LXXXII.


Der gestraffte Flucher.

[894] Je heiliger und würdiger das Christenthum / und der christliche Nam / ist / je sünd- und sträfflicher befleckt sich derjenige / der unter demselben unwürdig und ärgerlich wandelt. Absonderlich gereicht demselben zu Unehren und Lästerung / bey Heiden / Jüden /und Türcken / das verfluchte Fluchen und Schweren /so mancher / der ein Christ heisst / wider seine Christen-Pflicht / heraus stürtzt / ohne Betrachtung / daß GOtt denen Aergerniß-gebendem viel eine schwerere und tieffere Versenckung bestimmet hat / als ob sie /mit einem angehencktem Mühlstein / ins Meer geworffen würden / wo es am tieffsten ist.

Einen Jüden wird man nicht bald hören fluchen; er habe sich dann / unter bösen Christen / daran gewöhnt: Einen Türcken noch viel weniger. Darum auch / wenn man bißweilen / mit solchen Ungläubigen /vom wahren christlichen Glauben / zu reden kommt /sie gemeinlich den Christen / unter andren groben Lastern / insonderheit das Fluchen vorwerffen.

Bey den Heiden / war das Fluchen und Ubels-wünschen nicht ungebräuchlich; doch nicht in solchem Schwange und täglichem Gange / wie leider! bey uns Christen. Dazu fluchten sie so erschrecklich nicht /wie unsre Maul-Christen. Goliath fluchte dem David; aber bey seinem Abgott; und der Fluch traff ihn selbsten. Bileam[895] ward / vom Moabiter Könige / beruffen /Israel zu verfluchen: solches war nur / zu zeitlichem Verderben und Untergange deß Israelitischen Volcks /angesehn: was aber der böse Christ flucht / das trifft offt Leib und Seel an: Denn / er wünscht / daß seinen Nechsten der T. holen möge. So gottlos und teufflisch hat jemals kein heidnischer Fluch gelautet.

Wann die Lacedæmonier im Zorn / Jemanden verfluchten / so wünschten sie / daß er immerzu mit dem Bauwesen bemüht seyn / und Alles von einem Tage zum andren verschieben / und ein Pferd unterhalten /und sein Weib ihn mit Hirsch-Federn krönen / das ist / sich an einen Ehbrecher hencken / mögte: Wie Suidas (in voce ὀικοδομὴ) beglaubt. Sonst pflagen auch die Römer / einem Reisenden / von dem sie sich hoch beleidigt achteten / diesen schlimmen Reise-Wunsch mit auf den Weg zu geben / daß er diese Reise ewiglich fortsetzen / und nimmermehr endigen mögte. Dieses Ubel-Wunsches gebraucht sich auch der ernst-und tugend haffte Cicero, wider seinen Tod-Feind /den lasterhafften Pisonem, da er spricht: Tibi proficiscenti evenit, ut omnes execrarentur, malè precarentur, unam tibi illam viam, & perpetuam esse vellent. Dir widerfuhr es / als du fortzogst / daß alle dich verfluchten / und dir sehr übel nachwünsch ten / du mögtest diesen einigen Weg / immerdar ohn Ende fortreisen1 (und nimmermehr wiederkommen.)[896]

Andrer härterer Flüche enthielten sich vernünfftige Heiden: gemeine liederliche Leute aber wünschten einander Seuche und Tod an den Hals; wie heutigs Tags unsre schöne Christen sich / mit der Pestilentz /und Freyschlein oder der schweren Kranckheit / sein bewünschen / und zwar / manches Mal / um eines Dinges willen / das keiner Bonen werth. Daher lässt derselbige Cicero, ein andres Mal sich also vernehmen: So ich ja jemals euch was Ubels wünschete /welches ich offt zwar gethan / darinn auch mein Gebet / von den unsterblichen Göttern / ist erhört worden; wollte ich darum euch keine Kranckheit / noch den Tod / noch einige Marter und Quaal wünschen. Denn das ist ein Thyesteischer Fluch bey jenem Poeten (Ennio) wozu sich kein verständiges / sondern liederliches Lumpen-Gemüt / und gemeiner Pöfel-Sinn bewegen (oder aufbringen) lässt2 als wann es also lautet:


Ut tu naufragio expulsus, uspiam saxis fixus asperis,

Evisceratus latere penderes (ut ait ille) saxa spargens tabo,

Sanie, sanguine atro.3


Welchen heillosen Fluch dieser heidnische Poet gleichwol nicht selber thut / sondern nur die schändliche Weise / boshaffter / gähzörniger / und[897] ungehaltener Tollköpffe damit vorstellig macht. Ist / auff Teutsch / so viel gewünscht:


Daß dich das Meer werff' aus / an rauhgeschärffte Klippen!

Die müssen / Böswigt / dir zerstossen deine Rippen /

Und spiessen dir den Leib / wie ein gespitzter Pfahl /

Daß Darm / Blut / Eiter / kleb' am Stein / zu deiner Quaal!


Unter uns Christen aber / findt man solcher Ottern die Menge / die ihren Gifft / in und durch die Zähne heraus fliessen lassen / mit diesen / und noch ärgern Fluch-Wünschen: Daß dich das Rad zerstosse! Daß dich der Tod würge! der T. breche dir den Hals! und reisse dich auff Stücken! Daß dich hundert tausend /und getretene Tonnen voll T. müssen holen! etc. Von dergleichen grausamen und ertz-verfluchten Flüchen /man / bey keinem Heiden / viel gehört: Denn sie verstunden die Tiefe solcher Boßheit nicht / weil ihnen das Reich der Hellen / und deß Teufels / unbekannt war: und / ob ihrer Viele gleich eine Quaal der gottlosen Seelen / nach diesem Leben / etlicher Massen glaubten; nahmen sie es doch insgemein nur so an /als wahrscheinliche Meynungen und Gedancken ihrer klügsten Philosophen; bildeten ihnen gleichwol sothane Seelen-Quaal bey weitem so erschrecklich nicht ein / als wie sie den Christen / aus heiliger Schrifft /zur Warnung / entdeckt worden. Sie haben zwar[898] auch / wenn Einer grosse Ubelthaten und Laster begangen /oder ein schweres Unglück gestifftet / bißweilen denselben die Höllen-Götter auff den Hals gewünschet; aber / was solche für böse Geister / und grausame Peiniger wären / nicht gewust; ob sie schon dieselbe für zörnig / grimmig / und rachgierig / gehalten:

Als Crassus ihm / von dem Römischen Zunfft-Herrn / oder Volck-Vertreter (Tribuno Plebis) Atteio, seinen Feldzug wider die Parther nicht wehren lassen wollte / ließ Jener ihn / durch einen Stadt-Knecht ein wenig anhalten. Ob auch gleich die andre Zunfft-Herren sich ihrem Collegen / dem Atteio, hierinn widersetzten: ließ dennoch der Stadt-Knecht Crassum so bald nicht fahren; bevor Atteius voraus geloffen war /nach dem Stadt-Thor zu / und allda / auf einem Heerd ein Feuer anmachen ließ. Wie nun Crassus endlich daselbst war angelangt; warff Attejus einiges Räuchwerck / was sonst / zu einem solchen Opffer / gewidmet war / auff die Glut; wünschte dabey dem Crasso, mit harter erschrecklicher Verfluchung seiner Person /alles Ubel auff den Hals; rieff auch zugleich die grausame und abscheuliche Höllen-Götter an / daß sie solchen seinen Fluch und Wunsch / am Crasso, wollten erfüllen. Die Römer hielten dafür / diese geheime und uralte Vermaledeyungen hetten eine solche Krafft /daß derjenige / wider welchen sie geschehen wären /denselben nicht entgehen / auch dem Verfasser sothaner Flüche selbsten es nicht wol bekommen könnte.4[899]

Was für eine grausame Niderlage hernach Crassus, von den Parthern / erlitten / und wie er selber / durch seinen Tod / dieselbe nobilitiren müssen / braucht keines Erzehlens: weil es denen / die in den Römischen Geschichten / nur mittelmässig belesen seynd /so schon bewust ist.

Im Jahr 1668 / hat ein Nußkärner / zu Altenburg /darum daß er / wegen überhäuffter Zufuhr / aus seiner Waar / dasjenige nicht ein Mal wieder lösen können /was sie ihm selbsten gekostet / aus verzweifelter Ungedult einen und andren bösen Fluch gethan / (vielleicht dieses saubren Inhalts / daß ihn der T. mögte holen / und durch alle Lüfft hinweg führen! wie solche ungehaltene Leute gemeinlich zu intoniren pflegen / wenn es ihnen widersinnisch geht / und in ihrem Thun mißlingt.) Dieses geschahe eben kurtz vor dem H. Christ-Fest; dagegen er sich billig mit einer viel andren Andacht / hette bereiten sollen. Er wollte gleich nachmals / als solches hochheilige Weihnacht-Fest hart vor der Thür war / die Weise begehn / und sich in die Früh-Predigt begeben; und hatte besorglich sein boßhafftes Fluchen dem lieben GOtt nicht ernstlich abgebeten: wie dann manche Ruchlosen / darum /weil sie nicht gleich Augenblicks die böse Würckung ihres heillosen und toll-kühnen Fluchens vor ihren Augen sehen / noch deßwegen einiger Gefahr sich sonders viel besorgen / sondern einen / im Zorn ihnen entwischten / Fluch / so viel als einen Wind vom Leibe / und sich eben deßwegen / weil der Fluch in gähem Zorn heraus gefahren / zu keiner Busse verpflichtet / achten: Da man doch vielmehr bedencken und gläuben sollte / daß der[900] Segen an dem nicht hafften könne / von dessen ungehaltenem Maul / in der Bosheit / der Fluch so fertig und hurtig heraus geht; und daß GOtt unsre unerkannte Sünde vor sich ins Liecht stelle; ob wir gleich die Decke der Vergessenheit / oder der Entschuldigung mit der gereitzten Ungedult / darüber ziehen. Denn er hat eine Schatzkammer / darein er die Zorn-Schätze hinterlegt und versiegelt: welche uns / so wir nicht durch threnende Reu /solches Siegel aufflösen / und unsre Missethaten / von dem Register solcher seiner Zorn-Schätze ausleschen /in die zeitliche und ewige Armut stossen können.

Indem nun dieser Nußkärner / mit unbereitetem und ungereinigtem Hertzen / zu gedachter Früh-Predigt /gehen will / der Einbildung / seine Missethat sey schon vergeben / oder vielmehr / er habe keine Missethat gethan / und sich über einen Fluch / der ihm so viel / als eine wurmstichige Nuß / gegolten / keine Gedancken zu machen; wird er unterwegs / von einem Bock / angepackt / der ihn / mit den Hörnern / auffasst / und über eine starcke Meilwegs / durch die Lufft / nach Altkirchen führt: woselbst man ihn / auf dem Kirchhofe / bey einem Grabe ligend / und im Angesicht sehr zerkratzt / angetroffen.

Er hat sich aber allda endlich kaum auffgerichtet /als ihn der Bock von neuem ergriffen / und biß vor die Stadt / auch über etliche Oerter / herum geführt: gestaltsam ihn auch etliche Leute / bey solchem herum-schweben / erblickt haben. Jedoch ist er daselbst bald seines verfluchten Horn-Rosses[901] wieder loß worden /und eilends wieder ins Städtlein gangen.5

Glückselig ist der / welcher sich / an dergleichen Correction eines Andren / spiegelt / und mit David zu einer solchen Entschliessung greifft / Ich habe mir fürgesetzt ich will mich hüten / daß ich nicht sündige / mit meiner Zungen;6 eingedenck lebend der Worte deß Haußlehrers. Wenn Einer wieder flucht /was hilfft dem sein beten?

Im Hornung 1675sten Jahrs / hat sich / besage damaliger Franckfurter Relation / Folgendes / in der Keyserlichen freyen Reichsstadt / Lübeck / bey einem entstandenem hefftigem Sturmwinde / begeben. Es waren / im Wirtshause / zum guldenem Engel / einige gute Freunde zu gast. Als nun der Hausknecht selbigen um 2 Uhr / mit der Latern heim geleuchtet hatte /und im Rückwege mit abscheulichem fluchen / über den S. Marien Kirch-Hoff nach Hause gehen wollte: ward er / auff jetzt-besagtem Kirchhoff / von dem bösen Geist weggerafft / und bey zwo Stunden in der Lufft herum geführet / endlich aber / mit der Latern /an dem Arm vor dem Wirtshause wieder nieder gesetzt.

Da er nun wieder zu sich selbst kommen war / hat er zitternd und bebend angeklopffet / und sich zu Bette bringen lassen: Allwo er / ohne Essen und Trincken / auch mit wenigem Reden still gelegen. An seinem Leibe / war zwar nichtes zu sehen: in allen[902] Gliedern aber fühlte er grosse Schmertzen. Insonderheit bekannte er vor seinem Beicht-Vater / daß er nicht wüste / wohin er in gedachten 2 Stunden vom bösen Feind sey geführet worden.7

Eben in selbigem Jahr / erschallte / aus Emden /eine Zeitung / daß der böse Geist einem ruchlosen /und fluchenden Spieler erschienen / denselben sehr übel getractirt / endlich in die Lufft geführt / und nachgehends wieder herunter gestürtzt.8

Uber eylff Jahre hernach / nemlich im Brachmonat 1686 / las man / in den wochentlichen Zeitungen / der böse Feind hette / zu Franckenberg / einen ruchlosen Flucher / seiner eigenen Bekenntniß nach / in die Lufft / und der Stadt-Thurn-Spitzen gleich / geführt /doch hernach unverletzt wiederum herunter auff die Erde gebracht.

Aus diesen dreyen Geschichten / erscheinet die sonderbare Hut und Langmut GOttes: welche den Zügel doch nicht gar / aus der Hand / hat wollen fahren /sondern denen drey verwigten Fluchern nur einen Schrecken / zur Bekehrung / geben lassen; wiewol /so sie / für so gnädige Züchtigung / keine Besserung /zur Danckbarkeit / erwiesen haben / zu ihrer desto schwerern Verdammniß.

Fußnoten

1 Cicero in Pisonem c. 14.


2 Idem in Pisonem c. 18.


3 Ennius apud Ciceronem lib. 1. Tusculan. Quæst. c. 44.


4 Plutarchus in Crasso, & v. Pausanias in Achaicis, pag. 395.


5 Johannes Quirsfeld / im dritten Hundert seines historischen Rosen-Gebüsches am 1028sten Bl.


6 Psalm 39.


7 Franckf. Relat. 1675. Bl. 8.


8 Franckf. Herbst. Relat. am 83 Bl.


Quelle:
Francisci, Erasmus: Der Höllische Proteus, oder Tausendkünstige Versteller [...]. Nürnberg 1690, S. 894-903.
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