VIII.


Der weisse Diebs-Geist.

[36] Stehlen und rauben sind Künste der Finsterniß; daher man auch die Erfahrne in dieser Kunst gemeinlich /am hohen Balcken / mit der schwartzen Feder-Kron deß finstren Gevögels / nemlich der Raben / krönet. Diesem nach hat man wol billig sich darob zu verwundern / daß der Geist / von dem wir jetzt reden wollen / in weisser Gestalt sich gewiesen; da er doch /mit einem[36] Werck der Nacht / nemlich mit einem Diebstal / in seinem Leben / seine Seele / wie er vorgegeben / geschwärtzt / und dazu mit einem Kirchen-Diebstal: weßwegen er / seinem Vorgeben nach / weil er / ohne Wiederersetzung desselben / mit solcher Mißhandlung / abgestorben / biß zu seiner Erlösung /in grosser Pein herumwandren müssen. Hievon habe ich / aus einem glaubhafftem schrifftlichem Bericht /folgende Umstände ersehn.

Anna Dirlerinn von N.N. ein Mensch von drey und zwantzig Jahren / so im Jahr 1656 / am 10 Augusti /zur Welt geborn / da eben / zu N.N. das grosse Wetter gewesen / hat / im Jahr 1679 / am vierdten Christmonats-Tage / ihrem Beichtvater bekennet / daß sie /vor vier Jahren / eine böse Brust bekommen / und deßwegen / von gedachtem N.N. aus / nach N.N. zu dem Bader daselbst / gehen müssen. Um Pfingsten 1675sten Jahrs aber / da sie abermal / zu selbigem Bader / gegangen / sey ihr ein weisser Geist begegnet / welchen sie / für den Tod / gehalten / und deßwegen / zu dem Bader / gesagt / sie wüste wol / daß sie / an diesem Schaden / müsste sterben; denn der Tod wäre schon zweymal / mit ihr / auf Königstein / gegangen.

Nachdem sie aber wieder heil worden / verdingte sie sich / zu ihrem Bruder: daselbst dieser Geist / in einem Jahr / vier Mal zu ihr gekommen: worüber das Mensch / vor Schrecken / kranck worden / doch gleichwol wiederum genesen / und sich nachmals / auf Königstein / zu einem Bierbrauer / mit Namen Lescher / verdungen. Allda hatte sie / vor diesem Geist /gar keine Ruhe mehr; klagte[37] es derhalben ihrem Beichtvater / in Beyseyn ihres Bruders / nemlich Herrn Juglern zu Eschenfelden. Welcher anfänglich den Sachen keinen Glauben zustellen wollte / auch das Mensch wieder / in ihren Dienst / verwies. Sie kunnte aber nicht bleiben; sondern ward / je länger je öffter / durch die Erscheinung deß Geistes / geschreckt: und merckten solches auch / an ihr / die Hausleute / an dem / daß sie offt in Ohnmacht fiel /auch / wegen Mattigkeit der Glieder / nicht allezeit arbeiten kunnte.

Hierauf klagte sie obgedachtem Herrn Juglern solches wiederum: und dieser zeigte es Ihrer Hoch- Fürstl. Durchl. an. Der Fürst ließ das Mensch selbst vor sich kommen / examinirte selbiges starck / stellte auch solche Befragung unterschiedlich mit ihr an / zu Sultzbach / und behielt sie vierzehen Tage im Schloß: woselbst sie auch keine Ruhe hatte.

Weil aber das Mensch / als sie wieder heim nach Hause kam / rücklings von dem Geist angefasst / und nidergeworffen ward / mit solchem Ungestüm / daß der Rücken davon gantz blau wurde: befahl der Fürst / selbigen / so bald er wieder erschiene / anzureden. Welches auch geschehen / mit gewissen / ihr anbefohlenen / Fragen: die er / auf folgende Weise hat beantwortet.

Sie fragte / 1. Wer bist du? Er / der Geist / antwortete: Ich bin Lorentz Birner.

