LXXVI.


Die übernatürliche Korn-Pyramiden.

[798] Die Gelehrten halten insgemein dafür / der Teufel könne solche Dinge / welche / aus freyem Willen / geschehen / nicht gewiß vorher verkündigen; nemlich solche / die absolut / und vollkömmlich / an dem Willen GOttes hangen; als da sind die Gubernamenten /Regier- und Verändrungen der Herrschafften / Königreichen und Republicken: weil die Hertzen der Könige in GOttes Hand seynd / der sie lencket / wie die Wasser-Bäche: Hernach auch solche / welche / aus freyem menschlichem Willen / erfolgen; als / zum Exempel / was ich morgen vornehmen / thun / und gedencken werde: Und drittens / solche / die / allerdings zufälliger Weise / sich zutragen werden; so lange sie annoch keine gewisse und abgezielte Ursach haben.

Ich vermeyne aber / weil der Satan täglich wachet /für die Zerrütt- und Verunruhigung der Regimenter /so könne er doch / aus denen von GOTT ihm gesetzten / Schrancken hierinn viel mutmassen.

Fürs Andre / kann der Teufel / aus denen Sachen /so ihm bewusst / viel wahrscheinliches schliessen /und / nach solcher seiner Vermutung / vorher sagen. Denn durch seine lange und unzehlich-viele Anmerckungen / hat er eine grosse Erfahrung erlangt. Zu dem ist er auch mit englischer[799] Scharffsinnigkeit begabt / und verstehet gar stattlich die Kräffte der Natur / auch wozu dieselbe den menschlichen Willen / vermittelst der begierlichen Krafft / Gemüts-Regungen /und auch äusserlichen Sinnen / reitzen und neigen können. Er weiß aller Menschen Temperament / samt den Affecten / und was daraus für Würckungen zu entstehn pflegen. Daher kommts / daß er offt / auf ein Haar / eintrifft / mit seiner Vordeutung / was die Leute beginnen werden; oder / daß GOtt dieses oder jenes Volck straffen / dieses oder jenes Kriegsheer /durch Schwert / Hunger / und Pestilentz / umkommen / dieser Mensch von jenem getödtet / oder ein Fürst vom Thron künfftig gestürtzt werde: Denn auch dieses kann er / aus dem Eyfer und starcker Verbündniß der Zusammgeschwornen / oder Unachtsamkeit und Unfürsichtigkeit deß Fürstens / abnehmen.

Fürs Dritte / kann der Satan noch vielmehr solche Sachen zuvor verkündigen / die aus nothwendigen Ursachen / als nothwendige Würckungen / fliessen / und von andren natürlichen Ursachen nicht verhindert werden mögen; als da seynd deß Himmels Lauff / die Finsternissen / Zusammentretung der Gestirne / und dergleichen.

Fürs Vierdte / hat man nicht zu zweifeln / der Teufel behalte alle Sachen im Gedächtniß / was entweder / aus andrer Offenbarung kund / oder / in seiner unsichtbaren Gegenwart / gehandelt worden.

Fürs Fünffte / kann ihm / von dem / was gegenwärtig ist / oder würcklich vorgehet / nichts[800] tunckel /geschweige etwas verborgen seyn. Denn was durch äusserliche Handlung / zur Würckung gekommen /das ist den Teufeln wol bekandt: ausbenommen /wann GOtt will / daß es ihnen verborgen bleiben soll.

Fürs Sechste / kann er offt-wiewol nicht alle mal /die Gedancken der Menschen errahten; aber nicht unfehlbar vorher wissen; sondern nur mutmassen / und abmercken / entweder aus gewissen Zeichen / oder auch aus denen Phantaseyen und Vorstellungen / so er selber ihnen bißweilen zu wegen bringt.

