XII.


Der Weissen Frauen Ursprung.

[74] Ob gleich / wie am Ende voriger Erzehlung / angezeigt worden / der Herr Pater Balbinus / bey Eröffnung seines Urtheils von der Weissen Frauen / einige Scrupel hinterlassen: verdient doch die geschickte Feder dieses / um die gelehrte Welt wolverdienten /Manns / daß wir sie / von der Weissen Frauen /noch weiter reden hören. Denn ob es schon nicht Alles / nach unsrem Sinn und Beduncken / lauten dörffte: wird doch viel Leswürdiges darunter vorkommen.[74]

Es sey nun die Weisse Frau ein blosses Gespenst /oder / wie der H. Pater Balbinus urtheilet / eine Seel /und zwar eine selige Seel (welches ich an seinen Ort gestellt seyn lasse) so kann man ihm gleichwol diesen Ruhm nicht entziehen / daß / vor ihm / noch Keiner /von dem Namen und Ursprunge dieses Gespenstes /so ausführlich geschrieben / oder so eigendlich Nachricht gegeben / was es für eine Person gewest / und wie sie geheissen / in derer Gestalt die Weisse Frau erscheint.

Er sagt / was den Namen solcher Person anlangt /sey die Weisse Frau / Frau Perchta von Rosenberg; und zwar / seiner Einbildung nach / die Seel (meiner nach aber / die blosse Gestalt) derselben. Solches bescheinigt er also / wie folget.

Zuforderst weiß man / daß diejenige / welche erscheint / eine Witwe (oder nach meiner Red-Art / wie eine Witwe gestaltet) sey: angesehn / solches die Witwen-Kleider-Tracht / darinn sie erscheint / zu erkennen giebt. Gleichwie auch diese nachgesetzte Umstände und Anzeigungen / für keine andre Matron / so aus dem Rosenbergischem / oder Schwambergischem Stamm erzeugt ist / sich reimen wollen / als für besagte Perchtam: nemlich / daß sie / unter den Ihrigen / und ihren Verwandten / ihres klugen Verstandes wegen / hoch geachtet worden / und / an stat ihrer Neuhäusischen Pupillen / die Herrschafften gubernirt habe: daß sie auch die Mahlzeit / so man den süssen Brey nennt / für die Unterthanen gestifftet: daß sie das alte Neuhäusische Schloß erbauet; daß sie / von einem bittren Affect (wie es der Author nennet / und[75] ich auf einen Groll / Zorn / oder Wehmut deute) eingenommen / gelebt und gestorben: daß sie / so wol an den Oertern / welche Rosenbergischer / als an denen /die Neuhäusischer Herrschafft seynd / erscheinet; welches anzeigt / sie müsse beyden Stamm-Häusern verwandt seyn: daß sie beyden solchen Stämmen günstig / und so wol dem einem / als dem andren / die Sterb-Fälle derselben vorher angezeigt / auch noch vorher andeutet: daß sie dem Peter Wok von Rosenberg allezeit gewogen gewest / ihn / als er noch ein säugendes Kind war / auf ihre Arme zu nehmen pflegen / und demselben einen Schatz gezeigt / wie unten mit Mehrerm soll gedacht werden.

Diese Frau Perchta aber ist geboren zwischen dem Jahr Christi 1420 und 1430 / und ihr Vater Udalricus von Rosenberg / der Zweyte deß Namens / gewest: welcher / mit seiner ersten Gemahlinn / Frauen Catharina von Wartenberg / die im Jahr 1436 die Welt gesegnet / diese Perchtam, unter andren Kindern beydes Geschlechts / erzeugt hat. Jetzt-besagter ihr Vater / Udalricus (oder Ulrich) von Rosenberg / war Ober-Burggraf in Böhmen / und / durch Authoritet deß Römischen Papsts / zum obersten Feldherrn über die Römisch-Catholische Völcker wider die Hussiten / verordnet / und hat diese Tochter / die er sehr liebte /Herrn Johann von Liechtenstein / einem Steyrischen Freyherrn / der ein sehr berühmter und gewaltiger Mann war / nachmals aber in ein gantz bestialisches Leben gerahten / im Jahr 1449 / Sonntags vor Martini / vermählt / an welchem Tage / zu Crumlov die Hochzeit celebrirt worden. Wie[76] man aber / in einem geschriebenem Buch Rosenbergischer Geschichte / lieset / so ist solche Ehe gar übel gerahten / und das Braut-Bette der guten Frauen Perchta zum Kreutz-Bette / das Eh-Bette zum Weh-Bette worden: sintemal sie vielmehr Leides / als Liebes / darinn empfunden: indem sie / von diesem ihrem Eh- und Weh-Herrn /sehr übel gehalten / sehr unbillig und verächtlich tractirt worden / grosse Dürfftigkeit und Mangel ausstehn / und deßwegen vielmals ihren Vatern / und Brudern um Hülffe anruffen / solchem nach schier eben dasjenige practiciren müssen / was man / von der Königinn Crotild / deß Königs in Franckreich / Clodovæi, Schwester / und deß West-Gothischen Königs / Amalarici, Gemahlinn / geschrieben.1

