LXXXIII.


Das Schreck-Bild.

[903] Wie ein frommer und getreuer Vater seinen Söhnen /sonderlich denen / die ihm allzufrisch vorkommen /und die Zucht schier verschmähen wollen / nebenst andren wolgemeynten Erinnerungen / bißweilen den /ungefähr vorübergehenden / Scharffrichter / und desselben / an der Seiten führendes breites Richt-Schwert weiset / zur Warnung für einem schmählichen Tode: also stellet GOTT manchen Leuten / die sich nicht gern / in den Schrancken seiner Gebote / halten / noch durch seiner Boten Lehre wollen ziehen lassen / zulässiger Weise jemaln wol den höllischen Würger ins Gesicht: der sie / durch seine Erscheinung / erschreckt / und ihnen einen solchen Anblick gibt / dafür sie erzittern müssen. Welche ihnen nun solches zum Nachdencken dienen lassen / daß GOtt auch einen Scharffrichter habe / dem Er sie übergeben könne; und deßwegen sich bekehren: die handeln klüglich: Welche aber dieses in den Wind und der Vergessenheit heimschlagen / denen wächst die Straffe ihrer Halsstarrigkeit desto höher.

Mir ist / von einer glaubhafften Person / versichert worden / daß einem fürnehmen Jünglinge / welchen auch ich wol gekannt / aber den Namen / samt dem Ort / aus gewisser Bewegniß / ungemeldt lasse / diese Abentheuer widerfahren. Besagter Jüngling ließ sich mehr / von seiner Eigenwilligkeit /[904] weder von guter Ermahnung / regieren / und gehorchte fast Niemanden / als ihm selbsten / und seiner Wildheit. Wie dann diejenige / welche / von den Ihrigen / gar zu furcht-los / und ohne Zaum / erzogen werden / eben so selten zur Sittsamkeit / Erbarkeit / und Tugend / gedeyen /als wie ein ungepflügter Bodem / zu einer Fruchtbarkeit.

Da nun dieser junger Mutwill / von den Seinigen /vernommen / daß er / über etliche Tage / mit ihnen /zur Beicht und heiligem Abendmal gehen / und derhalben sich dazu schicken müsste: hörte er folgends /nachdem er / zu Mitternacht vom Schlaffe erwacht war / draussen vor seiner Kammer / und an den Fenstern / einen plötzlichen Sturm-Wind / und ein sonderbares ungewöhnliches rasseln. Endlich geht die Kammerthür auf / und ein abscheulich-schwartzer Kerl herein / mit einer hohen Hauben / feurig-blickenden Augen / hochaufgeworffenen und geschwollenen Wurst-Lippen. Die Ohren waren den Pferds-Ohren nicht ungleich / und die Füsse gleichfalls / wie Pferds-Füsse / anzusehen. Der helle Mond-Schein machte ohne das zwar alles sichtbar; diesen schändlichen Moren aber dennoch überdas ein besonderer ihn umringender heller Schein um so viel erschrecklicher /als kenntlicher: zumal weil auch der / in dem Zimmer hangender / grosser Spiegel / den roten Feuer-Glantz /so dem Schreck-Bilde aus den glühenden Augen schoß / auffing / und wieder zurückwarff. Diß grausame Bild tratt immer näher / auf das Bette zu / und drauete dem erschrockenen Sarkon (also wollen wir ihn allhie nennen) mit zweyen[905] aufgehobenen Fingern. Als er aber / vor Furcht und Bangigkeit / unter die Deck-Bette sich verbarg / ward über der Decken ein solches Geräusch / als ob viel Ratzen und Mäuse drauf herumlieffen.

Uber ziemlich-lange Weile kommt er wieder hervor / in Hoffnung / der wühste Anblick werde schon verschwunden seyn: Aber das Ungeheuer stehet noch da /winckt / wie zuvor / mit den zween vordersten Fingern / und drauet. Er wollte seinem Diener / der / in dem nechsten Zimmer schlieff / ruffen; kunnte aber /vor Entsetzung und Furcht / weder reden / noch beten.