Daß aber anfänglich gesagt worden / er könne die Reichs- und Regiments-Verändrungen nicht zuvor wissen; muß / mit diesem Bescheide / angenommen werden / daß er sie nicht vorher wissen könne / gantz ungefehlt / und aus ihm selbsten. Denn er kann sie sonst / aus gewissen wahrscheinlichen Vermutungen /zuvor vermercken; obgleich nicht / mit gantz unbetrieglicher Vermerckung. Es beglauben die Geschicht-Schrifften / daß er gleichwol offt einen zukünfftigen Regenten zuvor verkündigt hat: als die künfftige Gelangung Theodosii, zum Keyserlichen Thron. Der Mutter / deß Tyrannen Neronis, hat er ja / als sie ihn fragen lassen / zur Antwort gegeben / ihr Sohn würde regieren / aber seine Mutter umbringen. Worauf sie gesprochen / Occidat, modò imperet! Er mag mich immerhin tödten / wann er nur herrschet!1[801]

Daß der Satan auch / von künfstiger Zufälligkeit /oder auch von solchen Handlungen / so am freyen Willen deß Menschen hangen / keine Vorwissenschafft habe; braucht eben so wol eine gewisse Unterscheidung. Denn daß sie ihm so gewiß / so ungezweifelt / und Irrthums-frey sollten vor-kündig seyn / wie dem allwissenden GOTT / kann man / ohne Verunehrung Göttlicher Allwissenheit / nicht setzen. Unterdessen zeugen doch warhaffte Geschichte / daß er auch die manches Mal vorher wisse / und richtig anzeige; solchem nach seine Vorwissenschafft / in obige Schrancken allein / sich nicht allezeit schliessen lasse: darunter auch wol billig diese für eine / mitpassiren kann / so sich / in diesem Welt-Alter / in Norwegen begeben hat.

Ein Bergwerck-Schreiber daselbst führte diese kluge Weise / daß er seine Korn-Böden / Küchen /und Keller / weil der Ort seines Aufenthalts / von den Städten / weit abgelegen war / fein zu rechter Zeit /früh versorgte / und so offt er / in die benachbarte Städte reisete / allezeit etwas mit sich heimführte /womit er sich / wider den Winter / und Krieg deß Magens / mögte wehren. Daher schaute man / allerdings auch in seiner Schlaffkammer / alle Behalter voll Gewürtz; daß ich nicht / von so mancherley Feldfrüchten / und Gemüß-Korn / ein Mal sage.

So offt nun dieser Berg-Schreiber / entweder in der Kirchen deß Gottesdiensts / oder in der Berg-Gruben /seines Amts / wartete; so offt sahe er / wenn er /gegen Abend / heimkam / daß alles sein Gewürtz /und andre Früchte / die man[802] verspeisst / als Korn /Gersten / Erbsen-Senff / etc. durchs gantze Zimmer /in Form der Pyramiden / gäntz Kunst-richtig / hie und da / empor gerichtet war; und zwar so nett / zierlich /und perfect / daß jener Schleckerey- und Tafel-Meister / Apicius, mit seiner Kunst / sich dafür hette verkriechen müssen.

Er entsetzt sich darob / und lässt seinen Pfarrherrn zu sich bitten / um bey demselben sich Rahts zu erholen / und zu vernehmen / was davon zu halten sey. Der spricht / er könne es für nichts andres / als teuflische Gauckeley / erkennen: zumal / weil er so wol auf dem Bette / ja gar unter den Bett-Tüchern / als auf dem Pflaster / gleichsam gantze Legionen (oder Regimenter) von Erbissen / Senff / Korn (oder Roggen) und andren rundlichen Körnern / die man / viel Meilwegs weit von dem Bergwerck / vergebens gesucht /zu kleinen Pyramiden oder Thürnlein aufgerichtet sahe. Und weil man wol wüsste / daß das Centrum oder Mittel-Tupff deß Gewigts (Centrum gravitatis) so richtig und genau zu finden / in keines Mathematici Vermögen stünde / damit er beydes so schleunig /und so accurat oder vollkömmlich / dergleichen /runde Körnlein also aufthürnen mögte: vermahnte er den Schreiber / er sollte fleissig beten / und dadurch deß bösen Feindes Gauckelwerck von sich treiben.