Daher dann kein Wunder / daß sie die so schwere und grausame Beleidigungen / so der Eh-Herr ihr angethan / Zeit ihres Lebens / nicht verdauen können: wie der Pater Balbinus redet: Welches doch / meines Erachtens / eine gottselige Christinn endlich verdauen / verzeihen / vergeben / und vergessen muß / soferrn sie ihre Seele nicht gefähren will.

GOtt / als ein Vater der Elenden / hat endlich allem solchem Ubel / durch tödtliche Abfordrung ihres so widerwertigen Eh-Herrns / ein Ziel gesteckt: Worauf sie / nachdem dieser Strick zerrissen / mit Freuden /zu den Ihrigen / und zu ihrem Bruder / Heinrich dem Vierdten (welcher Anno 1451 seiner Famili vorzustehn angefangen / aber[77] im Jahr 1457 / ohne Kinder /gestorben) nach Böhmen geeylt.

Man hat vielerley Anzeigungen / daß sie eine rühmlich-kluge Matron gewest: also gar / daß sie auch ihrem Brudern / Heinrich / der Rosenbergischen Famili damaligem Gubernatorn / einem gantz heroischem Cavallier / gewisse Lebens-Regeln vorgeschrieben / auch / in den wigtigsten Handlungen / von demselben zu Raht gezogen worden. Wie dann / in erst-berührtem geschriebenem Rosenbergischem Buch / unterschiedliche ihrer Send-Schreiben angezogen werden / darinn sie diesen ihren Bruder / von dem überflüssigem Thurniren / Stechen / und Ringelrennen / dem er allzusehr ergeben war / abmahnet / und mit vielen Schluß-Gründen zu erweisen bemüht ist / es müsse das Leben uns werther / und die Zeit köstlicher seyn / als / daß wir dasselbe / um der einigen Ergetzung und Lust deß Rennspiels / und eines so eitlen Rühmleins willen / so man durch den Obsieg dabey erhält / dem ungewissen Glücks-Ball und Fall so gefährlich unterwerffen sollte; da doch weder dem Vatterlande / noch dem Könige / daran sonders viel gelegen sey.

Nicht weniger dienet auch dieses ihrer Klugheit zum klaren Gezeugniß / daß ihr / von den sämtlichen Neuhausischen Stamm-Verwandten / nicht allein die verwäisete Söhne und Töchter deß Meinhards von Neuhaus / welcher / durch den Georg Podiebrat / im Jahr 1449 / beydes seiner Würde und Lebens entsetzet war / zur Auferziehung / sondern auch / mit Bewilligung deß fürnehmsten Vormunds / Ernst Leskowiz / die Regierung[78] ihrer Herrschafften und Güter /anvertraut worden.

Von solchen Söhnen deß Meinhardi, ist der älteste / Namens Ulrich von Neuhaus / im dritten Jahr / nach seinem Vater / nemlich Anno 1452 / mit Tode abgangen; die zween übrige / Johann / und Heinrich / welche / wie Hagecius gedenckt / im Jahr 1453 noch minderjährig gewest / haben nachmals / als sie zu ihren vogtbaren Jahren gelangt / dennoch die Frau Perchtam, als von welcher sie auferzogen worden /nicht von sich lassen wollen: worauf sie / zu Neuhaus / ihre alte Tage zugebracht. Aber dieser Johann / und Heinrich / seynd / ohne Hinterlassung einiges Erbens / verstorben. Worauf / weil hiemit deß Meinhardi, weiland Gubernatorn und Ober-Burggrafens / gantzes Geschlecht erloschen / Neuhaus / samt allen angehörigen Herrschafften / Rechten / und Privilegien / auf die andre Neuhausische Lini / gefallen / welche man die Telczensische hieß / und zwar namentlich auf Heinrich den Vierdten / welcher die Frau Annam / eine geborne Fürstinn von Münsterberg / zur Gemahlinn hatte.

Aus diesem Allen entsteht / nach obgedachten Authoris Schluß / ein wahrscheinlicher Beweis / es sey die Weisse Frau Niemand anders / als die Frau Perchta von Rosenberg: weil / mit derselben / Alles dasjenige / so man von der Weissen Frauen sagt /übereinkommt.

Sein letzter und zwar / seiner Einbildung nach /vollkräfftiger Beweis ist dieser. In dem alten Gebäu deß Neuhäusischen Schlosses / steht ein Bild / in menschlicher Leibes-Grösse / welches die [79] Weisse Witwe / nemlich offtgemeldte Frau Perchtam, vorstellet. Selbiges Bild aber sihet der Frauen Perchtæ, nach Aussage Aller derer / welchen sie jemals begegnet ist / so gleich / als obs derselben aus den Augen geschnitten wäre.

Wann nun Fremde kommen / und den Palast daselbst besehen / zeigt man ihnen dieses Bild: wie man auch besagtem Authori gethan / im Jahr 1655 / als er / zum ersten Mal / selbigen beschaute. Dabey dann diejenige / welche gantz nahe hinzutreten / und um Alles genau zu betrachten / so wol das an dem Bilde schimmrende / Rosenbergische Wapen / als den drauf geschriebenen Namen der Perchtæ, erblicken.

Diß seynd also deß Authoris Mutmassungen: die auch / in gewisser Masse / nemlich der Gestalt halben / nicht unglaublich fallen: gleichwie ich von der Person / oder von dem Geist / so in solcher Gestalt sich blicken lässt / ein andres Concept fasse / denn er.

Es wird folgends / von ihm / die Frage gestellt /was Perchta für ein Nam sey? In etlichen Teutschen Scripturen / wird sie / nach Teutscher Red-Art / mit Versetzung etlicher Buchstaben / Prechta genannt. Er hat / lange Zeit / gemeynt / es wäre eines alten Geschlechts Nam / als die Namen Criseldæ, Sigunæ, Hroznatarum, Kunatarum, Lidmirorum, und andrer mehr: daraus man vormals / Namen der Heiligen zu machen / sich vergeblich unterstanden habe. Als er aber einsmals ein kleines Register etlicher alten Reliquien / bey einer gewissen Kirchen / gelesen / hat er /auf einem heiligen Beinlein / den Namen [80] Perchtæ, einer Königinn von Franckreich / gefunden / dabey seines Bedunckens / leicht zu erkennen / wer sie gewesen. Welches der Author zweifels ohn also versteht / daß man nicht mehr zweifeln könne / was diejenige Perchta, so auff dem Beinlein geschrieben stund / von Person und Condition für eine gewest. Denn wann er die Weisse Frau damit meynete / würde er ihm selbsten widersprechen; nachdem er vorhin dero Eltern /und Eh-Herrn / deutlich genug angezeigt: Sintemal ich nicht begreiffe / zu was Ende er diß Letzte / von dem also beschriebenem Beinlein / sonst erzehle. Unterdessen bleibt damit der Nam Perchta noch eben so unbekandt / der Bedeutung nach / wie zuvor. Wann es rahtens gölte; so wollte ich sagen / Perchta sey vielleicht / entweder mit dem Italiänischen Namen Berta, einerley / oder auch so viel / als Brigitta.

Er berichtet hernach weiter / aus dem Munde etlicher alter Leute / welcher Gestalt die Weisse Frau einen Schatz habt endeckt. Womit es folgendes Verlauffs / soll zugegangen seyn.

Als im Jahr 1539 / Peter Wok, deß Wilhelms Bruder / und nachmals der Letzte seines Geschlechts / geboren war / und / wie mans mit fürnehmen Kindern zu halten pflegt / zu Trebona (Trzebon, sonst auff Teutsch Wittengau genannt) im Frauen-Zimmer /aufferzogen ward; fing die Weisse Frau an / bey Nacht offt zu ihm zu kommen / wann die Ammen /oder Kinds-Mägde / der Schlaff übernommen hatte: wiegte dieses Kind / nahms auch / so es weinte / aus der Wiegen auff ihre Arme / stillete es mit süssem Lispeln / und andren[81] Verfahrungen / so bey den Ammen gebräuchlich; lachte ihm freundlich zu /spielte mit ihm / trug ihn in den Gemächern herum /und spahrete / an diesem Säuglinge / gar keinen Fleiß Kurtz; sie stellete sich so vertraulich bey dem Knäblein an / daß die Ammen / und Kinds-Wärterinnen /und Andre / denen dieses Kind / Peter / zur Warte und Pflege anbefohlen war / sie mit ihm zu frieden liessen / und nicht verstöreten / noch ihr zu wehren begehrten / daß sie ihn / mit ihren Händen / angriff /und in ihre Arme legte.

Hernach hat sichs begeben / daß ein neues Weib /in das Frauenzimmer / auffgenommen worden: als nun selbiges Weib sihet / daß die Weisse Frau das Kind aus der Wiegen hebet / und herum trägt / meynt diese / es sey eine Schande / daß man daß Kind einem Gespenst vertraue; fasst derhalben ein mehr / als weiblichs / Hertz / tritt hinzu / reisst dasselbe der Weissen Frauen aus den Armen / und spricht: Was hast du / mit unsrem Kinde / zu schaffen? Hierauff fährt die Weisse Frau / welche bisher allzeit geschwiegen / mit dieser zörnigem Antwort / heraus: Was? und / du saubre Dirne / du dreckichter Huten-Balg / darffst mich noch wol fragen / was mich das Kind angehe? Da du doch erst neulich nur mit blossen Füssen dahergeloffen bist / und dich allhie eingeschlichen hast? Du sollt wissen /daß dieses Kind / aus meinem Stamm / bürtig /und von meinen Bruder / durch dessen nach einander erzeugte Kindes-Kinder / solchem nach aus der Lini meines Geblüts / herkomme. Derhalben[82] bin ich keine Fremde / sondern gehöre ihm zu.

Gleich damit hat Sie sich / zu allen Hof-Mägden /gewendet / und gesprochen: Und ihr habt mir /eurer gnädigen Frauen / auch niemals annoch einige Ehr erwiesen / wie sichs gebührte: darum so behaltet nun euer Kind immerhin! Ich will / von nun an / nicht wiederkommen. Und / zu der Ammen / sagte Sie insonderheit: Warte du dieses Söhnleins wol / und gieb fleissig Acht auff ihn: Er wird danckbar seyn. Und wann er / nun erwachsen ist / so gib ihm die Nachricht / daß er mir so lieb sey; und sag ihm auch / wie ich / aus diesem Ort (wobey sie zugleich / mit der Hand / nach der Wand hinzeigte) habe pflegen zu ihm zu kommen /und wieder dahin gehe. Nachdem sie diese Worte kaum ausgeredt / ist sie / zu selbiger Wand / hinein getreten / und ihnen gleich aus den Augen verschwunden; hat auch / von selbigem Tage an / den Kleinen nicht mehr besucht.

Als aber dieser Peter Wock / von der Ammen /solches / da er nunmehr ein erwachsener Jünglig war /erfahren: hat er lange nicht verstanden / was damit eigendlich gemeynt würde; biß er / in seinem Alter /nach Absterbung seines Bruders / Wilhelmi / in derselbigen Wand / zu welcher die Weisse Frau allezeit hatte pflegen hinein zu gehen / (nachdem er vielleicht / durch eine neue Anzeigung / dazu eine Ermahnung bekommen) zu graben befohlen / und daselbst einen verborgenen gewaltigen Schatz angetroffen. Wovon hernach / im[83] Jahr 1611 / dem Passauischen Kriegsheer / welches / weil man ihm seinen Monat-Sold hatte verweigert / rebellirte / und feindlich in Böhmen gegangen war / etliche hundert tausend / so Keyser Rudolphus / von diesem Petro / entliehe / gezahlt wurden: Nach deren Entrichtung / man selbige Völcker abgedanckt.

Fußnoten

1 V. Mariana lib. 5. Rer. Hispanicar. c. 7.


Quelle:
Francisci, Erasmus: Der Höllische Proteus, oder Tausendkünstige Versteller [...]. Nürnberg 1690, S. 74-84.
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