Zweites Kapitel

[6] Der Marquis pflegte mehrere Stunden des Tages in einer langen Gallerie, welche den östlichen Flügel des Schlosses mit dem westlichen verband, auf und abzugehen, und sein lebensmüdes Auge an dem bunten Schmelz der farbigen Bogenfenster zu laben, deren purpurrothe, goldgelbe, grüne und dunkelblaue Scheiben zwar einen unkenntlich machenden, aber deshalb magischen, Schein auf die dahinter liegende Landschaft warfen, und die Gegenstände, in dem veränderten Lichte der Traum- und Geisterwelt des Marquis, näher rückten. Vorzüglich nahmen sich der Strom und die darüber hinziehenden Wolkenbilder seltsam aus, jenachdem das Auge ihnen zufällig in einem bestimmten Farbenton, oder durch die gebrochene Lichter dicht aneinandergränzender Glasflächen, begegnete.

Wie oft wohl Klänge an den verschlossenen Kammern der Seele vorüberrauschen, Riegel und Pforten[6] vor ihnen zusammen stürzen, und alle liebe Bilder der Vergangenheit sich plötzlich, wie freigelaßen, in wehmüthiger Eil zum Herzen drängen, so rührte hier der bewegliche Strahl des Lebens an die dunkle Innenwelt, und der Farben Gluth schmolz langsam die nächtige Decke hinweg. Der Marquis fand sich angenehm in der ungehofften Verjüngung überrascht; denn unversehns war alles wieder wie sonst in ihm, Fragen, Wünsche, Erwartungen, alles gewann dieselbe Richtung, dieselbe Gewalt der Leidenschaft, das gleiche Steigern des Zieles. Nur, daß ihn eine geheime Scheu vor äußrem Mißlingen und jeder geselligen Gemeinschaft zu immer verborgenerm Umgang mit dem Geheimnißvollen trieb, und seinem Thun und Erscheinen ein fremdes, ja unheimliches, Ansehn gab; wozu ein gänzlich vernachläßigter Anzug, oder, bei einzelnen, feierlichen, Momenten, ein wunderlicher Aufputz, theils veralteter Pracht und steifer Festlichkeit, theils eigenthümlicher Zusammenstellung der Kleidung, vieles beitrug. So war er gewöhnlich mit einem langen Schlafrock von chinesischem Stoffe angethan, den ein breiter Gurt über den Hüften zusammenhielt, ein großer ziemlich verrosteter Schlüssel sah aus diesem hervor; um den ganz unbedecktem Hals trug er, an einer langen Haarschnur, etwas, das in einem seidnen Beutelchen nach[7] Art geweiheter Amulete, verdeckt war. Die weiten Aermel streifte er, indem sie ihm, bei freier, oft heftiger Bewegung hinderlich waren, meist in die Höhe und ließ die Arme unbedeckt daraus hervorsehen. Das Haar blieb unfrisirt und ungepudert; um es indeß über der Stirn zusammen zu halten, trug er um diese ein farbiges Tuch geknüpft. Den Bart ließ er sich nicht so oft abnehmen, daß dessen dunkle Bläue nicht Kinn und Hals beschattet hätte. Doch vor allem auffallend an ihm war die Gewohnheit, sehr laut und überaus schnell und anhaltend vor sich selbst zu reden, so bald er allein war. Die innere Nothwendigkeit, dieses zu sein, und das Bedürfniß, durch Wort und Geberde aus sich herauszugehn, vielleicht auch andere, nicht gekannte, Ursachen, ließen ihn so ungetheiltes Gespräch oft Stundenlang führen. Seine Leute, anfänglich in dem Glauben, ihm sei etwas zugestoßen, dann aber, um ihn aufmerksamer auf sich selbst zu machen, eilten zu ihm in das Zimmer, nach seinen Befehlen fragend? Aber sie mußten jedesmal solchen Vorwitz durch einen fürchterlichen Blick büßen, den er aus dem glühendem Augenpaar auf sie niederschoß, indem er mit einer Art zitternden Donner in der Stimme rief: was wollt Ihr? Niemand verlangt Euch! Ihr seid Gottlob weit von meinen Gedanken. Auch konnte er solche[8] Störung sobald nicht überwinden, und man sah ihn Tagelang mit innerer Beklemmung kämpfen, die es sogleich nicht wieder zu einem ähnlichen Strom der Rede kommen ließ. Er konnte sich niemals von diesem fremdartigen Weesen losmachen, selbst bei unabzuweisenden Besuchen seiner Nachbarn, oder von Geschäftsmännern, ja späterhin, in einem ausgebreiteten geselligen Verkehr, flüsterte er oftmals lange Zeit vor sich hin, und jeder ließ ihn gewähren, seine Art schon kennend.

Das erste deutliche Bewußtseyn jener obenerwähnten Wiederbelebung gab dem Marquis indeß ein Augenblick, der, wie immer im Leben, der Gipfelpunkt vieler andern war, die ihm vorbereitend vorausgingen.

Er fand sich nemlich einst bei hereinbrechender Abenddämmerung in jener Gallerie, wo es ihm bald ausschließend einheimisch und wohl war. Die Jahreszeit fiel in die Herbst-Aequinoktien. Die Natur arbeitete schwer, unter starken, anhaltenden Stürmen. Ungeheure Wolkenmassen rissen sich voneinander und thürmten sich wieder zusammen, immer wechselnd und steigend, bis ihre tiefblauen Gipfel sich über das Flußbett neigten und das geängstete Wasser unter sich wie mit metallener Geißel peitschten. Dieses aber brauste und zischte und der gährende Brodem kämpfte gegen die heulenden[9] Luftzüge, die immer gewichtiger darüher hinfuhren, die Bäume in ihren Gipfeln fassend, wie ein ungestümer, trotziger Gast an Gemäuer und Fenster mit gewaltigen Stößen anschlagend. Der Marquis gerieth gemeinhin durch die gebrochenen Töne, das plötzliche Abprallen, und fernhin rollende Gewimmer des Sturmes, in den quälendsten Zustand. Sein ganzes Wesen schwankte wie auf Windeswogen. Schon als Knabe fand er in solchen Augenblicken keine Ruhe, und auch späterhin hatte er sehr peinliche Kämpfe mit den wechselnden Naturzuständen auszuhalten. Jetzt stand er wie eingewurzelt, und starrte gedankenvoll, doch bewußtlos wie im Traume, in die aufgerührte Elementenwirbel. Plötzlich legte es sich wie ein weißer Schein über dem dunklen Wolkenberge auseinander, kleine Silberflocken kreisten anfangs am Saume umher, bis sie immer dünner und durchsichtiger ineinanderflossen, und das weiße Gewölk endlich wie ein weiter Schleier aufwallete, hinter welchem der Vollmond in seiner ganzen, wunderlichen Herrlichkeit heraufstieg, und gleichsam auf dem schwarzen Throne Platz nahm. Dem Marquis war es, als sähe die strenge Naturgöttin strafend auf ihn nieder. Er schauerte unwillkührlich zusammen, und schloß die geblendeten Augen.

Der gesellige Mensch, voll heim athlicher Bilder[10] des befreundeten Lebens, voll vertraulich gewordenen, aus der aufgedeckten Welt geschöpften Wünschen, weiß kaum, wie die Nacht an die Seele des Einsamen, Hoffnungsarmen, rührt, wie er dastehen, auf einen Ton horchen könne, den er vergebens dem reichen Tagesschein abbettelte.

Der Marquis hoffte mit gespannten Sinnen auf irgend eine große Offenbarung. Ihm werde, dachte er, jetzt gegeben, was er früher der Natur abzutrotzen meinte. Doch leider sollte er nur immer tiefer in die alte Verwirrung hineingerathen!

Das volle Mondenlicht warf einem hellen Kreis in das Zimmer, der Marquis stand in Mitten desselben, fast regungslos, in einem Strudel ungestüm arbeiten der Vorstellungen befangen. Zwei Welten schmolzen jetzt in ihm zusammen, äußere Wahrnehmung und inneres Schauen und Fühlen wurden Eins. Der wachsende Sturm riß in seiner Seele, ohne daß er sich bewußt war, ihn zu hören, der herabströmende Regen, ja ein, zu dieser Jahreszeit ungewöhnlich starkes, Gewitter, rollte nur dumpf an ihm vorüber, doch fühlte er es wie Feuergüsse durch sich hinziehn. Auch vor den geschlossenen Augen sprühete es ihm wie Feuer, und zwar wie lauter brennende Schriftzüge, von denen er gleichwohl nichts lesen konnte. Er sprach in[11] der Zukunft gern und oft von diesem Zustand, der ihm wie ein Traum erinnerlich blieb, und den er, als einen Licht- und Wendepunkt seines Lebens, sehr in Ehren hielt. Plötzlich fiel ein heftiger Donnerschlag, der, mehrere Scheiben zerschlagend, in das Gemach hinein, eine metallene Leiste entlängs, an einem sehr kunstreichen, in die Wand eingelassenen, Uhrwerke herab, in die Erde fuhr. Dies Uhrwerk, von einem deutschen Meister vor mehrerern hundert Jahren verfertigt, ließ zu bestimmter Zeit einen Vogel aus goldgeflochtenem Bauer hervorgehen, der, seine Schwingen ausspreitzend, mit gellender Kehle die Stundenzahl angab. Die ganze Sache war seit langer Zeit ins Stocken gerathen. Niemand erinnerte sich, das nunmehr ziemlich verachtete Kunststückchen selbst gesehen und gehört zu haben, man erwähnte dessen nur als einer Merkwürdigkeit des Schlosses. Jetzt aber, wie durch einen elektrischen Schlag entzaubert, trat der Vogel hervor, und gleichsam, als wolle er sich für das lange Schweigen schadlos halten, blieb er in einem schnarrenden Geschmetter, bis das rostige Räderwerk, abgelaufen, wieder in seine Fugen zurücksprang, indem noch zuletzt ein Ton nachklang und langsam verhallte. Da nun der Marquis mit diesem einen letzten Tone zugleich aus seiner halben Ohnmacht aufschreckte, und es sich fand, daß[12] es nach Mitternacht, ja nach den übrigen Uhren des Schlosses, auf den Glockenschlag Eins sei, so behauptete er, die Stunde seiner Wiedergeburt habe zugleich auch in der Geisterwelt geschlagen, und alles, was er in dieser erlebt und nicht erlebt, was er geahndet und innerlich gesehn, sei Mahnung zu einem höchst wundervollen Berufe, dem er sich nun ganz ohnfehlbar weihen solle.

Hierin ward er folgenden Tages um so mehr bestärkt, indem er jene herausgefallene und zerbrochene Scheiben aufsammelte, und wirkliche Schildereien, ja recht sinnvolle Gestalten, darauf wahrnahm, was er früher niemals bemerkt, indem sie die obern Felder ausfüllten und sich weiter herunter keine gemalte, sondern, vielleicht als spätere Ergänzungen, nur farbige Gläser vorfanden. Besonders auffallend war ihm die Bildung eines Mannes mit großem Buch und goldenem Schlüssel in der Hand. Die Figur war sorgsam ausgezeichnet, nur in Rücksicht der Kleidung schien sie keinem Zeitalter noch Volk eigends anzugehören, sondern allein das Wunderbare der Zauberei anzudeuten. Da sich nun dasselbe Buch mit darüber liegendem Schlüssel auf den übrigen Glasscherben, auch ohne die erwähnte Gestalt, zeigte, so glaubte der Marquis, hierin, in Verbindung mit jenen im Innern gesehenen, feurigen Schriftzügen, eine Weisung[13] zu finden, daß solches Buch noch irgendwo im Schlosse verborgen sei, welches ihm vielleicht allein die ersehnten Aufschlüsse geben könne.

Er stellte deshalb sogleich die allergenauesten Untersuchungen an, und gelangte endlich, am äußersten Ende des Gebäudes, in ein Zimmer, welches den untern Raum eines der vielen kleinen Thürme ausmachte. Hier hatte man nun wohl seit Jahren den lästigen Ausschuß abgetragener Kleider, veralteten Hausgeräths, zerrissener und verblichener Schildereien, kurz alles dasjenige hingeworfen, was die neuere Zeit von sich wegschiebt, ohne grade zu auf zerstörende Weise Hand daran legen zu wollen. Unter vermodertem Plunder und einer Decke von Staub und Spinnengewebe lagen auch wirklich Bücher, welche der Marquis sogleich hervorzog, und einen Folianten mit Pergamentdeckel als das rechte und ersehnte erkannte. Zu seinem Kummer aber war es in unbekannter Sprache geschrieben, und die über jedem Paragraphen eingestochenen Cirkel, Linien und seltsamen Figuren, reitzten seine Begier bis zur quälendsten Leidenschaft.

Er konnte indeß den gefundenen Schatz dennoch nicht wieder fahren lassen. Er beschloß, alles anzuwenden, das Geheimniß zu entziffern, indem er ausfündig zu machen hoffte, in welcher Sprache[14] das Buch abgefaßt sei, und diese sodann ohne weiteres erlernen zu können meinte.

Voll von diesem Gedanken wollte er das Zimmer verlaßen, als er auf dem hervorspringenden Sims der Thür einen Schlüssel liegen sah. Er durfte, seiner Meinung nach, nichts unbeachtet laßen, und ob er gleichwohl keinen Nutzen von dieser Entdeckung einsah, so steckte er doch den Schlüssel zu sich, und träumte sich im Besitz vom Steine der Weisen, ohne diesen jemals zu finden, denn wenn er auch Tage und Nächte und Monate und Jahre über das Buch sann, und forschte, es blieb ihm verschlossen, und keine Spur konnte ihm die eigentliche Sprache entdecken.

Er begnügte sich demnach, mit den darin befindlichen Zeichen Versuche anzustellen, und, indem er sie so oder so legte und stellte, brachte er Resultate heraus, die ihm zwar nicht gnügten, dennoch aber eine eigene Magie zusammenbaueten, in welcher er sich selbst als Herrn und Meister feierte.[15]

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Die Magie der Natur. Berlin 1812, S. 6-16.
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