XIX.


Das Vater Unser um ein Kopffstück.

[139] Gleich zu Anfange Göttlicher Schrifft / hat der heilige Geist die List deß Satans / unter dem Namen einer Schlangen / vorgebildet: weil diese / in der List / andren Thieren weit vorgehet. Wie die Schlange / unter einem zierlich-gläntzendem Balg / einen boßhafften Gifft heget: also pflegt der Teufel seine ertz-listige Versuchungen offt / mit der Larven eines Antriebs zur Andacht und Gottseligkeit / zu vermummen. Dessen kann / nebenst unzehlich-vielen andren Begebenheiten / diejenige / so in dieser Stadt vor etlich und zwantzig Jahren sich zugetragen / ein exemplarisches Zeugniß erstatten.

Als ein gewisser Lehr-Jung / Abends / zwischen Licht und Tunckel / auff der / so genannten / Schied (so ein weiter geraumer Platz ist / der hiesigen Fluß vorüber lauffen siht) seiner Gewonheit nach müssig herum schweiffte; begegnete ihm ein schwartz-gekleidtes Männlein / so sich für einen Handwercker ansehn ließ / und fragte / ob er nicht lust hette / bey ihm / sich in Dienst zu geben? Er würde / an ihm / einen guten Meister und Herrn treffen.

Der Jung antwortet: Ich habe schon einen Meister /und brauche weiter keines andren.

Der falsche Meister versetzt: Ob du schon einen Meister allbereit hast; könntest du diß / worinn ich deiner brauche / doch wol daneben verrichten /[140] und dennoch / bey deinem jetzigen Meister / bleiben. Ich wollte dir einen guten Lohn machen / welchen du /mit leichter Mühe / täglich erwerben und einnehmen wirst.

Was sollte dann (fragt der Lehr-Jung) solches für eine Verrichtung / und Belohnung seyn?

Du sollst (spricht der vermeynte Meister) alle Abend / bey jetziger Dämmerungs-Zeit / nur / an diesem Ort / hier am Wasser / ein Vater Unser etc. beten; und dafür / zu Lohn / täglich ein Kopffstück haben: welches du / auff diesem Pfosten (oder Stock) der hier am Wasser steht / alle Abend / so offt du allhie das Vater Unser etc. betest / finden wirst: musst aber die Zeit nicht verabsäumen / noch es jemals unterlassen.

Der Jung gedenckt / wann er so leicht ein Kopffstück zu verdienen wisse / und zwar mit dem Gebet /werde er solches / ohne sonderliche Verabsäumung seiner täglichen Handwercks-Arbeit / mit nehmen /und unschwer verrichten können: bewilligt derhalben / und verspricht / es gar fleissig zu thun.

Der verlarvte Meister fragt hierauff: Wie heissest du? Und als der Jung seinen Namen anzeigt; stellet er sich / als falle ihms schwer / denselben zu behalten /sprechend: Ich sorge / daß ich deinen Namen leichtlich dörffte vergessen: mögte derhalben wünschen /daß du mir denselbē aufschriebest / und dabey zugleich dich / zu treulicher Beobachtung dessen / was du mir jetzo gelobest / verschriebest.

Ja! spricht der Jung / wo habe ich hie Feder und Papier?[141]

Der betriegliche Meister ziehet alsofort eine Feder hinterm Ohr herfür / und reicht ihm selbige dar / nebenst einem Zettel Papiers.

Der Jung sagt: Wann gleich Feder und Papier vorhanden: so ist ja keine Dinte dabey!

Der schalckhaffte Meister versetzt: Das ist zwar nicht ohn: allein es brauchts nicht / daß mans deßwegen auffschiebe; man kann schon Raht dazu finden. Sihe! da hast du ein Messer! Ritze oder schärffe nur / an deinem Arm / die Haut ein wenig auff /so wirst du / ohn sonderlichen Schmertzen / bald so viel Bluts bekommen / als / zur Auffzeichnung deines Namens / vonnöthen. Dessen kannst du hiebey dich / an stat der Dinten bedienen.

Der Jung lässt sich bereden / unn durch den Lohn blenden; ritzet sich / und schreibt seinen Namen / auff den Zettel. Welchen der listige Meister zu sich / und hierauff / nach wiederholter Versprechung / ihm alle Abend / gegen Sprechung deß heiligen Vater Unsers /ein Kopffstück zu bezahlen / von ihm Abscheid nimt; nachdem er ihm / gleich alsofort / zur Angabe / eines vor aus gereicht.

Der Jung kommt seinem Versprechen / alle Abend /fleissig nach / nemlich das heil. Vater Unser / an bestimtem Ort / zu beten / und sein Kopffstück zu verdienen: Welches auch alle Mal richtig erfolgte / und an bedeuteter Stelle bereit lag.

Diß gefiel ihm treflich wol: er fing es aber an / übel zu verwenden / auff Nascherey / auch lustig an zu spielen. Weil aber weder seine Mutter / noch[142] der Meister / wussten / woher der Jung das Geld bekäme; vermeynte Jene / der Meister liesse ihm einen Verdienst zukommen; und dieser gedachte / es gäbe ihms die Mutter: welcher er auch deßwegen einsmals einen Verweis gab / und sagte / Sie sollte es nicht thun; denn sie würde ihren Sohn nur damit verderben / als der hiedurch / zum Müssiggang / und in ein ruchlos-liederliches Leben geriethe: Sie sollte es lieber spahren / biß er zu erwachsenem Alter gelangte. Sie entschuldigte sich / mit hoher Betheurung versichrend /daß sie / als eine arme Witwe / ihm nichts zu geben; sondern bishero gemeynt hette / er / der Meister / liesse ihm vielleicht dasjenige / was er / durch arbeiten /verdiente.

Weil nun der Meister gleichfalls hiezu Nein sagte: wurden sie Rahts / den Jungen in ernstliche Unterfragung zu nehmen / woher er das Geld bekäme? sintemal zu besorgen stund / er dörffte es vielleicht Jemanden entwenden. Da erzehlt er frey und gantz willig /wie er alle Abend / nachdem er Jemanden versprochen / bey dem Stock am Wasser / den er auch der Mutter wies / ein Vater Unser etc. zu beten / ein Kopffstück erhübe.

Der Mutter ward alsofort bang / und der Handel verdächtig / Sie besorgte / daß nichts Gutes darunter stecken dörffte; zweifelte auch / ob gar darum gebetet würde. Insonderheit aber hatte Sie / auff das Blut-verschreiben / gar kein gut Auge: als welches sie / aus keiner menschlichen Eingebung zu fliessen / erachtete. Solchem nach ging sie / zu dem damaligen fürnehmsten Prediger / dieses Orts / Herrn Joh. Michael Dilherrn / und[143] erzehlte Ihm den gantzen Verlauff. Derselbe begehrte / sie sollte / deß andren Tages /wieder kommen / und den Jungen / samt dessen Meister / mitbringen. Welches sie that.

Da nun der befragte Jung eben das zur Antwort gab / was vorigen Tages die Mutter erzehlt hatte; fragte der Herr Dilherr ihn: Ob er vermeynte / daß der kleine Mann ein rechter Mensch und Meister wäre? Der Jung sagte: Das weiß ich nicht: doch sahe er einem gleich / und wie ein andrer Mensch.

Der Prediger versetzte: Weil du ihm aber deinen Tauffnamen / mit Blut / verschreiben müssen; so muß solches nichts rechts / noch Christliches seyn. Hast du wol jemals gehört / daß ein Meister / wann er einen Lehrjungen bedingt / und annimt / von dem Jungen eine Verschreibung mit Blut gefordert?

Als der Jung hiezu Nein sagte; fuhr Jener fort / zu fragen: Ob er sich dann dieses Handels begeben /frey davon werden / und kein Geld mehr holen /oder lieber in Gefahr deß bösen Feindes Eigner zu werden / stehn wollte / und demselben zu dienen begehrte? Der Jung antwortete / er wolle / mit diesen Sachen / weiter nichts zu schaffen haben; und gelobte dabey an / diese seine freymütige Erklährung zu halten.

Hierauf hieß der Prediger ihn nider knien / betete /mit ihm / das heil. Vater Unser etc. und die Articul deß allgemeinen christlichen Glaubens: befahl[144] ihm auch / daß er daheim solches / neben andren erlerneten Gebeten / fleissig beten sollte.

Er / gedachter Prediger / selbst schloß ihn auch so wol in sein absonderliches / als in das offentliche Kirchen-Gebet. Hernach ist der / mit deß Jungen Blut beschriebene / Zettel / in der Haupt-Kirchen zu S. Sebald / unter dem morgendlichen Chor-Gesange / auff den Altar geworffen / dem Prediger heimgetragen /und von demselben verwahrlich auffbehalten worden. Wie ich solches / so wol aus dem Munde / als auch der Feder einer fürnehmen Stands-Person / welcher dieses ruhmbesagter Prediger selbst erzehlt hat / erfahren / auch überdas von etlichen Andren / die noch am Leben / und sich solches Verlauffs sehr wol zu erinnern wissen / mich der Gewißheit versichert habe.

Quelle:
Francisci, Erasmus: Der Höllische Proteus, oder Tausendkünstige Versteller [...]. Nürnberg 1690, S. 139-145.
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