LIV.


Das gezüchtete Großsprechen.

[476] Man hat nicht allein aus dem allgemeinem Gerücht /sondern auch / aus manchem glaubhafftem Munde /und vielen Aug-zeugen / die sichere Gewißheit / daß in gewisser / bevorab hochfürnehmer / Familien Häusern- oder Schlössern / die Gespenster / in besondrer Gestalt erblickt werden: In etlichen / wie ein Hund; in andren wie ein Pferd; anderswo / wie eine Weibs-Person / nemlich wie eine Jungfrau / oder Witwe; andrer Orten / wie ein Münch; noch andrer / wie ein Cavallier / oder dergleichen. Solche Gespenster erscheinen zwar gemeinlich / und am allermeisten / wann ein Todesfall obhanden; doch gleichwol auch nicht selten /zu andrer Zeit / eben so wol / und ohne Sterbens-Bedeutung. Gestaltsam / auff einem fürstlichem Schloß in Teutschland / welches ich nicht nenne / ein solches menschlich- und zwar geistlich-gebildtes Gespenst sich sehen lässt / welches bißweilen die Leute schreckt.

Es ist unlängst geschehen / daß der fürstlichen Edel-Knaben Einer / indem er hinauff / in ein gewisses Zimmer / wollen / im vorüber gehen vieler Lichtlein ansichtig worden / in einem Ofen / welcher doch /bey damaliger Sommerszeit / nicht angeheitzt war. Darüber er sich[477] zwar höchlich verwundert / auch in etwas entsetzt; doch gleichwol endlich seinen Gang fort und zur Stuben hinein setzt.

Wie er hinein gekommen / tritt ein grosser Kerl /wie ein Münch gekleidt / ihm entgegen / mit tieff-ligenden feurigen Augen / und einem / an der Seiten tragendem / Bund Schlüssel. Er über so unvermuteten Anblick schier von sich selbsten veräusserter / weicht plötzlich hinter sich / und schauet sich wieder nach der Thür um. Aber das Gespenst eilt auf ihn zu / erwischt ihn beym Flügel / ziehet ihn nieder / und etliche Mal auf dem Bodem hin und wieder: darüber er ein jämmerliches Zeter-Geschrey nach dem andren thut / und zwar so laut / daß es dem Fürsten selbsten /unten in seinem Zimmer / zu Ohren dringt. Worauff derselbe befihlt / man soll eilend hinauff lauffen / und sehen / wie dem Edel-Knaben geschehen sey / daß er so schreyet.

Sie finden ihn zwar allein / und von Schrecken erstummt / dennoch aber / in seinen starrenden Augen /blassenden Wangen / und zittrenden Geberden / die Anzeigungen eines eingenommenen ungemeinen Schreckens. Welcher ihn auch dermassen gefangen hielt / daß er allererst / nach einer Stunden / reden und berichten kunnte / was ihm widerfahren.[478]

Diesen lachte hernach sein Kammerad / ein andrer Edel-Knabe / der ziemlich frisch war / aus / und sagte / er sollte dem München nun ein paar wackerer Ohrfeigen gegeben / und resolut um sich geschlagen haben / so würde er ihm wol von der Haut geblieben seyn: und vermaß sich / daß er / wann das Gespenst ihm ein Mal auffstossen sollte / demselben tapffre Stösse geben wollte. Jener antwortet / er könne es versuchen / und sein Ritter-Stücklein erweisen: Der Erfolg müsse es dann lehren / ob er so viel Hertzens in der Faust habe / als in der Zungen.

Nach etlichen Tagen / kommt der so mutig-redende andre Edel-Knabe / in eben dasselbige unsichere Gemach / um für sich ein weisses Hemd zu holen /nichts weniger mehr / als an seine Rede / gedenckend. Indem er nun / aus einer Truhen / das Leinen-Geräht hervor langen will; wird an die Stuben-Thür geklopfft. Er nicht anderst vermeynend / als / es sey etwan die Wäschinn / oder ein Hof-Lacquay / oder Trabant / oder seiner Mitgesellen Einer / spricht: Herein! Herein! Darauff tritt der entsetzlich-grosse Münch hinein / von ihm hingegen aller Mut hinaus.

Wo war jetzo diejenige Faust / welche das gekappte Gespenst so tapffer behandeln / und schlagen sollte? Im Schieb-Sack! Das Hertz schoß ihm nicht in die Fäuste / sondern in[479] die Füsse / und frischte dieselben an / zum ausreissen. Aber der Münch wollte ihn so nicht ohne Rechenschafft passiren lassen; sondern packte ihn an / und versetzte ihm ein paar solcher Maulschellen / daß ihm Nase und Maul davon bluteten; und sagte: Jetzt gieb mir die paar Ohrfeigen /so du mir gedrauet hast!

Aber er / der einen so bösen Creditorn / mit gleicher Müntze zu bezahlen / sich nicht getrauete / ward fallit / ging durch / sprang zur Stuben hinaus / lieff und flohe / mit grossem Geschrey / die Stegen hinab /und mahlte gleich anfangs mit seinem blutendem Maul / folgends auch mit wortlicher Erzehlung / sein Begegniß ab.

Uber einige Zeit hernach / hat dasselbige Gespenst sich auch einer Wäschinn daselbst dargestellt / und derselben / durch die grausame Entsetzung / eine viertheiljährige Bettlägrigkeit verursacht.

Dieses bezeugt uns / daß / wider den starcken Gewapneten / Niemand wehrhafft erfunden werde / ohn allein derjenige / welcher den Harnisch GOttes hat angezogen / und daß Einer / der sieghafft ihn will bekämpffen / sich nicht auff sich selbsten / sondern auff GOtt / verlassen müsse.

Quelle:
Francisci, Erasmus: Der Höllische Proteus, oder Tausendkünstige Versteller [...]. Nürnberg 1690, S. 476-480.
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