XXXII.


Der nie-beglaubte Lügen-Geist.

[321] Eines Menschen Aussage / der gern neben der Warheit hingeht / pflegt fürsichtigen und verständigen Leuten allezeit verdächtig zu seyn / und ist das der Lügner Gewinn / daß / wann sie hernach ein Mal die Warheit reden / ihnen[321] doch nicht geglaubt wird. Mit so klugem Mißtrauen / sollen alle vernünfftige Christen dem Geschwätz / den Weissagungen / und Affter-Reden deß verdammten Engels begegnen: weil sie /durch denjenigen / welcher die Warheit / und das Leben ist / vorlängst schon treulich gewarnet worden /für demjenigen sich fürzusehen / der ein Mörder von Anfange / und ein Vater der Lügen ist.

Ob gleich dieser Lügen-Geist bißweilen auch die rechte Warheit sagt: geschicht es doch / zu keinem andren Ende / als seinen Haupt-Zweck / der in Lügen / Mord / und Verleumdung / besteht / darunter zu verbergen / und ein bessers Credit damit zu erwerben: wie die falsche Müntzer / und betriegliche Goldmacher / durch etwas wahres Silber oder Gold / die Leichtgläubigkeit an sich ziehen / und vertraulich machen. In etlichen Stücken / sagt er die Warheit denen /die ihn um künfftige Dinge fragen: auf daß sie / wenn er hernach die Unwarheit sagt / solches gleichfalls /für gewisse Warheit annehmen / und dadurch in Unglück gerahten / sich / und Andre / verderben mögen.

Er mengt auch darum bißweilen etwas Wahres dem Falschen mit ein / daß er die Leute vom Vertrauen auf den wahren GOtt abziehe / und durch die mißbrauchte Warheit sein Reich der Lügen pflantze / oder Verrähterey / Mord / und Todschlag anrichte. Ein Verrähter entdeckt eben so wol die Warheit / aber meyneydiger und treuloser Weise. Ein Verleumder redt gleichfalls bißweilen die klahre Warheit; aber nicht der Warheit zu Ehren / sondern seiner Bosheit zur Lust; damit[322] sie ihm zum Schwert / oder Messer diene / dem Nechsten seine Wolfahrt abzuschneiden.

Gleichwie man nun einem bekandtem Verleumder /Splitterrichter / Hechler / und Neidhard / keinen Glauben zustellt / noch auf sein blosses Wort sich gründet / ob es schon wahr wäre; sondern glaubwürdigern Bericht / von wolbeglaubten Personen / suchet: also hat man noch weit höhere Ursach / dem Teufel nicht zutrauen / wann er diese oder jene Personen anrüchtig machen will; er mag gleich solches noch so hoch / mit GOtt / bezeugen / und etliche scheinbare Sachen vorbringen / die sich in der That also verhalten. Dannenhero man auch nicht Alles glauben muß / was er / aus den Besessenen / von vielen Leuten redet; sondern ihm eben so wenig / ja noch viel weniger / trauen / als einem leiblichen Feinde / der von seinen Widersachern nichts zu reden gewohnt / ohn was denselben zum Abbruch gereichen kann.

Niemand würde geschäfftiger werden / als die Hencker / wenn man den Teufel liesse Kläger oder Zeugen seyn. Wer Zucht und Keuschheit lernen will / muß nicht den Ehbrecher zum Unterweiser nehmen: und der die Warheit verlangt / hat sie nicht vom Lügen-Vater zu hoffen.