2. Sie: Von wannen bist du? Er: Zwo Stunden von dem Bayerlande / bin ich gebürtig.[38]

3. Sie: Was hast du denn hie / bey mir / zu thun? Er: Du sollt mich erlösen.

4. Sie: Was hast du denn gethan? Er: Ich habe /zu Nemsrieth / vor sechszig Jahren / einen Kelch gestolen / samt einem Buch / und Altar-Tuch.

5. Sie: Was Religion bist du? Er: Ich bin funffzig Jahre Lutherisch gewesen / aber hernach Catholisch worden / und auch so gestorben.

6. Sie: Was soll ich dir denn thun? Er: Du sollt das Geld / so ich bekommen / erbetteln / und wie der in die Pfarre geben: Nemlich / für den Kelch /habe ich neunzehen Gülden / für das Buch sechs und einen halben Gülden; für das Tuch / fünff und zwantzig Batzen bekommen. Dieses sollt du /von schlechten Leuten / erbetteln.

7. Sie: Was leidest du denn für Quaal? in einer Hitze / oder in einer Kälte? Er: Ich leide höllische Hitze.

8. Sie: Ich kann dich nicht erlösen: du magst dich erlösen. Er: Ich wollte mich wol erlösen /wann ich GOttes Macht hette.

Daß solcher Diebstal / am benamsten Ort / um benannte Zeit / geschehen wäre / fanden sich anjetzo (nemlich im Jahr 1680) annoch alte Leute / so es bezeugten.

Dieser Geist aber / nach Aussage deß Menschens /wie ein langer alter Mann / trug einen langen Kittel /und / an den Füssen / Strümpffe; hatte keinen Bart; die Augen zu / und eingefallene Backen.[39]

Als das Mensch nun das betteln lange nicht ergreiffen wollen; hat er sie / unterschiedliche Mal / gedrosselt / (das ist / gewürgt) da sie ihm denn in die Hände gefallen / und gefühlt / daß er harte kalte Hände gehabt. Und als sie es dennoch nicht thun wollen; hat er ihr gesagt / er thue ihr nicht gern etwas; aber wann sie ihm nicht folgen wolle / müsse er sie noch umbringen.

Hierauf hat sich das Mensch / zum betteln / bequemt. Wann sie aber / eine Zeitlang / wieder ausgesetzt; ist er ihr alsobald wieder erschienen; hat zwar nichts geredet; sondern nur die Hände ineinander gewunden / und geseuffzet.

Nachdem sie nun so viel Geldes / als die angezeigte Summa austrug / zusammen gebracht; ist er ihr weiter hernach nicht erschienen / und hat sie / nach der Zeit / Ruhe vor ihm gehabt. Von dem erbetteltem Geld / hat man / an benanntem Ort / eine Kantzel gebaut.

Wann dieser Geist kein Lügner / und teufflischer Betrieger gewest / indem er sich / für den Lorentz Birner / ausgegeben: so müsste er entweder ein Catholischer oder Evangelischer Geist gewesen seyn: (wiewol weder die Catholische / noch Evangelische Religion lehret / daß man stehlen soll.) Daß er nicht Lutherisch / sondern Catholisch gestorben / und die Evangelische Religion / vor seinem Ende / verlassen habe / hat er selber ausgesagt / und auch würcklich zu verstehen gegeben / indem er geglaubt / ihm könnte noch / nach seinem Tode / ein Gebet zur Erlösung gedeyen: denn solches kann er / aus keiner Evangelischen Lehr / erlernt haben. Ist er dann / laut seines eigenen Berichts / Römisch-[40] Catholischer Religion (verstehe im Stande seiner Leib-abgesonderten Seelen) gewest: so verwundert man sich billig / und fragt / warum er nicht die Erlösung / aus der höllischen Hitze / vielmehr bey seiner Religion-Verwandten Einem / nemlich bey einem Catholischen / gesucht /weder bey einem Evangelisch-gläubigem Mägdlein? Hat er Recht daran gehandelt / daß er von einer Religion ab- zur andren getreten; warum sucht er dann nun eine Fürbitte / bey einem Mägdlein solcher Religion / darinn er sich nicht / selig zu werden / getrauet hat? Wie soll diejenige / von welcher er / seiner Religion nach / nicht wol hat gläuben dörffen / daß sie / in der Evangelischen Religion / selig werden könnte /einen Geist durch ihr gutes Werck der Almosen-Sammlung / von der Unseligkeit und Quaal erlösen /und ihm den versperrten Eingang zum Himmel damit aufschliessen?


So kann demnach dieser Geist nicht recht aufrichtig Catholisch gewesen seyn. Denn welcher Catholischer Geistlicher würde ihm rathen / ein Evangelisches Mensch / um seine Befrey- und Beruhigung / anzusprechen / und nicht vielmehr Römisch-Catholischen Leuten zu erscheinen / welche / auf sein Begehren /viel Seel-Messen hetten / für ihn / lesen lassen können? Uber das werden die Lehr-Sätze Römisch-Catholischer Religion schwerlich zugeben / daß derjenige / welcher eine Kirche bestihlt / und solches nicht beichtet / noch bereuet / sondern solchen Diebstal auf seiner Seelen behält / nach seinem Tode / erlöst / und selig werden könne. Gleichwie auch die Römisch-Catholische Geistliche[41] dem Fegfeuer zwar eine schwere Pein / doch nicht hellische Hitze zuschreiben.

Scheinet derhalben / dieser Geist sey weder Catholisch / noch Evangelisch / gewest; ob er sich gleich für Catholisch hat ausgegeben. Und ist wol zu verwundern / daß das Mensch / nachdem sie ja ein Mal sich mit ihm ins Gespräch eingelassen / und ihn so scharff geexaminirt / nicht auch / mit ebener Mühe /diese Frage hinzugethan / ob er nicht etwan ein Syncretist wäre / dem es gleich gölte / bey welcher Religion er gelebt?

Ich lasse Jedwedem hierüber seine Gedancken: meiner Einfalt aber kommt der Handel nicht anders vor / als / daß dieser weisse Geist innerlich / in seiner geheimen Intention / und verdecktem Zweck / sey pech-schwartz gewest / und ein geschworner Bruder dessen / der sich in einen Engel deß Lichts zu verkleiden pflegt / damit er sein Werck der Finsterniß / unter solcher Lichts-Larve / möge anbringen. Denn daß der Satan bißweilen / wann er kein böser / sondern guter Geist / heissen und geachtet seyn will / diejenige Leute / so er zu hinterschleichen und zu äffen trachtet / zu Wercken der Gerechtigkeit und Gottseligkeit antreibe / die Person eines Tugend-Lehrers bißweilen annehme; ist / aus der Schrifft deß heiligen Athanasii / von dem Leben deß heiligen Antonii / so wol / als gar vielen unleugbaren Exempeln / bekandt.

Unterdessen begehre ich doch nicht zu widersprechen / daß / wann ein solcher umgehender Geist / im Namen / und in der Gestalt eines / vor langer Zeit allbereit Begrabenen / eine Mißhandlung bekennete / die / durch gewisse Zeugen / gleichwie[42] diese / glaubhafft gemacht werden könnte / alsdann der böse Geist / ob er gleich für sich selbst kein Liebhaber deß Rechtens ist / auf sonderbares Verhengniß GOttes / solchen Handel also entdecken; jedoch auch wol eben so bald den Verstorbenen / für welchen er sich ausgiebt / in der Erde verleumden und beliegen könne; damit er sein / darunter verborgenes / Absehn erreichen möge.

Quelle:
Francisci, Erasmus: Der Höllische Proteus, oder Tausendkünstige Versteller [...]. Nürnberg 1690, S. 36-43.
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