Dreizehntes Kapitel

[182] Während ein unnatürlich Beginnen der nothwendigen Ordnung des Lebens vorgreifen wollte, entfaltete sich der Frühling nach alten, ewigen Gesetzen, und schien es den Menschen an das Herz zu legen, sich der stillen Führung der Natur ruhig zu überlaßen. Unwetter und Stürme hatten ausgekämpft, die Erde lachte ein neues Dasein in jedes Herz hinein, ihre feste Rinde gewann ein lockeres duftiges Ansehn, man sah sie arbeiten, und wenn sie Abends wogender Dampf umzog, und wieder in ein großes Meer umzuwandeln schien, schwirrende Insekten durcheinander brausten, und tief unten alles hämmerte und pochte, dann fühlte jeder die Welt aufs neue in sich entstehn! Marie, wie Giannina und Alexis, waren die allerseligsten Kinder! Tagelang schweiften sie umher, sie waren nicht im Hause zu erhalten, und Marie, welche im Kloster ein eigenes Gärtchen hatte, ließ nicht[182] ab mit Bitten, bis ihr Adalbert auch jetzt ein Sommerhaus, mit recht freundlicher Umgebung, vor dem Thore miethete. Hier war sie ganz in ihrem Element, sie verstand und trieb die Blumenzucht mit vielem Eifer. Alexis ging ihr dabei ganz besonders zur Hand. Der Knabe hatte Geschick und Trieb zu allem, was er Andere machen sah, deshalb war er auch überall, wo es etwas zu thun gab, und überall aufmerkend, behend und tauglich. Giannina lief viel hin und her, allein mit der Arbeit wollte es nicht recht von statten gehn, indeß erhielt sie das Geschäft stets heiter, und Adalbert mußte sich eingestehn, daß er nichts reizenderes kenne, als die drei zarten Wesen, welche, wie Elfen auf grünem Boden, ihr freundlich Beginnen so leicht und anmuthig förderten. Sie hatten recht nach Feeenart einen Blumenthron unter zwei dicht ineinander verwachsenen Ulmen erbauet. Eine Wand schlanker Kelchblumen, hoher Feuerlilien und glührothen Mohnes, faßte den lieblichen Sitz ein, am Boden blüheten Doppelveilchen und Anemonen, den Rasen aber bezog ein Gewinde der schönsten Vinka. Adalbert saß hier oft Stundenlang, und tändelte mit Marten, die, immer geschäftig, sich nur einzelne Augenblicke abstahl, um dem geliebten Mann in die Arme zu fliegen, und allen freundlichen Spott und die tausend[183] kleinen Neckereien von seinem Lippen wegzuküssen. Nicht selten feierte Giannina solche Augenblicke mit ihrer Herrin, und, sich in die Zweige der starken Ulme schwingend, saß sie über dem jungen Ehepaare, wiegte sich nachläßig in dem Grün, und stimmte ein scherzendes Liedchen auf ihrer Mandoline an.

Einst waren alle hier versammelt, als die Baronin herzukam und Marien bat, sie nebst mehrern Andern auf einem Spatziergang den Rhein hinunter zu begleiten, wo sie in einer Meierei zu Abend essen und Nachts zu Wasser rückkehren wollten. Marie ließ sich sogleich willig finden. Giannina sollte ihr Instrument mitnehmen, Alexis, der zeither ganz artig das Flageolet blies, durfte auch nicht fehlen, man versprach sich unendliches Vergnügen. Auch Adalbert ward bestürmt, mit zu gehn, er hatte noch Geschäfte, wollte indeß gewiß nachkommen. Antonie war mit dem Marquis; man wußte nicht, ob sie zu dem lustigen Feste gestimmt seien, doch ward Bertrand aufgetragen, sie einzuladen, wenn sie aus ihren Zimmern kämen.

Die Andern waren zum Aufbruch bereit. Marie hatte ihren Strohhut mit Mohn geschmückt, und sah sehr reizend aus, als sie, von ihren jungen Gefährten begleitet, den Zug eröffnete. Giannina wußte sich nicht zu laßen vor innerer Lust,[184] sie bewegte den kleinen Körper in tausend zierlichen Verdrehungen, spielte, sang und tanzte, und zwang Alexis, in ihre komische Liedchen und Geberdensprache mit einzustimmen.

Adalbert blieb noch auf seinem Platze sitzen, sah innerlich entzückt der anmuthigen Frau nach, und sich selbst in unzählige liebliche Bilder hinein, bis der Blumenduft, das Säuseln der Blätter, die schwüle Stille um ihn her, seine Augen schloß und er fest einschlief. Nicht lange, so theilte sich die Blumenwand hinter ihm, Antonie beugte sich leise hervor, legte ihre rechte Hand unter sein Herz, und flüsterte, mit den Lippen fast seine Schläfe berührend: »Laß mein Bild in Dich eingehn, halte es fest, wie es der Traum Dir zeigt, werde mein für alle Ewigkeit.«

Sie wiederholte die Worte mehreremale, wie lebhaft sich auch Adalbert regte, und gegen den Traum anzukämpfen schien, endlich seufzte er tief, öffnete seine Arme, und breitete sie ihr entgegen. Antonie hauchte einen flüchtigen Kuß über seine Lippen, und zog sich hinter die Blumen zurück.

Es war bereits dunkelnder Abend geworden, als die Fehlenden, einer nach dem andern, zur übrigen Gesellschaft stießen. Marie flog Adalbert entgegen, er begrüßte sie zerstreut, seine Blicke flogen überall unruhig umher, endlich fanden sie[185] Antonien, diese saß im Hintergrunde unter dem Vorgebäu der Hausthür, um welche die Uebrigen einen Kreis geschlossen hatten. Ihr schneeweißes Kleid, das in einen hohen, weit abstehenden Kragen, dicht unter dem Kinn, zusammenlief, das Blendende ihrer fast blutlosen Haut, und die großen, dunkelglühenden Augen, gaben ihr in der abendlichen Dämmerung etwas überaus Wunderbares und Schauerliches. Adalbert bebte, als er sie sah, doch konnte er seine Augen nicht von ihr wenden. Sie schien gelassen, nur einmal fiel ihr Blick mit unbeschreiblicher Gewalt auf ihn nieder. Er senkte, wie davon getroffen, den Kopf auf Mariens Schulter, hinter deren Stuhl er stand, diese bog das Gesichtchen nach ihm zurück, so daß ihr Mund seine Wange streifte. Zum erstenmal befiel ihn tödtliche Angst bei ihren Liebkosungen, er machte sich schnell los, und eilte in das Gärtchen der Meierwohnung.

Hier traf er den Herzog, welcher mit großer Aufmerksamkeit den Fleiß und die Anordnungen des thätigen Besitzers beachtete. Alles war hier wohl übersehen, benutzt und bekommen. Innerer Wohlstand, Stille und behagliches Gnügen, schienen durch die einfache Anlage hindurch zu sehen. Der Herzog redete gebrochenes deutsch mit den Arbeitern, er schien über manches Auskunft zu[186] wünschen. Als er Adalbert ansichtig ward, ging er ihm heiter entgegen; und indem er ihn auf die friedliche Betriebsamkeit der Leute aufmerksam machte, sagte er: mein Sohn, man ist nicht unglücklich, wenn man so ein stürmisches Leben beschließt. Adalbert sah ihn betroffen an, als er fortfuhr: für uns ist wenig anders zu erwarten. Die thörigen Träume, welche wir lange nährten, schrumpfen zu nichts zusammen. Unser Vaterland ist ein anderes geworden, seit die Republik sich konstituirte. Die Ruhe kehrt allmählich darin zurück, aber weder mein Einfluß, noch die alte Stellung zur Welt, kehren wieder; damit ist es vorbei, wie mit dem Glanz unsers Hauses, ich lerne das begreifen, deshalb freue ich mich jetzt Deiner einfachen Aussohnung mit dem Schicksal, Deiner frühen Resignation! Du hast ein häuslich, bescheiden Weib zur Gefährtin gewählt, ich hatte Anfangs andere Pläne, ich dachte Antonie – Antonie, rief Adalbert entsetzt, Antonie mein Vater! Laß Dich das nicht befremden, entgegnete der Herzog, sie ist ein wunderbares Wesen von königlichem Stolz und hoher Entschlossenheit, sie hat mir oft seltsame Gedanken gegeben, ich konnte nie in ihre Augen sehen, ohne so etwas von Weltherrschaft zu träumen. Laß das jetzt! es ist so besser, ich sehe das ein. Zwar glaube ich, hat sie Dich geliebt,[187] heftig, gewaltsam, wie ihre ganze Natur es fodert, aber auch das ist wohl vorbei! Und Du hast glücklicher für Dich, für uns Alle, gewählt. Die stille heitere Marie paßt sich wohl für ein beschränktes Dasein, das unser aller Loos geworden ist. Mich drückt dies auch nicht mehr. Das Leben reibt nach grade alle Stacheln der Ehrsucht stumpf. Wie ich hier so mitten in der kleinen Schöpfung stand, und die Familie ihre Geräthschaften nach gethaner Arbeit bei Seite legte, die Hände freudig schwenkend zusammenschlug und nun Feierabend machte, mir ward mit ihnen wohl, unzähligemal habe ich Deine Marie so spielend arbeiten sehen, ich mußte mit Liebe an sie denken, und ich kann sagen, ich freuete mich Deiner Wahl zum erstenmal recht von Herzen.

Er umarmte hier Adalbert und führte ihn zu der Gesellschaft zurück. Die war besonders laut und aufgewekt. Das Abendessen war bereit. Man saß um einen runden Tisch. Antonie hatte noch ihren vorigen Platz, der Kreis war dadurch nicht geschlossen, daß man neben ihr einen Raum ließ für die Ab- und zu- Gehenden aus dem Hause. Adalbert stand, ohne es zu wollen, neben ihr, doch redeten sie einander nicht an, beide aßen nichts, sondern tranken nur ein wenig Milch. Sein Blut kochte, die Hand zitterte ihm, mit der er an Antonien[188] vorbei, nach dem Glase faßte, unversehens vergriff er sich, er nahm Antoniens Glas, das er mit wilder Hast herunterstürzte.

Indeß hatte die fröhliche Laune allgemein um sich gegriffen, auch der Herzog war munterer als je, und stimmte schöne Kriegslieder an. Adalbert mußte auch singen, er stockte erst, dann aber ward er ganz zu Flammen und Gluth, die eigene Stimme schien ihm den Taumel seines Hochzeitsabends zurückzurufen, er kannte sich kaum noch! Auch Giannina und Alexis waren durch die anregende Abendluft, den Gesang, den würzigen Duft der Wiesenkräuter, wie betäubt. Das ausgelassene Mädchen tanzte mit ungewöhnlicher Heftigkeit, und fast gänzlichem Zerfließen der üppigsten Geberden, die Tänze ihres Landes; die Saiten schrillten wunderbar dazwischen, und wenn sie auf dem Anger, in dem heraufgezogenen Mondlicht so leicht hinschwebte, glaubte man wirklich, eine feenartige Erscheinung zu sehen.

Der Kahn war jetzt angekommen, der sie zurückführen sollte. Es war an keinen Aufschub mehr zu denken. Man stieg ein. Adalbert nahm das Ruder, um nur außer sich Beschäftigung zu finden. Eine Zeitlang glitt man schweigend über den Wellen hin, es war, als sänftige das Wasser die unruhige Fröhlichkeit. Alexis, der alles nach[189] alles mit machen mußte, hatte sich indeß auch eines Ruders bemächtigt, man achtete Anfangs nicht viel darauf, weil er sich auch hierbei gewandt zeigte. Doch das wilde Spiel des ganzen Tages hatte sein Blut unnatürlich angeregt, der Kopf war ihm schwer, die Arme schwächer als sonst, er lehnte sich zu weit hinaus, und schoß vorn herüber ins Wasser. Ein lauter Schrei aller Anwesenden durchdrang noch die Luft, als Adalbert schon seinen Rock abgeworfen hatte, und frisch in die Wellen untertauchte. Mit Gewalt mußte man Marien zurückhalten. sich ihm nicht nachzustürzen, Antonie aber lag kniend im Boden, beide Arme über den Bord des Kahnes ausgebreitet kein Laut drang aus ihrer Brust, sie schien nichts von sich zu wissen. Jetzt arbeitete sich Adelbert wieder herauf, den Knaben lebendig über sich haltend. Ein Augenblick, und er war im Kahn, der Knabe in den Händen der Frauen, die den kleinen Unbedacht mit ihren Shawls und Tüchern rieben und ihn hineinwickelten, um alle böse Folgen zu vermeiden. Antonie begriff indeß von allem nichts, als Adalberts jähen Sprung. Sie lag noch unbeweglich da, als der Kahn ans Land stieß. Da sie sich am vordern Rande des Schiffes befand, so reichte ihr Adalbert zuerst die Hand, um sie hinaus zu führen; sie sah ihn mit dem süßesten Lächeln an, bist Du[190] wirklich gerettet? fragte sie. Seine Hand zitterte schon in der ihren, als er bewußtlos stammelte, nein Antonie, nein, ich bin von nun an rettungslos! Der Mond hatte sich hinter einer dichten Wolke versteckt, es war ganz dunkel um sie, als sie das kleine Brettchen betraten, das nach dem Ufer führte, Antonie glitt aus, Adalbert faßte sie stärker in seine Arme. O Gott, Adalbert! flüsterte Antonie, überwältigt von seiner Nähe. Du liebst mich noch, rief er wild, es ist nicht vorbei, ich fühle es an dem süßen Beben Deines himmlischen Leibes, sage mir es Antonie, sage es dem Himmel, daß Du mich liebst. Sie standen jetzt auf der Rhede; ja, erwiederte sie gefaßt, ja ich sage Dir es und dem Himmel, daß ich Dich liebe! Der Mond warf in diesem Augenblick einen leichten Strahl auf ihre Stirn. Göttlich Wesen! rief Adalbert wie verzückt, ich gehöre Dir von jetzt bis in alle Ewigkeit![191]

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Die Magie der Natur. Berlin 1812, S. 182-192.
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