Jedwedem Künstler soll man / in seiner eignen /und nicht in einer fremden Kunst / trauen. Liegen /triegen und verleumden / seynd deß Teufels Künste: darum kann man ihm weiter nichts trauen / als daß er meisterlich liegen / triegen / und verleumden könne. Rühmt er sich aber einiger Warheit; so soll mans nicht gläuben / wenn man[323] keinen andren Grund hat; weil er kein Lehrmeister der Warheit / sondern ein Fälscher derselben ist: zumal / weil er allerdings selbst solches unterweilen gesteht / und sich gleichsam groß dabey duncken lässt / daß er ein durchtriebener / verschmitzter / und arglistiger Lügner ist / als der Schande für seine Ehre / Laster für seinen Ruhm achtet / und mit der Untugend pranget. Wie wir dann /aus beygefügter Geschicht / erkennen werden / daß er jemaln den Titel eines tapffren Lügners nicht scheuet: wiewol / dieses Absehns / damit man / durch solche seine eigne Bekenntniß / möge verführt werden / zu gläuben / weil er solches selber so aufrichtig gestehe /werde er dasjenige / was er / bey solcher Bekenntniß /für gewiß und warhafftig ausgiebt / für dißmal aufrichtig meynen.

Eines Knopffmachers / Jean Benoit Bourgeois, (Johann Benedict Burgers) Sohn / zu Montbelgard /Namens Peter / war ungefähr siebenzehen Jahre alt /und aller Sprachen unkündig / ausbenommen der Frantzösischen / die er zudem auch nicht wol- sondern gar übel redete; als ihm / aus einer verborgenen äusserlichen Ursach / der Hals geschwall / und alle Glieder ermatteten. Wann ihn solche Kranckheit anstieß / und der Paroxysmus befiel / welches dann gar offt geschahe; schien er tieff zu schlaffen / und schnarchen / und wendete das Angesicht nach der Wand zu.

Es kamen viel Leute männ- und weibliches Geschlechts / ihn zu besuchen / und zu sehen: denen er seltsame Händel / so sie entweder gethan / oder geredt / und wol lieber verschwiegen gesehn hetten /[324] vorsagte / ja bißweilen auch ihre allerheimlichste Gedancken entdeckte. Welches Alles er / mit geschlossenem Munde / ohne merckliche Rührung der Zähne und Lippen / bald Teutsch / bald Frantzösisch / rein- und deutlich erzehlte; auch bißweilen den Leib wunder-und unnatürlich bewegte.

Gegen dem Ausgange deß Christ-Monats 1656sten Jahrs / beschlossen der Superintendens / und Pastor zu Montbelgard / Herr Grasser / und der Stadt-Medicus daselbst / Doctor Johannes Nicolaus Binninger / miteinander hinzugehn / und den Patienten zu besuchen. Jener hielt sich zuvor / bey den Eltern deß Jünglings / ein wenig auf / im Gespräch / auf der Gassen; indem dieser / der Medicus, die Stegen deß Hauses hinauf / und Fuß für Fuß allgemach nach der Kammer / da der Patient lag / zuging. Derselbe hatte das Gesicht nach der Wand gekehrt; röchelte und schnarchte. Der Doctor tratt nahe zu ihm hin / beschaute und betrachtete ihn eine Weile allein / als der Patient endlich / ohne scheinbare Rührung der Lippen / sprach: Ha! J' entend Monsieur Grasser! O! ich vernehme den Herrn Grasser! (Als wollte er sagen / Ich spühre / oder mercke / daß der Herr Grasser nicht weit sey!) Bald hernach / folgte auch der Pastor, und kam hinauf.

Beyde / Pastor, und Doctor, stunden eine Weile /schauten / und hörten dem Jünglinge stillschweigend zu: der / als wie im schnarchendem Schlaffe / mancherley ungereimtes Dinges daher plauderte / und entdeckte; doch diesen Zuschauern stets den Rucken zukehrte.[325]

Weil dann / an einer rechten Besessenheit / nicht mehr zu zweifeln; fragte der Medicus: Du Teufel! welcher den Jüngling so bewegt / tribulirt / und plagt / wie heissest du? Drauf erfolgte die Antwort: Unser war eine Legion: Es seynd aber allbereit die meisten ausgefahren. Der Medicus fuhr fort zu fragen / durch was für eines bösen Menschen Hexerey / sie hinein gekommen / und den Leib deß Patienten angefallen? Der Geist nannte die Unholdinn / bey Namen. Da sprach der Medicus: Gelt! du mögtest uns gern überreden / es sey allhie Alles voller Truden! Hierauf hörte man den bösen Geist / in dem schnarchendem Leibe / ein wenig lächlen / und sagen: Ha! ha! Il y en a par Dieu tant, que si vous lez voyez, elles ressemblent ces troupes de Chevaux de Bourguignons, que vous voyez passer par la ville. He! he! Es seynd / bey GOtt! derselben so viel /daß / wann ihr sie sehn solltet / sie denen Burgundischen Reuter-Truppen gleich scheinen würden /welche ihr schauet / durch die Stadt ziehen / etc.

Was er weiter hinzugethan / verschweigt der Medicus, welcher diese Geschicht aufgesetzt / und unter seinen andren Observationen drucken lassen. Zweifels ohn hat er es / um etlicher Personen willen / die der Satan / in dieser seiner Rede / für Truden / ausgegeben / nicht mit aufzeichnen wollen: in Betrachtung /daß / auf dieses Verleumders Aussage / nicht zu gehen / und unterdessen / durch völlige Erzehlung derselben / manche / vielleicht unschüldige / Leute in ein übles Gerücht kommen[326] könnten. Angemerckt solches nicht nur / aus dem beygefügten Et cætera; sondern aus dieser Wiederrede deß Medici, fast zu schliessen: Du weisst / daß du ein Lügner und Vater der Lügen bist. Schwerest du: Ja! weil du so gar vieler Hexen und Schwartzkünstler gedenckst / die allhie wohnen sollen / so muß man das Widrige glauben. Seine Gegen-Rede war: Je le sçay par Dieu bien, que je suis menteur; mais en cela je dis la verité. Ich weiß / bey GOtt! wol / daß ich ein Lügner bin: aber hieran rede ich die Warheit.

Der Medicus setzte / über voriges / (und Zweifels ohn / auf noch andre besondre Worte deß Feindes /die / mit der Feder / nicht ausgedruckt) hinzu: Du bemühest dich sehr / uns / mit deinen falschen Allegaten / (oder Anziehungen gewisser Sachen und Personen) in den irrigen Wahn zu ziehen / daß wir für gewiß halten sollen / die Seelen der Abgestorbenen kommen / nach dem Tode / weder in den Himmel / noch in die Helle / sondern streinen /auf Erden / hie und dort / herum. Aber deine Mühe ist umsonst! Die / welche du nennest / geniessen nun der ewigen Glückseligkeit: weil sie /auf der Welt / gottselig gelebt haben. Er widerredete: Nein / bey GOtt! das thue ich nicht / etc. Das übrige lässt der Medicus abermal aus.

Hiernechst redete der Geist den Pastorn an / nannte ihn bey seinem Namen / und straffte ihn / daß er sein Amt hette unterlassen / etc. Worinn aber / und in welchem Stück / solche Amts-Unterlassung /[327] deß Satans Vorgeben nach / eigendlich sollte bestanden seyn /meldet der Erzehler nicht; sondern nur dieses / nechst einem Et cætera, noch dabey / daß der böse Geist /unter vielen andren Reden mehr / auch / zu dem Geistlichen / gesagt: Ha! Monsieur! vous estes de mes amis! Ey mein Herr! Ihr seyd Einer von meinen Freunden! Der Pastor hat drauf versetzt: Ich habe nichts / mit dir / zu schaffen / Satan! Dein Theil ist im höllischen Feuer!

Von dem an / schwieg der Bösewigt gar lange still / und begehrte keine Antwort mehr zu geben / ob man ihn gleich dazu ausforderte. Weßwegen endlich der Medicus, Seiner spottend / sagte: Vor warest du ja /mit deiner Antwort / auf die Fragen / so hurtig und fertig / und nun schweigst du so stock still! Da brach er / mit diesen Worten / heraus: Was / Teufel! willt du / daß ich dir sage? weil du mir ja doch nicht glauben wilst / wann ich die Warheit sage?

