LXVIII.


Der angefochtene Unglücks-Verhüter.

[646] Wer Unfall verhütet / der beraubt den höllischen Unglücks-Stiffter einer grossen Freude und Hoffnung: darum trachtet dieser / sich / an einem solchen / zu rächen. Ich will / unter vielen Beyspielen / eines hervorziehen.

Man hat den fünfften Sonntag in der Fasten / der Judica sonst genannt wird / den Schwartzen Sonntag benamst / und ihn darum mit solchem Namen geschwärtzt / weil / gemeiner Sage nach / in der Wochen / die mit demselben eingeht / gemeinlich gern ein und andres Unglück geschicht. Ob solches sich also befinde / will ich jetzo nicht untersuchen; sondern nur so viel melden / daß ich manchen dergleichen Sonntag erlebt habe / dessen Woche von keinem sonderlichem Unglück begleitet worden: wiewol ich mich hingegen auch etlicher erinnere / darinn sich gar traurige Fälle zugetragen: Wofür doch gleichwol andre Täge und Wochen auch nicht privilegirt seynd.

Nichts destoweniger will ich wol glauben / daß / in dieser Wochen / der Satan geschäfftiger sey / ein Unglück zu stifften / und ihm solches darum offt von oben verhengt werde / weil manche Ruchlosen / in derselben / an stat eines bußfertigen Wandels / und obligender Vorbeitung zur Andacht gegen der heranruckenden Marter-Woche /[647] ein gottloses Wesen treiben: oder weil ihm auch sonst etwan / aus verborgenem Gericht GOttes / zugelassen wird / gegen selbiger herannahenden heiligen Zeit / zu trachten / wie er Leid und Unfall erwecken möge / sonderlich bey denen / die in keiner guten geistlichen Rüstung stehen. Wiewol eben so wol auch manchen Frommen alsdann / auf GOttes Verhengniß / zur Ubung ihres kämpffenden Glaubens / und streitender Gedult / bißweilen ein Unglücks-Fall widerfährt.

Es mag aber endlich für ein Tag seyn / was es wolle: so ist man / an keinem / für dem Satan / sicher / wann man unordentlich lebt / und der rohen Welt mit seiner Nachfolge / oder Gesellchafft / beypflichtet / solchem nach eben so wenig / wo vielleicht nicht noch weniger / an dem schwartz-genanntem Sonntage.

Solches hat / im Jahr 1556 / an diesem Sonntage /ein junger Edelmann / in der Lausnitz / erfahren /nach dem er frühmorgens / in einem Dorff / mit andren jungen Edelleuten / derer ungefähr neun oder zehen gewest / zusammen gekommen / und samt ihnen die Kirche besucht. Unter denselben hatten Ihrer zween ein adelichen Hof in selbigem Dorff /wohnten auch / weil sie beyde noch unverheyrahtet /beysammen. Von diesen wurden / nach angehörter Predigt / die Fremde eingeladen / in ihre Behausung zum Mittagsmal / und / um sie desto lustiger zu machen / angefangen / ihnen bey Halben zuzutrincken. Mit solchem starcken Trunck hat man auch angehalten / biß an den Abend. Wie nun / unter jungen Leuten / solches Gezech selten sich friedlich endet: also[648] erhub sich auch / selbiges Orts / zwischen zweyen Gästen / ein Zanck / um ein Glas Bier / so Einer dem Andren nicht wollen (auch vielleicht nicht können) mehr Bescheid thun: und nahm der Hader dermassen zu / daß sie endlich einander nach den Köpffen griffen / und sich mit solchen Maulbieren beschenckten /wornach der rote Safft floß.

Hieraus besorgte ein junger frommer zwantzigjähriger Edelmann / nemlich derjenige / dessen anfangs gedacht ward / es dörffte / so diese zween wider einander Ergrimmte nicht von sammen geschieden würden / zuletzt auf ein grosses Unglück hinaus gehen: weil sie zwar / nachdem man sie voneinander gebracht / sich zusammen versöhnt / aber doch den Groll noch im Hertzen hatten / und immerzu aufeinander stockerten; darüber endlich der Faustwechsel wieder angehn / und also das Letzte ärger werden dörffte / als das Erste. Solchem Unheil wollte das gute Gemüt gerne vorkommen / und nahm derwegen Einen solcher beyden Zäncker mit sich heim / nach seines Vaters Hause; vermeynend / wenn man von zweyen gegeneinander glimmenden Bränden einen hinweg rückte / hette man nicht leichtlich eine Brunst zu fürchten.

