Erstes Kapitel

[3] Um die Zeit der großen Französischen Revolution sah man, noch mehrere Jahre hindurch, an den Ufern der Rhone, im südlichen Burgund, ein höchst prachtvolles, alterthümliches, Schloß sein unerschüttertes Dasein behaupten, während unscheinbare Besitzungen längst der freigegebenen Willkühr weichen mußten. Sein Bewohner, der Marquis von Villeroi, blieb untheilnehmend, und deshalb unangefochten in Mitten der dammlosen Fluth; und Mauern und Zinnen spiegelten sich ruhig in der königlichen Rhone, die, ihren jähen Sturz gleichsam bereuend, sich plötzlich hier in scharfer Beugung westlich wendet. Sie netzte in silbernem Wellenschlag die Wurzeln uralter Bäume, die, eine zweite Wehr, den hohen Wall in doppelten Reihen einfaßten. Ueber ihren Wipfeln spielten die Fahnen vieler kleinen Thürme ihr bewegliches Spiel mit den wechselnden Winden fort, während die[3] alte Thurmuhr in gemessenem Takt den Pulsschlag des verhängnißvollen Lebens angab.

Der Marquis hatte Jahrelang ihren Stundenwechsel in tiefer Einsamkeit gezählt, ohne in die große Reibung des Aussenlebens hineingezogen zu werden. Sein Gemüth war früher auf andere Weise getroffen. Ein Schüler Mesmers, rang er mit durstiger Seele nach dem geheimnißvollen Zusammenhang der Dinge. Von dämmernder Ahndung getrieben, dem Wunderbaren ganz rücksichtslos offen, ohne Sinn für das größte Wunder der Welt, Gott in den Dingen, ja ohne Ehrfurcht vor dem Gesetzlichen in der Wissenschaft, und deshalb ohne ruhiges Entfaltungsvermögen, griff er rasch in das aufgerollte Netz, dessen Schlingen sich eben so plötzlich über ihm zusammenhakten und ihn gefangen hielten. Durch jede Bemühung, sich Luft zu machen, rankte er sich nur fester hinein. Er wollte das große Räthsel mit einem Schlage lösen, aber es ging ihm wie solchen, denen das Wort entflieht, wie sie es auszusprechen im Begriff sind. In dieser Verwirrung strebte er sich und seinen Meister zu überfliegen. Und als im Jahre 1779 seine Gattin, die er aus glühender Liebe in seinen leidenschaftlichen Wirbeln verstrickt hielt, im Wochenbette starb, nachdem sie ihm ein schönes Mädchenpaar geboren hatte, und der geheimnißvolle Magnet[4] die schwindende Lebenskraft nicht fesseln konnte, ja sie vielleicht gewaltsam zerbrach, riß sich der Marquis aus den zauberischen Banden heraus, floh die Schule der Harmonie, Paris und die Welt, und begrub sich in diesem Schlosse, dessen Stifter ihn, Mütterlicher Seits, mit dem Königsgeschlecht der Burgundionen verband.

Zu Anfang glaubte er sein Lebensgeschäft abgethan, dessen Ziel verfehlt. Was er gewollt und nicht gewollt, jegliches Streben, das ganze Dasein, ward ihm ein Hirngespinnst, jede Thätigkeit ein lästiges, zweckloses Spiel der Kräfte, dessen er sich entschlagen zu müssen glaubte, um die thörigen Triebe nicht abermals an den äffenden Gaukeleien abzuarbeiten. So brach er jeden Verkehr mit befreundeten Menschen ab, und schob selbst die Sorge für seine Kinder in fremde Hände; indem er sie mit einer Ruhe, die weder Glaube, noch absolute Verzweiflung, war, in einem nahen Kloster erziehen ließ.

Die Einsamkeit lockte indeß langsam seine eigenste Natur aus dieser Scheinvernichtung hervor, und führte sie, durch manchen wunderbaren Ruf angeregt, wieder in die alte Kreise zurück.[5]

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Die Magie der Natur. Berlin 1812, S. 3-6.
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