Aber (also hub der Medicus wieder an) hör / du ertzboshaffter Engel! warum / und aus was für einer Authoritet / ängstigst und quälst du diesen frommen Jüngling also? Ich weiß schon Mittel /dich von seinem Leibe wegzutreiben. Denn du hast darinn anders kein Polster (oder Unterhalt) ohn eine schleimigte und melancholische böse Materi / darinn du dich wunder-gern aufhältst: wann ich dieselbe ihm / durch purgiren / ausgeführt / und dir damit dein Nest[328] zerstört habe; wirst du wol / ohn deinen Danck / ausziehen müssen. Der Geist rieff hierauf (indem der Patient / eben /wie gleich bey Anfange deß Gesprächs / gleichsam schlaffend schnarchte / und die Lippen geschlossen hielt) überlaut: Ha ha! C' est par Dieu bien à faire à toy. Va! Il n'est pas temps: je sortiray par vers la minuict d' un teljour. Tu l' apprendras bien; qu' on y prenne garde. Auf Teutsch: O hoh! das soll dir /bey GOtt! gleichwol noch Mühe geben! Geh nur hin! Es ist noch nicht Zeit. Ich werde ausziehen /gegen Mitternacht / an dem und dem Tage / (welchen er zugleich genannt) du wirsts wol erfahren. Man gebe nur Acht drauf.

Dessen ungeachtet / hat der Medicus dem besessenen Jungen etliche Medicamenten geordnet:1 aber alles vergeblich! Zuletzt ist der Jung / um die Mitternacht deßjenigen Tags / und in derselbigen Stunde /welche der Teufel zuvor benannt hatte / erstickt / und der mühseligen Sterblichkeit entzogen worden.2

Fußnoten

1 Gillam Paracelsi ex jusculo, dein purgantia ex antimonio, & alia.


2 D. Joh. Nic. Binningerus Centur. 2. Observat. 27. p.m. 151. seqq.


Quelle:
Francisci, Erasmus: Der Höllische Proteus, oder Tausendkünstige Versteller [...]. Nürnberg 1690, S. 321-329.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Die Serapionsbrüder

Die Serapionsbrüder

Als Hoffmanns Verleger Reimer ihn 1818 zu einem dritten Erzählzyklus - nach den Fantasie- und den Nachtstücken - animiert, entscheidet sich der Autor, die Sammlung in eine Rahmenhandlung zu kleiden, die seiner Lebenswelt entlehnt ist. In den Jahren von 1814 bis 1818 traf sich E.T.A. Hoffmann regelmäßig mit literarischen Freunden, zu denen u.a. Fouqué und Chamisso gehörten, zu sogenannten Seraphinen-Abenden. Daraus entwickelt er die Serapionsbrüder, die sich gegenseitig als vermeintliche Autoren ihre Erzählungen vortragen und dabei dem serapiontischen Prinzip folgen, jede Form von Nachahmungspoetik und jeden sogenannten Realismus zu unterlassen, sondern allein das im Inneren des Künstlers geschaute Bild durch die Kunst der Poesie der Außenwelt zu zeigen. Der Zyklus enthält unter anderen diese Erzählungen: Rat Krespel, Die Fermate, Der Dichter und der Komponist, Ein Fragment aus dem Leben dreier Freunde, Der Artushof, Die Bergwerke zu Falun, Nußknacker und Mausekönig, Der Kampf der Sänger, Die Automate, Doge und Dogaresse, Meister Martin der Küfner und seine Gesellen, Das fremde Kind, Der unheimliche Gast, Das Fräulein von Scuderi, Spieler-Glück, Der Baron von B., Signor Formica

746 Seiten, 24.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon