbarmen und eine Ende machen und ihnen den erlösenden Regen schicken möge. Denn es war ein Trockengewitter und noch kein Tropfen gefallen. Des Kiezer-Schulzen Sohn aber und ein Kossätensohn aus Thyrow, die verspotteten ihn und luden ihn wieder hinein (hell genug sei's ja), da wollten sie knöcheln. Und sie fingen auch an, und der Thyrower warf dreizehn, weil ihm der eine Würfel zersprang. Aber in selbem Augenblicke fuhr es auch nieder und war Blitz und Schlag und alles entsetzte sich und stob auseinander – alles was in der Hütte gelegen hatte. Nur die beiden Spötter nicht, die lagen tot auf dem Floß und lagen da bis an den andern Morgen, wo man sie zu holen kam. Auch von Thyrow kamen welche. Des Kiezer-Schulzen Sohn aber kam auf den Gröbener Kirchhof und war der erste, den sie da begruben, und kriegte den Stein und die Inschrift darauf. –

Fast unmittelbar neben diesem Stein ist die Grabstätte Graf Leo Schlabrendorfs und seiner Gemahlin. Es ist ein umgitterter Platz und der Sockel eines in Sandstein ausgeführten Kruzifixes, das zu Häupten beider Gräber steht, trägt folgende Doppelinschrift. Links: Ernst Leopold Graf von Schlabrendorf zu Gröben, geb. 13. Mai 1794, gest. 27. Juli 1851. Rechts: Caroline Christiane Emilie Gräfin von Schlabrendorf, geb. von Ryssel, geb. 4. Oktober 1797, gest. 2. September 1858.

Das Kruzifix ist einer süddeutschen Arbeit nachgebildet und zeichnet sich durch Stil und Schönheit aus. Seine vergoldeten Nägelköpfe fielen ein paar vorüberziehenden Strolchen zum Raube, die hier mit frecher Hand eine Verstümmlung übten;[356] aber die Verstümmlung hat dem Heilandsbild in nichts geschadet, und nur ernster und ergreifender sprechen seitdem seine dunklen Male.


Siethen jetzt

Auch Siethen hat nur ein märkisches Durchschnittsansehen, verfügt aber, ebenso wie Gröben, über Denkmäler, alte und neue, von einem gewissen historischen Interesse. Dahin gehören die Kirche, der Kirchhof und vor allem auch die Stiftungen, die die beiden Scharnhorstschen Frauen, Mutter und Tochter, hier ins Leben riefen.

Unter diesen Stiftungen steht das 1855 interimistisch, in seiner gegenwärtigen Gestalt aber erst 1860 als Erziehungs- und Waisenhaus gegründete Tabea-Haus obenan. Es ist ein schlichtes, einstöckiges Gebäude, das baulich wenig auffällt. In einem Vorgarten spielen Kinder und überraschen ebenso sehr durch den freundlichen Ausdruck ihrer Augen, wie durch die Sauberkeit und Gleichförmigkeit ihrer Tracht. Über das Walten in diesem Hause, desgleichen über die Bestimmung, Einrichtung und Ausschmückung seiner Räume, geh' ich hinweg und begnüge mich eines Bildes Erwähnung zu tun, das in dem in Front gelegenen Empfangszimmer hängt. Es ist ein von dem Maler Professor Remy herrührendes Bildnis Fräulein Johannas in Diakonissentracht, aus dem all das spricht, was ihr Wesen ausmachte: Güte, Demut, frommer Sinn und eine dem Irdischen bereits abgewandte Freudigkeit. Auch jene blühenden Farben fehlen nicht, die, mehr als damals geahnt, auf eine nur kurze Pilgerschaft hindeuteten.

Gegenüber dem Tabea-Hause liegt die (wie die Gröbensche) wohl auch dem dreizehnten Jahrhundert entstammende Feldsteinkirche. Während aber die Gröbener in den fünfziger Jahren einen Neubau erfuhr, erfuhr die Siethener eine bloße Renovierung. Diese richtete sich unter anderm auch auf Wiederherstellung der sehr malerischen aber zum Teil verblaßten und unscheinbar gewordenen Wappenschilde, die die Wandung der Emporen umkleideten und ungefähr einer Namensaufzählung aller Familien, mit denen die Schlabrendorfs einst versippt und verschwägert waren, entsprachen. Aus der Reihe dieser Familien nenn' ich nur folgende: Pfuel, Hake, Katte, Waldenfels, Wuthenow, Schlieben, Putlitz, Krummensee, Burgsdorf, Schulenburg, Thümen, Blumenthal, Schöning, Arnim, Wedel, Bellin. Über[357] minder gekannte geh' ich hin und hebe nur noch hervor, daß es die beiden Kusinen Johanna von Scharnhorst und Agnes von Scharnhorst waren, die sich dieser mühevollen und Jahr und Tag in Anspruch nehmenden Arbeit unterzogen.

Aus der Kirche treten wir auf den schönen im Schutze prächtiger Bäume gelegenen Kirchhof hinaus und werden an seiner nordwestlichen Einfassungsmauer eines ansehnlichen, in romanischem Stile gehaltenen Baues ansichtig, der unsere Neugier weckt. Auf unsere Frage hören wir, daß es die schon erwähnte Grabkapelle samt Leichenhalle sei, die Frau von Scharnhorst – auch darin einem von der Tochter geäußerten Wunsche willfahrend – um das Jahr 1860 und zwar unter Aufwand ziemlich bedeutender Mittel errichtet habe. Zu Nutz und Frommen der Siethener aber – nur in Absicht und Vorstellung. In Wirklichkeit ist noch kein Toter aus Siethen in diese Halle gestellt und noch kein Totengebet über ihn hin in der unmittelbar anstoßenden Kapelle gesprochen worden.

Und hier ist nunmehr die Stelle gegeben, wo Kritik geübt werden muß, ich weiß nicht, ob mehr an den Siethenern oder an den zwei frommen Frauen.

Dieser letzteren Tun und Wirken war unzweifelhaft in hohem Maße segensvoll und förderte nicht bloß, wie sich statistisch nachweisen ließe, jegliches Gute, sondern stimmte die Dorfbevölkerung auch zu ganz aufrichtigem und in mehr als einem Falle zu geradezu bewunderndem Dank. An dieser erfreulichen Hauptsache wird nichts geändert. Aber andrerseits gingen beide Damen in ihrem Hochfluge gelegentlich zu weit, und wie Kaiser Joseph einst dem österreichischen Volke mehr Aufklärung gab, als es haben wollte, so gaben hier die Scharnhorstschen Damen ihren Siethenern ein Maß von Fortschritt, Wohltat und Hilfe, das über das Verständnis und jedenfalls über Wunsch und Bedürfnis all derer hinausging, die dadurch beglückt werden sollten. Beide Damen verkannten die bäuerliche Natur, unterließen es, die Macht der Gewohnheit und Sitte gebührend in Rechnung zu stellen, und scheiterten deshalb in allem, was über die direkte persönliche Hilfe hinauslag und im besten Sinne reformatorisch gemeint, aufs Allgemeine hin angesehen sein wollte.

Dies zeigte ich bei jeder ihrer Stiftungen: bei Grabkapelle, Leichenhalle, Tabea-Haus, und zwar in immer gleicher oder doch verwandter Weise.

Die Grabkapelle samt Leichenhalle war darauf berechnet,[358] namentlich bei Typhusepidemien vor den Gefahren der Ansteckung zu schützen. Aber das war lediglich im Sinne der Humanität und keineswegs im Sinne der Siethener gedacht. In Siethen verstieß es gegen das Herkommen, und jeder Tagelöhner und Büdner sagte: »Gefahr hin, Gefahr her. Es paßt sich nicht und ist schlecht und feige, solcher Gefahr aus dem Wege gehen zu wollen. Unser Vater oder Kind ist nun tot, ist uns genommen nach Gottes Willen, und ob wir's bequem haben oder nicht, dieser Tote, solange er über der Erde, gehört in unser Haus und uns liegt es ob, an seinem Sarge zu wachen, unbekümmert darum, ob er uns nachzieht oder nicht.« Es mag dies vor dem Verstande schlecht bestehen, vor dem Herzen desto besser, und ich habe nicht den Mut, einer Gemeinde zu grollen, die lieber ihre Leichenhalle zerfallen sehn, als ihre Toten vor dem Begräbnis aus dem Auge lassen will.

Ein Ähnliches ist es mit dem Tabea-Haus. Es kommt – darin seine Bestimmung erfüllend – allerdings Armen- und Waisenkindern zugut, aber immer nur Waisenkindern aus dieser oder jener oft sehr entfernten Stadtgemeinde, während noch kein Siethener Kind als Pflegling in das Haus aufgenommen werden konnte, selbst dann nicht, wenn beide Eltern weggestorben waren. Es ist eben in solchem Falle der nächsten Anverwandten Amt und Ehrensache, für die Verwaisten einzutreten, und sie würden sich mit einem nicht zu tilgenden Makel behaften, wenn sie sich dieser Pflicht entschlagen wollten.

Und ablehnend wie gegen Tabea-Haus und Leichenhalle verhalten sich die Siethener auch gegen die Wohltat einer selbständigen Pfarre, trotzdem ihnen, wie schon hervorgehoben, ein sehr bedeutendes und vollkommen ausreichendes Kapital zu diesem Zwecke zugesichert wurde. Hier spricht nun freilich außer Gewohnheit und Pietät auch noch ein drittes und viertes mit: Argwohn und unendliche Schlauheit. Aus Tradition und eigner Erfahrung weiß der Bauer, daß sich an jedes Geschenk über kurz oder lang eine Pflicht zu knüpfen pflegt, und dieser aus dem Wege zu gehn, ist er unter allen Umständen entschlossen. Ein Pfarrhaus ist bewilligt worden, gut; aber es kann doch eine Zeit kommen, ja, sie muß kommen diese Zeit, wo die Fenster im Pfarrhause schlecht, die Staketenzäune morsch und die Dachziegel bröcklig werden. Und wer tritt dann ein? Von wem erwartet man dann die Hilfe? Natürlich von der neuen Kirchengemeinde, der der neukreierte Herr Pfarrer nunmehr vielleicht seit lange schon, seit einem Menschenalter und länger in Ehren[359] und Würden vorgestanden hat. Und das will der Bauer nicht. Er weiß nichts von timeo Danaos, aber er hat alle darin verborgene Weisheit und Vorsicht in seinem Gemüte und jederzeit abgeneigt den Beutel zu ziehen, auch wenn es sich erst um weit, weit ausstehende Dinge handelt, bleibt er lieber Filial, als daß er sich der Auszeichnung eines eignen Pfarrsitzes52 erfreuen sollte.

Der Kirchhof, auf den wir jetzt zurücktreten, ist reich an Steinen und Kreuzen, auf denen einzelne klangvolle Namen zu lesen sind. »Ernst Karl Leopold von Uslar-Gleichen« und an andrer Stelle: »Hier ruht Frau Clara von Chaumontet, geb. Gräfin zu Dohna«. Beide waren Scharnhorstsche Verwandte, die hier vom Tod überrascht oder doch zu früher Lebensstunde von ihm gebannt und festgehalten wurden.

Aber auch solche ruhen hier, die der Tod an diese Stelle nicht unerbittlich bannte, sondern die sich's umgekehrt als einen letzten Wunsch ausbaten, hier ruhen zu dürfen. »Ihrem Wunsche gemäß ruht hier Sophie Elisabeth Luise Honig, geboren zu Berlin den 17. März 1790, gestorben ebendaselbst den 21. November 1843.« Ihr Vater hatte Siethen bis Ende des Jahrhunderts besessen, und in Kindertagen hatte sie hier gespielt. Hier zwischen den Gräbern. Es war ihr in Erinnerung geblieben, und nun verlangte sie's nach dieser Stelle, der einzigen vielleicht, an der sie glücklich gewesen war.

Eine größere, von einem Eisengitter eingefaßte Grabstätte liegt in der Mitte des Kirchhofs, fast dem Tabea-Hause gegenüber. Es ist die Stätte, wo beide Johannas von Scharnhorst, Mutter und Tochter ruhn. Ein Steinkruzifix, wie das Gröbensche, steht zu beider Häupten und nur zu Füßen des Gekreuzigten erhebt sich an dieser Stelle noch eine zweite Figur: eine betende Maria. Blumen und Efeu wachsen über die Gräber hin und Trauereschen umstehen das Gitter. In den Sockel des Kruzifixes aber sind folgende Namen und Daten eingetragen: »Johanna von Scharnhorst, geborne Gräfin von Schlabrendorf,[360] geboren am 22. April 1803, gestorben am 6. Januar 1867.« Und links daneben: »Johanna von Scharnhorst, den 16. November 1825 zu Trier geboren, den 13. Oktober 1857 zu Wildbad dem Herrn entschlafen.«


*


Und nun nehmen wir Abschied und schreiten ohne weitere Säumnis aus dem Dorf auf die schmale Dammstelle zu, die, genau halbenwegs zwischen den Schwesterdörfern, eine mit wenig Bäumen bestandene Landenge bildet und nach rechts hin einen Blick auf den Siethener und nach links hin auf den Gröbener See gestattet.

In gleicher Schönheit breiten sich beide vor uns aus, aber während der mehr flachufrige Gröbener See sich endlos auszudehnen und erst am Horizont inmitten einer im blauen Dämmer daliegenden Hügelkette seinen Abschluß zu finden scheint, ist der Siethener enger und dichter umstellt und die Parkbäume neigen sich über ihn und spiegeln sich darin. Auf beiden ruht derselbe Frieden und dieselbe Schwermut. Und diese Schwermut ist ihr Zauber. Ein matter Luftzug geht und nur matter noch geht und klappert die Mühle. Die Wasserente taucht, und aus der Tannenschonung steigt ein Habicht auf, um die letzten Sonnenstrahlen einzusaugen, – jetzt aber verflimmert es rot und golden im Gewölk und im selben Augenblick schießt er wieder ins Dunkel seiner Jungtannen nieder.

Auch die Mühle schweigt und der Wind. Und alles ist still.[361]

51

An dieser in Portlandzement ausgeführten Kanzel befinden sich die Statuetten von Luther, Melanchthon und Calvin, was, unmittelbar vor Einweihung der Kirche, eine Kontroverse herbeiführte. Da Gröben, von den Tagen der Reformation an, immer lutherisch gewesen war, so protestierte der Geistliche, trotz seiner intimen Stellung zur Patronin, aufs entschiedenste gegen die Zulassung Calvins. Aber Frau von Scharnhorst bestand darauf und drang mit ihrem Willen durch. Es scheint mir indessen unzweifelhaft, daß der Geistliche (Pastor Henschke, Freund und Erzieher Fräulein Johannas) im Rechte war. Es würde doch beispielsweise sehr auffallen und dem entschiedensten Widerspruch aller reformierten Geistlichen begegnen, wenn seitens einer zufälligen Majorität unserer »Kolonie« plötzlich der Beschluß gefaßt werden sollte, die Statue Luthers an den Kanzeln unserer französisch-reformierten Kirche anzubringen.

52

Während der Verhandlungen, die bereits vielfach über die Pfarrgründungsfrage stattgefunden haben, ist es bis jetzt ganz unmöglich gewesen, den Bauer aus dem Sattel zu heben. Auf die Bemerkung: »Und Ihr werdet dann auch nicht länger nötig haben, Eure Kinder bei Winterwetter eine halbe Meile weit zum Konfirmationsunterricht zu schicken« antwortete man einmütig: »Ei, auf diese zwei Tage freuen sich ja die Kinder die ganze Woche; da haben sie Schlittenbahn und schneeballen sich und kommen immer frisch und munter nach Hause.«

Quelle:
Theodor Fontane: Sämtliche Werke. Bd. 1–25, Band 12, München 1959–1975, S. 352-362.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Wanderungen durch die Mark Brandenburg
Wanderungen durch die Mark Brandenburg: Eine Auswahl
Wanderungen durch die Mark Brandenburg, 8 Bde., Bd.2, Das Oderland
Wanderungen durch die Mark Brandenburg: Vollständige, kommentierte Ausgabe in 3 Bänden
Wanderungen durch die Mark Brandenburg, 5 Tle.
Wanderungen durch die Mark Brandenburg, Band 1: Band 1: Die Grafschaft Ruppin

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Die Narrenburg

Die Narrenburg

Der junge Naturforscher Heinrich stößt beim Sammeln von Steinen und Pflanzen auf eine verlassene Burg, die in der Gegend als Narrenburg bekannt ist, weil das zuletzt dort ansässige Geschlecht derer von Scharnast sich im Zank getrennt und die Burg aufgegeben hat. Heinrich verliebt sich in Anna, die Tochter seines Wirtes und findet Gefallen an der Gegend.

82 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon