Drittes Buch

Jedes, was in unsichtbarem Zusammenhange, unvorbereitet, in das Leben eines Menschen eingreift, und das über dasselbe für den Augenblick bestimmt, scheint die Vergangenheit gänzlich von der Gegenwart loszureißen, und aus dieser eine neue beginnende Welt hervorzurufen. So schwanden auch jetzt alle frühere Störungen aus Luisens Seele. Ohne Kampf, wie ohne große innere Bewegung, gab sie sich der stillen Gewalt einer Neigung hin, die, wie alles Schöne und Herrliche, aus der Wurzel des Daseins entspringend, ihr Gemüth erweiterte und erhellte. Sie sann und erwog weniger als je, aber das Beste stand ihr immer ganz nahe, und sie erkannte und ergriff es mit frischem Sinn. So fügte sich in des Obristen heitrer Nähe alles wie von selbst, und ihr Verhältniß zu ihm, ohne gerade eine bestimmte äußre Form zu haben, ward durch so milden Einfluß unwillkührlich dichter und in sich unauflöslich.

Ein auf solche Weise heilig gehaltener, innrer[111] Verein konnte indeß den Augen der Welt nicht entgehn. Der Obrist war eine zu bedeutende Erscheinung in ihr, seine Verbindungen blieben nicht unbeobachtet, und es konnte daher nicht fehlen, daß eine große Auszeichnung als entschiedne Wahl angenommen ward. Allein diese Auszeichnung hob auch Luisen sogleich über jedes Schwanken der Meinungen hinaus. Ihr Platz in der Gesellschaft, durch die Gunst des Schicksals bezeichnet, war nun eingenommen; jeder Zweifel schnell gelöst, jede Muthmaßung beseitigt. Die Männer schwiegen da, wo nur eine bedeutende Stimme das Recht hatte, zu sprechen; und die Frauen durch Klugheit gehalten, räumten willig Vorzüge ein, wo ein Tadel ihr Urtheil verdächtig gemacht hätte. Alles trat daher Luisen schmeichlend entgegen. Selbst Auguste hörte auf zu spötteln und ließ sie ruhig gewähren. Aber vor allen war die Baronin bemüht, ihren Beifall zu äußern. Durch häusliche Sorgen und Verwicklungen geängstet, wandte sie sich gern zu der wiederkehrenden Ordnung eines vormals so verworrnen Daseins, und nicht ohne innre Behaglichkeit schrieb sie der eignen Mitwirkung einen Theil dieser heilsamen Veränderung zu. Luise gönnte ihr gern diese kleine Beruhigung, da ohnehin so manches ihren Erwartungen und Plänen entgegenstrebte. Denn es war nicht zu verkennen,[112] wie rücksichtslos auf Stein und andre Verhältnisse sich Emilie einer entstehenden Neigung für den jungen Cesario hingab. Ein launenhaftes, zweideutiges Wesen, das weich und schmeichelnd in die Gunst der Frauen hineinschlüpfte, und sie bald darauf, wie die ganze übrige Welt, in düstrem Ernst zurückwies. Niemand konnte bestimmen, ob innre Unhaltbarkeit oder irgend eine Absicht diesem wechselnden Spiele zum Grunde lag. Allein, wie man auch tadeln mußte, so fühlte sich doch ein Jeder auf irgend eine Weise davon angesprochen. Oft erschien er so mild, aus den feuchten Blicken drang eine Sehnsucht, die sich unwillkührlich an jedes Herz legte. Aber plötzlich sprühete ein wunderliches Feuer aus Aug' und Mienen, er drang mit Ungestüm aus sich selbst heraus, sang, improvisirte, zog die Gesellschaft in seine bunte Phantasieen hinein, indem er sinnvolle Tänze und Pantomimen anordnete, denen er einen ganz eignen Charakter von Wehmuth und Lust zu geben verstand. Alles strömte dann aus den fernsten Spielzimmern herbei. Man stand in gedrängten Kreisen um ihn, und rief ihm laut und ungetheilt Beifall zu. Nur der Obrist betrachtete ihn schweigend, voll mitleidsvollem Ernst, und sagte einst zu Luisen gewandt: fühlt denn niemand, wie sich das zarte, fast noch kindische, Geschöpfchen zerreißt, um ein innres Uebel zu ertödten! Luise gedachte[113] ihres ersten Zusammentreffens im Gasthause. Diese Erinnrungen, wie überall die ganze räthselhafte Erscheinung, mußten sie drücken. Es war ihr unmöglich, Cesario ohne ein ängstigendes Gefühl zu betrachten, das vergebens einen bestimmten Eindruck aufsuchte und sich dennoch nicht gleichgültig abwenden konnte.

Was sie indeß störte, zog Emilien um so bestimmter an. Ihr kleines Herz ließ sich gern von den neckenden Widersprüchen hin und her werfen. Der Wechsel war ihr rechtes Lebenselement, dem sie freudig Ruhe, häuslichen Frieden, ja selbst den äußren Anstand, aufopferte. Ihre eigenste Natur schien sich in dem Umgange mit Cesario nur erst recht zu entwickeln. Wie ihre zarte, biegsame Gestalt und die Weichheit und Rundung ihrer Bewegungen sie zu seiner steten Gefährtin bei Spielen und Tänzen machte, so fügte sie sich mit der gleichen Leichtigkeit in die scharfen Uebergänge seiner jedesmaligen Stimmung. Ja, sie theilte nicht etwa nur seine Schmerzen und Freuden, sie nahm sie ganz in sich auf, und empfand sie völlig und innig wie er.

Stein trug ein klares Bild von Emilien in seiner Brust. Er konnte es sich nicht bergen, wie viel ihr alles Neue, wie wenig er ihr war. Allein die Liebe zu ihr lähmte jeden kräftigen Entschluß.[114] Er weilte in ihrer Nähe, sich überredend, er hoffe auf irgend eine günstige Veränderung; was überall wandelbar sei, könne sich ja auch zu ihm wenden, und vielleicht sei dann der bunte Kreislauf vollendet, und das Bleibende erzeuge sich von selbst. Dennoch wagte er es nicht, eine festere Verbindung für den Augenblick zu wünschen, ja er rückte den Gedanken daran in die bessere Zukunft hinaus, an die er nicht glauben, auf die er nicht hoffen konnte. So hielt er sich in einem selbst geschürzten Netz gefangen, erwartend und verzweifelnd, mit wundem Herzen und überreiztem Gemüth, das nur einer bestimmten Veranlassung bedurfte, um alle verhaltne Bitterkeit gegen den überlästigen Cesario auszuströmen.

Bei weitem ruhiger schien der Maler Emiliens doppelte Treulosigkeit anzusehn. Für den Winter in die Residenz zurückgekehrt, lebte er allein der Kunst, wenig bekümmert um irgend etwas außer ihr. Allein Werners geschärfter, mehr spürender als forschender Blick, der jedes, was er im Laufe des Lebens irgendwo berührte, wieder anfassen und an sich ziehn mußte, hatte ihn in seiner Stille aufgefunden. Er drängte sich an ihn, und führte ihn, unter mehrern Bekannten, auch zu Augusten. Hier hatte Luise öfters Gelegenheit, den Gleichmuth des jungen Künstlers zu bewundern, da niemand, außer[115] ihr, mit seinen Verhältnissen bekannt, es vermied, über Emilien und ihre Verirrungen zu reden. Selbst Auguste schonte ihrer Freundin so wenig, daß sie sich lachend über den Spott des Schicksals ausließ, welches gewollt, daß ein unbärtiger Knabe das Gewebe der klugen Sybille höchst keck zerreiße, und sie zwinge, das Töchterchen in die Arme des ungekannten Fremdlings zu legen, um dem lästigen Gerede Einhalt zu thun. Der Maler schwieg meist ohne ein Zeichen besondrer Theilnahme; nur diesmal erwiederte er: dahin wird es nicht kommen. Sein Sie versichert, Emilie täuscht sich, und muß in Kurzem selbst davon überzeugt werden. Er sagte das sehr gefaßt, und mit einer Zuversicht, die Werners Aufmerksamkeit erregte. Allein da er sogleich wieder abbrach, so ließen auch die Andren das Gespräch fallen, ohne daß es zu einer nähern Erörterung kam.

Wenn Luise die Menschen um sich her, in ihren verschiednen Beziehungen zu einander, betrachtete, und dann auf sich selbst zurücksah, so mußte sie oft erstaunen, wie ganz anders, milder, verwandter, ihr alle erschienen. Recht wie Gestalten, die uns am Vorabend, bei hereinbrechender Nacht, mit unheimlichen Schauern erfüllten, und nun am vollen Tage klar und befreundet auf uns zutreten. Was sie sonst erschreckte und die innre Unsicherheit[116] mehrte, fiel, wie von selbst, von dem vielen Guten und Erfreulichen ab, was sie wohlthuend zu der Welt zog und den Frieden mit ihr begründete. Selbst mit Werner war sie im Herzen versöhnt, seit sie ihm auf keine Weise scheuen durfte. Cesario allein ließ sie niemals frei von jener früher empfundnen Bangigkeit deren sie, mit aller Anstrengung, nicht Herr werden könnte.

Als sie sich einmal recht lebhaft dieser Schwäche schämte, da erinnerte sie sich, wie leicht ein geheim gehaltenes Gefühl dem schönsten Verhältniß Gefahr drohe, und wie wohl größeres Vertrauen ihr und Julius Glück gesichert hätte. Sie konnte nicht anstehn, in des Freundes treue Brust die letzte, kleine Sorge niederzulegen. Dennoch geschah es nicht ohne einige Verlegenheit, daß sie ihrer frühesten Bekanntschaft mit Cesario und des belauschten Selbstgesprächs im Gasthofe gegen den Obristen gedachte. Seitdem, fuhr sie mit gesenkten Augen fort, befällt mich eine Unruhe, so oft ich ihn sehe, die jene zurückruft, weiche lange das Unglück meines Lebens machte. Der Obrist hatte ihre Hand gefaßt, und sahe mit leutseligem Ernst in ihr anmuthig verschämtes Gesicht. Meine Luise, sagte er, es ist ja dies ihr eigenthümliches Wesen, daß Sie niemand in Ungewißheit über sich lassen können, als den, der sich selbst täuscht. Sie sagen mir daher[117] nichts Neues. Ich habe Sie immer verstanden. Wie sollte es mir entgangen sein, daß Ihnen Cesario, durch irgend eine innre Ideenverbindung, Fernandos Bild zurückwirft. Ich möchte Sie beruhigen können, wenn ich Ihnen sage, daß die Unklarheit der Erscheinung es ist, welche den trüben Eindruck erzeugt. Offenbar ist etwas da, was Sie anspricht, aber Sie wissen es weder in noch außer sich in einem bestimmten Zusammenhang zu denken. Es steht losgerissen da, und schwankt nach den entgegengesetztesten Richtungen. Das ist es, was Sie verwirrt. Denn gewiß ist es das Unzusammenhängende allein, was uns im Leben stört. Könnten wir die Geschichte der Welt und jedes einzelnen Wesens in ihrer natürlichen Verbindung zu einander entstehn und fortschreiten sehn, der Faden des verworrnen Knäuels ließe sich, ganz leicht, ohne willkührliches Abreißen und Verknüpfen, abrollen, und der Mensch hörte auf, so einzeln und so feindlich der Natur und sich gegenüber zu stehn. Deshalb lassen Sie sich auch jetzt nicht beunruhigen. Haben Sie überall nur Acht auf das, was in Ihnen vorgeht, und können Sie das scheinbar Störende in irgend einen Einklang mit sich selbst bringen, so lassen Sie es ruhig walten. Sie drängen es vergebens weg, wie unbequem es auch die gewohnte Weise durchkreuzt.[118]

Luise erinnerte sich ähnlicher Worte Fernandos, zwar in ganz individueller Beziehung gesprochen, aber dennoch geeignet, sie für den Augenblick in eine höchst verwerfliche Ruhe zu wiegen. Wie leicht, unterbrach sie ihn, hintergehn wir uns aber selbst, und sehen das als zu uns gehörig an, was uns zerreißt und zerstört.

Dann, erwiederte der Obrist, kehren wir nur das eigentliche Verhältniß um. Wir geben uns dem Fremdartigen blindlings hin, und verleugnen uns so vor uns selbst. Der besonnene Mensch hingegen läßt das Ungekannte auf sich zu kommen, und wie es sich an sein innerstes Leben wagt, faßt er es mit scharfen Blicken an; ach liebe Luise! und wie bald zeigt es sich dann, was in höherer Natur über unser Wissen und Wollen gebietet. Mit welchem Rechte sagen wir daher, wir müsse der Stimme des Herzens folgen. Was man insgemein so nennt, das ist es nun freilich wohl nicht, was ich meine. Es spricht so vieles auf den Menschen hinein, daß er sich zuletzt selbst nicht mehr erkennt. Aber was so recht eigentlich aus dem Herzen heraufdringt, dem widersteht sicher Niemand. Wie wahr, fuhr er, sie umschlingend, fort, und wie höchst seltsam hat mich diese Stimme geführt! In welchem Augenblicke drückte sich Ihr Bild in mein Innres! Alles gebot mir, es daraus[119] zu verdrängen. Ich versuchte es oft, aber als es immer wiederkehrte, habe ich es heilig gehalten, und treu bewahret wie ein liebes Geschenk des Himmels, das mich still entzücken und nie wieder verlassen sollte!

Luise hatte den Kopf in großer Rührung an seine Brust gelehnt. Er drückte sie fester an sich, und sagte, über sie hingebeugt: hier wird es nun ewig leben! Wie es auch kommen möge, dies Bild nimmt mir keine Gewalt der Erde, denn es ist mein geworden durch einen friedlichen Bund mit mir selbst.

Was soll kommen? fragte Luise besorgt; was mein lieber, lieber Freund, soll uns trennen?

Ach, liebe Luise, erwiederte der Obrist, wer darf das wissen wollen? Die Bedingungen unsers Daseins wie unsers Glückes greifen in Vor- und kommende Zeit hinein, und dennoch ist unser Gesichtskreis so eng gezogen, wir verstehn die Zukunft nie aus der Vergangenheit. Da liegt alles dunkel und in sich verschlungen. Wir dürfen es nicht anrühren, wenn wir die flüchtige Gegenwart nicht verscheuchen wollen.

Luise blieb einen Augenblick nachdenkend. Wäre es möglich, sagte sie darauf, daß meine zu große Offenheit Sie beunruhigt hätte?

Behüte mich der Himmel vor solcher Schwäche,[120] fiel der Obrist schnell ein. Nein, o Gott nein! wie sollte mich beunruhigen, was der schönste Bürge meiner Ruhe ist. Liebe Luise, mißverstehn Sie mich doch ja nicht. Der Mensch thut nur wohl daran, im Uebermaße des Glücks sich den möglichen Wechsel als möglich zu denken.

Das war es nicht allein, sagte Luise, es war mehr als das. Ihr Ton drang so wehmüthig durch mein Herz, als ginge er von trüber Ahndung aus.

Jeder Blick in die Zukunft, erwiederte er, erinnert uns an die Wandelbarkeit des Glückes. Eben weil wir dort nichts Bestimmtes sehen, so tritt uns so vieles entgegen, wovon eines das andre zernichtet. Aber, was verderben wir denn die lieben, freundlichen Stunden durch so wunderliche Betrachtungen!

Luise war indeß in sich aufgeschreckt. Sie konnte sich nicht wiederfinden. Die Möglichkeit, den geliebten Freund zu verlieren, trat ihr plötzlich so nahe, daß sie ihn gar nicht von sich lassen wollte. Sie fürchtete, jeder Augenblick könne ihn ihr entreißen. Und als er nun ging, und sie ihm aus dem geöffneten Fenster, die Straße hinunter, lange nachsahe, bis er sich unter fremde Gestalten verlor, da war ihr, als sei die Straße der vor ihr liegende Lebensweg, auf dem ihr alles unbekannt[121] erschien, bis auf das eine geliebte Wesen, das sich nun auch abwandte und sie verließ. Sie verlor sich immer mehr in diese Vorstellung, und ward nicht eher wieder froh, als bis der Obrist des folgenden Tages in einem reich verzierten Schlitten vor ihrer Thür hielt. Das Geläut der Glöckchen hatte sie an das Fenster gelockt. Sie schlug freudig in die Hände, als der schöne Mann von dem leichten Fahrzeuge springend, zu ihr hineilte.

Ich komme, meine Luise, sagte er im Hineintreten, Sie zu fragen, ob Sie sich wohl eine Stunde meiner Führung anvertrauen, und mich auf einer Spatzierfahrt begleiten wollen. Der klare stille Wintertag erinnert mich so lebhaft an mein Vaterland. Ich möchte diese Erinnerungen gern mit meinen liebsten Freuden vereinen. Könnten Sie sich wohl für Augenblicke mit Ihrem Freunde in den starren Norden versetzen?

Luise willigte ohne Weiteres ein, und in Pelz und Schleier gehüllt, eilte sie, an seinem Arm, der lustigen Fahrt entgegen. Zwei russische Knaben, fremd an Ansehn und Tracht, hielten zu Pferde neben dem Schlitten. Luise setzte sich hinein. Der Obrist breitete ein Tigerfell über ihre Füße, dessen Zipfel Goldfranzen einfaßten. Er selbst nahm sodann seinen Platz hinter ihr, und die Zügel leicht[122] hebend, flogen sie pfeilschnell durch die Straßen und Thore der Stadt. Bald war diese weit hinter ihnen. Der geebnete Weg führte nach einem Walde, der sie plötzlich wie eine veränderte Welt umschloß. Ungleich thürmte sich der Schnee in großen Massen zwischen den Bäumen, die zum Theil ihre nackten Zweige starr in die eisige Luft streckten, oder die herabgezogenen Wipfel über einander neigten. Ueberall schien das Leben gewichen, hin und her sahe man auf der weißen Decke die Spur einzelnen Wildes. Freudig sprengten die Knaben mit wunderlich dumpfem Geschrei voran. Mein Rußland, rief der Obrist lebhaft! und lenkte den Schlitten immer tiefer in den wildesten Theil des Waldes.

Luise befand sich in einer Gegend, die sie früher nie betrat. Die Täuschung gewann immer mehr Gewalt über sie. Es war ihr wirklich, als ständen Vaterland und Freunde in unerreichbarer Weite, und alle losgerißne Banden schlängen sich einzig um den geliebten Mann, dem sie vertrauend unter rauhe Himmelsstriche folge. Sie zog den Schleier dicht an sich, und in einer Art behaglicher Selbstvernichtung ließ sie ihr Dasein sinnend in ein Fremdes übergehn. Vergeben Sie mir, sagte der Obrist, durch ihr Schweigen aufmerksam gemacht, vergeben Sie mir meine thörige Freude, die Sie[123] so wenig theilen können. Ist denn der Mensch wie eine Pflanze an den heimathlichen Boden, wie an den eignen Leib gebunden? Und ist nicht ein freies, höheres Verhältniß zum Leben, wie ein zweiter Leib zu betrachten, den er sich mit Wahl und Besonnenheit selbst schafft, durch den er zur Welt gehört und sich ihr kund giebt? Warum streckt uns denn das Vaterland seine tausend Arme nach, und strebt uns in seine Mitte zurückzuziehen.

Luise war in ihren Träumen verloren. Sie hatte einen großen Theil dieser Worte überhört, und fühlte nur des Obristen Hand, welche schmeichelnd die ihrige ergriffen hatte. Ihr Herz war voll der innigsten Liebe, und in dem Sinne sagte sie: gewiß, es ist überall schön, wo uns auch die Natur ein getrübtes Antlitz zuwendet.

Es soll bald wieder heitrer werden, entgegnete der Obrist, der schon früher einen Nebenweg eingeschlagen, und nun über einzelne Hügel, welche die nahe Ebne verbarg, aus dem Walde bog. Eine breite, spiegelglatte Eisfläche lag hier vor ihnen, hinter welcher sich das fürstliche Schloß mit seinen vergoldeten Dächern und weißen Säulen feenartig erhob. Heller Lichtglanz war über die ganze Gegend ausgegossen, die in so magischer Beleuchtung das überraschte Auge blendete. Wie herrlich! rief Luise, indem sie aufstand und mit der einen Hand[124] den gehobnen Schleier hielt, während die andre auf des Obristen Schulter vertrauend ruhte. Der Schlitten gleitete indeß leicht über den festen Eisrücken des Stromes zu dem jenseitigen Ufer, an welches die Schloßgärten stießen. Lebhaft wurden hier Luisens Blicke durch halbgeöffnete Sonnenhäuser angezogen, die beim Vorüberfahren ihre innren Schätze ahnden ließen. Der Obrist schlug ihr vor, einige Augenblicke unter den Blumen auszuruhen, was sie dankbar annahm und in seiner Begleitung in die kunstreich geordneten Säle trat. Wie neugeboren begrüßte sie das frische Grün, das ihr aus den seltensten Gewächsen entgegen duftete. Der Gärtner trat höflich auf sie zu, sogleich bemüht, durch nähere Erklärungen die Eigenthümlichkeit der merkwürdigsten Pflanzen und Stauden anzugeben. Luise ergötzte sich an Allem. In froher Hast eilte sie den Andren voran, sah und bewunderte jedes zuerst, und trat so allein in ein kleines Cabinet, welches hohe Granaten und fruchttragende Orangen am Ende des Gebäudes bildeten. Das frischeste Moos bedeckte den Boden in einer Höhe, daß es zu den Seiten stehende Blumenbehältnisse verbarg, und so das Ansehn gewann, als lasse es den lachenden Blüthenteppich aus seinem Schoos hervorgehn. Die goldnen Früchte schienen Luisen recht eigentlich zu winken. Sie fühlte sich auf das[125] Anmuthigste angezogen. Alte Mährchen von verzauberten Schlössern wurden wach in ihr. Dabei mußte sie an die Markise und Viola denken. Sie glaubte zu träumen. Der öde Wald, das starre Eis, und nun alle südliche Herrlichkeit! Sie konnte sich eines lauten Freudenrufs nicht erwehren. Da war es, als bewegten sich hinter ihr die Zweige; sie wandte sich, und bemerkte einen Mann, der schnell zu einer Seitenthür hinauseilte, ohne daß sie sein Gesicht sehen konnte. An der saubergestickten Uniform und dem dunkel gelockten Haar glaubte sie Cesario zu erkennen. Ihre Blicke waren noch auf die Thür geheftet, als ein Wagen an dem Hause vorüberfuhr, und sie unwillkührlich zum Fenster zog; aber die verschlungnen grünen Zweige lagen wie ein Gewebe davor, und hinderten sie, etwas zu erkennen.

Sie haben wohl öfter Besuch, sagte der Obrist, mit dem Gärtner hinzutretend. An solchen Tagen, erwiederte dieser, sind die Säle fast nie leer, besonders finden sich Ausländer und Fremde häufig ein, durch die Freiheit des Zutritts in allen fürstlichen Gebäuden angelockt.

Der Blumenduft betäubte Luisen; sie fühlte sich unwohl, und trieb zur Rückkehr ins Freie, wo sie alsbald den Weg nach der Stadt auf einer heitren, vielfach befahrnen Landstraße nahmen.[126]

Der Obrist sprach während des Fahrens noch viel über das Edle und Gefällige in der Bauart des Schlosses und seiner Umgebungen. Er machte Luisen aufmerksam auf die königliche Größe des Ganzen, welches doch keinesweges drückend sei für die nahestehenden Gegenstände, was er allein als Wirkung höherer Kunst angab. Denn diese, sagte er, kann niemals etwas für sich allein betrachten, sondern findet nur in dem innren Zusammenhang aller nothwendigen Bedingungen das richtige Verhältniß für jedes Einzelne, während die bloße Pracht alles um sich her vernichtet. Dies zeigt sich am auffallendsten im Orient, wo ein an sich untergeordneter Zweck alle höheren Strebungen beherrscht. Selbst die Denkmäler alter Kunst sind dort störend geworden, weil sie, losgerissen von Zeit und Ort, keinen gnügenden Eindruck gewähren, sondern dem unbefriedigten Gemüth schmerzliche Betrachtungen entreißen, was dem Wesen der Kunst zuwider ist, die sonst unsre innre Gesammtheit, Fülle und Kraft hervor ruft, und den ganzen Menschen göttlicher und freier macht.

In diesem Sinne war die Kunst wahrhaft in ihn übergegangen, und seine Liebe zu ihr konnte daher nur von denen ermessen werden, die ihn in allen Beziehungen seines Lebens verstanden.

Luise suchte während dem sich selbst zu entgehn,[127] und ließ es an lebhaften Aeußeruugen nicht fehlen, die das Gespräch nur mehr in seinem Lauf fortdrängen sollten. Allein sie war niemals frei genug in sich selbst, um irgend etwas, das sie zufällig berührte, für Augenblicke liegen zu lassen, und mit Besonnenheit mehreres aufzufassen. Eines beschäftigte sie alsdann so ausschließend, daß sie für alles andre entweder gar nicht da war, oder doch zerstreut und kalt erschien. So konnte sie es jetzt nicht aus den Gedanken bringen, warum Cesario ihr gerade in dem Moment habe nahe sein müssen? und weshalb sein Erscheinen, oft so halb und versteckt, sie in Ungewißheit, selbst darüber lasse, ob er es sei oder nicht? Ihr fiel ein, daß, gleich wie ganz verschiedenartige Menschen, die späterhin einen gewichtigen Einfluß auf unser Schicksal haben, sich früher in unsrer Erinnrung zusammen stellen, ohne daß wir sie in irgend einer Beziehung zu einander dachten, die Natur der Umgebungen und die Stimmung, welche diese in uns erwecken, gleichfalls bedeutend sei für das Zusammentreffen mit diesem oder jenem. Sie sann vergeblich, auf welche Weise Cesario mit in ihr Leben verflochten sein könne, und hatte zugleich eine Scheu, es zu entdecken, da sie überall so ungelegen von ihm gestört ward.

Der nächste Morgen verjagte indeß diese Wolken.[128] Sie war die folgenden Tage heitrer als je, vielleicht weil sie sich von mehrern ihrer Bekannten zurückgezogen hatte, und allein in des Obristen und Sophiens Gesellschaft lebte. Diese schien auch wieder ruhig und gefaßt. Luise bemerkte leicht, daß nur eine Aussöhnung mit Horst dies bewirkt habe, obgleich dieser in ihrem engeren Familienkreis keinen Zutritt hatte. Sie begriff eben so bald, wie sehr ein solches Gefühl geschont sein wolle, und ohne dagegen zu eifern, begnügte sie sich, ihre Freundin in einer vertrauten Stunde zu fragen, wie sie nur dies Verhältniß mit ihren sonstigen Ansichten und Begriffen vereine.

Das ist nun so, entgegnete jene. Ich rede ungern darüber. Vieles kommt in Anregung, was besser verschwiegen wird. Doch glaube mir, gutes Kind, Vergehn aus Liebe begangen, büßen sich nur durch Treue ab. Dies ist weder so leicht, als eine herzhafte Rückkehr zur Pflicht schwer ist. Zu dem Letztren bewegt uns oft gerade das, was uns früher verlockte, Sehnsucht nach einem Herzen, das uns versteht und verstehn will. Wir glauben so leicht, es gefunden zu haben, während es uns in allen Verhältnissen ziemlich gleich unerreichbar ist. Ueber die ersten poetischen Träumen der Jugend hinaus, halten es die Männer kaum der Mühe werth, in das innre Geheimniß unsers Wesens einzudringen,[129] dessen Selbstständigkeit sie nie anerkennen, dessen höhere Natur sie sich gern verbergen, um der gewöhnlichsten und natürlichsten Rücksichten überhoben zu sein. Da es denn nun überall auf die Aufopferung unsrer selbst angesehen ist, was zaudern wir, dies Opfer da zu bringen, wo wir in der Bewahrung und dem Heilighalten der Liebe uns vor uns selbst bewahren? Ich wenigstens bin resignirt, und kann mich in dieser Resignation nur mit mir und meinem Vergehn aussöhnen.

Du bringst Dich also der Liebe und nicht dem Geliebten zum Opfer? fragte Luise.

Sage mir, erwiederte jene, wie soll ich die eine ohne den andren denken, ohne auf immer mit meinem Gewissen zu zerfallen? Soll ich um ein Geringeres, als die höchste Bedingung meines Lebens, Schwur und Pflicht verletzt haben? Und wenn ich mich täuschte, war es nicht die Liebe, welche den Zauber hervorrief? Aber es ist falsch, daß die Liebe uns täusche. Sie, das einzig, ewig Wahre, zeigt uns die Menschen allein wie sie sind. Von ihr durchdrungen, haben sie für Momente wirklich erreicht, wonach sie, früher und später, durch den ganzen Kreislauf eines langen, beschwerlichen Lebens ringen. Nur wie die Außenwelt wieder nach ihnen greift und ihre Täuschungen auf sie zurückwirft, sinkt die Liebe in die stille Nacht[130] ihres verborgnen Lebens zurück. Allein, ich habe ja doch den geliebten Mann in jenen göttlichen Momenten gesehn, und so will und werde ich ihn immer sehn.

Der Obrist unterbrach sie hier, indem er ihnen die Ankunft der Baronin meldete, welche auch sogleich eintrat.

Endlich! sagte diese gutmüthig, zu Luisen gewandt, finde ich Sie. Böses Kind! Nun sollen Sie mir nicht wieder entgehn. Ich entführe Sie sogleich. Alle Freunde und Bekannte sind bei mir versammelt. Alle haben beschlossen, Sie der Einsamkeit zu entreißen. Man hat wichtige Dinge vor. Ich habe geloben müssen, Sie aufzuheben, wo ich Sie finde. Luise warf bittende Blicke auf den Obrist und Sophien. Dort suchen Sie vergebens Beistand, sagte die Baronin, ihre Gedanken errathend; diese sind auch meine Gefangenen. Ich lasse Niemand entschlüpfen. Sie müssen alle sogleich mit mir fort.

Beide Geschwister versprachen, der Einladung in Kurzem zu folgen. Luise mußte es aber geschehn lassen, daß sie die Baronin ohne weiteres zu ihrem Wagen führte, und sie, so bald sie sich hier allein sahen, mit kaum verhaltner Heftigkeit in ihre Familien-Angelegenheiten hineinzog. Es ist mir lieb, hub sie sogleich an, Sie zuerst ohne[131] Zeugen zu sprechen; Sie müssen mir einen wichtigen Dienst leisten. Es gilt hier, Stein zu einem schnellen Entschluß zu bewegen. Er muß Emilien bald, gleich, seine Hand geben. Sie können ihn dazu durch Gründe bewegen, die mir nicht geziemen, anzuführen. Lassen Sie mich ausreden, fuhr sie, jeder Unterbrechung vorbeugend, fort. Es ist gewiß, es ist nicht alles so, wie es sein könnte; allein, ohne mich geradezu in Emilien verrechnet zu haben, tragen zum Theil die Umstände die Schuld jener ungünstigen Wendung. Ich habe nicht immer ganz freie Hand gehabt. Viel Fremdartiges hat in meine Pläne eingegriffen; des Barons Ansichten und Gesellschaften, eine gewisse Freigeisterei in allem Herkömmlichen und Bestehenden, welches die unglückselige Poesie an den Tag bringt, und mehr als alles, Ihr Schicksal, mein liebes Kind, haben mir bei Emilien entgegengearbeitet. Es ist meist das Leben Andrer, das plötzlich einen Funken in ein junges Gemüth wirft und sehr zur Unzeit darin Tag werden läßt. Dies ist indeß alles geschehn. Wir können nichts, als größerem Uebel vorbeugen. Stein hätte schon so manches hindern können, wenn er mir und sich selbst mehr vertrauete. Er nimmt das Spiel mit dem halbkindischen Cesario zu hoch, wenigstens giebt er ihm ein zu ernstes Ansehn vor der Welt. Ueberall erscheinen ihm[132] die geringfügigsten Dinge so gewichtig, daß er fast unter ihrer Last erliegt. Ich begreife nur nicht, unterbrach sie hier Luise, warum Ihre Wahl grade auf ihn gefallen ist. Aufrichtig gesagt, erwiederte die Baronin, ich weiß jetzt keinen Beßren. Dem knabenhaften Abentheurer wollen wir sie doch nicht etwa geben? Andrer Unschicklichkeiten der Art nicht zu gedenken. Auch ist Stein im Grunde lenksam, Emilie hat viel Gewalt über ihn, unter meiner Leitung wird sich alles machen. Nur haben wir keine Zeit zu verlieren. In vierzehn Tagen gehe ich auf's Land, Stein muß uns sogleich folgen, und die Hochzeit schnell und still gefeiert werden. Dahin müssen Sie ihn durch die einfachsten und natürlichsten Bewegungsgründe zu führen suchen, die zum Theil in seiner Liebe zu Emilien, zum Theil in der Achtung vor dem äußren Anstand liegen, da er diesen durch die schnelle Beendigung unberufner Gerüchte am sichersten rettet.

Aber Emilie? – fragte Luise.

Nun? entgegnete die Baronin, die hat wohl keine Wahl. Was bleibt ihr noch übrig? Sie wissen wohl am besten, was die Klugheit in solchen Fällen räth. Sie selbst haben, mit mehr Ruhe als ich Ihnen zutraute, durch einen kräftigen Entschluß Ihren erschütterten Ruf wieder hergestellt. Denn mich wollen Sie doch wohl nicht, wie die Welt,[133] überreden, das kaum beruhigte Herz habe sich auf's neue einer großen gewaltigen Neigung überlassen. So etwas liegt außer allen Gränzen der Möglichkeit. Aber Sie handelten weise, und deshalb kann ich auch um so sichrer auf Ihren Beistand rechnen.

Luise hatte nicht Zeit, ein Wort zu erwiedern. Der Wagen hielt vor der Baronin Hause, die Bedienten öffneten den Schlag, und sie mußte ihrer steten Quälerin ohne weiteres in die Gesellschaftszimmer folgen.

Obgleich jene Worte sie recht empfindlich trafen und sie auf's neue in sich verwirrten, so ward sie doch bei Emiliens Anblick von sich auf andere Betrachtungen gezogen. Es mußte sie überraschen, diese ganz vertraut zwischen Cesario und dem Maler, vor einem Tischchen sitzend und mit beiden über vor ihnen liegende Zeichnungen berathschlagend, zu finden. Baron Roll beugte sich zwischen sie durch, und schien seinen Beifall zu bezeigen, indem er mit wohlgefälligem Lächeln seine ausgespreizten Finger auf ein aufgerolltes Blatt drückte, welches der Maler mit beiden Händen sauber hielt und wohl vor weitrer Verletzung sichern wollte. Werner und Auguste standen zur Seite, wie gewöhnlich, in Streit verwickelt.

Als Emilie die Eintretenden bemerkte, schlug sie freudig in die Hände, und ohne ihre Stellung[134] zu verändern, rief sie Luisen zu: geschwind kommen Sie, uns Ihren Rath zu geben. Wir quälen uns schon seit einer Stunde, und kein Mensch bringt etwas Gescheutes heraus. Der Fürst giebt einen Maskenball, und wir sind versammelt, etwas ganz Neues, Ungewöhnliches für den Abend zu ersinnen, denn die Griechen, und Ritter und Genien und Musen sieht man sich nun schon seit lange zum Ueberdruß. Auguste schlug so eben einen Sphärentanz nach alt Aegyptischer Weise vor. Allein weder sie noch irgend Jemand weiß diesen recht eigentlich anzugeben, so wenig wie die ganz frühe Tracht dieses Volkes, denn die Zeichnungen hier, nach einigen Kunstwerken aus der grauen, versteinten Zeit, können doch nicht zu Modellen dienen sollen. Ich würde eher, sagte Werner, Gegenstand und Charakter aus irgend einem bekannten Mährchen der Tausend und eine Nacht vorschlagen. Sinnreiche Erfindungen und Pracht ließen sich so leicht vereinigen. Ach! fiel Emilie ein, dann giebt es wieder Turban und Schleier ohne Ende und das alte Lied wird nur mit Variationen angestimmt.

Was schicken wir dem kurzweiligen Spiel so beschwerliche Berathschlagungen voran, rief Cesario, ungeduldig aufspringend. Ihr faßt ja das Vergnügen so derb an, und dreht und handhabt den flüchtigen Genuß, daß aller Reiz verschwindet. Ob[135] neu oder alt, ob selten oder oft gesehn, die Freude trägtimmer ein frisches, jugendliches Gesicht. Nehme sie jeder, wie sie sich ihm zeigt. Ich für mein Theil halte mich in der komischen Familie meines Vaterlandes, Arlechino altert nie, und Sie Emilie, Sie verlassen mich nicht.

Emilie willigte ein, die Maske der Colombine zu nehmen. Werner verstand sich zu der des Pantalon, und Baron Roll ward ohne weitere Anfrage zum Brighella erwählt.

Bei eigenthümlicher Gewandheit und Laune, sagte der Maler, kann das phantastische Spiel immer neu erscheinen, und zu manchem lustigen Spaß Anlaß geben.

Insbesondere, fiel Werner ein, wenn mehr als eine dieser Familien zugleich aufträten, und so durch stete Verwirrungen und Verwechselungen eigne und fremde Pläne durchkreuzten.

Man fand den Gedanken lustig, ohne ihn gleichwohl festzuhalten. Auguste verwarf ihn ganz und setzte ziemlich trocken hinzu; wenn Ihr Euch alle von den Aegyptern abwendet, so will ich dennoch dem tiefen, geheimnißreichen Volke treu bleiben, und wenn nicht auf alte, doch auf neue Weise. Ich wähle eine Zigeuner-Maske. Hütet Euch. Ich sehe in die Vergangenheit und Zukunft, und werde manches Geheimniß enthüllen. Die Vorstellung[136] des nahen Festes beschäftigte alle angenehm. Viele spielten ihre Rolle schon in Gedanken durch, und diejenigen, welche noch keine Masken gewählt hatten, sannen auf passende und anmuthige Erfindungen. Stein, welcher bis dahin abgewandt in einem entfernten Theil des Zimmers beim Clavier saß, und zwischen den weitläuftigen Verhandlungen und Streitigkeiten manch stilles Liedchen leise sang, trat nun auch zu Luisen, und befragte sie über die Wahl ihrer Maske. Sie war noch unschlüssig, und bat den Obristen, der nicht längst gekommen war, für sie zu entscheiden. Ich weiß nicht, sagte dieser, ob ich Unrecht habe, wenn ich wünsche, Sie in altdeutscher, fürstlicher Tracht zu sehen, sehr einfach, dennoch höchst edel und prächtig, und zwar in einer mehr innerlichen, gediegnen als strahlenden Pracht. Viele würden Sie lieber in den üppigen Orient versetzen, und den glühenden Schimmer des südlichen Himmels um Sie verbreiten; ich glaube selbst, Sie ziehen das Letztere vor, aber die hohe, in sich beschlossene, und eben dadurch gebietende Weiblichkeit liegt doch auch in Ihrer Seele. Ja, was noch mehr ist, macht das Wesentliche derselben aus.

Es ist sonderbar, sagte Luise, in meinen frühern Jahren fanden mehrere meiner Bekannten eine große Aehnlichkeit mit mir und einigen Bildern[137] altnordischer Königinnen, und gleichwohl habe ich eher mit Schauder als Sehnsucht auf jene Zeit zurückgesehn.

Wir sträuben uns oft, erwiederte der Obrist, grade gegen dasjenige, was doch zuletzt Recht über uns behält.

Nun, rief Luise lachend, für den Abend sollen Sie es wenigstens behalten. Ich unterwerfe mich Ihrer Entscheidung.

Wohlan, sagte er, so sind wir beide Ihre Ritter. Ich trug immer ein Schwerdt, und lege es auch im Spiele nicht gern von mir. Werden Sie mir es vergönnen, fragte Stein, fast wehmüthig, wohl als ein überflüssiger, aber doch treuer Diener, meinen Platz an Ihre Seite zu suchen? Luise reichte ihm voll herzlicher Theilnahme die Hand, und alle drei redeten sofort das Nähere mit einander ab.

Als bald darauf die Gesellschaft auseinander ging, vertrauete Auguste Luisen, daß sie fruher, als Werner, einen ähnlichen Gedanken gehegt habe, und gesonnen sei, zuerst zwar als Zigeunerin, sodann aber als eine zweite Colombine aufzutreten, und dem Liebespaar und seinen Helfershelfern manchen hinterlistigen Streich zu spielen. Luise mißtrauete überall ihren Absichten, und konnte auch an dieser Neckerei keinen Gefallen finden, über die sie weiter[138] nicht redeten, sondern von da an, ein jedes nur mit eigenen Einrichtungen beschäftigt blieben. Frau von Seckingen allein war durch nichts zur Theilnahme an dem Feste zu bewegen. Sie scheue, sagte sie, die freigegebene, ungebundene Fröhlichkeit. Wo alle Rücksichten schwänden, träte die unbewachte Individualität oft abstoßend hervor, und das sei gefährlich für diejenigen, die nur ein bestimmtes, lang gehegtes und gepflegtes Bild festhalten möchten. Es sei nicht das erstemal, fuhr sie fort, daß dergleichen Festlichkeiten Entdeckungen veranlaßten, welche ein ruhiges Verhältniß aufgelöst und Menschen getrennt hätten, welche durch diese Trennung um nichts besser geworden wären. Ihr sei es nothwendig, nur das für wahr zu halten was nach höhern Gesetzen wahr sein müßte, und sich so wenig als möglich darum zu bekümmern, was unter äußren Bedingungen sich als bestehend erweise, und für die Welt allein Wirklichkeit habe. Luise verstand sie wohl, und drang nicht weiter in sie, ohnerachtet sie solche ängstigende Sicherstellung als den wahren Tod und den eigentlichen Gegensatz aller Liebe ansahe.

Am Vorabend des Balles trat der Obrist ungewöhnlich spät in Luisens Zimmer. Sie saß am Stickrahmen, und war noch mit einer Arbeit für den folgenden Tag beschäftigt, als er sich zu ihr setzte,[139] und nachdem er eine Zeitlang die Sauberkeit und den Fleiß des kleinen Kunstwerks bewundert und schweigend beobachtet hatte, wie lange die geschäftigen Finger den Faden hin und wieder lenken müssen, ehe nur der hundertste Theil des Ganzen kenntlich hervortrete, rief er fast ungeduldig: Welch mühseliges Vorbereiten zu dem flüchtigen Genuß! Aber, fuhr er fort, das scheint wohl auch nur so. Für Sie ist es wirklich nicht mühevoll. Sie haben bei jedem Stich das Ganze vor Augen, und leben so den Augenblick tausendfältig, den Sie sich erst schaffen wollen. Warum ist das nicht im Großen wie im Kleinen. Wie leicht vergessen wir bei einem sauern Gange das Ziel, wohin er führt! Und ist nicht am Ende das ganze Leben ein solcher Gang, den wir uns recht eigentlich erschweren, da wir gewöhnlich nur auf die nächsten Schritte vor uns sehen?

Was macht Sie denn heut so ungewöhnlich ernst? fragte Luise. Ich verstehe Sie nicht, lieber Freund! Die lustige Spielerei will kein so trübes Gesicht.

Er beugte sich schweigend auf ihre Hand, die nachlässig mit den goldnen Fädchen der Stickerei spielte. Wie denn? sagte sie ernster, ist das nicht bloß Zufall? lieber, lieber Freund, ist Ihnen etwas begegnet? haben Sie Kummer?[140]

Ja wohl, rief er sehr bewegt, ja wohl, ich habe Kummer! ach meine Luise! Sie sollten mich nicht so schwach sehen. Der Mann muß dem Verhängniß fest entgegentreten. Ich werde mich auch sogleich wiederfinden. Ihr lieber freudiger Blick fiel nur so zerreißend in meine bewegte Brust. Ich wollte Ihnen heute, auch morgen, noch nichts sagen, und nun überrascht mich das so. Vergeben Sie mir, Luise. O um's Himmels Willen, unterbrach sie ihn, nur geschwind, was ist es denn, was kann es denn sein!

Ein Befehl meines Hofes ist es, entgegnete er, der mich, da mein Geschäft hier so weit eingeleitet ist, um es einem Andren zu übertragen, nach Petersburg zurückruft, und zu einer neuen Mission nach Persien vorbereitet.

Beide schwiegen eine Weile. Mir bleibt nichts übrig, als zu gehorchen, fuhr er sodann fort. Ich gehöre meinem Vaterlande, und darf mich ihm auf keine Weise entziehn.

Nun, fiel Luise schnell ein, warum erschrecken wir denn auch! Was hindert uns dennoch, ungetrennt zu bleiben? Ich folge Ihnen, wohin Ihr Beruf Sie führt. Das wollten Sie, Luise? fragte er gerührt, das könnten Sie wollen? So großes Opfer dürfte Ihr Freund kaum annehmen.

Lieber, unterbrach sie ihn, wie nennen Sie[141] nur ein Opfer, was so natürlich ist, und kaum einer Ueberlegung bedarf, da ich ohne Schmerz ein Vaterland hinter mir lasse, das nichts als trübe Erinnrungen einschließt.

Er drückte freudig ihre beiden Hände an sein Herz. Ich habe das nicht glauben, ich habe es nicht hoffen mögen! rief er; und nun – gewiß, in der Liebe wird den Frauen eine Kraft und ein Wille, der den Glauben der Männer weit überfliegt. Aber wenn nun fremde Sitten, wunderliche, ungewohnte Erscheinungen, plötzlich eine Scheidewand zwischen Ihnen und die heimathliche, befreundete Welt ziehen, meine Luise, werden Sie immer an diesem Herzen Trost und Ersatz suchen?

Sie sagte ihm darauf recht wahr und zuversichtlich, wie sie es empfand, daß sie in seiner Nähe allein noch Ruhe und Schutz gegen oft erwachende, innre Störungen finden könne, daß seine Milde und Klarheit keinen Zweifel und keine Besorgniß in ihr aufkommen lasse, und die Zukunft sich recht hell vor ihr ausdehne.

So innig und durcheinander beruhigt, mit dem festem Blick auf ein vereint heitres Leben, schickten sie sich beide zu dem Feste des kommenden Tages an, und theilten recht freudig die allgemein empfundene Lust.

Sorgfältig und höchst edel gekleidet, traten sie[142] zur bestimmten Zeit in die vielfach gemischte Welt. Ein wunderliches Grauen überfiel Luisen, als die schwirrenden, lispelnden Töne aus den starren Lippen zu ihr hindrangen. Die größere Beweglichkeit der Gestalten und der Tod auf ihren Gesichtern, hatte etwas so Widriges für sie, daß sie kaum die gaukelnden Neckereien des zierlichen Arlechino bemerken, noch die Pracht anderer Erscheinungen gehörig würdigen konnte. Die Zigeunerin streifte an ihr vorbei, und Cesarios Hand fassend, sagte sie mit komischer Geberde:


Ich sage Dir wahr,

Mein Auge ist klar,

Der Trug liegt versteckt,

Ich hab' ihn entdeckt.


Drum leih' mir Dein Ohr,

Und sieh' Dich wohl vor,

Wenn Dirs geglückt,

Bist Du berückt.


Was Du umfaßt,

Es wird Dir zur Last,

Neckt Dich und quält,

Wie Du 's erwählt.


Euch allen droht List.

In kürzerer Frist

Als Ihr's erwogen,

Seid Ihr betrogen.
[143]

Es drängten sich mehrere Masken dazwischen. Luise sah nur die verworrene Menge hin und her wogen und ward gedankenlos mit fortgerissen. In dem wachsenden Gedränge lispelte eine Stimme dicht an ihr Ohr: Hat die Büßende in dem Treibhause Blumen für Julius Grab gesammelt; oder will sie sich mit neuen Myrthen schmücken? Sie wandte sich erschrocken nach der Seite des Sprechenden, ein dichter Haufe schwarzer Dominos arbeitete sich durcheinander hin, Cesario stand in einer entfernten Loge und sah der lustigen Verwirrung eine Weile müßig zu. Lassen Sie uns dem Magier dort näher treten, sagte Stein, ich wette, es ist der Maler. Luise sah überall nur den ungeschmückten Grabhügel und jene fremde Hand, die sie so frostig darauf hinwies. Stein hatte indeß den Magier angeredet und ihn befragt: ob er ihm die Tiefen seines verworrenen Schicksals aufdecken wolle. Das Furchtbarste, erwiederte eine dumpfe Stimme, faßt Dich schon mit beiden Händen, das Gefürchtete ist ein Unding. Ein neuer Strom eindringender Masken drängte sie auseinander. Das Spiel, sagte der Obrist, wird immer bunter und lustiger, recht nach Masken-Weise, dort treibt Arlechino auf's neue sein tolles Wesen; horen wir doch, was der Magier Colombinen sagt, sie nahen jetzt einander. Niemals! rief der prophetische Alte[144] der Kleinen zu, niemals findest Du, was Du hier suchst, aber der Dich sucht, wird Dich finden. Wir suchen einander wohl nicht, sagte Cesario, Stein vertraulich unter den Arm fassend. Aber lassen Sie uns unter der sichtbaren Maske, die uns das fremde Spiel giebt, jene unsichtbare abwerfen, die wir uns selbst gaben, ich wette, wir werden auf der Stelle die besten Freunde. Für jetzt, erwiederte Stein, haben wir nur den Charakter festzuhalten, den uns das Spiel vorzeichnet, der meinige ist trockner Ernst, der Ihrige, possenhafte Thorheit. Mein guter Ritter! rief Arlechino, Ihr Ernst ist die tollste Posse von der Welt, und dient mir zu dem lustigsten Spaß. Steins Worte fielen von da an immer gewichtiger, Cesarios leichter, höhnender, und wurden eben daher aufs höchste verletzend; er hatte sich recht muthwillig in das eigne Netz verstrickt, sein Gegner hielt ihn unerbittlich fest, und forderte die strengste Genugthuung. Arlechino sah mit komischer Gebehrde auf sein hölzernes Schwerdt, und bat Brighella um Beistand. Der Obrist wollte sich verdrüßlich von dem ungleichen Streit abwenden, allein sie befanden sich alle in einer Ecke des Saals zusammen gepreßt, Niemand konnte einen Schritt weichen. Auf morgen! rief Stein in großer Erbitterung. Was beginnst Du, sagte eine schwarze Maske, Arlechino bei der Hand fassend; welche neue[145] Unbesonnenheit, Francesca! Jesus Maria! Fernando! rief diese, Du hier! Er hatte die Larve abgenommen, und sah mit unbeschreiblicher Anmuth um sich her. Der vermeinte Cesario, sagte er lächelnd, ist ein schönes Mädchen, das die Tapferkeit mehr liebt, als besitzt; ich denke, Sie befreien das arme Herz gern von der Angst, die so viel Uebermuth muthlos macht. So steht das Spiel? sagte Stein; das ändert freilich alles. Sie haben Recht; was kann ich anders wollen, als in des Herzens Qual meine Rache finden. Er sah Emilien scharf an, die sich an den Magier lehnte und von ihm fortgezogen ward. Das Schattenbild Cesario verschwindet nun, sagte Arlechino, zürne niemand der armen Francesca. Stein verlor sich unter die Menge. Es ward plötzlich leer um Luisen, nur Fernando stand, mit fest auf sie gerichteten Blicken, vor ihr, und schien jeden ihrer Gedanken zu bewachen. Der Obrist fühlte ihre Hand in der seinen zittern. Lassen Sie uns eilen, sagte er leise, die sonderbare Verwirrung übt ihre Gewalt über uns alle. Ja wohl, ja wohl, erwiederte sie zerstreut. Aber es ist ja ohnehin zu Ende; nicht wahr? es ist alles vorbei. Ich glaube, sagte er bewegt, darum lassen Sie uns gehn.

Am Ausgange stießen sie auf Werner, der Augusten als Colombine, ohne sie zu kennen, führte.[146] Der Spaß flüsterte diese Luisen zu, ist über Erwarten gelungen. Ich bin hinter die lustigsten Geheimnisse gekommen. Jetzt führt er mich zur Baronin, die wir vergebens im ganzen Saale suchten. Dort muß sich nothwendig alles aufklären. Ich denke, ich habe sie allesammt gehörig angeführt.

Mehrere Masken traten zwischen sie. Gute Nacht, meine Luise, sagte eine bekannte Stimme kaum hörbar, ja mein, wie Du Dich und mich und die Welt auch bethörst. Wir treffen einander wohl wieder, und Du bekennst mir, wogegen Du Dich jetzt vergebens sträubst.

Luise stürzte in ihren Wagen, ohne sich umzusehn, ja, ohne des Obristen freundliches Lebewohl zu erwiedern.

Es war tief in der Nacht, als sie in ihr Zimmer trat. Mariane war eingeschlafen, die Lichter brannten trübe, und warfen einen unsichren Schein umher. Sie ging, ohne sich umzukleiden, in großer Bewegung auf und ab, ihr ganzes Wesen war im heftigsten Aufruhr, eine nie gefühlte Verzweiflung lehnte sich plötzlich gegen das Feindliche ihres Schicksals auf Ihr ganzes Leben trat in gedrängten, entscheidenden Momenten vor sie hin. Welt und Menschen, alles schien nur da, um sie und das was sie liebte, in's Verderben zu stürzen. Von ungefähr fiel ihr Blick in einen Spiegel. Sie erschrak[147] vor sich selbst. Die fremde, veraltete Tracht, ihr bleiches, fast verzognes, Gesicht rief ihr das Bild der Ahnfrau vom Falkenstein zurück. Je mehr sie hinsah, je deutlicher glaubte sie alle Züge zu erkennen. Ha! rief sie, ich bin die Letzte des verloschnen Namens! soll ich büßen, was jene verbrach, und so die Schuld lösen? Da stand es klar, wie von höherer Macht gesprochen, vor ihrer Seele: so ist es, kinderlos, ohne Liebe, in Reue über das Vergangene; fern von jeder Hoffnung für die Zukunft, sollst Du eigne und fremde That büßen. Entsage freiwillig, denn Du begehrst vergebens, was Dir Dein Schicksal verweigert. So ist es, ja so ist es, wiederholte sie mehrmals. Alle Fäden der Hoffnung waren zerschnitten. Das Unabänderliche senkte sich tief in ihr Innres. Niemals, das fühlte sie, konnte sie in der Verwirrung des Lebens Ruhe finden vor der feindlichen Gewalt, die sichtbar und unsichtbar nach ihr griff, und alle Blüthen eines kaum erschloßnen Daseins höhnend zerstörte. Und hat er denn nicht Recht? sagte sie. Bethöre ich mich nicht selbst? Was ist es denn, was mich in ihm erschreckt und zusammenwirft, wie das zagende Verbrechen, wenn es nicht die unselige Liebe ist, die wie ein Fluch auf mir liegt. Die erdrückt nun und zertritt die letzte Hoffnung. Alles, alles ist vorbei. Ich muß dem höhern Rufe folgen.[148]

Sie sah den Gedanken so lange und fest an, bis er sie durchleuchtete wie ein stiller Tag, in welchem kein Wechsel ist und kein Schmerz. Aus der vollesten innren Ueberzeugung erwuchs ihr Wille und Kraft. Sie übersah die Zukunft mit festem Blick. Nichts konnte sich ändern, nichts den Schluß des Schicksals nach eigner Willkühr lenken. Alles blieb wie es war, bis an das Ende ihrer Tage; aber da trat der Tod wie ein seliger Engel zu ihr und drückte ihr die müden Augen zu, die nicht länger aus ihren dunklen Hölen sahen, sondern den Blick nach innen richteten, wo sich eine wundervolle Welt voll nie geahndeter Herrlichkeiten aufthat. Sie sah das alles wirklich und versank in höchster Entzückung, halb schlummernd, in die heiligen Tiefen des Unsichtbaren.

Als sie erwachte, war es Tag geworden. Die Lichte brannten nicht mehr. In den Gassen lebt' es und regte sich's wieder. Mariane war auch munter geworden, und räumte im Zimmer umher. Allein die Erinnrung jener Seligkeit war ihr so lebhaft geblieben; sie glaubte so fest an eine höhere Offenbarung, die sie in der Stille der Nacht wahrhaft empfangen habe, daß das erwachende Leben sie nicht stören konnte. Und als sie nun gezwungen war, auf's neue in dasselbe mit einzugreifen und sich um das nächste Aeußre zu bekümmern, ward ihr Vorsatz[149] nur noch fester. Ohne sich grade ängstlich zu drängen und zu treiben, sah sie ruhig alles kommen, wie es nun kommen mußte.

Ein Billet der Baronin war das Erste, was sie an die tausendfältigen Verwirrungen der Welt erinnerte. Diese schrieb ihr:

»Ich könnte besorgt wegen Emilien sein, wenn ich nicht voraussetzte, daß sie meiner ruhigen Vernunft traute, und allenfalls darauf hin eine Unbesonnenheit wagen zu dürfen glaubt. Sie ist noch nicht zu mir zurückgekehrt. Wahrscheinlich ist sie bei Ihnen und Augusten. Ich bitte Sie, mir darüber Auskunft zu geben, so wie über die Veranlassung ihres Wegbleibens. Auf jeden Fall soll sie meine Mißbilligung fühlen. Sagen Sie ihr das, ich ersuche Sie darum.«

Luise erinnerte sich jetzt erst an Augustens letzte Worte, und wie sie gesonnen gewesen sei, zu der Baronin zu fahren, wo sich die ganze Verwicklung auflösen sollte. Sie begriff nicht, was sie daran verhindert und zugleich bewogen habe, Emilien bei sich zu behalten. Sie wollte zu ihr gehn, um sie deshalb zu befragen, als ihr Mariane sagte, daß die Leute im Hause ihre Herrschaft vergeblich bis jetzt erwarteten, und Niemand wisse, was er er davon denken solle. In großer Besorgniß schrieb daher Luise der Baronin, was sie selbst durch Augusten[150] erfahren hatte, und wie sie diese noch zuletzt an Werners Arm auf dem Wege zu ihr gesprochen habe, weshalb man bei Werner allein die nöthigen Erkundigungen einziehen könne. Von Emilien aber wisse sie nichts, und begreife ihr Verschwinden so wenig wie das von Augusten.

Nach einigen Stunden trat Stein bleich und zerstört in Luisens Zimmer. Eine ungeheure Thorheit oder Niederträchtigkeit, rief er, ist in dieser Nacht vorgefallen. Werner, der Maler, Emilie und Auguste, alle sind fort! Alle Nachforschungen sind vergeblich, Niemand will etwas von ihnen wissen. Ich komme sogar von Francesca. Sie schwört, der ganze Handel sei ihr fremd. Sie habe wohl den Maler in Italien gekannt, und ihn deshalb hier in ihr Interesse ziehn müssen, ohne gleichwohl seine weiteren Verbindungen und Pläne zu kennen. Geschienen habe es ihr freilich, als liebe er Emilien, und trachte im Stillen, seinen Wünschen nachzugehn, auch Emilien sei oft etwas Aehnliches entfallen, doch könne sie das alles auf keine Weise verbürgen. Luise konnte ihm nicht länger verhehlen, was sie selbst darüber wußte. Dennoch sahen beide nicht, wie das Ganze zusammenhing, besonders, in wie weit Werner und Auguste darin verwickelt waren. Was suchen wir, sagte Stein, den Grund einer Thorheit auf, die so grundlos in[151] sich selbst ist, daß sie, wie sie entstanden, auch zerfällt. Ich wende mich auf immer von dem verächtlichen Spiel, und lasse sie sich wechselseitig verderben.

In dem Augenblicke fuhr die Baronin, in einem völlig gepackten Reisewagen, vor das Haus. Sie kam auf wenige Augenblicke zu Luisen, und kündigte ihr an, daß sie im Begriff sei, auf ihr Landgut zu gehn. Es sei dies ein Mittel, das Gerede der Welt zu verwirren, und eben dadurch in den Augen der Meisten unzuverlässig zu machen. Durch ihre Abreise gewinne es das Ansehn, als habe sie die fehlenden Personen begleitet. Wenigstens würden das Manche glauben, und ehe man der Sache auf den Grund käme, wäre wohl alles längst schon im alten Gleise. Und Sie, Herr von Stein, setzte sie hinzu, gewinnen auch dadurch Muße, ihre Nachforschungen geheim und mit möglichster Schonung zu betreiben. Ich möchte ungern weiter forschen, erwiederte dieser. Gönnen Sie mir meine Unwissenheit. Ich fürchte, gnädige Frau, Sie wünschen sie sich auch in Kurzem zurück. Die Baronin lief Gefahr, alle Fassung zu verlieren. Stein faßte sanft ihre Hand. Es ist so leicht, sagte er, daß mir jetzt ein verletzendes Wort entfällt, und ich würde mir es nicht verzeihen, Sie gekränkt zu haben. Lassen Sie uns daher nicht weiter über[152] einen Gegenstand reden, der mir fremd bleiben soll, fremd bleiben muß. Zum erstenmal sah Luise Thränen in der Baronin Auge. Sie suchte sie zu verbergen, konnte sich dennoch einer großen Rührung nicht erwähren, als sie Luisen umarmte, und nun so allein und verlassen zu dem geräumigen Wagen ging, und den leergebliebenen Platz neben sich betrachtete. Stein konnte lange das Bild der gedemüthigten, schwer gekränkten Mutter nicht los werden. Er kämpfte mit sich, ob er ihr nicht nacheilen, und ihr wenigstens seinen Beistand zusichern solle. Allein er fühlte bald, daß er sich in nichts einlassen dürfe, und nur eilen müsse, sich der nachtheiligen Erinnerungen zu entschlagen.

Der Obrist trat bald darauf hinein, wodurch das Gespräch auf's neue auf die unerklärliche Begebenheit dieser Nacht gelenkt ward. Roll hatte die Geschichte, welche er von den Leuten der Baronin sehr zeitig erfuhr, mit großer Geschäftigkeit herumgetragen, und hinzugesetzt, die Familie sei gesonnen, Augusten, als Urheberin des Complots, öffentlich zu zitiren. Unbegreiflich, setzte der Obrist hinzu, sei es jedermann, welches Augustens Theilnahme an dieser Sache sei, die völlig ihrer Art zu denken widerspräche. Ein Mißverständniß, erwiederte Luise, kann ihr allein nur ein so böses Spiel bereitet, und sie unwillkührlich fortgezogen[153] haben. Freilich, fügte sie hinzu, wird es ihr schwer sein, wieder einzulenken, da es so weit gekommen ist.

Es ist überall mißlich mit dem Einlenken, erwiederte Stein.

Wenn man die Nothwendigkeit davon einsieht, sagte Luise, muß es dennoch geschehn.

Was ist aber so absolut nothwendig, fragte jener?

Das Würdige allein, erwiederte sie, was jedem auf seine Weise zu thun geziemt. Sagen Sie mir, beginnt das Verhängniß eines Menschen erst mit seiner Geburt? oder ist es nicht vielmehr in einer Reihe vor und nach ihm lebender Wesen begründet, mit denen es sich in die Unendlichkeit fortschlingt? Gewiß, sagte der Obrist, der Punkt, auf dem ein jeder von uns steht, ist kein zufälliger, sondern durch die Natur seines und des Daseins aller genau bestimmt.

Und ein Schritt über oder unter diesen Punkt, fiel Luise schnell ein, verwirrt uns und andre. Und ist es denn nun nicht die höchste Freiheit, wenn wir uns mit Besonnenheit, und dadurch aus eigner Wahl dahin stellen, wohin uns unentgehbare Ereignisse, nach einem zerrissenen, verpfuschten Leben, zurückwerfen?

Der Obrist betrachtete sie forschend, während sie einen Augenblick gedankenvoll in sich zurücksah.[154] Was gewinnen wir, fuhr sie nach einer Weile fort, wenn wir uns so viel und mancherlei überreden, und einen Wahn pflegen, den wir zuletzt mit aller Anstrengung nicht festhalten können; was bleibt uns anders, als ein wehmüthiger Blick auf ein verfehltes Streben?

Ja wohl, ja wohl! sagte Stein erschüttert. Dennoch greifen die Elemente unsers Daseins oft so wunderbar in einer Brust zusammen, und mischen und gestalten sich so verschieden, daß ihr Wesen nicht immer sogleich zu verstehn ist. Deshalb tadle Niemand die stillen Kämpfe eines vielfach gestörten Gemüthes, ehe es durch sich selbst erfährt, was es kann und soll.

Er reichte beiden die Hand, und verließ in großer Bewegung das Zimmer.

Muß ich meinem Gefühle trauen, Luise, fragte der Obrist, habe ich sie verstanden?

Niemand, erwiederte sie, kann weniger in Zweifel über mich sein, als Sie. Ja, Sie verstanden mich gewiß. Ach! Sie fühlen es auch, ich darf nicht glücklich sein wollen.

Und ich? fragte er. – Sie werden es nicht bereuen, entgegnete sie, eine Freundin gesucht und gefunden zu haben. Glauben Sie mir, wir waren einander nie näher, als in diesem Augenblick, wo ich Ihnen aus voller Ueberzeugung sage, daß ich[155] meinen Weg allein gehn muß. Mein edler Freund, es muß, gewiß, es muß so sein!

Das ist es nun also, sagte er sinnend. Es lag dunkel in meiner Seele. Nun ist es ausgesprochen. Ja, Sie haben Recht, es muß so sein. Wie wunderbar, daß uns die Wahrheit so nahe liegt, ohne daß wir sie sehen mögen! Und gleichwohl ist es schön, daß uns ihr unerwartetes Erscheinen jetzt nicht erschreckt. Nein, Sie sollen mich nicht kleiner sehen, als Sie es erwarteten. Ihr Muth, der nicht Leichtsinn ist und nicht Verzweiflung, hebt mich zu Ihnen hinauf. Und wer muß denn nicht am Ende die liebsten Wünsche unter die Trümmer seiner Hoffnungen begraben? Aber wenn Sie nun so alles von sich gedrängt haben, Liebe, und jeden freudigen Genuß des vielfach gestalteten Lebens, was erwarten Sie denn noch von diesem Leben?

Innre Stille – erwiederte Luise. – Und erschrecken Sie nicht vor dieser Grabesstille? fragte er, sie mitleidsvoll betrachtend. Luise, wenn Sie sich täuschten, wenn Sie so um so sichrer Ihre Bestimmung verfehlen. – Lieber Freund, unterbrach sie ihn, die ist verfehlt, und kann nur auf dem umgekehrten Wege wieder errungen werden. In dem Leben der Frauen muß alles den einfachsten, ruhigsten Gang gehen. Weder große Kämpfe noch heftige Leidenschaften dürfen es verwirren,[156] sonst geht die Richtung verloren, die in scheinbarer Beschränktheit das Herrlichste erzielt. Wie die Gestirne ihre abgeschloßnen Bahnen still vollenden, so muß der Kreislauf weiblicher Wirksamkeit nach einem ewigen Gesetz gleichmäßig fortlaufen, die innre, oder Schattenseite des Lebens beschreiben, und nur unsichtbar in die mannigfache Gestaltung der Dinge eingreifen. Wie das Fremdartige sie zu nahe berührt, ist dieser ruhige Lauf unterbrochen, und sie schwanken und fassen nach dem verlornen Gleichgewicht umher, das sie nur in dem freiwilligen Hingeben alles dessen, was ihnen nicht mehr gehört, wiederfinden. In der Liebe geht den Frauen der Himmel auf. Wo diese aber mit der Natur in Streit ist, da müssen die bethörten Herzen in Reue und Buße erst den Himmel und in ihm die Liebe suchen. Das ist so wahr, fuhr sie lebhaft fort, das habe ich in dieser Nacht durch höhere Eingebung erfahren, und das steht nun so fest in meiner Seele, daß ich eher sterben, als es verleugnen könnte. O glauben Sie mir, es giebt Ahndungen, die unser dunkles Dasein durchblitzen, die wir festhalten, denen wir unbedingt folgen müssen.

Sie redeten von da an sehr klar und bestimmt über ihre beiderseitige Zukunft. Der Obrist versicherte, es könne ihr Entschluß ihn nicht abhalten,[157] sie sobald als möglich wieder aufzusuchen. Weshalb, sagte sie, sollten wir einander auch fliehen? Der Friede, der in dieser Stunde über uns kommt, der kommt von Gott, der gründet sein stilles Reich in ewiger, heiliger Erinnrung. Ich werde Ihr liebes Auge nie vergessen, das so mild und schonend in mein gestörtes Innre blickte.

Als sie sich am Abend von einander trennten, wandte sich der Ob ist noch einmal zu Luisen, und sie mit festem Blicke betrachtend, sagte er: nicht wahr, meine Freundin, es muß so sein! Ja Lieber, entgegnete sie bewegt. Lassen Sie uns auf das innre Wort achten, und es durch ein treues, wahrhaftes Leben aussprechen.

Am folgenden Tage kam Frau von Seckingen zu Luisen. Ihre verweinten Augen und die zitternde Stimme bestätigten dieser, was sie geahndet. Er ist fort? fragte sie. Ja, rief Sophie mit verhülltem Gesicht, und Du hast ihn einer Grille wegen hingegeben, von Dir gestoßen; hätte er Dich doch nie gesehen! So sagte er nicht, erwiederte Luise sanft, er kennt mich besser. O nenne keine Grille, was mein ganzes Wesen so lebhaft und dringend heischt! Und wie mißverstehst Du mich denn? Kannst Du verkennen, was eine nähere Verbindung zwischen uns unmöglich macht? Siehst Du nicht, wie ein früherer Eindruck jeden stillen Genuß meines[158] Lebens vergiftet! Soll ich die Ruhe des edelsten Herzen einem Ungefähr, einem zufälligen Zusammentreffen mit dem Erbfeinde meines Glückes aussetzen? O Du solltest gerechter sein!

Ich bin nicht unbillig, erwiederte Sophie. Ich finde Dich nur inconsequent. Liebst Du jenen, warum verkennst Du den Wink der Natur, warum zögerst Du? – Die Natur ist ewig, unterbrach sie Luise, vergiß es nicht, daß ihr Reich nicht allein von dieser Welt ist. Was hier die Nothwendigkeit versagt, erringt dort die Freiheit wieder! Hier tritt Julius Schatten zwischen mir und ihn. Und dennoch liebst Du ihn? fragte Sophie. Ja, ach Gott ja, ich liebe ihn. Eine unbegreifliche Gewalt zieht mich zu ihm hin; ich weiß nicht, woher? ich weiß nicht weshalb? aber es ist so, und dennoch dürfen die unsichtbaren Bande nicht sichtbar werden, ja ich muß streben, so viel an mir ist, sie zu zerreißen. Dann sind alle versöhnt, dann ruhen die Leiber in ihren Gräbern, und alle seligen Geister freuen sich des Lichtes.

Frau von Seckingen sah sie fremd an. Du schwärmst, Luise, sagte sie, gewiß Du hättest besser gethan, Dich einem sichren Führer auf der einfachen Straße des Lebens anzuvertrauen, als auf eine so unnatürliche Höhe allein hinaufzusteigen.

Luise fühlte, daß sie ihr nichts erwiedern könne.[159] Sie versuchte noch einigemal, von dem Obristen zu reden; allein Sophie wich ihr verstimmt aus, und sie schieden zum erstenmal, jedes in sich zurückgedrängt und entfremdet.

Sie erkaltet wohl nun auch, sagte Luise betrübt. Sie hat eine Andre in mir, nur um des Bruders Willen, geliebt. So fällt eines nach dem Andren ab, und zerstreut sich in einem Leben, das ich fliehen muß. Sie lehnte sich gedankenvoll an's Fenster, und sah dem wegrollendem Wagen nach, als Fernando, in reicher Uniform, an Francescas Seite vorüber ritt. Er redete mit dieser, und blickte auf zu Luisen, welche schnell zurücktrat. So hatte sie beide in Julius frühester Schilderung zuerst gesehen. Das war das erste Bild, das sich von beiden in ihre Seele drückte. Der Kreis ihres damals beginnenden Lebens schien nun geschlossen. Jetzt wie damals ging er, einer Erscheinung gleich, an ihr vorüber. Von nun an, sagte sie, will ich ihn nicht wieder sehen. Sie wußte durch den Obristen, daß er französischer Offizier, und nicht aus eignem Triebe, sondern in Aufträgen, in der Residenz war. Sie beschloß, diese so schnell als möglich zu verlassen, und sich für immer in den dichten Mauern des Falkensteins vor jeder neuen Störung zu bewahren.

Noch am selben Abend ward ihr Minchens Ankunft gemeldet. Diese kam, sie von des Onkels Tod[160] zu benachrichtigen, und sich sodann bei der einzigen Verwandtin ihrer Mutter hier in der Stadt aufzuhalten.

Liebes Kind, sagte ihr Luise, wir sind wohl beide mit unsren Anforderungen an die Welt fertig. Wir bleiben nun zusammen, und flechten, wie ehemals, Veilchen- und Cyanenkränze, und lassen sie nun über Julius stilles Grab in den Zweigen spielen. Das bescheidene Mädchen hatte nie so große Hoffnungen gehegt, und ähnliche auffliegende Wünsche schnell unterdrückt. In großer Rührung fühlte sie sich jetzt zu der Jugendgespielin hingezogen, die ihr so liebreichen Schutz anbot. Luise aber sah in das bleiche Gesicht ihrer neuen Gefährtin, wie in den Mond, der eine stille Winternacht erhellet. Der flüchtige Tagesschein ihres jungen Lebens war beiden untergegangen. Wünsche und Erwartungen, ruheten in dem heiligen Schooß des innren Daseins, aus welchem späterhin der neue Morgen hervorgehen soll; aber Minchens Blick und Gruß rührte die stille Nacht an, und warf einen milden Silberschein über die schlafende Welt, die nun in Erinnerungen fortträumte, und ihr innigstes Leben nicht verbergen konnte.

Noch vor ihrer Abreise erhielt Luise folgenden Brief von Augusten:

»Ich müßte verzweifeln, wenn sich der Mensch[161] überall selbst verlieren könnte. Aber das drückendste im Leben ist, sich zu kleinen Zwecken in fremder Willkühr gehalten zu sehn.

Sie kennen meine schuldlose Spielerei an jenem Abend. Wem das Böse fremd ist, der ahndet es auch da nicht, wo es ihm ganz nahe tritt. Ich begegnete Ihnen, in der Absicht, mit Werner zur Baronin zu fahren. Die Nacht war dunkel, keine Laternen brannten mehr in den Straßen, mein Begleiter unterhielt mich mit großer Lebhaftigkeit, und verwickelte sich immer mehr durch neue Entdeckungen, an denen ich mich dergestalt ergötzte, daß es mir entging, als wir aus dem Thore auf abgelegenem Wege fuhren. Endlich hielt der Wagen. Ich sah der Entdeckung mit großer Lust entgegen, als der Maler an den Schlag trat, und ungeduldig rief: schnell Werner, wir haben keine Zeit zu verlieren. Dieser bot mir den Arm, und ohnerachtet mich jene Worte befremdeten, so stieg ich dennoch in der Erwartung aus, die Sache nun beendigt zu sehn. Es war so dunkel, daß man keine Hand vor Augen sahe. Geschwind, geschwind, rief der Maler auf's neue. Nun, erwiederte Werner, mich zu ihm führend, mäßigen Sie Ihre Ungeduld, da ist sie. Was zum Teufel, schrie jener, noch Eine! Noch Eine –? fragte Werner bestürzt. Nun ja, sagte[162] der Maler, Emilie ist dort im andern Wagen. Wir haben uns vollkommen verständigt. Sie willigt in Alles. Ich hatte die Maske abgenommen, und sagte mit meiner natürlichen Stimme: Erschrecken Sie nicht, Herr Werner, ich habe nur Ihren Gedanken ausgeführt, und als zweite Colombine Ihre Pläne und Absichten durchkreuzt! Auguste! riefen beide zugleich! – Das ist eine schöne Geschichte, sagte Werner, unmäßig lachend. Ja, gnädige Frau, fuhr er fort, Sie erinnern sich, daß ich ein gegenseitiges Durchkreuzen der Pläne beabsichtigte. Dem sind Sie nun hülfreichst entgegen gekommen. Wir sind Alle in demselben Gewebe gefangen. Sie dürfen wir nicht freilassen. Sie müssen uns nun schon weiter begleiten, da Sie einmal bis hieher kamen. Sie wollten uns anführen, wir müssen Sie entführen, und zwar nach Italien, wohin unser Weg geht. Ich schrie bei diesen Worten aus Leibeskräften um Hülfe, allein beide Männer faßten mich unter die Arme, und schleppten mich in den Wagen, der, ehe ich mich besinnen konnte, unaufhaltsam fortrollte.

So führten sie mich nun, von Station zu Station, wie eine Gefangene, aus Furcht, daß ich sie verrathen werde, mit sich fort. Heute, da Emilie des Malers Frau geworden ist, und sie[163] überdem einen großen Vorsprung gewonnen haben, hat man mir erlaubt, zu schreiben, weil es mir unmöglich ist, ohne Geld allein zurück zu kehren. Ich bin durch Noth an diese elende Seelen gebunden, die durch Betrug erringen, was der kühne Sinn in offner That erzwungen hätte. Eilen Sie daher, mir durch meinen Sachwalter Geld nach Venedig zu schicken, von wo aus der Maler verspricht, es in meine Hände zu besorgen, da er mir weder über die Richtung unseres Weges, noch über den Ort unseres Aufenthalts, etwas Näheres sagen will.

Emilie ist kindisch mit allem Neuen was sie sieht, beschäftigt, und hofft nach einem Jahre auf die Verzeihung und Einwilligung ihrer Eltern.

Ich gönne ihr diese Hoffnung, von der es mir übrigens gleich ist, ob sie erfüllt wird, oder nicht, da sie in sich nichts bedeutet. Ganz anders beschäftigt mich meine Rückkehr, die ich Sie, so sehr als möglich, zu beschleunigen bitte.«

Luise besorgte den erhaltenen Auftrag, und sandte Stein sodann diesen Brief, der mit kalter Hand jede Erinnerung an Emilien niederschlug.

Ohne jene oft empfundene Scheu, in einer Art seeligem Erwarten, hatte Luise ihre Reise angetreten und zurückgelegt. Tage und Wochen waren ihr auf dem Falkensteine verflossen, mit dessen einsamen[164] Schauern sie sich immer mehr befreundete. Das Dunkle, Fremdartige, war ihr näher getreten. Sie freuete sich selbst an den Bildern, die sie vormals schreckten. Deshalb war sie oft, in den weniger verzierten Zimmern nach der Waldseite, mit allem beschäftigt, was sie eine kurz verflossene Gegenwart vergessen machte. Wunderbar ergriff sie das Rauschen der hohen Tannen, jene dumpfe, hallende Töne einer verschollenen Natursprache, dem Menschen nur noch in wehmüthigen Ahndungen vernehmlich. Dazwischen murmelte der nahe Wasserfall aus dem geöffneten Mund der grauen Felsen, und darüber hin zogen Sterne herauf, in ihren bedeutsamen Bildern. Alles redete sie an, ernst, aber tief aus dem Herzen des Daseins hervor. Aber seltsamer und reicher gestaltete sich ihr die Nacht. Unaufhörlich träumte sie von den vormaligen Bewohnern des Schlosses. Ritter und Frauen, reich geschmückt oder in häuslicher Tracht, in Freude und Schmerz, bei festlichen Gelagen oder Kämpfen, immer traten sie, auf irgend eine Weise mit in ihr Leben verflochten, vor sie hin, und immer erschien sie selbst handelnd unter ihnen. Oft kehrten dieselben Gestalten wieder, unter ihnen besonders eine verschleierte Frau, die langsam durch die Zimmer des Schlosses schritt, und wenn sie vor das große Bild der Ahnfrau trat, die Schleier auseinder[165] schlug, und Luisen in ihrer hohlen Brust ein blutiges, zitterndes Herz zeigte, um welches zwei kleine schwarze Schatten flogen und es unaufhörlich an- und abstießen. Sie erwachte dann wohl, von ängstigenden Tönen aufgeschreckt, und wenn sie sich recht besann, so war es der wahnsinnige Claus, der mit seiner Cither durch die Berge zog, oder auch an des alten Georg Fenster pochte, und ihn zu sich in die dunkle Nacht rief. Wie ein Schatten der vormaligen Zeit schlich dann am folgenden Morgen Georg durch das Schloß, und murmelte unzusammenhängende Worte. Luise fühlte sich wenig hierdurch gestört. Sie gewöhnte sich an Alles, ja die Träume wurden ihr lieb, sie setzten sie in geheime Verbindung mit der Vorwelt, die sie so wunderbar zu sich zurück zog.

Minchen hingegen, immer still und thätig wirkend, war längst der müßigen Beschauung entflohen. Der Frühling öffnete allmählich seine hellen Augen, und lockte den bunten Blumenschmuck aus der Erde. Minchen war vertraut mit dem zarten Leben der kleinen Pflanzen. Unter ihrer Pflege sprossen Krokos und Anemonen schneller hervor. Aufmerksam lauschte sie auf jede neue Entwickelung, und durchlief Feld und Garten und Wald, mit der unermüdlichen Theilnahme eines Herzens, das alles freuet und bewegt, was zur Lust und dem[166] Heil der Menschen da ist. Als sie Luisen die ersten Veilchen brachte, sanken sie einander sprachlos in die Arme. Beide durchdrang das gleiche Gefühl. Es war ja der alte Frühling wieder, der sie heute wie ehemals, mit seiner süßen Milde berührte. Die Natur, groß und ewig, war ihren stillen Gang fort gegangen, unbekümmert um die widersprechenden kleinen Wünsche der Menschen. Und sollen wir nicht, sagte Minchen, durch stetes ruhiges Walten, uns selbst treu bleiben, wie die alte weise Führerin es lehrt! Die innigste Liebe trieb sie dann auf's neue hinaus. Sie säete und pflanzte und ordnete, mit des Gärtners Hülfe, alles zu Luisens Freude. Dabei sammelte sie heilbringende Kräuter, die sie zu bereiten verstand, und rastete nicht eher, bis sie Kranke und Leidende fand, denen sie helfen, die sie heilen und pflegen konnte. Luise ward unwillkührlich in dies regsamere Leben mit hineingezogen. Nur gestaltete sich unter ihren Händen alles anders, größer, umfassender, als es Minchen, an beschränktere Mittel gewöhnt, wünschen durfte. Schon bei dem Anblick der fast sterbenden Marie, war es ihr anschaulich geworden, wie man das Leben und die Gesundheit der Menschen bei weitem nicht heilig genug halte, und durch Unachtsamkeit auf den bedürftigern Theil derselben, manchen Mord begehe. Besonders hatte[167] sie auf dem Lande genugsam Gelegenheit gehabt, zu sehen, daß ansteckende Krankheiten, aus Mangel an Raum, den Kern so manches Daseins für immer vergifteten. Sie beschloß daher, am Fuße des Schloßberges, auf einem freien, und dennoch geschützten Platze, ein Gebäude zur Aufnahme hülfsbedürftiger Kranken errichten zu lassen; darneben sollte ein Garten angelegt werden, theils zur Erheiterung der Genesenden, theils darin Klima und Boden angemessene Heilpflanzen und Kräuter zu ziehen. Die innre Oekonomie des Ganzen sollte bejahrten Männern und Frauen anvertraut werden, welche auf die Weise, zu gröberer Arbeit untauglich, hinreichenden Unterhalt fänden. Minchen berechnete sogleich, wie man auch verwaiste Kinder bei der Anstalt versorgen, und zu nützlicher Thätigkeit anführen könne, und zwar, indem man den Knaben die Bearbeitung des Gartens, den Mädchen aber das Spinnen und Weben der nöthigen Wäsche für die Kranken übertrüge. Je näher beide den Entwurf betrachteten, je lebhafter ward der Wunsch in ihnen, die Ausführung desselben ins Werk zu richten. Luise fühlte indeß bald, daß sie trotz allem Aufwand von Kräften, dennoch fremder Hülfe dazu bedürfe. Sie wandte sich daher an ihren alten Freund, den Arzt, dem außer den erforderlichen Kenntnissen seines Faches, eine[168] umfassende Bildung, und besonders Anschaulichkeit und Maaß für die verschiedenen Verhältnisse äußrer Anordnung, ja eine große mechanische Tüchtigkeit ganz zu eigen war. Seine Vorschläge waren durchdacht, standen auf allen Seiten fest. Luise hatte ihn ganz auf seinen Platz gestellt. Ihr Antrag ehrte ihn, und er leitete die Arbeit mit Genauigkeit und Fleiß. Minchen fand bald verlassene Kinder und freundliche Alte, die für ihren Zweck paßten. Alles war eingeleitet, und Eines trieb frisch und freudig das Andere. Luise sah mit steigender Freude den Fortschritten des Baues zu. Nach Monathen stand endlich das helle, freundliche Haus da. Keine Inschrift, keine Spur der Eitelkeit zog die Aufmerksamkeit des müßigen Beschauers auf sich. Still sah es zwischen hohen Bäumen hindurch, die es von der Nord- und Ost-Seite schützten, südlich zog sich der Garten hin, von lebendigen Hecken eingefaßt; alles höchst einfach und anspruchslos. Unmittelbar hinter diesem breitete sich eine frische Wiese aus, die dem Auge einen weiten, freien, Horizont eröffnete. Nach dieser Seite zu, lagen die Krankenzimmer, geräumige Säle, an deren Fenster sich Wein und Epheu hinaufrankte, ohne jedoch die Aussicht ganz zu verdecken. Die Wände waren grün gemahlt, oberhalb in schmale weiße Felder getheilt, welche Frucht- und Blumen-Kränze[169] einfaßten, in diesen Feldern standen Biblische Sprüche sehr groß geschrieben, zur Erbauung und zum Troste der Leidenden.

Zu große Entfernung hinderte den Arzt, fortwährend Theil an dem glücklich eingeleiteten Geschäfte zu nehmen. Er empfahl daher Luisen einen Mann von reifen Jahren, einen Chirurgus des nächsten Städtchens, der im Druck und der Beschränktheit sein Gemüth befestigt, und seinen Geist still fortgebildet hatte. In einem hohen Grade mild und selbstverläugnend, paßte er sich ganz zum steten Beobachter vieler Unglücklichen, die Trost und Heil von ihm erwarteten. In dankbarer Rührung nahm er Luisens Vorschlag an, worauf er sofort ein Zimmer in dem neuerbauten Hause bezog. Minchen ging ihm fleißig an die Hand, Aufmerksamkeit und Erfahrung hatten sie schon zu so manchem richtigen Schluß geführt. Besonders verstand sie sich auf die Anwendung selbstgezogener Kräuter, und Bereitung von Säften und Getränken. Luise konnte nicht sowohl selbst Hand anlegen, als mit schnellem Blick das Fehlende erkennen, und ihm durch gehörige Anordnungen abhelfen. Dennoch brachte sie viele Stunden des Tages bei den Kranken zu. Ihr bloßes Erscheinen, und der sanfte ergebene Ernst in ihren Zügen wirkte wohlthuend auf die Gemüther. Auch kam[170] sie selten mit leeren Händen. Immer fand sie etwas aus, was den Ermatteten erquicken, den Schmrrz des Leidenden lindern, oder den Muthlosen überraschend anregen konnte. Willig las sie denen aus der Bibel vor, die gern den gesunkenen Sinn in den Quell des Lebens erfrischen mögten. Besonders aber war sie den Kindern eine liebe Mutter, die ihr schon immer von fern die Händchen entgegenstreckten, um die mitgebrachten Bilder und Spielereien in Empfang zu nehmen.

Der Ruf einer so milden Stiftung, auf der sichtlich Gottes Segen ruhete, da alles den erwünschtesten Erfolg hatte, mußte sich hald verbreiten. Von nah- und fernen Ortschaften schleppten sich Kranke herbei, oder ließen sich fahren und tragen, um nur unter den segensvollen Händen der Dame vom Schlosse zu heilen. Luise mußte bald eine strenge Auswah! unter ihnen treffen, und konnte nur diejenigen aufnehmen, welchen wahrhaft äußre Mittel zu ihrer Wiederherstellung fehlten, um nicht über das Maaß ihrer Kräfte hinausgetrieben zu werden. Dennoch ward sie als Heilige geehrt und blieb immer gleich gesucht.

Unter so frommem Wirken ging die Zeit unmerklich an Luisen vorüber. Die Jahreszeiten wechselten, aber das stille Leben blieb ununterbrochen dasselbe. Zuweilen erhielt sie Briefe vom Obristen,[171] der, recht im Gegensatz mit ihr, scharf und entscheidend in die Welthändel eingriff, und jetzt auf auf einem Zuge gegen die Kaukasische Tartaren vorrückte. Er fürchtete, lange nicht nach Europa zurückzukehren, wohin ihn doch Luisens Andenken unverändert rief. Sie erzählte ihm dafür gern alles, was auf den wieder errungenen Frieden ihres Herzens Bezug hatte, und betrachtete überall diesen Briefwechsel als eine liebe Zugabe ihres anderweitigen, heitren Lebens. Weniger erfreulich waren ihr die Nachrichten, welche sie von Zeit zu Zeit von ihren Freunden aus der Stadt erhielt. Auguste hatte bei ihrer Rückkehr mit aller Anstrengung und allem Gewicht ihrer Sentenzen nichts gegen die Stimme der Welt ausrichten können. Der Schein war gegen sie; man glaubte sie in den bösen Handel verstrickt, und alles, selbst der Engländer, der vor ihr angekommen war, wandte sich von ihr ab. Sie schrie und schimpfte und haßte nun die englische Nation, wie sie sie vormals geliebt hatte. Die Baronin blieb ihre ärgste Feindin, da diese sich mit scheinbarer Kälte auch von der eignen Tochter wenden zu müssen glaubte, um ihr Gewicht in der Meinung der Menschen nicht zu verlieren. Von Emilien erfuhr man wenig, da die Mutter nie, und die Welt selten noch von ihr sprach. Frau von Seckingen war endlich durch den Tod ihres Mannes in den[172] Stand gesetzt, Horst ihre Hand zu geben. Sie besaßen nun beide, was sie wünschten, und schleppten ein nüchternes Dasein neben einander hin. Luise betrachtete mit Wehmuth all die mannichfachen Verirrungen, und wie so viel gute Menschen sich selbst täuschen. Sie redete einst mit Minchen darüber. Allein diese erwiederte: ich weiß nicht recht, was das eigentlich heißt, wenn man von der Liebe eines Menschen sagt, er täusche sich selbst. Was doch so recht innig und lebhaft das ganze Wesen erschüttert, das ist doch da, und wirklich, wo ist denn nun die Täuschung? Am wenigsten mag ich es leiden, wenn die Leute selbst nach kurzer Frist ein Gefühl so nennen, was ihnen doch für Augenblicke höher als ihr eignes Leben war. Ich glaube, erwiederte Luise, man kann jeden Mißgriff wohl mit Recht eine Täuschung nennen. Das Gefühl selbst ist kein trügerisches Spiel, aber seine Beziehung kann falsch sein, und man darf in den vielen vorüberrauschenden Neigungen nichts Ewiges sehen, als die unendliche Sehnsucht nach einer unwandelbaren Liebe. Aber, fiel Minchen ein, sollen die armen Betrognen erst Menschenalter durchleben, um zu wissen, welches die rechte Liebe sei? Das ist ein Geheimniß, sagte Luise, welches die Liebe jedem in sich selbst offenbart.

Während sie so redeten, trat der Mönch unerwartet zu ihnen in's Zimmer. Er war lange in Geschäften[173] seines Ordens verreist gewesen, auch hatte Luise ihn bis dahin vermieden, aus Furcht, schlafende Erinnrungen zu erwecken. Sie mußte heftig weinen, als sie ihn sah. Zugleich aber strömte auch in seiner Nähe mancher verhaltne Schmerz aus. Sie fühlte sich bald erfrischt und gestärkt. Er verstand sie wohl. Auch in ihm regte sich die Vergangenheit lebendiger bei ihrem Anblick. Liebes Kind, sagte er in großer Rührung, glaube es nur, der rechte Mensch in uns altert nie! Was Dich bewegt, das zittert noch durch meine ganze Seele. Luise betrachtete ihn lange schweigend. Es war das erstemal, daß sie ihn nach jener Entdeckung wiedersah. Eduard von Mansfeld, sagte sie, an das kleine Miniaturbild und die Schilderung der Markise denkend, wie anders, und doch wieder so ganz derselbe. Was sind denn Zeit und Jahre; klingt doch die alte Liebe immer wieder aus den Tiefen des Herzens herauf. Alles in ihr zog sie von da zu dem geliebten Verwandten, der sie gern aufsuchte und mit Liebe in ihren thätigen, beglückenden, Beruf eingriff. Und wenn das fromme Tagewerk nun vollendet war, so saßen sie die Abende vertraut bei einander, und keiner scheuete, in sich zurückzublicken, und die geheimsten Gedanken auszusprechen. Eduard erzählte oft von seinen Reisen, seinem langen Aufenthalte in Aegypten, und wie[174] ihm dort Violas Tod so gewiß geworden sei, daß er nie mehr daran gezweifelt habe. Ein Eid, sagte er, den Violas Eltern ihn abgedrungen, sich nur in höchst entscheidenden Momenten, wo es das Leben des Einen oder Andern gelte, als Vater des Kindes zu erkennen zu geben, habe ihn immer von Fernando entfernt gehalten. Aber, fuhr er fort, des Menschen Vorsicht ist eitel, der Himmel macht sie meist zu Schanden. Wie lebendig, hub er nach einer Weile auf's neue an, steht hier immer die Jugendzeit meiner Liebe vor mir! Es ist Violas Geist, der so wunderlich, so bunt und ernst in dem Schmuck und Zierrath der Zimmer lebt. Es ist, als sähe sie aus den übrigen dunklen Umgebungen, wie aus dem Grabe, nach mir hin. Er redete noch viel von ihr, und seine junge Freundinnen hörten ihm theilnehmend zu, als ein heftiger Knall im Zimmer sie alle aufschreckte. Wie sie sich umsahen, nahmen sie einen großen Riß in der Tapete wahr, die, an zwei Stellen geplatzt, sich weit auseinander rollte. Minchen trat mit einem Lichte näher. Seht doch! rief sie, wie seltsam! Sie fanden ein hohes, schwarzes Cruzifix, das in die Wand eingelassen war. Daneben sah man auf hölzernen Feldern Heiligen- und Märtyrerbilder, im ältesten Styl gemalt. Bei genauer Besichtigung entdeckten sie unterhalb einen kleinen eingemauerten Schrein, dessen Thüren sich[175] leicht aufschieben ließen. Hier lag, neben Weihgefäßen und einem Rosenkranz, ein kleines Büchelchen, mit silbernen Nesteln zugehakt. Luise öffnete es zuerst. Unter Gebeten und Sprüchen, fiel ihr auf der innern Seite des Deckels eine feine Handschrift auf, die so lautete:

»Hier hab ich Gott all mein Herze gesagt und Trost erfunden in mancher Stund. Doch ist des Leides kein End', denn der Herr mag nicht wehren das Böse, bis es selbst versöhnt die eignen Schulden. Aber eine Zeit wird kommen, davon ist gesagt, daß ein frommes Auge mit heißen Thränen Aller Schuld abwaschen und Buße an Leib und Seele üben werde. Dann soll die Lust und die Ehre aus diesen Mauern ausziehn, und der Name Falkenstein verhallen, und Friede sein und Ruhe in den Gräbern. Denn der Herr zählet die Seufzer und Thränen, und giebt den Seinen was ihnen werden muß. – Gertrud von Falkenstein

Das ist der Name der Ahnfrau, sagte der Mönch, der unter dem steinernem Bilde in Kloster eingegraben ist. Luise heftete ihre Augen noch immer auf die vor ihr liegenden Worte. Niemand sagte weiter etwas. Jeder war mit eigenen Gedanken beschäftigt, bei dem Anblick des Cruzifixes und seiner Ausschmückungen, die fast gewaltsam[176] aus der alten Welt hervordrangen. In Luisen besonders bildeten sich längst gehegte Vorstellungen noch fester aus. Schon lange waren ihre Traumgesichte seltner und milder geworden. Die verschleierte Gestalt zeigte ihr meist ihr Gesicht, das unendlich wehmüthig und hold auf sie blickte. Alles deutete ihr die nahe Versöhnung.

Der Krieg war indeß fast in ganz Deutschland ausgebrochen, und trieb Luisen viel Unglückliche zu, die ihre Aufmerksamkeit mehr als jemals in Anspruch nahmen. Unter den gehäuften Beschäftigungen hörte sie dennoch theilnehmend, daß Stein mit den Kämpfenden war, und sich mit allem neu erwachtem Lebensmuth auszeichnete.

Trotz der allgemeinen Unruhen blieb ihre Einsamkeit von Störungen verschont. Sie mußte ihr stilles Loos seegnen, das ihr so glücklich den Schutz der Bedrängten gewährte, ohne sie in den wilden Wirbel mit hinein zu ziehn. Der Mönch hingegen, ward lebhafter durch die nächste Ereignisse angesprochen. Fernando war auf's neue in seiner Nähe. Er wünschte und fürchtete ihn zu sehn. Als darauf aber der Friede geschlossen war, und der siegreiche Feind dennoch weilte, hoffte er mit wachsender Sehnsucht auf die letzte Umarmung seines Sohnes. Luise blieb sehr entfernt von ähnlichen Gedanken.[177] Seit der Krieg ihr jedes Mittel, von den Obristen Nachricht zu erhalten, abschnitt, bekümmerte sie sich wenig mehr um Dinge, die außer ihrem Kreise lagen. Sie fragte nicht, und erfuhr daher auch selten, was Tausende unruhig beschäftigte.

Als sie eines Tages ihre Kranken besuchte, und einem schönen, eben genesenden, Knaben liebkosete, und ihm allerlei Spielwerk mitbrachte, bat sie dieser, mit ihm in Garten zu gehn, wo so viel schöne Blumen blüheten. Es war ein warmer Maitag, und sie mochte ihm wohl den Gefallen thun. Das Kind war aber noch matt, und konnte nicht weit gehn. Sie führte ihn also in eine Laube, und nachdem sie ihm hohe Wasserlilien und Kalmus gepflückt hatte, setzte sie sich zu ihm, lehrte ihn von den gespaltenen Stielen und langen Blättern schöne Ketten machen, und erzählte ihm da von dem Jesuskinde aus einem bekannten Volksbuche, wie es so gern mit andern Kindern gespielt, und dabei alles zum Besten gewandt und den Bekümmerten geholfen habe. Einst, sagte sie, war Jesus nah bei einem Brunnen und setzte sich auf einen Stein, da kam ein Kind mit einem Kruge, um Wasser zu schöpfen, aber es ließ den Krug fallen, und der Krug zerbrach in tausend Stücke. Als das Kind nun so sehr weinte, und sich vor seiner[178] Mutter fürchtete, da streichelte ihn Jesus mit den kleinen Händchen, und sagte, weine nicht, ich will dir helfen, geh nur und hole mir die Scherben, und da diese nun vor Jesum lagen, da machte er den Krug wieder ganz, so daß man nicht sehen konnte, daß er zerbrochen gewesen war. Eben wie sie die letzten Worte sagte, fiel nicht weit von ihr ein Schuß. Der kranke Knabe schreckte heftig zusammen, und barg den Kopf in ihren Schooß. Luise redete ihm zu, und suchte ihn auf alle Weise zu beruhigen, als sie selbst durch ein ungewöhnliches hin und her Laufen außerhalb des Gartens verstört ward. Sie wollte nach der Thür eilen, konnte aber wegen des Knaben nur langsam gehen. Dieser hatte mit einer Hand seine Blumenbüsche zusammen gefaßt, und hielt mit der andern die Kette und Luisens Kleid. So schlichen sie an der Hecke entlang, als plötzlich hinter derselben ein Mann, wild und verstört, vor Luisen hinstürzte, und heftig rief: Sie werden mir fluchen, Sie müssen mir fluchen, gewiß, gewiß, ich habe ihn ja ermordet! – Sie erkannte schaudernd den Jagdjunker, und wie ein Blitz fuhr der Sinn seiner Worte durch ihre Seele. – Fernando! rief sie. Ja, ja schrie Carl, da tragen sie ihn hin. Luise sah auf, zwei Männer hoben eine Tragbahre in das Haus[179] hinein. Tod? fragte sie sanft, und aller Schmerz eines langen Lebens preßte sich in einzelne herabrollende Thränen zusammen. – Noch nicht, aber bald, erwiederte Carl. Sie reichte ihm die Hand. Lassen sie mich ihn noch einmal sehen, sagte sie, jetzt habe ich nichts mehr zu scheuen, die Stunde versöhnt uns alle. Der Knabe drängte sich furchtsam an sie, er wollte nicht von ihr weichen, und sie konnte ihn jetzt am wenigsten hart zurückweisen. So traten sie in das Krankenzimmer. Fernando lag auf einem Sessel der Thür gegenüber. Er richtete sich völlig auf, als Luise nahete. Gott mein Gott! rief er die Arme ausbreitend, so finden wir uns dennoch wieder! aber wiederkehrende Schmerzen überwältigten ihn bald, und rissen ihn wimmernd auf sein Lager zurück. Luise kniete neben ihm, der Knabe reichte dem Kranken unaufhörlich seine Blumen hin, und sagte, er solle nur still sein, Jesus werde ihn bald helfen, der habe ihm auch geholfen. Fernando mußte endlich die Blumen nehmen, ihr frischer Duft belebte ihn für einen Augenblick, er küßte des Knaben Stirn, welcher ihm auch nun die schöne Kette zeigte, und sie spielend um ihn und Luisen schlang. Jesus Christus sei gelobt! rief Fernando, Luisens Hand ergreifend, sein Auge brach, er sagte nichts mehr. – Da trat[180] der Mönch herzu, er legte seine Hand segnend auf des Sohnes Stirn, und ließ ihn still an seiner Brust verscheiden.

Als er nun neben Julius begraben, und alles ruhiger und seliger in Luisen war, erfuhr sie durch Carl, wie eine unbedeutende Neckerei, beide bei zufälligem Zusammentreffen im nächsten Städtchen aneinander brachte, daß Fernando darauf nach dem Kloster geritten, Carl ihm aber in seinem Grimm gefolgt sei, und der hitzigste Wortwechsel zuletzt Blut gefordert habe. Fernando war an derselben Stelle gefallen, wo ihn Julius früher verwundet hatte. Gott hat es so gewollt, tröstete ihn Luise. Das war schon längst bestimmt, und Sie ein unschuldiges Werkzeug ewiger Vergeltung.

Sie lebte von da noch viele Jahre ein stilles, erbauliches Leben, durch nichts unterbrochen, weder in übergroßer Freude noch Schmerz. Der Obrist ward durch seinen Beruf und Familienverhältnisse gezwungen, von ihr entfernt, im Nördlichen Asien, den wichtigen Posten eines Gouverneurs dortiger Provinzen zu übernehmen. Er bewahrte immer eine treue Liebe für Luisen, und starb endlich unvermählt. Minchen blieb Luisens treue Gefährtin. Einst erschien dieser nach langer Zeit die Ahnfrau wieder im Traume, jugendlich und reich geschmückt,[181] wie sie sich zu ihr neigte, und sie küßte. Noch selbigen Tages schloß Luise die müden Augen, nachdem sie ihre fromme Stiftung dem Kloster vermacht, und Minchen zur Vorsteherin derselben ernannt hatte.

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Die Frau des Falkensteins. Bdchen. 1–2, Band 2, Berlin 1810, S. 109-182.
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