Der Vater lässt ihm die Einkehr deß mitgebrachten Gasts angenehm seyn; nöthigt denselben / zum nidersitzen / und lässt ihm den besten Trunck auftragen.

Nachdem sie nun manchen guten Becher / oder Glas / miteinander geneigt / und sich wol berauschet; begiebt sich der Vater / samt dem Gast seines Sohns /zu Bette / wie auch das gantze[649] Hausgesinde: und blieb der Sohn / als welcher / den gantzen Tag über /gezecht / und einen steifen Rausch geladen hatte / allein / mit den Armen / auf dem Tische ligen. Welches der Vater nicht groß achtete / sondern ihn ligen ließ; in Meynung / weil solches schon vorhin mehr geschehen / würde es dißmal auch nichts zu bedeuten haben / und er / wann er den Rausch ein wenig ausgeschlaffen / das Bette schon wissen zu finden.

Indem nun das übrige gantze Haus in ersten und festestem Schlaffe ligt; wird der / in der Stuben gleichfalls am Tisch eingeschlummerte / Sohn / durch ein starckes rauschen und raßlen / erweckt / von etlichen /zum Stubenfenster hineinkriechenden / Gespenstern: deren er zwar bald ansichtig worden / und sie / mit Entsetzung / angeblickt / doch gleichwol / wie viel /oder was es wäre / nicht eigendlich erkennen können /ohne daß er sich beduncken lassen / es wären kleine schwartze Männlein / die nicht viel länger / als ungefähr eine Spanne. Dieses Geschwärm hebt an / um ihn her / auf-neben- und unter dem Tisch / und Bäncken /zu krabeln / und herum zu rauschen; biß ein Licht in die Stube kommt. Darüber stosst ihn ein grosser Schrecken / Furcht und Grausen an: weßwegen er eilends nach der Thür trachtet / aber kaum nur vor den Tisch kommt / als er / bey der Stubenthür / alsofort eines grossen schwartzen und auch schwartzbärtigen Kerls gewahr wird / und daß auch / neben ihm / auf einem Leuchter / ein grosses Liecht steht.

Indem er diesem zuschauet / und nicht hinaus kann / setzen sich indessen die kleine schwartze Männlein[650] rings um den Tisch / werden aber / aus kleinen / alsobald grosse Männer; bringen auch behände / unter dem Tische / mehr Licht- und Leuchter / hervor: also /daß er / verspührend / wie es hinter ihm gleichfalls liecht werde / und sich / von dem / bey der Thür stehendem / Mann / umwendend / viel Leuchter / und auf jedwedem ein brennend Licht / stehen siht / nebenst vielen Kannen / und gefüllten Biergläsern; den Tisch aber / mit grossen lang- und schwartz-gebärteten Männern / überall besetzt / die in schwartzen Mänteln sassen / zerschnittene weisse Wämser / und auf dem Kopff lange Braunschweigische schwartze / mit langen schwartz- und weissen Hanen-Federn besteckte /Hüte trugen / so mit silbernen und güldnen Vorten eingefasst: Unter welchen Sitzern / seines Bedunckens / etliche seinen Mitgesellen / mit welchen er / den gantzen Tag über / getruncken / ähnlich sahen / und Einer nach dem Andren / zu ihm sagte: Hanns / es gilt dir! Hanns / es gilt! Hanns / thu Bescheid! Hast du heut können sauffen / so kannst du mit uns jetzt auch sauffen. Musst sauffen / oder wir drehen dir den Hals um.

Solcher grausamer Anblick / und zuschreyendes Anfordern / machte ihn schier halb todt. Doch ermunterte er sich / fiel vor dem Tisch nider auf die Knie /hub die Hände auf / und wollte beten.

