XL.


Der Ohnekopff.

[399] Von dem Ende voriger Erzehlung / nehme ich Anlaß /noch etwas mehr / von den ohnköpffigen Gespenstern / zu reden.

Wann sich dieselbe sehn lassen / pflegen sie mehrmaln einen gewaltsamen und auch wol schmählichen Tod vorzubilden. Man könnte solches / mit sehr vielen Begebenheiten / darthun: weil dergleichen aber dem Leser ohne dem nicht wenige bewusst seyn werden: sollen nur einer zwo / und zwar solche / davon ich die Gewißheit habe / anjetzo vorkommen.

Eine / mir / in Ehren bekandte / wiewol nunmehr schon längst begrabene / Wittwe ist einsmals / zu Abends / kurtz vor Feuer-Glocken / in dieser Stadt /mit einer ihr bekandten Magd / einen gewissen[399] Ort vorüber gegangen; allda bey hellem Mondschein / ein Gespenst / an der Mauren / gestanden / in Gestalt eines Weibsbildes ohne Kopff / welchen es / vorn in den Händen hielt / sonst aber / wie ein Weib / gekleidet schien.

Die Magd / so damals auswendig saubrer, als inwendig gewesen / und noch vor Jungfrau geachtet seyn wollen / weiset dieser / neben ihr gehenden /Frauen / das Gespenst / und spricht: Seht! was steht dort für ein schönes Müsterlein: Die Frau hebt an /für solchem Anblick / sich zu fürchten / und antwortet: Lasst uns geschwind unsers Weges gehn! Es ist nicht viel Guts. Das kühne Mensch hebt darüber an / spöttlich zu lachen; rollet auch endlich / mit lautem Gelächter / davon / und treibt ihre Schelmerey und Kurtzweil damit / als sie / von ihrer Begleiterinn /vernimt / das Gespenst habe eben einen so geblühmten Schurtz / und auch solch ein Ober-Röcklein angehabt / wie sie / die Magd nemlich.

Nicht lange Zeit hernach / begeht diese Dirne / an der / in heimlichen Unehren erzielten / Frucht ihres Leibes / nach der Geburt / einen Mord: auff daß ihr ehliches Verlöbniß dadurch nicht mögte ruckgängig werden: sintemal sie sich allbereit einem Handwercks-Gesellen / welcher zwar um selbige Zeit an einem fremden Ort arbeitete / versprochen hatte / und durch solche mördliche Verthuung ihres Kindes / ihre Untreu zu verbergen meynte. Weil aber die Stäte / wo sie das umgebrachte Kind eingescharrt / von Jemanden wolgemerckt: ist die That dadurch an den Tag / und dem Gericht zu Ohren / gekommen. Worauf ihr /durch Urtheil[400] und Recht / das Leben abgesprochen /und auch würcklich / an der offentlichen Richtstat /mit dem Schwert genommen worden.

Dieser gespenstischer Ohnkopff ist ohn Zweiffel eben derselbige Mordgeist gewest / der ihr vorher die Unzucht / folgends auch hernach den grausamen Kinds-Mord / eingegeben / und damit den Weg zum Rabenstein gebahnet hat. Denn die Bluts-Tropffen der Menschen seynd diesem blutdürstigem Mörder eitel Muscateller-Trauben / und Purpur-braune Weinbeeren.

Ich erinnere mich auch eines traurigen Falls / so sich / mit einem fürnehmen Kriegs-Officirer / begeben: Der sich als ein / von Natur gar schwermütiger /Cavallier / zu unterschiedlichen Malen / selbst zu entleiben / getrachtet / und daran verhindert worden /auch von solchen verzweiffelten Gedancken zwar etliche Mal genesen; doch / nach vielen Jahren / um gewisser Ursach willen / wiederum dem Unmut und Lebens-Verdruß sich so gar ergeben / daß er Hand an sich gelegt / und mit einem Selbst-Mord sein unglückseliges Ende beschleunigt hat. Dieser ist / nach seinem Tode / zum offtern (wie man für gewiß redete) daher geritten / ohne Kopff / und hat die Schildwachten in die Flucht geschreckt.

Also stellt der hellische Mord-Engel / und verdammte Schauspieler / seine Auffzüge an / mit dem Schaden und Unglück der armen Menschen! Und solches lässt der Allmächtige zu: auf daß andre Leute /von bösen Thaten / und von der Selbst-Tödtung /desto mehr mögen abgeschreckt werden /[401] wann sie solche gespenstige Mißgestalten sehen / oder hören.

Quelle:
Francisci, Erasmus: Der Höllische Proteus, oder Tausendkünstige Versteller [...]. Nürnberg 1690, S. 399-402.
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