Zuletzt / nachdem er eine ziemliche Zeit in solcher Angst / gelegen / begunnte er zu seufftzen / und sich eines kurtzen Gebetleins / welches ein Geistlicher insgemein / auf der Kantzel / zu sprechen pflag / zu erinnern. Als er selbiges / bey sich selbsten / betete; wich das Gespenst allgemach hinter sich / und verschwand.

Hierauf rieff und weckte er seinen Diener / und hieß denselben bey ihm wachen / mit Vermeldung / es müsste / in der Kammer / nicht richtig seyn. Dieser suchte / ihms zwar auszureden: aber er ließ ihms nicht ausbilden; sondern brachte / die übrige Nacht / in grosser Furcht / zu; erzehlte auch / am Morgen / etlichen Personen / was er für eine saubre Gestalt gesehen: Die sich dann dieser Gelegenheit bedienten / ihn / zu besserer Furcht GOttes / zu ermahnen; damit er sich / für dem Grauen deß Nachts / nicht fürchten dörffte / noch / an stat christlicher Warnungen / die Dräuungen deß Satans leiden.[906]

Ich setze noch ein Andres hinzu / so mir / von einem Andren / der völlige Gewißheit davon hat / berichtet worden. Ein edler Student / welcher nunmehr verheirathet lebt / lag / nebst Andren / am Tische / in einem Hause / da sich bißweilen einige Unfreyheit vom Gespenst / vor dem zwar / nunmehr aber in etlichen Jahren nichts / hatte spühren lassen. Er war der stillest- und eingezognesten Keiner; sondern ein frischer Bruder / der wacker mitmachen / und in alle Thurnier-Sättel sich bequemen kunnte. Bey welcher Lebens-Art / man den Himmel / mit Gebet / und Gottesdienste / selten übereilt / hingegen die gemahlten Betbücher offt lieset / und so wenig für der Klingen /als / für den starcken Gesundheiten / sich verzagt antreffen lässt.

Indem nun Pilador / der gar nicht furchtsam war /auch sich wenig drum bekümmert / oder befragt hatte / ob jemals vorhin / in selbigem Hause / ein wahres /oder falsches Gespenst erblickt / oder etwas davon geredt worden / einsmals droben in einem Zimmer allein ist / und sich aufs Faul-Bette wirfft; geht die Thür auf / und tritt Jemand herein. Welchen er / von Fernem /anfangs nicht anschauet / vermutend / es sey Jemand von seiner Tisch-Pursch: Deren Etliche drunten beysammen / etliche aber annoch nicht heimgekommen waren. Weil aber der hereingetretene sich etwas nähert / und zwar in Gestalt einer menschlichen Person: blickt er endlich hin / und wartet / was der Kerl Gutes bringen werde; als welchen er noch / für einen rechten / doch unbekandten / Menschen /[907] ansahe. Jener bleibt hierauf eine Weil stehen / und sihet ihn wiederum gar scharff an / ohne Sprechung einiges Worts. Weßwegen Pilador fragt: Was will man? Worauf Jener spricht: Ich will dir den Hals brechen.

Da merckt Pilador / was er für einen Gesellen für sich sehe: und weil er / ein so schlechtes Anerbieten anzunehmen / gar nicht gesonnen; springt er gähling auf / nimt / durch eine andre nähere Thür / Reiß aus /und eilt die Stegen hinab / zu seinen Kameraden; bittend / sie wollten doch eilends mit ihm hinauf gehen; denn es sey ein Kerl zu ihm hinein gekommen / der habe gedrauet / ihn zu erwürgen. Wie sie aber zusammen hinauf kommen; ist Keiner mehr vorhanden. Daß es der Mord-Geist gewesen / kann man also leicht erachten. Welcher ihm besorglich / wann er nicht Fersengeld spendirt hette / einen Tuck erwiesen haben dörffte.

Quelle:
Francisci, Erasmus: Der Höllische Proteus, oder Tausendkünstige Versteller [...]. Nürnberg 1690, S. 903-908.
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