Vierzehntes Kapitel

[192] Alexis war trotz aller Vorkehrungen am folgenden Tage dennoch bedeutend krank. Schon in der Nacht hatte er starkes Fieber, sprach und wimmerte ängstlich, und schreckte zusammen, als thue er aufs neue den ersetzlichen Fall. Der Köhler war abwesend, er hatte weiter nördlich hin eine Geschäftsreise unternommen, und den Knaben Mariens Pflege überlassen. Diese war nun aufs äußerste beunruhigt. Sie wich nicht von seiner Seite, und da er in der Fieberhitze nicht im Bette aushalten mochte, so lag er entweder auf ihrem Schoos, oder doch, den Kopf an ihre Brust gelehnt, auf einem Bänkchen, das sie mit Decken belegte und bald hier hin und dort hin trug, wie es die Unruhe des armen Kindes foderte. Alles Spielzeug hieß sie herbeischleppen, jede Zerstreuung mußte ihm augenblicklich werden. Er hatte nach Kinder Weise in Kisten und Kasten mancherlei[192] hineingekramt, wonach man oft lange vergebens suchen mußte. Jetzt verlangte er nach einem Beutelchen, worin, wie er sagte, schöne Dinge seien. Man fand es endlich im Garten auf dem schattigen Blumensitz. Alexis öffnete die Schnur, und schüttete unter mehrern bunten Steinchen, einigen Silberpfennigen und glänzenden Muscheln, die beiden zerbrochenen Ringe in Martens Schoos. Sie fuhr unwillkührlich zusammen, diese hier zu finden, da sie sie lange vergebens gesucht hatte. Das Kind, durch ihre Bewegung erschreckt, glaubte, sie wolle ihm die Kleinodien nehmen, und rief weinerlich, ich habe sie ja von der Erde aufgenommen, und wollte sie wieder mit Wachs zusammenkleben, wie der Onkel in Chambery, aber es ging ja nicht. Nein, nein guter Junge, erwiederte Marie, ihn auf die brennende Stirn küssend, es ging auch nicht, sei nur ruhig, und spiele fort. Höre mal, hub er nach einer Weile an, die Ringe hat die Antonie entzwei gemacht, es war recht unartig von ihr! Sie hat es nicht gern gethan, entgegnete Marie. Ja, rief er heftig, ja, sie hat es mit Willen gethan, ich weiß es. Alexis! drohete Marie sanft, so etwas mußt Du nicht sagen! Es ist aber doch wahrhaftig wahr, schluchzte er, durch Krankheit und Widerspruch gereitzt, sie hat mir es ja selbst gesagt. Dir? fragte Marie, Kind, wann denn?[193] I! damals, entgegnete er, wie sie so häßlich war! damals, – Nachts, – sein Auge flammte hell auf, er sprach entsetzlich schnell, sie setzte sich bei mir aufs Bett, und da schnarrte es so in ihrer Brust wie die große Hausuhr, und da träumte mir, – und, da sagte sie – ich weiß nicht recht, – ich glaube, – Adalbert gehört mir! Er gehört mir! ich laß ihn nun und nimmermehr, ich habe die Ringe zerbrochen, ich will alles zerbrechen, und dann kam was von Blut, von verschreiben, ich weiß nicht mehr, aber gesagt hat sie mirs gewiß.

Das Schicksal hat mich ihr verschrieben, schrie Adalbert, der in einem Seitencabinet arbeitete, rette mich Marie, rette mich Engel! rief er vor sie hinstürzend. Marien schwindelte es, sie dachte in die Erde zu sinken. Das Kind hatte sich ängstlich an ihren Hals geklammert, Adalbert umfaßte ihre beiden Knie und drückte sie unter heftigem Weinen an seine Brust. In dem Augenblicke trat Antonie in das Zimmer. Alexis lag mit halb offnen Augen, die Fieberhitze flimmerte zitternd über die zufallenden Wimpern und riß sie krampfhaft in die Höhe; als er Antonien sah, sagte er furchtsam; sieh mal, sieh mal, da ist die böse Hexe wieder! Nicht doch, flüsterte Marie sanft, und wandte sein Köpfchen abwärts nach der Wand. Doch als Adalbert Antoniens Blicke begegnete, fuhr er mit[194] beiden Händen vor die Augen und rief in unmäßigem Schmerz, ich bin unwiederbringlich verloren! Marie winkte ihm, sich zu entfernen, er schwankte nach seinem Zimmer. Antonie, sagte sie darauf, Du hast grausame Gewalt geübt! Mußtest Du ihn verderben, wenn Du ihn liebst? und willst Du alles tödten, was seinem Herzen nahe war?

Antonie stand regungslos da. Marie weinte still. Das Kind war auf ihrem Schooße eingeschlafen. Jetzt trat Antonie zu ihr, reichte ihr die Hand, und sagte: Schwester, gieb ihn freiwillig auf, Dein darf er einmal nicht bleiben. Du bist fürchterlich, seufzte Marie. Aber täusche Dich nicht, Gott hat unsern Schwur angenommen, er allein kann den Eid lösen. Er hat auch meinen Schwur angenommen, entgegnete Antonie, auch den seinen, durch welchen er mein ist! Meineid dringt nicht auf zu Gott, sagte Marie, den halten die Engel mit ihren Schwingen zurück, er fällt auf die Erde nieder! da aber, da säet er unabsehbares Elend! Sie verbarg ihr Gesicht in des Knaben Locken, den Blicken der Schwester zu entgehn!

Diese sank vor ihr auf die Knie, und mit aufgehobenen Händen sagte sie: ich beschwöre Dich bei allem Heiligen, gieb ihn freiwillig auf![195]

Geh! erwiederte Marie gefaßt, Gott wird zwischen uns richten! Er hat gesprochen, stammelte jene, in der höchsten Seelenangst, – zerbrachen nicht die Ringe in meiner Hand? –

Ach! stöhnte Marie, – die Ringe lagen jetzt, ein bei Seite geworfenes Spielzeug, neben dem kranken Kinde. Nun, rief sie, so möge uns des Ewigen Hand aus diesem Labyrinthe führen!

Sie hörten jetzt ein Geräusch im Vorzimmer. Antonie stand auf, die Baronin trat eilig herein. Was geht hier vor? fragte sie mit ihrer gewohnten Heftigkeit; Alexis todtkrank, ihr beide in Thränen, Adalbert und der Chevalier wie zwei Rasenden an mir vorbei, die Treppe hinunter, zum Hause hinaus, was habt Ihr? was ist geschehn? Adalbert und der Chevalier? rief Antonie, die es wie ein Ahndungsblitz durchzuckte, das hat etwas zu bedeuten! Freilich, Ihr Kinder, sagte die Baronin, aber was denn, was denn? Ich weiß nicht, entgegnete Antonie, schon halb zur Thür hinaus, als ihr der Herzog in den Weg trat, und sie schweigend in das Zimmer hineinführte. Niemand hatte jetzt den Muth zu einer Frage, oder auch nur zu einer verrathenden Bewegung. Der Knabe ist krank, sagte er, freundlich zu Marien gewandt. Sie bejahete es leise. Er betrachtete sie lange; sieh Pauline,[196] rief er nach einer Weile, gleicht sie nicht der Mutter zum sprechen, grade jetzt, jetzt in diesem Augenblick! Marie streckte ihm die Arme entgegen, ihr Herz ertrug den Kampf nicht länger, sie weinte an seiner Brust auf doppelte Weise zerrissen Sagt mir um Gottes Willen, rief die Baronin, was ist es denn, was Euch so außer Euch setzt? Daß sie ein Opfer wird, wie die Mutter, entgegnete er heftig losbrechend, das ist es, daß die Teufelskünste, die Aberwitz und freche Klügelei zum Spielwerk machten, ihr das Herz brechen, daß die tollen Fratzen uns noch lange nicht Elend genug bereitet haben, daß – o ich möchte rasend werden! – Wo ist Adalbert, was ist es mit ihm und dem Chevalier? fragte Marie. Bleibe ruhig, mein Kind erwiederte der Herzog, ihn führt, ihn schützt die Ehre, sie rettet ihn und uns vielleicht.

Antonie machte eine rasche Bewegung nach der Thür. Nicht von der Stelle, rief der Herzog, sie zurückhaltend. Verwirrungen anzetteln mögen die Weiber, lösen können sie nur Männer. Marie faltete ihre Hände zum beten. Recht mein Kind, sagte er, da suche Du Hülfe, der Weg ist Dir offen geblieben. Antonie sank wie zerschmettert auf den Boden, und beide Arme gen Himmel gebreitet, rief sie, führe Du meine Sache! O! verdammet[197] mich nicht, wimmerte sie, des Herzogs Knie umfassend, Ihr wißt es alle nicht, was mich treibt!

Die Baronin hatte die Ungewißheit nicht länger ertragen können, sie war hinausgeeilt, und kam nach einigen Augenblicken mit dem Arzt zurück, der ihr, von allem unterrichtet, das Nöthige mitgetheilt hatte. Der Doktor reichte dem Herzog ein zusammengefaltetes Blatt. Gottlob! rief dieser, so ist er fort! Fort? wiederholten beide Schwestern. Mein Gott, Du bist gewaltig! seufzte Marie, beide Hände auf das kranke Herz legend.

Der Marquis kam jetzt auch herzu. Sie haben sich herrlich geschlagen, sagte er dem Herzog halb laut, der Chevalier ist durch die Schulter geschossen, Adalbert hat einen Streifschuß am rechten Arm unbedeutend, und keinesweges geeignet, ihn an seiner Reise zu hindern. Der Chevalier, ohne zum Tode zu sein, wird das Bett hüten, und Adalberts Flucht hat einen Grund vor der Welt, der Anstand ist behauptet. Und die Ehre, fiel der Herzog ein, hat uns alle gerettet, indem sie heilig geachtet ward. – Marie, fuhr er zu dieser gewendet fort, Dein Mann ward vom Chevalier beleidigt, welcher Rechte auf Antonien zu haben glaubt, und gestern etwas Zweideutiges beim Heraustreten aus dem Kahne will gehört haben. Worte, mein Kind, sind innere Waffen, welche die[198] äußeren herausfordern. Adalbert faßte die Gelegenheit begierig auf, den tollen Gaukeleien ein Ende zu machen. Er mußte mir versprechen, überlebe er den Ausgang, nach Rußland zu flüchten. Es ist geschehn. Jetzt fordere ich Haltung und Ruhe von allen. Das Uebrige wird sich finden.[199]

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Die Magie der Natur. Berlin 1812, S. 192-200.
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