Wiewol dieser nun solchem fleissig nachkam; wurden dennoch die / voneinander zerhäuffte / Pyramiden gar offt wieder aufgehäufft / und aufs curiöseste formirt. Derhalben ward er Sinnes / diese / bißher ziemlich-lang verschwiegene Abentheuer[803] den Anwohnern der Berg-Gruben zu eröffnen / und / was sie ihm rahten würden / anzuhören. Diese sagten gleich / mit fröligem Blick / er sollte gutes Muts seyn: es würde ihm hiemit nichts Böses bedeutet: Denn es trieben nur die unterirdische Berg-Geister also ihren Schertz und Kurtzweil / und weissagten ihm damit / er würde nicht Hungers sterben; sondern seine übrige Lebens-Zeit / unter einer grossen Menge Korns / und allerley Hülsen-Früchten / zubringen. Er glaubte diesen Landleuten so viel davon / als er wollte / das ist / gar wenig.

Uber zwey Jahre hernach musste er / in seinen Verrichtungen / nach Copenhagen reisen: da ihm ein grober ungeschickter Bader so übel geschröpfft / daß er ihm / mit dem Laß- oder Schrepff-Eisen / die Knie-Sennen durchgehauen: weßwegen er den Doctor Olaum Borrichium holen lässt / und von demselben Hülffe begehrt. Welchem er damals / für die lange Weile / diesen possirlichen Handel von den Korn-Pyramiden erzehlt / und über die thörichte Weissagung so wol der Geister / als der Bauren / weitlich lacht.

Aber / (wer sollte sich nicht darob verwundern?) sechs Jahre hernach / nemlich von Zeit der erblickten Korn-Thürnlein an / wird er / gantz unvermutet / über das Königliche Korn-Haus gesetzt / und folgends General-Proviandmeister über die gantze Königliche Flotte. Welchem Amt er / mit grossem Lobe / vorgestanden / und offt gelächelt / wann ihn besagter Doctor Borrichius, bey Gelegenheit / seiner eigenen Erzehlung von den Korn-Pyramiden erinnert hat.[804]

Dieser berühmte Doctor / welcher den Handel selber beschrieben /2 schliesst solche Erzehlung nicht unbillig / mit dieser Frage: Wer wird hie erachten /woher die genii præsides ærariarum, oder Geister /so den Bergwercken vorstehen / solche zufällige Sachen haben zuvor wissen können?

Daß er sie præsides ærariarum nennet / ist für sie zu viel: denn es seynd solche Berg-Geister keine gute / sondern böse Engel / die nicht / als Præsidenten /oder Vorsteher / sondern als Gefangene / in den Bergwercken / und denen benachbarten Oertern herumflattern; ob sie gleich allerley Gauckeley und Büberey darinn treiben.

Seine Schluß-Frage aber zu beantworten / dörffte nicht so leicht fallen: Unser Verstand reicht / in diesem Leben / so hoch nicht / daß er die Höhe der Scharffsinnigkeit eines Engels sollte ersteigen / und so genau Alles fassen oder begreiffen können / durch welches ein Geist zukünfftige / und zwar zufällige Sachen / manches Mal vorher sihet.

Jedoch halte ich dieses Exempel für keines der allerschwersten; sondern für ein solches / das er wol leicht habe in Vorwissenschafft bringen können. Denn er hat ohne Zweifel mancherley Beschaffenheiten in Betrachtung / und daraus eine starcke Mutmassung gezogen / dieser Berg-Schreiber würde seine Feder dermaleins / in höhern Geschäfften / noch gebrauchen. Zuforderst hat er an ihm verspührt eine sonderbare haushalterische[805] Emsigkeit / an demselben / und eine geschickliche Versehung deß Hauptwesens / wie auch sonderbare Lust und Sorgfalt / für Küchen / Keller / und Speicher / allerley Vorraht / zu rechter Zeit / um wolfeilsten Preis einzukauffen: Zweytens /einen Verstand / Fähigkeit / und Unverdrossenheit /zu einer viel grössern Oeconomie, Dispensation / und Hausmeisterey / und zu einem Commissariat in Verwaltung einer hochfürnehmen Proviand-Meisterschafft: Drittens / eine gewisse Art und Manier sich /bey hohen Leuten / angenehm zu machen / und ihre Gunst zu gewinnen / durch bequeme Reden / Geberden / und diensthaffte Aufwartung: welches die gewöhnlichste Mittel seynd / sich bey den Grossen einzuwerben / und das Hertz derselben / samt dem Ohr /zu fahen. Vierdtens / hat er vermutlich / bey diesem Mann / auch ein Verlangen / nach der Verbesserung seines Zustandes / und Gedancken auf ein höhers Amt / gemerckt: welche nicht wol auf was anders / als auf Proviand-Wesen / oder dergleichen Verwaltung / gezielt haben mögen. Wiewol diß letzte etwas ungewiß; nemlich daß er so eben / nach einer Proviandmeisterey / sollte getrachtet haben / und nicht vielmehr ein fürnehmers Amt bey dem Bergwerck gehofft.

Es kann aber / fürs Fünffte / der Geist auch wol /zu Kopenhagen / bey etlichen Grossen / eine grosse Neigung zu diesem Mann verspührt haben: weil ihnen seine gute Qualitet / durch seine Freunde und Patronen / bekandt gemacht / auch er selber sich bißweilen mit Einem und Andrem / womit man die Sach recht nachdrücklich zu erzehlen[806] pflegt / bey dieser oder jener viel-geltenden Person / sich lange vorher vielleicht recommendirt hat: daher man ihm die Proviandmeister-Stelle / so bald dieselbe würde ledig werden /beym Könige auszuwürcken / schon lange vorher entschlossen gewest. Aus welchem Allen der Geist die Mutmassung gefasst / dieser Mann würde dermaleins Proviandmeister über die Königliche Flotte werden.

Ich gestehe aber gerne / daß gleichwol diese erzehlte Merckzeichen nicht alle von gleicher Gewißheit: sonderlich dieses / daß der Schreiber / nach einer höhern Verwaltung getrachtet hette: weil er nemlich selber die Weissagung der Bauersleute / welche ihm damit gleichsam gratuliren wollen / verlacht hat. Zudem hat / aus allen obberührten Observationen /der Geist dennoch keine so genaue Wissenschafft schöpffen können / daß dieser Mann eben zum General-Proviandmeister würde gemacht / und nicht vielmehr sonst mit irgend einem andren Amt von Hofe angesehn werden: wenn er je sich / bey den Grossen /auf ersterwehnte Weise beliebt gemacht / und ihm daselbst / durch beforderlichste Mittel / hohe Patronen erweckt hette.

Derhalben muß der Teufel vielleicht noch andre /uns gantz verborgene / Gründe haben / daraus er die Vorwissenschafft / oder aufs wenigste starcke Vermutung solcher sonderbaren zufälligen Obhandenheiten erlangen könne.

Fußnoten

1 Vid. Binsfeld. in Rub. Cod. de Malef. & Mathemat. Not. 10.


2 In Actis Medicis D. Thomæ Bartholini Vol. 3. Observat. 68. p. 171.


Quelle:
Francisci, Erasmus: Der Höllische Proteus, oder Tausendkünstige Versteller [...]. Nürnberg 1690, S. 798-807.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Naubert, Benedikte

Die Amtmannin von Hohenweiler

Die Amtmannin von Hohenweiler

Diese Blätter, welche ich unter den geheimen Papieren meiner Frau, Jukunde Haller, gefunden habe, lege ich der Welt vor Augen; nichts davon als die Ueberschriften der Kapitel ist mein Werk, das übrige alles ist aus der Feder meiner Schwiegermutter, der Himmel tröste sie, geflossen. – Wozu doch den Weibern die Kunst zu schreiben nutzen mag? Ihre Thorheiten und die Fehler ihrer Männer zu verewigen? – Ich bedaure meinen seligen Schwiegervater, er mag in guten Händen gewesen seyn! – Mir möchte meine Jukunde mit solchen Dingen kommen. Ein jeder nehme sich das Beste aus diesem Geschreibsel, so wie auch ich gethan habe.

270 Seiten, 13.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon