Eilftes Kapitel

[133] Der anbrechende Tag fand Antonien noch ruhelos, am Kamine sitzend, und beschäftiget, die Flamme hell und lebendig darin zu erhalten. Ob sie gleich selbst von ungewohnter Hitze brannte, so konnte sie doch nicht fort von dem beweglichen Elemente, das den dunklen Fragen ihrer Seele geheime Antwort zu geben schien. Sie fühlte eine Unendlichkeit in sich, und hatte kein Wort, kein Bild, keinen Gedanken dafür, hier sah sie Unendliches außer sich, senkte tiefsinnig den Blick hinein, und empfand mit geheimer Wollust ihr eigenes Wesen wieder. So träumte sie bewußtlos fort, bis ihr Auge und Wangen unerträglich brannten. Sie hielt die Hand schützend vor der Flamme, und lüftete mit der andern das sittig anschließende Busentuch, als zu ihrem Schrecken der vergessene, blutgefleckte Schleier in ihren Schoos niederfiel. Mein Gott! rief sie, dies Blut! –[133] sein Blut – so nahe trug ich's auf dem Herzen! – sie schauerte zusammen, barg das Gesicht in beide Hände, und stammelte leise: O Gott! O Gott! es ist mein eigenes Herzensblut geworden!

Jetzt fühlte sie, wie alles war, sie wußte es, sie sagte es sich ganz bestimmt. – Der also, dachte sie, der ward mir so unleugbar auf diesen Wege zugeführt! Darum mußten wir hierher und grade hierher – wie leicht konnte es anders sein! Mein armer Freund! und Dein Blut mußte fließen! sie sah mit tiefer, wehmüthiger Zärtlichkeit zu ihm hin. Er war erwacht, und schien etwas betroffen ihrem Blicke zu begegnen. Es war gewiß, man konnte nichts Schöneres, nichts Ergreifenderes sehen, als sie in diesem Augenblick. Der strenge Ernst ihrer Mienen war erweicht, ihre Wangen glüheten wie zwei Purpurrosen, das Haar war fest geordnet, die Stirn frei und der königliche Blick von sanfter Trauer über des verhängnißvolle, schöne, schmerzliche, Leben gemildert. Die länglich feinen Hände waren herabgesunken, Hals und Kopf weniger gehoben als sonst, es war, als sei ihr Stolz, ihr Muth, ihr Herz, gebrochen!

Doch jetzt war auch Marie erwacht. Sie rieb mit beiden Händchen die Augen klar, dann faltete sie sie wieder, und betete leise, ohne aufzusehen.[134] Ihre Lippen bewegten sich anmuthig wie zwei Rosenknospen, die im säuselnden Morgenhauch einander leicht berühren, Adalbert glaubte, das linde Wehen zu fühlen, als sie hell aufsah, wie die Freude lächelte, ihn schweigend grüßte, und nur mit Zeichen fragte, ob seine Wunden noch schmerzten? aus Furcht, den Schlaf der Andern zu stören. Ihre Bewegungen hatten dabei so viel Liebliches, und wenn sie die Hand mit der allerschuldlosesten Unbefangenheit bald hier bald dort auf die Brust legte, um die Stelle seiner Wunden anzudeuten, so hatte es fast das Ansehn, als betheure sie irgend eine liebevolle Zusicherung, so daß Adalbert, auf das Anmuthigste gerührt, lebhaft wünschte, es möchte so sein, und, einen Augenblick dem süßen Wahne nachgebend, so viel Zärtlichkeit und Ergebung in seine Geberden- und Zeichensprache legte, daß Antonie, davon erschreckt, unwillkührlich in die Höhe fuhr, und durch das etwas heftige Fortschieben ihres Stuhles die Andern erweckte.

