XXXI.


Die besessene Kinder.

[314] In Betrachtung / daß der Allmächtige / aus dem Munde der jungen Kinder und Säuglinge / eine Macht zugerichtet hat / damit Er vertilge den Feind / und den Rachgierigen / sollte man sich wol verwundren / daß dennoch der Feind bißweilen Macht bekommt / auch kleine Kinder zu besitzen / und zu plagen.

Es kann solches aber entweder / auff boshaffter Eltern bösen Fluch / oder aus andren GOtt bekandten Ursachen / geschehen; und zwar jemaln auff solche Weise / daß die Hexen den kleinen Kindern was zu fressen / oder zu trincken geben / darinn ihnen ein böser Geheim- oder Haus-Geist beygebracht wird; wann die Eltern solche Kinder nicht fleissig zum Gebet und zur Gottesfurcht halten / noch auch selbst /in ihrem täglichen Morgen-Gebet / GOtt dem HErrn empfehlen. Wiewol Gott ohnedem / in seinem verborgenem Gericht / noch wol andre gerechte Ursachen findet / auch über frommer Leute fromme Kinder ein so Hartes zu verhengen: darunter / ohn einigen Zweifel / ein grosser Nutz und Erbaulichkeit solchen armen Kindern gesucht[314] wird. Denn sothaner grausamen Plage Erinnerung kann nachmals denen auffwachsenden Kindern / ihr Lebelang / zu einer Vorbewahrung für Ruchlosigkeit / auch dem Allerhöchsten zur Glori / und den geplagten Kindern selbsten / zu künfftiger Erhöhung ihrer Herrlichkeit in jenem Leben / dienen: sintemal sie / in diesem Leben / dadurch zu einem desto glühenderm Eyfer im Gebet /und in aller Gottseligkeit / entzündet werden.

Eine seltene Begebenheit / hat sich / ungefähr für etlich- und dreissig Jahren / in einem Dorff nahe bey Delitsche / einem Land-Städtlein / 3. Meile von Leipzig / zugetragen / mit einem sechsjährigem Knäblein. Welches der Teufel in leiblichen Besitz genommen /und erbärmlich gequält.

Daß es besessen seyn musste / entdeckte sich gar leicht / durch die Läster-Worte / so es / oder vielmehr der Satan / aus seinem Munde / heraus schüttete / und gleichfalls die Diener deß Göttlichen Worts / wann dieselbe / Einer um den Andren / dahin kamen / um mit beten und singen den Bösen Geist zu vertreiben /verspottete und auslachte. Unter welchen er doch Etliche / derer erbarer und gottsfürchtiger Wandel / in der Gemeine ungemein / und in grossem Ruhm war / vor Andren sonderlich fürchtete / und für ihrer Ankunfft sich scheuete / auch / mit zörnigen Ungeberden es vorher anzudeuten pflag / wann sie auff dem Wege waren / zu dem Kinde hinzugehen. Wobey die Herren Geistliche mercken können / was für einen herrlichen Nachdruck die Vermählung deß Lebens mit der Lehre wider den bösen Feind gebe: Welcher nicht so viel auff den Priester-Rock / als auf den / der denselben würdiglich hat[315] angelegt / giebet. Bey einer wolgesetzten Rede / von Gott und Gottseligkeit / fürchtet sich der starcke Gewapnete so geschwinde nicht / wann eine schönklingende Schelle nur / und kein thätiger Glaube dabey ist.

Es kann kein Geistlicher durch eigene Krafft / den Satan in die Flucht treiben: sondern der heilige Geist /dessen Amts-Diener der Geistliche ist / muß es /durch den Geistlichen / thun. Ist dann der Heil. Geist nicht bey ihm / wie er denn bey keinem ungeistlichem Geistlichem / wohnet; Was für sonderliche Progressen will dann ein so Geistloser-Geistlicher / in dem der Geist dieser Welt herrschet / wider den Fürsten der Welt und Finsterniß / thun? Gottes Wort zwar kann auch wol / durch den Mund eines Gottlosen Lehrers /seine Krafft / in dem menschlichen Hertzen / erweisen; zumal / wenn die / so es hören / gutes Gemüts und Hertzens sind: aber doch dringt es viel stärcker durch / und giebt GOtt seinem Donner viel grössere Krafft / wenn derselbe / so damit blitzet / auch selber / von gutem Exempel / leuchtet. Also thut das Gebet der Gewalt deß Satans auch viel grössern Abbruch /wenn es / aus der Seelen eines andächtigen frommen Priesters / aufsteiget / als wann ein Weltgesinnter Pfarrherr damit / vor GOtt / angestiegen kommt. Die ser letzter wird / bey weitem / so viel nicht / an einem Besessenem / ausrichten / als wie ein weltlich-gesinnter Prediger sonst noch wol / durch seine offentliche reine Lehr / bey den Zuhörern / bißweilen thut. Denn weil / bey dem Besessenen / der Streit nicht allein durch Gottes Wort / sondern auch durch ein ernstliches und eyfriges Gebet / muß[316] ausgeführt werden; dieses aber droben vor Gott nicht angenehm ist / so es aus einem ungöttlichem und fleischlichem Hertzen geht; sondern / wie der Geruch eines Cainitischen Opffers nidergedruckt wird: so wird auch dem Satan seine leibliche Macht und Gewalt über einen Menschen / durch ein solches ungewürtztes und abgeschmacktes / schläffriges und kaltes Gebet / schlecht gebrochen.

GOtt begehrt einem solchen ungetreuen Knecht die Ehre auch nicht zu thun / daß er / auff sein übles und unbeliebtes Gebet / dem bösen Geist gebiete / zu weichen: wofern nicht etwan / unter dem mit-betendem Umstande / etlicher frommen Hertzen Seuffzer solches von oben erkämpffen / und gläubig erzwingen. Denn es heisst: Diese Art fähret nicht aus / als durch fasten und beten. Welches fasten / so es ohne Aberglauben / Heucheley / Einbildung eigener Heiligkeit / aus gläubiger bußfertiger Demut / geschicht / kein so schlechtes Ding ist; wie mans leider! heutiges Tags / ansihet und von der christlichen Zucht bey nahe gantz ausschliesst.

Ich gedencke der Zeit / daß in einer Teutschen Stadt / da die Römisch-Catholische Evangelische /und Reformirte ihren Gottesdienst übten / ein Besessener erschrecklich vom Satan bewütet ward. Denselben besuchten / eine geraume Zeit / aus allen diesen 3 Religionen / etliche Geistliche; am meisten aber Amts halben / und ordentlicher Weise / die Evangelische /als die ein völliges Ministerium daselbst hatten. Ein Jedweder betete fleissig / und trutzte dem Satan / mit mancherley Macht-Sprüchen Göttliches Worts. Das war ihm sehr zu widern /[317] also / daß er darüber offt erschrecklich tobte. Gleichwol blieb er sitzen / da er saß: denn die Zeit war noch nicht kommen / daß er weichen sollte.

Unterdessen spottete er Ihrer / seiner Art nach /nicht selten / und rühmte / sie sollten ihn wol nicht heraus bringen. Ein einiger sehr christlicher evangelischer Diaconus hatte den armen Menschen bishero noch nicht besucht: weil seine Collegen / derer ziemlich viele waren / um weiß nicht was für eines Mißverstandes / und irrigen Verdachts willen / ihn davon ausgelassen / und die Besuchungen unter sich ausgetheilt hatten. Nachdem aber die höchste Obrigkeit / so reformirter Religion war / erfahren / daß dieser evangelischer Diaconus / bey seiner evangelischen Lehre /sein Wandels-Licht auch Stadt-rühmlich leuchten liesse: ist Befehl ergangen / dieser sollte auch / bey dem Besessenen / einkehren. Da er nun zuforderst / auf der Kantzel / die Gemein um eine Vorbitte ersucht / daß Gott ihm wollte Gnade und Beystand verleihen / und /nach christlicher Vorbereitung zum tapffren Kampffe wider den Starcken / hinging in das Haus / wo der Besessene war: schrie der Satan / und rieff: Ach! jetzt kommt der schlimme Rotbart / dem ich werde weichen müssen! Denn dieser Geistliche hatte einen schönen gelben Bart / auch ein schönes muntres Angesicht / so aus Ernst und Freundlichkeit vermischt war / und ein gantz auffrichtiges Gemüt verhieß. Er that den Armen sehr viel Gutes / und wusste ihn Jeweder / seines trefflichen Christenthums halben / zu loben: ausbenommen der Neid; welcher ihn deßwegen nicht loben wollte / daß er gelobet ward. Dieser Geistlicher[318] brachte es durch sein eyfriges Gebet und Auffmunterung / der Umstehenden zur Andacht / wie auch durch andre gläubig-hertzhaffte Begegnung /dahin / daß er / in wenig (ist mir recht / in 10) Tagen /das Quartier räumen musste: nachdem ihn der Bösewigt etliche Mal / umsonst gebeten / er sollte ihm nur das geringste Sand-Körn- oder Steinlein aus der Wand / oder eine Fensterscheibe / erlauben / mit auf die Wegfahrt zu nehmen.

Das habe ich / der vor angefangenen Erzehlung /mit einschalten wollen / zum Muster / wie viel daran gelegen / daß der Priester nicht nur ein heiligs Amt /sondern auch heiligs Leben / führe. Der Teufel erschrickt / für einem solchen Diener GOttes / als für einem künfftigē Beysitzer deß grossen Gerichts / so über den Teufel / und seine Engel / und alle Gottlosen / ergehn soll. Jetzo wende ich mich wieder / zu dem /vom Satan geplagtem Knäblein.

Nachdem die Geistliche demselben / mit ihrem viel-vermögendem ernstlichem Gebet / etliche Monaten / treulich beygestanden; ließ sich der unselige Geist verlauten / die Krafft deß Gebets zwünge ihn /daß er diese Herberge müsste verlassen: Hingegen wollte er / morgenden Tags / um zwölff Uhr / in deß verlassenden Knäbleins jüngstes Brüderlein / so nur ein Jahr erst alt war / fahren / und dasselbe / auff gleiche Manier tractiren.

Solches ist auch also erfolgt / Denn zu angedeuteter Stunde / fing das sechsjährige Knäblein an / sich wiederum natürlich zu geberden; das kleinste Kind aber hingegen erbärmlich gepeinigt zu werden. Seiner zartesten und unmündigen Kindheit halber / war es annoch keiner Rede fähig:[319] sonst würde der Bösewigt /durch dasselbige / vermutlich auch geredet haben. Unterdessen redeten seine ängstliche Geberden deutlich genug / von der Plage / womit es behafftet wäre. Es krümmte und verzoch die Lippen abentheuerlich / bezeugte auch sonst / mit allerhand jämmerlichen Bewegungen / und kläglichen Blicken / was es für Angst und Quaal empfünde. Es brach sich hefftig / und ward ihm sein Bäuchlein hoch auffgetrieben.

Dieser Fall kam endlich dem berühmten Medico zu Leipzig / Doctor Johann Michaelis / zu Ohren. Welcher dem armen Kinde / nach und nach / etliche Artzeneyen1 verschrieben. Nachdem hievon dem besessenem Kinde / etliche Mal / ein Träncklein eingegeben / fuhren demselben / über den gantzen Leib /blau-röt- und gelblichte Flecken aus: und ging auch eine wühste garstige Materi / durch den Stuhl / von ihm; hiernechst beräucherte man auch den gantzen Leib / mit gewissen Sachen.2

Nachdem man / etliche Tage / damit zugebracht; ließ der Teufel dem Kinde bißweilen ein wenig Ruhe /daß es schlaffen kunnte. Setzte doch / unterschiedliche Mal alsdann / mit seiner Plage /[320] wieder an. Weßwegen man das innerliche Träncklein nochmaln gebraucht. Worauf die ängstliche Bewegungen / wie auch der Geschwulst deß aufgeloffenen Leibs / samt der gelblichen Farbe / allgemählich nachgelassen /und / durch Göttliche Verleihung / das Kind wiederum zu recht gekommen.3

Dieser Ausgang weiset klärlich / daß dieser böse Hund / an der Ketten / lige / und nicht weiter könne /als ihm GOtt erlaubt. Denn so er die Plage und Quaal / seines Gefallens / hette schärffen mögen; würde er diese zarte Kinder wol dergestalt zugerichtet haben /daß ihnen bald das Leben darauf gegangen wäre. Sein Wunsch und Will zwar seynd eitel Mord und Tod: aber sein Vermögen steht allezeit / mit dem Göttlichen Willen / umschränckt.

Fußnoten

1 Potionem ex aqua florum hyperici, tiliæ, & fumariæ, cum essentia sua fumariæ composita, flor. hyperici, Tincturâ corallorum, ejusque Syrupo.


2 Soffumigium hoc constabat è Flor. hyperici p. iij. Herb. & semin. autirrhini 3ij. Corallor. rubrorum, alborum, ac dentium Hominis demortui, ana 3j.


3 D. Gabriel Clauderus in Observat. 186. Ephemoridum Germanic. Anni 4ti Decad. 4. p. 267.


Quelle:
Francisci, Erasmus: Der Höllische Proteus, oder Tausendkünstige Versteller [...]. Nürnberg 1690, S. 314-321.
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