Gleich damit fand sich bey ihm ein Mann / in einem weissen Kittel / mit schönen gelben und langen Haaren / so freund- und liebliches Angesichts / als einer Jungfrauen immermehr: wiewol er nicht[651] gewahr worden / wie derselbe hinein gekommen. Derselbe sprach zu ihm: Hanns! trinck nicht mit ihnen: denn so bald du solches thust / werden sie dir den Hals brechen. Sondern bete / und ruffe zu GOtt dem HErrn / im Namen JESU Christi. Der wird dich / aus diesen gegenwärtigen Nöthen / erretten / und von dieser bösen Gesellschafft ledig machen / daß sie dir nichts wird können anhaben.

Hierauf hat er zwar angefangen zu beten; auch /weil er / bey solchem Schrecken / sich nicht wol besinnen können / der Mann im weissen Kittel ihm drein geholffen / und hernach zu ihm gesagt; Indem er seinen Gast heut mit heimgeführt / hette er einen Todschlag verhindert; welcher noch den Abend geschehen wäre / wann derselbe / bey den Andren / geblieben: und hierinn bestünde zum Theil die Ursache / warum diese üble Gesellschafft ihn / vor Andren / anföchte /und ihm so hart zusetzte.

Ehe er wieder von ihm geschieden / hat er ihms vorher gesagt / sie würden übel mit ihm verfahren /ihn plagen und martern. Er sollte sich aber nichts dran kehren / sondern seines Gebets warten / auch damit fleissig anhalten / mit ihnen ja nicht trincken / und sich nicht umsehn / so lieb ihm sein Leben: Der allmächtige GOTT würde ihm schon beystehen / und ihn / durch seinen Sohn / JEsum Christum / erretten: Das Warzeichen solcher Errettung sollte dieses seyn / daß sie / so bald der Han zum ersten Mal krehete / ihn verlassen / und sich alle von ihm verlieren würden. Neben[652] dem hat er ihn auch vermahnt / zur Busse / und Besserung deß Lebens / und daß er sich hinfüro sollte hüten / für dem viehischen fressen und sauffen / auch für fluchen / und schweren bey GOttes Namen / Marter und Wunden.

Endlich band er ihm auch ernstlich ein / er sollte sich nichts hindern lassen / morgenden Tags zur Beicht und Abendmal zu gehen / auch diß Alles / wie es ihm ergangen / seinen Mitgenossen erzehlen / und sie ermahnen / daß sie gleichfalls / bey Zeiten / ehe der schreckliche Zorn GOttes über sie anbrennete /von ihrem rohen gottlosem Wesen abstehen / Busse thun / und sich bekehren / auch gleichfalls darüber die Absolution suchen / und das hochwürdige Sacrament empfahen sollten. Nach solcher Vermahnung / ist er allgemählich / an seiner Seiten / hinterwerts entwichen / und verschwunden.

Der junge Edelmann hat nachmals hoch und theuer bezeugt / er habe sich nichts gefürchtet / so lange dieser schöne Mensch / den er / ohne Zweifel / für einen guten Schutz-Engel gehalten / sich zugegen befunden; sondern es sey ihm sehr wol gewest.

So bald derselbige aber hinweg war / traten zu ihm ein paar schwartzer langer Männer / von gleicher Gestalt / wie die am Tische; ausbenommen / daß sie weite und lange Pluderhosen trugen / so biß an die Erde hingen; dergleichen er an den andren / die am Tische gesessen / nicht gesehn; imgleichen grosse Augen / wie die Käsenapffe. Jedweder tratt ihm an eine Seite / fasste ihn an / und[653] zwickte ihn dermassen in die Ohren / daß man davon die Mahlzeichen länger / als vierzehen Tage / hernach gesehn: weil er denen /welche am Tisch ihm zugetruncken / nicht Bescheid thun wollen. Weßwegen er auch / seines Bedunckens /hefftig geschrien / und sich gewundert / daß es Niemand gehört. Wiewol das Gesinde gesagt / daß es zwar ein Geschrey vernommen / aber vermeynt / der Vater schlüge den Sohn; oder daß vielleicht der Sohn noch mehr Gäste bekommen hette / die sich miteinander raufften; darein es nichts zu reden / vielweniger sich drein zu mengen hette: Weßwegen sie nicht aufgestanden / und darüber wieder eingeschlaffen.

Uberdas lagen ihm etliche andre schwartze Männer zun Füssen / unterm Tische / zupfften und rupfften ihn / blöckten und plerrten ihn auch abscheulich an.

Solche seine Plage hat so lange gewährt / biß der Han / zum ersten Mal / gekrehet: Worauf sie / im Augenblick / mit grossem Ungestüm / samt Liecht- und Leuchtern / und allem mitgebrachtem / auf dem Tische stehendem / Geschirr / verschwunden / und ihn in der Stuben allein gelassen.

Da er nun hernach sich in etwas wieder erholt / und besonnen / ist er / auf allen Vieren / zur Stubenthür hinaus gekrochen / so lange winselnd und heulend /biß das Gesinde und der Vater davon aufgewacht / ein Licht schlagen lassen / und hingegangen / zu sehen /was seinem Sohn fehlete. Welchen er / an der Stubenthür / liegen gefunden[654] / und gefragt / was ihm sey? wie er daher komme? Ob Jemand bey ihm gewest /und ihm was Leides zugefügt?

Der Sohn bittet / der Vater wolle dißmal so eigendlich und genau doch nur nicht nachfragen: über drey Tage / werde er es ihm schon sagen: So viel aber könne er ihm unterdessen nich verhalten / daß ein Mann im weissen Kittel bey ihm gewesen / welcher ihm hette befohlen / auf den künfftigen Morgen / zur Beicht und hochwürdigem Sacrament zu gehen: wie er auch / mit GOttes Hülffe / zu thun / gewillet sey. Der Vater mercket daraus / er müsse ein Gesicht haben gesehn; hält derhalben mit ferrnerer Nachfrage ein / und nimt ihn mit sich / in seine Kammer / zu Bette.

Deß Morgens gehet der Sohn hin / zum Pfarrern /beichtet / und erzehlt demselben / was ihm / die Nacht über / begegnet; begehret darauf die Lossprechung /und das heilige Sacrament.

Der Pfarrer entsetzt und verwundert sich darüber gar hoch; sihet es auch für bedencklich an / ihm so gleich die Absolution / und das heilige Sacrament /mitzutheilen: weil er / vorigen Tags / mit ihm / bey denen beyden Junckern / gespeiset / und biß der Hader angehn wollen / daselbst verblieben war. Doch hat er ihm endlich / auf Befindung / daß er / bey seinem Bericht / und christlichem Vorhaben / beständig beharrete / gewillfahrt / und / nach gesprochener Absolution / das heilige Abendmal gereicht.[655]

Uber den dritten Tag hernach / machte er nicht allein / vermöge seines Versprechens / seinem Vater /sondern auch vielen andren Leuten / kund / was ihm widerfahren; insonderheit aber seinen Zechbrüdern: denen er dabey zugleich treulich rieth / sie sollten doch hinfüro ein andres Leben führen. Allein es kam ihnen vor / wie ein Mährlein / oder Schwanck / oder Traum / so ihm in der Nacht / bey vollem Rausch /solche Gespenster für gemahlt hette / so ihm / in rechter Warheit / nicht erschienen wären: darum verlachten sie ihn / gingen ihre alte Gänge / und kümmerten sich um nichts.

Nichts destoweniger hat es der Pfarrer selbiges Orts / auf Bewillig- und Ermahnung deß jungen Edelmanns / dem es geschehn / offentlich von der Kantzel verkündigt. Jobus Fincelius, welcher diese aufgezeichnete Geschicht / durch offentlichen Druck /kundbar gemacht / gedenckt /1 ihm sey so wol der Nam / als der Ort / wol bewusst.

Fußnoten

1 Apud Strigenitium in Præfatione Gallicinii, & M. Casparum Titium, Artic. 8. de Diabolis, p.m. 157.


Quelle:
Francisci, Erasmus: Der Höllische Proteus, oder Tausendkünstige Versteller [...]. Nürnberg 1690, S. 646-656.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Fräulein Else

Fräulein Else

Die neunzehnjährige Else erfährt in den Ferien auf dem Rückweg vom Tennisplatz vom Konkurs ihres Vaters und wird von ihrer Mutter gebeten, eine große Summe Geld von einem Geschäftsfreund des Vaters zu leihen. Dieser verlangt als Gegenleistung Ungeheuerliches. Else treibt in einem inneren Monolog einer Verzweiflungstat entgegen.

54 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon