Drittes Kapitel

[16] Auf diese Weise war dem Marquis, unter stetem Forschen und angestrengter Arbeit, eine Reihe von Jahren in einer Gattung von Thätigkeit verflossen, welche zwar keinen sichtbaren Einfluß auf das Gestalten und den Fortgang der Dinge gewann, ihm jedoch große Ereignisse vorzubereiten schien. Was überall geschehen könne? was er besonders erringen werde? darüber war er wohl nicht völlig auf dem Reinen. Nur so viel schien ihm gewiß: Die Natur habe in jeder ihrer Offenbarungen eine Stimme, und ob nun gleich diese der sinnlichen Warnehmung meist unverständlich bliebe, so müsse die entbundene Seele doch nothwendig in einen Rapport mit der geheimnißvollen Innenwelt zu setzen und in Einverständniß mit ihr zu bringen sein. Das große Phänomen des Somnambülismus und der Clairvoyance schwebte ihm hierbei vor Augen. Was dort dem Uebergewicht einer animalischen[16] Kraft über die andere möglich sei, das, glaubte er, dürfe der Einwirkung höherer Kräfte um so weniger entstehn. Wie diese nun zu beschwören, wie sie von den Banden der Leiblichkeit frei zu machen seien, das war die große Angelegenheit seines Lebens, an die er Gesundheit, frische und freudige Sinnenlust, den Schmuck und die heitere Klarheit des Lebens, ja alles in allem, des Daseins ewig bewegliches Element, der Liebe und Freundschaft belebenden Verkehr, setzte.

Während er sich indeß in die finstern Schachten langsam selbst vergrub, und der Qualm und Dampf. nebelnder Ahndungen sein Herz vertrocknete und den Geist wie ein flackerndes Licht unstät hin und her trieb, rückte ihm das wirkliche Leben immer näher und näher, und schien die gefristete Stundenzahl mit Wucher von ihm einzufodern.

Sein abstruses, oft verzücktes, Wesen hatte ihm längst den Ruf stillen Wahnsinnes gegeben. Man war ihm mit einer Scheu begegnet, welche, bei aller Verachtung vor übersinnlicher Träumerei, in unsern Tagen, nicht selten, im Gemisch von Geringschätzung und augenblicklich aufflammender Ahndung eines Etwas, das die bunte Decke des Lebens verbirgt, den Schein demüthiger Furcht gewinnt. Ein Mensch wie der Marquis zieht[17] unwillkührlich einen Kreis um sich her, den das freudige, wie das freche, Leben flieht.

Deshalb konnte die Revolution losbrechen, und sich von den Stufen des Thrones durch Gerichtshöfe und Institutionen bis zu dem stillen Verkehr des Landmanns hinunterwälzen. Das große Triebund Räderwerk ineinander greifender Verhältnisse aus seinen Fugen reißen, alle Bande des Gesetzes, der Ehre, sichtbarer und unsichtbarer Liebe zerbrechen, weder Partheigeist, noch Freundschaft, noch tapferer Muth machten sich Bahn zu dem abentheuerlich gesinnten Mann, dem sich, in trüber Verpuppung, die glänzenden Fittige niemals lösen wollten.

Wie der Marquis indeß in jener Nacht das Gewitter schmerzlich fühlte, ohne es deutlich zu hören, so zitterte auch jetzt sein Herz bei dem Untergange alles dessen, was zahllose Geschlechter aus sich erwachsen sahen, wie der Leib ihres Denkens und Schaffens Fuß faßte auf Erden. Der Mensch wächst mit der Form zusammen, die er bilden half, und man zerbricht diese niemals, ohne das innere Leben nicht auch zu berühren. Die Nachricht der Gefangennehmung des Königs, und später dessen Tod, jagte dem Marquis das Blut flammend durch die Adern. Ein unleidlicher Druck legte sich ihm auf Brust und Herz. Seine ganze Vergangenheit[18] war zusammengestürtzt, zu welcher ihn der Gedanke, in stillen, erschöpften Stunden, unwillkührlich zurücktrug, und den ganzen wehmüthigen Traum des Lebens nochmals vor ihm aufrollte. Deshalb ward ihm nunmehr alles peinigend, was aus jener Zeit zu ihm redete, und er befliß sich sorgfältig, jeglichen Gegenstand zu entfernen, welcher diese Sprache führte. Aus eben dem Grunde ließ er die Bildnisse seiner Eltern aus dem Zimmer tragen und sein Familienwappen über dem Kamin verhangen. Dieser Umstand legte den Grund nachheriger Verwirrungen, und gab den ersten Anstoß, welcher in die Ereignisse der Zeit hineindrängte. Denn es war nicht sobald laut geworden, daß der Marquis, in lichten Momenten, wie sie es nannten, der guten Sache anhänge, ja Vater und Mutter verleugne und der großen Angelegenheit der Menschheit huldige, als einzelne rohe Bursche versuchten, seine Reichthümer und geheimen Künste zu ihrem Vortheil zu benutzen.

Es war schon hoch an der Zeit, als eines Abends der ehemalige Essenkehrer des Schlosses und zwei andere Handwerksgesellen aus dem nahen Städtchens in täppischer Eil zu dem Marquis eintraten. Mit gespreitzten Beinen, auf Eisen beschlagenem Knotenstock gestützt, standen sie da, streckten die breiten, bärtigen Gesichter auf kurtzem Halse aus[19] Flügelartig gebogenen Schultern hervor, und schickten lüstern freche Blicke im reichen Zimmer umher. Verwogen hing die Jakobinermütze über einem Ohr in den Nacken herab, das struppig wilde Haar bauschte sich unter dieser über flacher, eingedrückter Stirn. Der Marquis fuhr erstaunt bei ihrem Eintritt in die Höhe, aber sie legten die groben Fäuste vertraulich auf seine Schultern und Arme; und riefen »Hör' Bürger, Du bist von den Unsern, wir wissens, laß jetzt einmal Deine Hexenstreiche, und thu' was rechts. Die Lyoner Königsknechte schicken Streifparthieen im Lande umher, zieh' mit uns! wer weiß, wie lange der alte Steinhaufen so noch steht! Zieh' mit uns!« riefen alle drei und stießen die derben Knittel ermunternd auf gegen den Boden. »Oder willst Du das nicht, fuhr der Essenkehrer fort, so gieb Deine Baarschaft her, wir brauchen Geld, Waffen, Kleider und Schuh, es ist ja für Dich wie für uns, wie das Sündengeld von Dir, was Deine höllischen Väter erpreßten.« –

Bleich wie der Tod, die nackten Arme drohend aufgehoben, starren Blickes, mit verhaltenem Athem, stand der Marquis ihnen gegenüber! So dreist sah die neue Welt zum erstenmal in seine Einsamkeit hinein! Die Wuth schwellte sein Herz zum Zerspringen. Fürchterlich schrie er auf,[20] und fiel, wie die überreitzte Natur sich jetzt oft so in ihm zerriß, in Haaransträubenden Zuckungen zur Erde.

Die Bursche blickten einander, wie gelähmt an Händen und Füßen, ganz verdutzt an, dann aber, wie auf einen Wink, stürtzten sie, ohne hinter sich zu sehen, zur Thür und zum Schlosse hinaus, und meinten nicht anders, als der Teufel gehe drin um, und es sei nicht gerathen, sich mit diesem weiter einzulassen. Mehrere Domestiken des Marquis, welche schon längst ähnliche Vermuthungen hegten, schlossen sich an die Flüchtenden an. Wenige blieben zurück, unter ihnen Bertrand, der bejahrte Schloßverwalter. Dieser eilte zu seinem Herrn, leistete ihm alle erdenkliche Hülfe, und verließ ihn während der ganzen Nacht, in welcher der Marquis viel innere und äußere Schmerzen litt, nicht einen Augenblick. Der unerwartete Vorgang schwebte diesem unabläßig vor der Seele. Er hatte so lange nichts von der Welt gesehen, nun brach sie so frech, so verwirrend, auf ihn ein! Daß diesem ersten Anfalle ähnliche folgen würden, fühlte er wohl. Er sah sich der rohesten Willkühr bloßgestellt. Deshalb fiel es ihm auch wohl ein, Eigenthum und Vaterland zu verlassen, allein sein Blick war nirgend in der Außenwelt zu Hause, sein Denken, nach dieser Richtung hin, so unbehülflich,[21] er selbst so losgerissen von jeder befreundeten Beziehung des Lebens, so eingefugt in die liebe, lange Gewohnheit täglichen Seins und Thuns, daß er sich tröstete, so gut es ging, die Gefahr in weite Ferne hinausschob, und bange Vorgefühle einschläferte.

Der Mensch mag sich indeß vor sich selbst und gegen die Welt hinstellen und wenden wie er will, das Alte kehrt ihm nie in seiner vorigen Gestalt zurück. So kam dem Marquis grade dasjenige, was er bewahren wollte, die gewohnte Weise, nicht in dem vorigen Takt und Maaße wieder. Mit dem müßigen Zusehn des Aussenlebens war es vorbei! Jene großen, allgemeinen Fragen über Natur und Menschenleben wanden sich in immer engern Kreisen zu einem ganz kurz gesteckten Zielpunkte zurück. Seine Orakelbeschwörungen klangen bald anders. Unwillkührlich schloß Frankreichs Boden die Welt in sich, das eigene, enge Dasein umfaßte die große Angelegenheit der Menschheit, und ewig fortschreitende Zeitentwickelungen wurden zu Heut und Morgen. Was einmal geschehen war, konnte wiederkehren; und bei weitem gewaltsamer, frecher, Freiheit und Leben bedrohender. Deshalb mischte sich Unsicherheit und Zagen in alle Vorstellungen des Marquis. Er konnte nicht mehr allein sein. Bertrand durfte ihn nicht verlaßen,[22] ja er verschmähete es nicht, mit diesem zu reden, und Fragen über die Tagesneuigkeiten an ihn zu richten, welche die innere Unrnhe seines Gemüthes deutlich genug offenbarten.

In dieser Stimmung erhielt er eines Tages eine Botschaft von der Aebtissin jenes Klosters, in welchem seine Töchter ohnweit Lyon erzogen wurden. Sie meldete ihm durch einen Köhler, welcher das Klosters Heitzung früher gepachtet hatte, daß die Gewalt auch in ihrer Provinz von neuem siege, daß sie seinen Kindern länger keinen Schutz zusichern könne, und selbst, einzig unter Gottes Schutz flüchtend, ihr Vaterland zu verlaßen gesonnen sei. Der Köhler setzte hinzu, die bedrängte Unschuld habe wohl Schande und Uebermuth zu fürchten, da unzählige Opfer täglich unter dem blutigen Beile des Henkers fielen, Andere, durch die Kriegesgeißel vertrieben, unstät umherwanderten, oder in Hunger und Noth verkämen, er selbst sei mit Frau und Kind auf dem Wege nach den Savoyer Gebirgen.

In Chambery habe die Frau einen Bruder wohnen, dort wollten sie noch ein Stückchen Erbschaft holen, und dann vielleicht nordwärts nach Deutschland wandern, wo die Menschen doch einen Gott und einen Glauben hätten.

Des Mannes verkümmerte Gestalt, die Schatten,[23] die bei den trüben Worten, wie Schreckenserinnerungen, über sein bleiches Gesicht hinfuhren, und mehr als alles, die Hindeutung auf schamloses Entweihen zarter, geheiligter Unschuld, sprach mit unwiderstehlicher Gewalt zu dem Herzen des Marquis. Das Entsetzen, die Angst, gaben ihm augenblicklich Kraft und Entschluß. Es galt die Ehre seines Hauses, er konnte nicht zögern. So wollte er sich denn aufraffen und seine Töchter retten, die er nicht kannte, an die er seit siebzehn Jahren zum erstenmal in einem einzigen, alles beherrschenden, Gefühle dachte. Er zitterte vor Ungeduld, war ganz Feuer, Muth und That, plötzlich allen bänglichen Rücksichten vorübergeflogen. Er selbst verstand sich nicht, und glaubte, eine unsichtbare Gewalt handle durch ihn, um so mehr, da er sein Vorhaben durch des Köhlers Bereitwilligkeit, dessen Zuhausesein in der jetzigen Welt, seinen wackeren Sinn und thätigen Eifer, unerwartet erleichtert sah.

Das Kloster war nicht über funfzehn Stunden vom Schlosse entfernt. Der Köhler ließ sich sogleich willig finden, den Marquis dorthin zu begleiten, der niemand die Sorge für seine Kinder anvertrauen wollte, je furchtbarer der wildeste Aufruhr grade in diesem Zeitpunkte durch ganz Frankreich raste. Vorzüglich erzitterten die südlichen[24] Departements unter den Doppelschlägen inländischer und auswärtiger Feinde. Die Königsgesinnten hoben, durch Schmerz und Verzweiflung getroffen, einen Augenblick die gebeugten Häupter, Toulon war in den Händen der Engländer, Portugiesen und Spanier hatten Fuß gefaßt bis jenseits Perpignan, Lyon trotzte Gefahr und Tod, aber Carnot schoß Feuerflammen in die Herzen der Republikaner. Aus Savoyen strömten die Truppen, welche es unter Montesquiou besetzten, zurück – Tod und Blutgier waren losgelaßen, der Würgeengel ging vor beiden Partheien einher, nichts sollte bestehen, die Erde arbeitete ein neues Leben aus den Blutwellen herauf. Durch alle diese Schrecken sah der wachgeschüttelte Vater mit steigender Ungeduld der Rettung seiner Kinder entgegen! Deshalb hatte er auch keinen Augenblick länger Ruhe. Die Luft im Schlosse schien ihm das Herz zusammenzudrücken, überall wo er sich hinwandte, was er anfaßte, traf es ihn wie mit elektrischen Schlägen! Er trieb und drängte demnach mit solcher Heftigkeit, daß in wenigen Stunden alles berathschlagt, eingerichtet, und zur Abreise bereit war.[25]

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Die Magie der Natur. Berlin 1812, S. 16-26.
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