XLVII.


Die Entruckte und Wiedergefundene.

[430] Daß der Wolf ein erhaschtes Schaf unerwürgt fahren lässt / wenn ihm die Jäger oder Hirten / eilig nachsetzen / ist so eben nicht hoch zu verwundern: die Furcht / er dörffte selber gefangen werden / zwingt ihm den Fang wieder ab / und die Sorge für seinen eigen Peltz reisst ihm solchen Raub wiederum aus den Klauen. Wann er aber das Schaf den Leuten allbereit weit aus den Augen / und aus aller Wissenschafft hinweg geführt / also / daß man seine Fußtapffen unn Höle / da er es hinein geschleppt / nicht erspüren kann; so ist es wol ein Wunder-Glück / und sonderbare Raritet / daß man das / arme Schaf unzerrissen wieder sindt. Also auch je gefährlicher das hellische Raubthier uns Menschen nachstrebt / und je tödtlicher und grausamer sein grimmiger Rachen auff uns hungert / desto Wunderwürdiger ists / daß dieser Mord-Geist / wann er einen etwas verwirrten und blöden / oder auch wol Vernunfft-gesunden Menschen den Leuten aus den Augen / an einsame Oerter / entruckt und verborgen hat / da denselben niemand aufsuchen noch[430] retten kann / dennoch / durch einen unsichtbaren Ferrn-Zwang / genöthigt wird / einen solchen abwegig-verführten Menschen nicht allein unbeschädigt zu lassen / sondern auch denselben den Leuten wider ins Gesicht zu stellen / und wieder um unverletzt / an einen solchen Ort zu liefern / von dannen man ihn leichtlich abholen kann.

Solcher Ferrn-Zwang geschicht / durch die Krafft deß Gebets der Gläubigen / und zwar am kräfftigsten der christlichen Gemein: welches / wie es Petro die Fesseln ablösete / also noch heut die Bande Belials zerbricht / und ihm seine Macht bindet / daß er den /leiblich-gefangenen / oder entführten / Raub nicht verschlingen kan; sondern unangebissen wieder quitiren muß.

Wie mancher Sinn-zerrütteter Mensch wird / von diesem Menschen-Feinde / aus der Obacht seiner Hüter / hinweg gepartirt / und an verlassene öde Oerter verleitet / da er ohne menschliche Hülffe / verderben und entweder durch Hunger / oder Wassers-Noth / oder Stürtzung / ums Leben kommen müsste / wann nicht der Engel Gottes diesem grimmigen Leuen den Rachen zuhielte; will sagen / ihm seine Gewalt und Anschläge hemmete / den Verirreten bewachte / und endlich wiederum zu den Seinigen brächte.

Wie mancher / ob er gleich am Verstande unversehrt ist / wird dennoch eben sowol / auf Göttliche Zugebung / von einem Gespenst / in unwegsame Wege / in Wälder und Gebirge / hinweg gerafft / und daselbst / eine Zeitlang unter deß Satans unvollkommener Gewalt / aufgehalten / mit höchster Gefährung seines Lebens / und doch endlich[431] durch der Seinigen Fürbitte / der vor Augen schwebenden Noth wiederum abgenöthigt / und in Sicherheit zurück geführt!

Diese Gnade ist / unter andren / widerfahren einem Mann / auf der Dennemärckischen Insel Ferroë, in dem Städtlein (oder Flecken) Süderse. Derselbe hatte sich / im Jahr 1668 / verlohren / also / daß man in vielen Tagen keine Nachricht erholen können / wo er wäre geblieben: denn böse Leute hatten ihn / durch ihre Hexerey / hinweg-gepartiert. Nachdem aber die Seinige nicht abgelassen / für seine Erhaltung / und wieder zurechtführung / eyfrig zu beten / ist er doch endlich wieder zu ihnen gelangt / ohn einigen Schaden, aber / in vierzehen Tagen / stumm geblieben; zweifels ohn / für tieffer Entsetzung.

Als er aber wiederum zu sich selbst gekommen /hat er bekannt / er hette / Zeit seiner Abwesenheit /nichts übels empfunden; ohn allein / daß ihm / da er wiederum heimgewollt / etliche Geister sehr molest gefallen. Massen diese Begebenheit der Denemärckische Theologus / Doctor Lucas Jacobi Debes / in seiner Feroa reserata, oder Beschreibung der Feroënsischen Insel / unter andren merckwürdigen Sachen / erzehlt. Welcher auch dieses / was sich kurtz zuvor / am 2 Augusti selbigen Jahrs / zugetragen /beglaubt.

Als die Tochter Olai Johannsen zu Velberstatt /aus der Kirchen wieder nach Hause gehen wollen /und selbigen Tags sich mit beym heiligen Nachtmal eingefunden; hat sie sich unterwegs verloren / ist etliche Tage über gesucht / aber nirgends angetroffen. Weßwegen man zuforderst / in[432] der Kirchen zu Kalbach / auf der Kantzel / für sie bitten lassen / und danebenst / mit suchen und nachforschen / fleissig angehalten.

Worauff sie / am neundten Tage / von etlichen Vieh-melckenden Mägdlein / in der Nachbarschafft /zwischen zween grossen Steinen / gefunden worden. Den Kopff hatte sie in ihre leinen Tücher eingewickelt / und gab die geringste Anzeigung einiger Rede nicht.

Nach dem solches ihren Eltern angesagt; eilen dieselbe zu ihr hin / und heissen sie auffstehn. Da hebt sie an / zu reden / und berichtet / sie sey / von einem mächtig-hohem Hügel herab gelassen / wovon Niemand sonst leichtlich / ohne Gefährung am Leben /würde entkommen seyn. Ihre Kleider waren gleich wol gantz / und nichts daran zurissen / dazu auch die Schuhe sauber und unbesudelt: ob es gleich / in selbigen Tagen / immerzu aneinander geregnet hatte. Weil sie aber / innerhalb solcher neun-tägigen Zeit / die geringste Speise nicht zu sich genommen: griff sie /gleich nach ihrer Heimkunfft / frisch wiederum in die Schüssel.

Das Kirchen-Gebet hat nemlich / bey diesem Mägdlein / das Beste gethan / und demselben für eine lange Läiter gedient / von dem gewaltig-hohen Hügel wiederum herab zu kommen. Dieser ist also Ursach genug gegeben / nebst dem 91sten Psalm / zu beten: Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen / von welchen mir Hülffe kommt. Meine Hülffe kommt vom HErrn.[433] Durchs liebe Gebet / ist ihr vom Himmel / englische Hülffe zugekommen: Und der HErr ists / der alle Hülffe thut.

Quelle:
Francisci, Erasmus: Der Höllische Proteus, oder Tausendkünstige Versteller [...]. Nürnberg 1690, S. 430-434.
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