Jetzt ward alles laut und lebendig. Man hatte sich begrüßt, befragt, Mittel und Wege zur weitern Reise bestimmt, Alles war bereit. Adalbert sollte Antoniens Platz in der Baronin Wagen einnehmen. Antonie hatte sich einmal zu den Männern gesellt, sie mußte jetzt schon den unbequemern Sitz, und das luftigere Fuhrwerk, welches[135] beide, wenn sie nicht ritten, vorzugsweise gewählt hatten, dem kranken Vetter zu Liebe, ertragen. Der Herzog wollte nun einmal keine von den andern Frauen neben sich haben, er fürchtete ihr verzärteltes Wesen, er kannte Antonien nur gesund, fest, und in jedem Augenblick Muthvoll. So blieb es dann dabei, daß Adalbert Marien gegenüber, im fest verschlossenen Reisewagen saß, und sie ihn für mehrern Stunden aus den Augen verlor. Zwar hatte er sich nur mühsam in die Anordnung gefügt, und der gütigen Freundin so verbindlich und rührend für das große Opfer gedankt, welches sie so willig bringe, daß sie gern tausendmal für ihn gestorben wäre, aber er reiste mit Marien, und ihr Herz litt von doppelten Qualen. –

In ähnlicher Stimmung verlebte sie alle folgende Reisetage. Es half ihr wenig, daß sie sich rasch fortbewegte, und die Gegenstände um sie her wechselten, denn, obgleich die fortrollenden Räder zu irgend einem Ziele führten, so war dieses doch ungekannt, ja ungewiß, da es stets von Umständen abhing, ob sie da oder dort verweilen würden. Zudem war jedes weitere Vordringen ein neues Abreißen, ein neuer Kampf, denn hatten die früh einbrechenden Abende alle an irgend einem Orte versammelt, wo sie übernachteten, machten sie dort[136] nur eine Familie aus, drängte die Unbekanntschaft mit auswärtigen Umgebungen, die Fremdlinge auf einander zurück, so riß sie der folgende Morgen wieder auseinander, ja warf sie oftmals auf andere Wege, wo sie sich nicht begegneten, denn der Herzog liebte, mit dem beweglichern, leicht gebaueten Wagen, Seitenpfade einzuschlagen, wohin die andern nicht folgen konnten. Seiner Ungeduld, seinem Hinstürmen auf ein Ziel, mußte sich alles fügen. Der Marquis war froh, an Ort und Stelle zu kommen, und ließ ihn gewähren. Antonie schwieg; aber von da hatte sie nur ein Augenmerk, ein Einziges, was sie beschäftigte, und zwar, wie weit jener Wagen zurückbleibe, und ob er sie beim Wechseln der Pferde, beim nothwendigen Aufenthalt einer halben oder ganzen Stunde, ihrerseits, nicht einholen könne? und ließ dies Zusammentreffen auch nichts als einen flüchtigen Gruß, eine Erkundigung, den gemeinschaftlichen Genuß irgend einer Erfrischung zu, man trat doch in eine Art von Verhältniß zu einander, denn es entging ihr nicht, wie die vielen kleinen Zufälligkeiten, die gemeinsamen Begegnisse, die Vertraulichkeit jener mehrten, wie das äußere Berühren auch ein inneres ward, wie die Gemüther mit den Verhältnissen zusammenfielen; deshalb wünschte sie, bald die Zeit beflügeln, bald ihren Lauf anhalten zu[137] können. So berechnete sie stets, und nahm ängstlich dies und jenes zum Maaßstabe an. Doch ward ihre Brust oft grade da zerschnitten, wo sie Trost erwartete.

Einst fügte es sich, daß beide Wagen am Ausgang eines Waldes zusammentrafen. Antonie hatte längst Stimmen hinter sich gehört, welche immer in der Waldumgränzung vernehmlicher herüberklingen. Sie war höchst erfreuet, und sah mit Vergnügen, wie sie eine Zeitlang, auf ganz gleichlaufenden Wegen, neben einander hinfuhren, als, höchst unerwünscht, der Postillon des größern Wagens einen Vorsprung zu gewinnen suchte, und der Herzog, sein früheres Recht behauptend, selbst in die Zügel griff, die Pferde ungestüm antrieb, über Stock und Stein hinflog, und einen Wettstreit veranlaßte, der wenig Erfreuliches erwarten ließ. Auch trafen sie bei der Einbiegung in einen Hohlweg so heftig zusammen, daß des Herzogs Wagen halb umgeworfen, gegen die Seitenwand gedrückt ward, und sämmtliche Pferde in einer Verwirrung drunter und drüber hinstürzten, daß alles wie ein Knäuel todt und beschädigt ineinander zu liegen schien. Der Herzog gerieth außer sich. Die Erinnerung jenes unglücklichen Sturzes, der seiner Freundin das Leben kostete, setzte ihn in ungemessene Wuth, auch der Marquis fluchte und schimpfte,[138] und gebot mit vorauseilender Heftigkeit, alles schnell wieder herzustellen. Dies wilde Durcheinanderrufen, das Gekrach des Falles, die Unbehülflichkeit ihrer Lage, alles gab den Unerfahrenen die größte Angst, Marie glaubte die Schwester, alle Freunde in Gefahr, und, sich dicht an Adalbert anklammernd, flehete sie ihn um Rettung. Er fühlte das kleine Herzchen so ängstlich schlagen, er sah Thränen in ihren Augen, ihre Hände lagen bittend zusammengefaltet in den seinen, er rief bewegt, Marie wer dürfte Dich je ungerührt weinen sehen! schlang dann seinen Arm dichter um sie, trug sie geschickt aus dem Wagen den Abhang hinauf, und ließ die zierlich feine Gestalt leise auf einen Stein niedersinken. Marie sah ihm freundlich in die Augen, sie wollte ihn zu der andern Beistand fortdrängen, doch schien es ihr so undankbar, sie hatte nicht das Herz dazu, und blieb halb verlegen, halb unbewußt, was sie thue, dem lieben Freunde gegenüber, der sich zärtlich über sie neigte, und einen flüchtigen Kuß auf ihre Stirn drückte.

Als er denn endlich wieder zu der Tante und Antonien eilte, hatte diese den Verdruß, daß alles ohne ihn gethan war, und der Herzog bereits, mit dem Verbote, ihm nicht den Willen zu durchkreuzen, weiter fuhr.

Auch in den ruhigern Abendstunden ging es[139] ihr nicht besser. Marie hatte Romanzen und kleine Lieder von dem Vetter gelernt, Giannina begleitete sie auf der Mandoline, alle drei sangen und musizirten die halben Abende mit einander, und, seit jenem letzten Vorfalle, flossen Stimmen wie Blicke des Lehrers und der Schülerin so innig zusammen, daß Antonie ihr Elend langsam auf sich zukommen sah! –

Es ist eine Täuschung, sagte sie, es kann nicht sein, es soll nicht sein, das Schicksal hat anders gesprochen! Er darf sich nicht verblenden wollen! Sie saß des Nachts oft Stundenlang in ihrem Bette auf, und sann, wie es enden werde? Denn es schien ihr so unerträglich, wie unmöglich, daß er lange in dieser ängstigenden Täuschung verharre.

Deshalb drängte sie sich zu Adalbert, sie horchte auf die Gespräche, in welche er sich öfter mit dem Marquis und seinem Vater über die gegenwärtige Verfassungen, über die Lage Frankreichs, und ihrer aller Beziehung zu dem Vaterlande, sehr angelegentlich verwickelte. Sie durchdrang schnell seine Ansicht, und da diese das Allgemeine wie das Einzelne umfaßte, so war sie bald, mit unbegreiflicher Gewandheit, ganz heimathlich in dem fremden Gebiete. Beide älteren Männer vertheidigten die alte, seit Jahrhunderten geheiligte[140] Form, mit Feuer und dem nichts aufkommen lassenden Gewicht der Erfahrung. Adalbert fühlte die Nothwendigkeit einer Umwälzung, er sprach lebhaft, schön und eindringlich, so lange er hoffen konnte, verstanden zu werden, schwieg aber, wenn der Herzog, vom Gegenstande abspringend, den Schwindelgeist der Jugend angriff. Dann ließ Antonie oftmals einzelne Worte fallen, wie aus Adalberts tiefstem Innern herausgehoben, welche alle zwangen, auf sie zu merken, und dem Gespräch nicht selten eine ernstere, auf das Wesentliche zurückgehende, Wendung gaben.

Auf ähnliche Weise griff sie fast überall ein. Oft traf es sich, daß bei vorfallenden Streitigkeiten über militairische Operationen, Stellungen und Märsche der Corps, Adalbert seine Meinung durch einige flüchtig auf das Papier hingeworfene Striche unterstützte, und der Herzog sie dann, mit seinem Eigensinn, als undeutlich verwarf. Antonie an Sauberkeit und Schärfe der Umrisse, durch das Kupferstechen und Radiren gewöhnt, wußte nicht selten im Fortgange des Sprechens, seine rasche Andeutungen genauer im Kleinen anzugeben, wodurch der Herzog, schon aus Bewunderung und Liebe für sie, bezwungen ward. Adalbert konnte sie nicht übersehen. Sie riß seine Aufmerksamkeit, seine Verehrung an sich. Doch ließ der erste Eindruck[141] eine peinigende Scheu zurück, und er flüchtete nicht selten vor der Gewalt ihrer Herrschaft, zu Mariens kindlicher, hellen Engelswelt. Ihm hatte das Leben so selten gelacht, die Verhältnisse der Gesellschaft hatten ihm so große Schmerzen gegeben! auch jetzt war er zerrissen in seiner Wirksamkeit, das Ziel blieb ihm verrückt, wie Vaterland, Stellung zur Welt und Gebrauch der Kräfte umdunkelt waren. Er scheuete Antoniens Ernst, wie den trüben Rückblick in die Vergangenheit. Marie war heiter, ihre kleine Thätigkeit hatte immer etwas Freundliches, das Leben Anfrischendes, zum Ziel. Man sah so viel Schönes in ihr werden, sie entwickelte mit jedem Worte, mit jeder That, eine Zukunft aus sich hervor, welche in eine Welt voll Liebe und Wohlwollen zurückwies. Man ward an nichts Einzelnes bei ihr erinnert, aber man fühlte sich so ganz, so vollständig, so bereit, den jungen, frischen Lebensweg mit ihr einzuschlagen. Adalbert vergaß, daß er je etwas Widerwärtiges erfahren habe, wenn er bei dem guten Kinde war. Und er war viel um sie, denn es blieb auf der ganzen Reise bei der frühern Einrichtung, obgleich seine Gesundheit zum Theil wiederhergestellt war, und er sehr wohl freie Luft, und anhaltende Bewegung ertragen konnte. Die Tante war einmal an die Art und Weise gewöhnt, der leichte Gang des Gesprächs,[142] die kleinen Neckereien, der Gesang, ja das liebliche Wechselspiel aufkeimender Neigung, alles erfreute sie. Ueberdem fand sie es langweilig, daß Frauen und Männer, auf einer ohnehin beschwerlichen Reise, so ängstlich geschieden, die Tage von einander verträumen sollten! Und an einen Umtausch mit Antonien gegen eine der andern Frauen, war bei des Herzogs Gesinnung nicht zu denken.

So kamen sie denn, auf eigene Weise gestimmt und verstimmt, endlich in Basel an. Man hatte, von Bern aus, die nöthigen Vorkehrungen getroffen. Der Marquis, wie der Herzog, fanden wohl eingerichtete Wohnungen. Und ob beide Familien gleich durch ein paar Straßen von einander getrennt waren, so fühlte Adalbert diesen Zwischenraum sehr störend. Antonie hingegen athmete freier. Alles verhielt sich nun anders! Beziehungen und Verhältnisse waren gleichmäßig vertheilt, ihre Einwirkung auf sein Gemüth blieb gehindert, hier riß der Morgen nicht ein, was der Abend aufgebauet, hier mußte das Schicksal erfüllen, was es verheißen hatte!

In der volkreichen, bequem gelegenen Stadt, fanden sich viele Ausgewanderte zusammen. Mehrere Bekannte aus der Pariser Welt stießen leicht zu einander. Dem Herzog war der Anblick eines Mitbürgers im Auslande, unter diesen Umständen,[143] ein Stich ins Herz. Er vermied jeglichen, so gut sichs thun ließ. Die Baronin häkelte sich an alles an, was ihr die Vergangenheit zurückrief, und bauete sich aus jedem morschen Bruchstück auch ein Stückchen alte Welt zusammen, sie wußte recht gut, was es damit zu bedeuten habe, aber es sah doch so aus, wie sonst, und war hübsch und bestechlich. Das Neue, pflegte sie wohl zu sagen, muß erst aus mir herauswachsen, und ich hinein altern. Jetzt ist es noch so unbequem!

Unter denen, welche ihr aus den ehemaligen Kreisen am meisten zusagten, war der Chevalier Cerane. Er hatte viel gereist, viel gesehen, viel erfahren, war von schneller Umsicht, großer Gewandheit, leicht, und überall, zu Hause, trug einen Abriß jeglicher Wissenschaft und Kunst in sich, und behauptete in jedem Augenblick ein freundlich, harmlos Gemüth. Man sah ihn fast immer in Gesellschaft zweier Damen, von denen die Präsidentin als die ältere, Wittwe; Viktorine, ihre Nichte, aber noch verheirathet war. Ohne einer von beiden mit besonderer Neigung zugethan zu sein, war er durch Gewohnheit an sie gefesselt. Vertrauet mit ihrem Ideengange, ihrer Vorliebe für diese oder jene Lebensansicht, eingepaßt in Takt und Maaß ihrer Gesprächsformeln, wußte er stets, wo er einzugreifen, wie weit er zu gehn habe.[144] Zudem war die Präsidentin Schriftstellerin, hatte einen scharfen, genauen Blick für das Einzelne, wußte dies leicht aufzufassen, und nicht ohne Witz zusammenzustellen, ihre Miniaturbildchen waren daher, der Aehnlichkeit wegen, immer interessant, um so mehr, da sie alle den Farbeton bekannter, und nur zu sehr vermißter Umgebungen trugen. Viktorine, jung, elegant, im Gemisch origineller Eitelkeit, mit Entsagung und Hingebung drappirt, warf sich der Welt als ein interessantes Räthsel in den Weg, an welchem sich der Chevalier den Kopf zu zerbrechen schien, ob er sie gleich vollkommen auswendig wußte. So waren die drei Personen einander unentbehrlich geworden. Der Baronin gereichte es zu besonderer Lust, sie um sich zu versammeln, sie ihre Kunststückchen machen zu laßen; und hatte Viktorine gleich manches gegen die unbefangene Wahrheit dieser Frau, gegen das rasche Aussprechen ihres Gefühls, einzuwenden, ärgerte sie ihr festhaltender Blick, der sich dieser, unwillkührlich, bis auf den Grund fremder Gemüther senkte, so fand sie sich dennoch durch ihre Auszeichnung geschmeichelt, und, der Eigenliebe nichts zu vergeben, überredete sie sich, die Baronin suche ihren Umgang, die still erzogenen Nichten zu bilden.

Antonie sah indeß streng und kalt, wie ein[145] altes Steinbild, das man zufällig in einen modernen Gesellschaftssaal geschoben hätte, in jene Kreise hinein. Sie trug nichts in sich, was sie mit dem Fremden verbinden konnte. Die Welt lag ihr fern, was sie von Menschen kannte, war ihr nur durch Beziehungen lieb, und das einzige Wesen, in welchem Leben und Schmerz und Seeligkeit zusammenflossen, das trat ihr, wie die eigene Seele, weit aus dem hellen, dreisten Lichtscheine zurück.

Mit Marien war es schon anders. Ganz Glück, ganz Freude, im Gefühl still empfundener, still getheilter Liebe, hätte man sie eher mit den lieben Frauen Bildchen vergleichen können, die so selig bescheiden aus dem goldenen Rahmen, wie aus der freundlichen Schranke weiblichen Genügens, hervorblicken. Ihr Verhältniß zu Adalbert, das schweigend von ihr, wie von allen, außer Antonien und dem Herzoge, anerkannt ward, schied sie zwar von den Uebrigen, allein da ältere und reifere Personen sich stets an der zarten Entwickelung kindlicher Menschen erfreuen, und glückliche Liebe immer einen himmlischen Zauber über solche verbreitet, die sie in sittiger Verborgenheit hegen, so behauptete Marie doch unwillkührlich einen erfreulichen Platz in der Gesellschaft; vorzüglich räumten ihr diesen grade diejenigen Frauen ein, welche[146] den schmalen Paß, der sie in die Matronenkreise hinüberführt, schon zur Hälfte hinter sich hatten, und das mühsam bezwungene Herz noch an jenen Nachklängen bestechlich erweichten. Die Männer hingegen, denen eine Verlobte oder bestimmt Liebende meist uninteressant wird, gaben Antonien, des Abentheuerlichen ihrer Erscheinung wegen, größere Aufmerksamkeit. Wie still, wie untheilnehmend sie auch dasaß, ihr lautloses Erscheinen, einzelne tief hervorgeholte Worte, ihr dunkelglühendes Auge, das langsame Schreiten durch die Zimmer hin, und wieder die jähe Hast in Mienen und Geberden, die bei einzelnen Vorfällen heiter wie elektrische Funken durchbrachen, alles an ihr übte die Magie des Unbegreiflichen, der selten irgend ein Gemüth widersteht. Der Chevalier besonders sah mit einer Art leidenschaftlicher Neugier auf sie hin. Sie gehörte zu dem Wenigen, was er nicht bequem in seiner eigenen Stellung zur Welt erfassen konnte, und doch so gern verstanden, mit vielem andern, was er besaß, in Uebereinstimmung gebracht hätte! Er näherte sich ihr deshalb, und fühlte leise in sie hinein, welche Satte er anzuschlagen habe? Antoniens kürzlich zurückgelegte Reise gab sehr natürliche Veranlassung, das Gespräch zu eröffnen. Sie äußerte sich gern darüber, sie trug jene Bilder immer in ihrer[147] Seele, von dem Uebergange über den Bernhard, den steilen einsamen Pfaden, den gewaltigen Riesenmassen, an denen sich diese hinwinden, von der Großheit und tiefsinnigen Ruhe der Natur in den unterhalb liegenden Thälern, redete sie mit Liebe und Rührung. Der Chevalier hatte nicht sobald ihr Hinneigen zu großen Naturgegenständen entdeckt, als er sie geschickt auf das, was er in der Art gesehen und erfahren, auf seine Reisen, auf seinen Aufenthalt in den Amerikanischen Inseln, zu lenken wußte. Er besaß die Gewandheit aller der Menschen, die sich mehr bei dem Gesehenen als dem dabei Empfundenen aufzuhalten pflegen, und jenes in anschaulicher Deutlichkeit und eigenthümlichem Farbentone außer sich hinzustellen wissen. Antonie hörte ihm aufmerksam zu Nichts von allem, was er schilderte, war ihr fremd, es war, als rede er von ihrer Heimath, er riß sie aus der träumerischen Gegenwart heraus, in welcher ihr alles dämmernd und unklar erschien, sie folgte ihm willig zum fremden tief hallenden Strande, die Natur war dort eine andere, auch ihr Geschick ward dort ein anderes, Adalbert war um sie, bis dahin waren sie geflüchtet, das trügerische Europa weit hinter sich lassend, nun Durchzogen sie die gewaltigen Wälder, über ihnen ein fremder Himmel, in seinen Gezelten schweift der mächtige Riesengeier[148] in weit gezogenen Kreisen, fremde Stimmen schlagen an ihr Ohr, ungeheure Thiere sehen bedrohlich auf sie hin, ein ungekannt Geschlecht scheint sich ihrer zu verwundern, allein mit dem Geliebten in der fremd belebten Wüste brennen ihre Herzen in der Tropen ewigen Gluth zusammen. Antonie war ganz Ohr, ganz inneres, unaussprechlich heißes, flammendes Leben!

So fanden sich denn beide aus ganz verschiedener Ursach, in ganz entgegengesetzter Richtung des Innern, äußerlich stets zusammen. Es blieb nicht unbemerkt, man lächelte und spottete freundlich darüber. Und wirklich hatte sich der Chevalier, indem er ein Gemüth auf großen Umwegen ergründen wollte, in diesem verloren, und die Herrschaft über sich selbst auf eine Weise eingebüßt, wie es denen immer geht, welche sich an etwas wagen, was über ihre Kräfte hinaus reicht. Schon konnte er nicht von Antonien getrennt sein, ohne eine lebhafte Unruhe zu empfinden, die so merklich aus der gezwungenen Haltung seines Gesprächs, aus dem mühsamen Abwenden seiner Blicke von der Thür wo sie einzutreten pflegte, aus allen den kleinen Bewegungen hervorleuchtete, welche ein erfahrenes Auge niemals übersieht, daß die Baronin ihre herzliche Freude daran hatte. Denn ihr konnte es nicht ganz entgehn, was Antonie, obgleich dunkel,[149] doch ihr vernehmlich, ahnden ließ. Sie sah jetzt einen Ausweg aus dieser entstehenden Verwirrung, und lobte sich im Stillen den Zauber geselligen Verkehrs, der leicht und freudig das Störende ausgleiche, wenn die Einsamkeit jede Anregung mit ängstigender Gewalt anpacke, und alles so einzeln und deshalb so ungeheuer hinstelle.

Fröhlich wie sie war, dachte sie nur an Frohes. Kleine gesellige Feste waren ihr von je eine liebe Unterhaltung, und jetzt riefen sie ihr die Zeit zurück, wo die Menschen in Ruhe und Sicherheit, sich selbst, ihrer Regierung, und ihrem Gott vertrauend, mit dem Leben ein heiteres Spiel trieben. Die Ruhe war wenigstens in ihrer Nähe scheinbar begründet. Der Herzog weniger stürmisch, von Zeit zu Zeit sogar häuslich in ihrer Mitte, der Marquis, in der Gesellschaft eines niedersächsischen Arztes, dessen Bekanntschaft er gemacht, wohl unterhalten, alles hatte ein zufriedenes Ansehn. Sie erinnerte sich jetzt, daß sie in diesem Jahre das Fest der heiligen drei Könige zu feiern vergessen, daß sie dies nicht vorbei gehn lassen, daß sie es nachfeiern müßten. Alle stimmten ihr bei, es ward zum Tage Maria festgesetzt. Die lustige Königswahl, welche an diesem Feste, in ganz Frankreich, durch das ohngefähre Zufallen einer, in einen Kuchen hineingebackenen, Bohne, scherzhaft getroffen,[150] und für einen Abend behauptet wird, gab schon vorher Stoff zu mancher Lust und mancher Neckerei. Der Tag kam. Das Loos entschied für den Chevalier. Ihm blieb die Wahl einer Königin. Er besann sich einen Augenblick, dann reichte er Antonien nicht ohne Rührung die Hand. Antonie hatte anders gewünscht, anders gehofft, Einer konnte ihrer Meinung nach, hier nur König sein! Das Loos hatte sich vergriffen. Sie sah zögernd umher, sie erwartete, alle sollten fühlen wie sie! eine Gegenwahl schien ihr natürlich. Aber statt dessen drängte man sie, dem Herrscher zu folgen, ihr Herz stäubte sich selbst gegen das augenblickliche Spiel, und sie schritt neben dem fremden, ihr aufgedrungenen Mann, mit unbeschreiblichem Stolz und wahrhaft königlicher Miene einher. Alle huldigten ihr, und Adalbert neigte, als ihr vom König erwählter Hofmarschall, halb scherzhaft, halb in überraschender Aufwallung, ein Knie vor der schönen Gebieterin.

Während dem Abendessen ward die Freude, wie immer, ungebundener. Der Wein entfesselte manche Zunge. Die kurze Lust steigerte sich mit jedem Augenblick, es schien, sie wolle ihr Maaß auf lange Zeit erschöpfen. Adalbert sang mit sehr schöner Stimme Kriegslieder, er saß neben Marien, Antonien gegenüber, er trank rasch und viel, unter[151] stetem Sprechen und Singen. Mienen und Geberden waren unendlich beredet. Er schien Antonien etwas sagen zu müssen, sagen zu wollen, er machte oft eine Bewegung zu ihr hin, doch der Herzog, ebenfalls vom Weine angeregt, verließ fast Antoniens Sessel nicht. Endlich hoben sie die Tafel auf. Adalbert nahete sich Antonien, er zog sie leise in ein Fenster, und, die glühenden Finger auf ihre Hand gelegt, sagte er heimlich flüsternd, meine Freundin, meine Königin, ein Wort von Ihren Lippen kann zwei Menschen beglücken, wollen Sie es sprechen? Antonie, unfähig zu reden, die Gluth seiner Finger wie heiße Zangen an ihrem Herzen fühlend, athmete kaum. Adalbert riß unruhig ihre Hand an seine Brust, und sagte nun heftig und schnell: Antonie, Sie haben Gewalt über meinen Vater, ich liebe Marien mehr wie mein Leben, sagen Sie ihm, daß er mir sie gebe, ich kann sonst nicht in Europa bleiben, sie allein kann mich mit dem Schicksale versöhnen, ich fliehe sonst in einen andern Welttheil, der Sohn geht ihm für immer, sagen Sie ihm das Antonie, für immer verloren! O! meine schöne Schwester, reden Sie, reden Sie für mich! Wollen Sie? Antonie hatte längst nichts mehr gehört, sie sah nur die Bewegung seiner Lippen, sein Athem berührte sie, sie war wie eine Träumende[152] und erwiederte Gedankenlos auf sein wiederholtes Fragen, ein dumpfes Ja.

Der Herzog hatte sie, wie den Sohn, genau beobachtet, er trat zu ihr, als jener sie verließ. In seiner Seele war nur ein Gedanke. Er fragte zärtlich: Ist alles richtig? seid Ihr einig? Antonie sah ihn krankhaft lächelnd an, und wiederholte ihr freudloses Ja.

Voll Entzücken eilte er nun zu Adalbert, drückte ihn ungestüm an die Brust, und als dieser fast erstaunt fragt, habe ich Ihre Einwilligung? – fällt er ihm heftig in die Rede, und bekräftigt seine Zusage mit einem heilig gegebenen Worte. Doch, gelähmt vor Schreck, bleibt er stumm, als auch Marie seine Hand faßte und beide Glückliche sich umarmen.

Das Wort war gegeben. Pflicht und Ehre waren Bürge geworden. Er hatte nichts mehr zu sagen. Wie ein großer Mißgriff sah ihn der ganze Abend an. Das Unvermeidliche war nicht zu vermeiden. Er fühlte das tief, und stand noch in sich versunken, als sich der Marquis, die Baronin, alle um ihn versammelten, und Adalbert, der sich nicht kannte, der alles schon beendigt, sein Glück vollkommen gesichert wissen wollte, ihm anlag, Heute, noch diesen Abend, die Trauung vollziehn zu laßen. Der Herzog nickte bejahend mit dem[153] Kopfe. Ein Geistlicher war zur Stelle, die Tante flocht Marien das kleine Orangenbouquet durch das Haar, Adalbert brachte Antonien, welche sich auf dergleichen verstand, die beiden verbundene Ringe Mariens, mit der Bitte, sie geschickt von einander zu lösen. Ohne Verwunderung blicken zu laßen, ja ohne Theilnahme irgend einer Art, empfing sie die Ringe. Sie trat damit zum Licht, und, eine kleine Zange aus einem Portefeuille nehmend, brach sie hin und her an der Verbindung. Sie schien selbst nicht zu wissen, was sie thue, denn plötzlich brachen beide Ringe entzwei, und das Stiftchen was sie zusammenhielt, flog weit davon. Im selben Augenblick drang es wie ein helles Lachen aus Antoniens Brust, sie sank nieder zur Erde und blieb bewußtlos liegen.

Der Deutsche Arzt, welcher zugegen war, und die Unglückliche schon längst theilnehmend betrachtete, sprang auf sie zu, und trug sie zum Zimmer hinaus.

Doch Adelbert war Heut durch nichts zu erschrecken, durch nichts zu stören, er sorgte schnell für zwei andere Ringe und die Ceremonie ward ohne Antonien, doch nicht ohne bange, ängstigende Vorgefühle, vollzogen.[154]

Quelle:
Caroline de la Motte Fouqué: Die Magie der Natur. Berlin 1812, S. 133-155.
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