XC.


Die Flucht der Lebendigen / für dem Todten.

[980] Nach dem Recht der Völcker / gebührt denen Gestorbenen die Begräbniß. Deßwegen wird solche Gebühr /vom Seneca, unter diejenigen Rechte gerechnet / so zwar nicht beschrieben / doch aber gewisser / als alle beschriebene / seynd.1 Und Papinius nennet die Begrabungen der Leichen Terrarum Leges & mundi fœdera, die Satzungen der Länder (oder deß Erdbodems) und Bündnissen der Welt.

Hievon macht gleichwol das peinliche Halsgericht /bey den Maleficanten oder offentlichen Ubelthätern /vielmals einen Absatz / indem es ihnen / durch Absprechung der Begräbniß / die Straffe / nach Verdienst / erhöhet: damit die Vorüberreisende / oder Wandlende / an den hangenden / oder auf einem Rade ligenden / Körpern / einen Spiegel haben sollen deß bösen Ausgangs so böser Thaten.

Wann aber solche Malefizpersonen ihr Recht ausgestanden / und das Gericht den abgethanen Leichnam nicht / um gemein-nützlicher Ursachen willen /zur Anatomir- oder Zergliederung / verwilligt; sondern eine Privat-Person / aus blosser Curiositet /etwan dieses oder jenes Glied / sonderlich den Kopff /durch den Scharffrichter / davon[981] von entwendet: so geschicht dem Gerichteten damit zuviel: weil es dem gerichtlichen Urtheil nicht gemäß. Denn es werden solche arme Sünder allezeit lieber hören / daß ihr Leichnam gantz aneinander bleibe / als daß man ihn /nach der Hinrichtung / wolle zerstücken und trennen. Dannenhero auch jener Baur / als er sein Urtheil empfangen / sich zwar mit Gedult drein ergeben / doch gleichwol / weil er vernommen / daß der berühmte Doctor Rollfinck manchen Justificirten anatomirte /sehr gebeten / man sollte ihn doch nur nicht lassen rollfincken / so wollte er gerne sterben.

Unterdessen kann die anatomische Zerlegung dem menschlichen Geschlecht / zu nicht geringem Nutzen /gedeyen / und diese Wissenschafft / zur Untersuchung der Ursachen / die den Patienten ins Bette geworffen /ein grosses Liecht ertheilen: gleichwie hingegen die Unwissenschafft grosse Fehler zu gebären pflegt.

Solches wird Niemand widersprechen / als derjenige / den seine Unerfahrenheit bewegt / dienige Artzney-Doctores, so sich / in dieser Kunst / fleissig üben / mit Theons-Zähnen zu nagen / und solche ihre Ubung zu straffen. Unter denen / ist der / sonst berühmte / Helmontius Einer von den Fürnehmsten. Dieser will / die Anatomia (oder Glieder-Zerlegungs-Kunst / welche sonst schon über zweytausend Jahre alt ist) habe man / um dieser Ursach willen / angefangen so fleissig zu treiben / daß man die Feuchtigkeiten im menschlichen Leibe / wie es die Wege geben /wegziehen / und von dem einem Ort auf den andren ableiten möge. Solches nennet er eine lächerliche Weise /[982] und tadelt / daß die Schulen denjenigen erst für einen rechtschaffenen Artzt halten / der seine Finger in dem Kot der todten Körper am meisten besudelt / und dasjenige / was / von den Vorfahren / in diesem Stück / mit grossem und überflüssigem Fleiß /heraus gegeben worden / durch sein eigenes Messer erfahren will. Er schilt es folgends / für einen Irrthum grossen und überflüssigen Vorwitzes / und für eine hochtrabende tolle Lehr / welche / von dem Schwindelgeist / der aller Verfinsterung Ursprung ist / eingeführt worden: Es wäre / seinem Urtheil nach / schon genug / wenn man / durch die Anatomie / die Gelegenheit / die Zusammenknüpffung / und den Nutzen der Glieder / kennen lernete: Und brauchte es gar nicht / daß man sein gantzes Leben / um die Gänge etwan einer gar kleinen Ader zu finden / mit einer solchen Zermetzelung der todten Leiber / zubrächte: weil solches nur / zu einem eitlem und stinckendem Ruhm / ausschlage / und die allerköstlichste Zeit unsers Lebens / gantz ohne Frucht und Nutzen / darinn zugebracht werde.2

Aber man will sagen / Helmontius habe in der Glieder-Zerlegung / weder Wissenschafft / noch Ubung oder Erfahrung gehabt; und deßwegen sey er derselben so aufsetzig. Wiewol er sie nun gleich nicht gäntzlich verwerffen will: fehlet er doch gewaltig darinn / daß er vermeynt / die Alten hetten in dieser Kunst allbereit einen überflüssigen Fleiß erwiesen /und den heutigen nichts übrig gelassen / darinn weiter zu erkündigen. Die[983] Ubung erfindet gemeinlich noch mehr / und perfectionirt sich / in einer Kunst / je länger je besser. Man lernet morgen noch etwas / so man heut noch nicht weiß.

Herophilus, der für den ersten Zergliederer (oder Anatomicum) gehalten wird / hat / von dem Tyrannen Phalaride sehr viel Menschen erlangt / und sieben hundert derselben mit dem anatomischen Messer lebendig zerschnitten. Wie diese Worte Tertulliani beglauben: Herophilus ille Medicus, aut Lanio potiùs, qui septingentos exsecuit, ut naturam scrutaretur, qui homines occidit, ut nôsset.3 Durch solche Metzelung und blutige Erkündigung / hat er sich zwar in solchen Ruff und Ruhm anatomischer Erfahrenheit gebracht / daß Fallopius, von ihm zu sagen pflegendarauf kann geantwortet: Contradicere Herophilo, est contradicere Evangelio. Dem Herophilo widersprechen ist so viel / als dem Evangelio widersprechen. Weßwegen man ihn auch der Anatomicorum Evangelisten nennet. Gleichwol hat dieser Herophilus noch nicht Alles gefunden / was die nachmalige Ubung andrer Anatomicorum hat entdeckt.

Ob auch gleich Ihrer Etliche vielleicht gar zu viel Zeit dieser Ubung verschencken: kann man dennoch daraus nicht schliessen / es sey unvonnöthen / daß man sich weiter darinn übe: sintemal eine solche Wissenschafft / durch selbst eigne Erfahrung und Ubung /am allerbesten und gewissesten zu begreiffen steht.[984]

Warum sollte sich Einer / in einer solchen Handlung / nicht offt üben / die nicht allein dem Glied-Zerleger selbsten / sondern auch den Zusehern / eine tieffe Verwunderung über GOttes Allmacht / und Weisheit / hernach die Verwunderung auch eine Dancksagung erregen / und sie bewegen kann / mit David anzustimmen: Ich dancke dir darüber / daß ich wunderbarlich gemacht bin! Wunderbarlich seynd deine Wercke: und das erkennet meine Seele wol. Sie kann ja auch den Menschen in die Betrachtung führen / wie leicht es um ihn könne geschehn seyn /nachdemmal alle seine Glieder so mancherley Schwachheiten und Gebrechen unterworffen seyn /und so leichtlich einen Anstoß bekommen möge. Sie dienet auch / zur Erinnerung / wie nothwendig es sey /daß der Leib in seiner gebührlichen Ordnung gehalten / und ihm nicht mehr aufgebürdet werde / als sein Vermögen mag ertragen. Weil man auch / aus einer solchen Section / oder gliedlichen Zerlegung eines Körpers / die Stellen und Oerter ersihet / dahin sich diese oder jene Kranckheiten setzen; so lernet man auch dabey / welcher Gestalt jedwedem Gliede am füglichsten sey zu helffen.

Wer aber / in der Zergliederungs-Kunst / ungeübt ist / und die Fügungen der Glieder / die Adern und Nerven / und Mäuslein / samt ihrem Lager oder Sitze / nicht recht kennet / der mag leicht / bey der Kuhr /die Pferde hinter den Wagen spannen / und den Patienten mehr drücken / als erquicken; mehr verderben /als bessern; mehr stürtzen / als aufrichten.[985]

Solchem nach führet die grosse Nutzbarkeit und Nothwendigkeit solches anatomischen Verstandes den unverweigerlichen Schluß mit sich / daß auch die Ubung derselben / an einem / von der Obrigkeit dazu verwilligtem / Körper / nicht tadelsondern lob-würdig sey.

Es dörffte aber Manchem dieses dennoch einen Scrupel oder Zweifel geben / ob solche gliedliche Zerschneidung eines menschlichen Körpers GOtt nicht etwan mißfällig sey / weil an solchen Oertern / da man ein Sceleton, oder anatomirten Menschens Gebein aufziehet / oder da man dasselbe in Verwahrung hinstellet / das Gespenst sich gern zu rühren pflegt? Wie ich dann / in der Geschicht von Erscheinung der Malefiz-Personen / ein und andres Exempel beygebracht.

Aber darauf kann geantwortet werden / daß solches keinen Beweis eines Göttlichen Mißfallens gebe: weil die Gespenster um solche Todten-Gerippe / oder bey Herüberziehung der zerstossenen Hirnschalen / darum sich nicht hören / oder sehen lassen / als ob die Zerschneidung der Todten-Körper unchristlich wäre: sondern / meines Vermutens / aus zweyerley Ursachen. Erstlich / weil so wol die todten Körper selbst / als die anatomische Handlung / das ist / die würckliche Zerlegung derselben / an sich selbsten / zum Schrecken einige Bequemlichkeit machen / zumal denen /welche sich jemaln allein dabey / und ohne Gesellschafft / befinden. Hernach auch darum / weil der Satan einen solchen justificirten Körper zum Werckzeuge einer angestiffteten Ubelthat gebraucht: weßwegen er / als der Urheber deß Todes / bey den todten[986] Leichnamen / oder Todten-Gerippen / gern geschäfftig ist. Wie er dann / aus eben solchen beyden Ursachen /auch wol bey den Gräbern / zu Nachts-Zeit / ein grauerisches Gepolter jemaln machet / um den Lebendigen einen Schrecken einzujagen.

Doch wird es noch leichter und öffter geschehen /an solchen Oertern / da die abgethanene Missethäter entweder auf dem Rade ligen / oder am Galgen hangen. Massen er auch die Nacht lieber / als den Tag /zu seiner Erscheinung / und Gepolter / darum erwählt / weil die Nacht viel furchtsamer als der Tag / die Finsterniß als das Licht / und also / zur Erschreckung eines Menschens / dem schalckhafften Geist einigen Vortheil schaffen kann.

Diß bestetiget die manchfältige Erfahrung. Als / zu Lüneburg / in Preussen / etliche starck bezechte Edelleute das Hochgericht vorbey ritten / spottete Einer unter ihnen der dreyen am Galgen hangenden Dieben /und sagte / sie sollten / auf den Donnerstag / zu ihm kommen / und seine Gäste seyn. Welches sie auch gethan / und ihn / nach geendigter Mahlzeit / hingegen eingeladen zu ihnen / an das Rabenholtz / dran er /über vier Wochen / geknüpffet werden sollte. Welches ihm auch also ist widerfahren.4

Ein fürnehmer Professor und Doctor Theologiæ, auf einer berühmten Teutschen hohen Schul / nahm eine Reise zu Pferde vor / nach Eger[987] in Böhmen / von dannen er bürtig war. Da er nun etwan noch eine kurtze Meile biß nach bemeldter Stadt hinter sich zu legen hatte / indem sich der Tag zu neigen begunnte; erblickte er einen Gehenckten; ritte auch gantz nahe hinzu / und schaute solches erbärmliche Spectacul an / mit jammernden Augen. Indem er aber die klägliche Gestalt deß armen Sünders so mitleidig betrachtete; fing derselbe überlaut an zu reden / und sagte: Der Herr hat Zeit / wann er noch hinein will: doch kommt er noch wol dahin: denn er hat noch eine Stunde nur zu reiten. Der Doctor, welcher gantz allein war / entsetzte sich nicht wenig / und ritte alsobald seines Weges fort.

Also sihet man / daß der Satan solche Oerter / und Körper gerichteter Malefiz-Personen / vor andren /gern auslese / die Reisende / oder Wandlende zu erschrecken. Denn ob er gleich ohne Zweifel / allbereit lange zuvor / auf diesen gelehrten Reuter / Acht gehabt / und vielleicht stets bey ihm hergeschlichen: hat er doch die Gerichtstäte / und den hangenden Diebs-Körper / am bequemsten geachtet / ihm / durch seine Rede / eine Furcht und Schrecken zu machen.

Mit gleicher Abzielung spielt er bißweilen auch sein gaucklerisches Schreckwesen / bey Anatomirung eines wenschlichen Leichnams / und allbereit anatomirten Sceletons / oder menschlichen Rippen-Gebäues: nemlich daß er / bey solchem / ohne das unleutseligem / Anblick / die Beschreckung eines Menschens /mit desto stärckerem Nachdruck / vollbringen möge. Wiewol er auch sonst[988] noch wol andre Schalckheit mehr darunter verbergen kann / und ihm dazu alsdenn noch mehr Raums ertheilet wird / wenn man die Todten-Köpffe / oder Leiber justificirter Personen / weder zur Erbauung deß Gemüts / noch deß Verstandes /noch zur Beforderung der Artzeney-Kunst / sondern allein aus blosser Curiositet / aufhebt / und der Grab-Erden beraubt.

Der hochwolgeborne Herr Haupt-Author deß grossen Wercks von dem Hertzogthum Crain hat mir /nachdem selbiges schon ausgedruckt / noch allererst unterschiedliche merckwürdige Begebenheiten / dieser Art / zugeschrieben: Darunter auch diese: Vor zwey und zwantzig Jahren ungefähr / da jetzt hoch-Ehren-gemeldter Herr Baron sich / zu Lyon in Franckreich /befunden; hat Er / bey einem Advocaten deß Parlaments daselbst / Monsieur Henry Garbusat, einem gar curiösen Herrn / bey welchem Er zur Herberge und am Tische gelegen / und sehr höflich tractirt worden / einen gantzen Todten-Kopff gesehn / den man leicht voneinander / in unterschiedliche Theile / zerlegen / und wiederum zusammen thun kunnte: weil alle Musculn (oder Mäuslein) und natürliche Zusammenfügungen durch die geschickte Hand eines Wundartztes zu Lyon, in dem Spittal à la Charite, mit mühsamer Arbeit / und grosser Gedult / vermittelst eines subtilen eisernen Instruments / aufgelöset worden.

Zu diesem schönem tunckelbraunem Kopff / welcher von einer Mannsperson war / hette gedachter Herr Garbusat gern auch einen weiblichen gehabt /[989] und beyde gleichsam zusammen gepaart; kunnte aber Niemanden antreffen / der solche langweilige Mühe auf sich nehmen mögte / daß er gleichfalls alle Musculen solches Kopffs / ohne Abbrechung derselben /abgeledigt hette. Derhalben besann er sich / auf ein andres Mittel; nemlich / daß man einen frischen Menschen-Kopff sieden sollte. Also strebte er darnach /daß er einen mögte bekommen. Solches werckstellig zu machen / gab sich auch hernach Gelegenheit an die Hand; indem man ein Weib / Todes-würdiger Missethat halben / enthauptete. Wovon er das Haupt an sich handelte; nachdem ihm Monsieur Lucas, ein Chymicus zu Lyon, von Geburt ein Italiäner / vor dem Thor St. Jean damals wohnhafft / versprochen / dasselbe auszusieden.

Indem nun der Kopff angefangen zu sieden; seynd hin und wieder Menschen-Köpffe erschienen. Welcher Anblick sie / mit solchem Schrecken / schlug /daß sie Beyde davon strichen / zum Laboratorio hinaus lieffen / und den Kopff also stehn liessen: biß letztlich der Chymist sich ermannete / und wiederum ins Laboratorium zuruck kehrte / den eisernen Hafen oder Topff / samt dem / darinn ligendem / Kopff /nahm / und alles miteinander in den Fluß la Saone warff.

Also hat der Todten-Kopff zween lebendige Köpffe in die Flucht getrieben.

Vor-hochermeldter Herr vermeynt / es könne zwar wol seyn / daß der böse Geist sie gevexirt; doch könne auch wol ein guter Geist / oder Engel sie / mit diesem Gesicht / von solcher Handlung haben abschrecken /[990] und ihnen dadurch zu erkennen geben wollen / daß man die Todten sollte ruhen lassen. Es will Ihm aber schier vermutlicher scheinen / der Spiritus vitalis, oder Lebens-Geist / habe es gethan: Wie wol Er damit seiner Religions-Verwandten / nemlich der Römisch-Catholischen Lehre von Erscheinung guter und böser Geister / nicht zu verwerffen / noch diese seine / mit vielen berühmten Artzney-Doctorn /und Chymicis, übereintreffende Vermutung / über alle und jede Erscheinungen der Verstorbenen / auszubreiten / begehrt; sondern nur von etlichen erscheinenden Gestalten der Todten / und insonderheit von dem Gepolter / so bey Herüberzieh- und Calcinirung der Todten-Köpffe / gemeinlich entsteht / solches vermutet.

Ich vermeyne aber / wann je diese Meynung mancher Chymicorum sollte zugegeben werden; darinn ich meine Schwachgläubigkeit doch bekennen muß; so würde dennoch nur ein Kopff / und nicht unterschiedliche / hin und wieder erscheinende / Köpffe /bey dem siedenden Todten-Kopff / erschienen seyn.

Hochgedachter Herr bekräfftigt seine Gedancken /mit dem / was Ihm ein fürnehmer Medicus und Chymicus erzehlet hat: daß nemlich / bey Calcinirung menschlicher Hirnschalen / in dem Laboratorio desto grösseres Getöß und Tumult entstehe / je frischer dieselbe seynd; und solches Gepolters weniger gehört werde / wann sie nicht gar frisch mehr. Solches hat derselbige Medicus, aus eigener Erfahrung / und dieses für den Grund deß Unterscheids geachtet / daß /weil der Spiritus[991] vitalis, von einer alten Hirnschalen /mehrentheils schon ausgezogen und sich abgesondert / solche alle Hirnschale auch desto weniger Getösses errege: imgleichen / daß / je frischer die Hirnschale calcinirt wird / desto kräfftigere Würckung sie auch in der Medicin thun würde: Welches letzte auch ich /und zwar viel sicherer / als das vorige / gläuben kann.

Er stärcket endlich auch die Gewißheit deß / bey sothaner Kopff-Calcinirung sich erhebenden / Rumors / Gekrachs / und Getösses / mit der Erfahrung deß Herrn Joh. Georg Tosches / Einer hochlöbl. Landschafft in Crain Apothekers / eines gebornen Schottländers; welcher noch jetzo sich / zu Laybach / befindet / und / unter währender solcher Calcinirung / eben dergleichen abentheurlichen Tumult vernommen.

Ich sorge aber / es sey / alle Mal / ein solcher Lebens-Geist / dergleichen sich in deß annoch / dem Ruhm nach / unsterblichen Anatomisten / Doctoris Rolfinckii Anatomi-Kammer / bey den aufgereiheten Gebeinen / mit einem starcken Geräuscht / zum öfftern hat hören lassen / und nicht selten auch noch Manchen / der / bey Nacht / die in den Beinhäusern ligende Köpffe und Gebeine vieler / vor vielen Jahren schon gestorbenen / Leute allein / und ohne Gesellschafft vorüber gehet / mit einem räuschendem Getöß / oder grauerischem Schreck-Gesicht / in forchtsamen Lauff treibt.

Daß ein frischer Todten-Kopff / unter der Calcinirung / vielmehr Getösses / weder ein gar alter / er weckt / kommt mir gar nicht unglaublich[992] vor: aber darüber wüsste ich andre Ursachen zu geben; wenn mir die Zeit / und eilende Presse / einen weitläusstigen Discurs zuliessen: angemerckt / solches aus mehr / als einerley / Ursachen / geschehn kann.

Noch eins hette ich schier vergessen. Eben dieser Herr begegnet hernach auch einem Einwurff / welchen Jemand thun mögte; Als / warum dann / bey einem Kalbes-Kopffe / wenn derselbe gesotten wird / weder einige Phantasmata oder Gesichter erscheinen / noch einiges Getöß / Tumult / oder Gepolter / vernommen wird: und giebt darauf diese Ursach: Weil eines Menschen Spiritus vitalis, oder Lebens-Geist / viel edler /und subtiler / als andrer Thiere. Doch will Er nicht widersprechen / daß es dennoch auch / bey vieler Thiere Calcinirung / zu Zeiten / wol geschehe; bevorab / der Schlangen / und andrer dergleichen.

Ich mögte aber wünschen / daß der gelehrte und erfahrne Medicus, welcher hocherwehntem Herrn Baron versichern wollen / es seyen solche Erscheinungen und Gepolter / bey denen calcinirten Köpffen / eine Würckung deß Spiritûs vitalis (oder Lebens-Geists) hette diese Fragen mir beantwortet: Erstlich / Ob der Lebens-Geist / nachdem das Gericht-Schwert den Menschen geköpftet / im Kopffe / oder im Hertzen /seinen längsten / Sitz / und letzten Aufenthalt / behalte? Wenn er mir nun antwortete / das Hertz sterbe ja am letzten: so würde meine Gegenantwort seyn / daß er dann / im Hertzen / auch ohn allen Zweifel / am geringsten bleiben müsse. Ist er dann im Hertzen am letzten: wie kann er dann / durch die Calcinirung /[993] allererst vom Haupt heraus getrieben / und darüber ungedultig werden?

Sollte mir aber ein Chymicus hierauf zur Antwort geben: Der Lebens-Geist könne / nachdem er schon gäntzlich / von dem Körper / auch so gar aus dem Hertzen / abgeschieden / dennoch bißweilen wiederkehren / und seinen Verdruß / über solche üble Handthierung seines Kopffs / durch solches klopffen /werffen / krachen / oder erscheinen / zu verstehn geben: so würde ich fragen / Ob ein solcher / schon gantz ausgefahrner / Lebens-Geist dann menschliche Sinnen / Vernunfft / Gedächtniß / und Wissenschafft habe / wie es seinem gewestem Wohnhause / dem Leibe / oder einem Gliedmaß desselben ergehe? Ob er begliedert sey / daß er ein solches werffen und poltern könne stifften? Ich würde auch abermal fragen / wann dieses aus der Natur / und eine natürlich-magische Würckung deß Lebens-Geistes ist / warum derselbe dann nicht auf einerley / sondern vielerley Art und Weise / sich anzeiget? Warum er bald / durch Erscheinung / und zwar gemeinlich in Kleidern / bald durch ein Gepolter / sich vernehmen lasse? Und ob ein solcher Spiritus vitalis wisse / Hut / Hosen und Wammes / Strümpffe und Schuhe / nach dem Meister-Recht / vorzustellen?

Gesetzt / der Lebens-Geist vermögte solches Alles auszuwircken: so würde ich / fürs Dritte / bitten /mich zu belehren; warum der Spiritus vitalis solches dann nur bißweilen / vielmals aber / bey Calcinirung seines / ob gleich noch gantz frischen / Kopffs / gar nicht thut / nemlich / daß er ein Getöß anrichtet? Ich habe unterschiedlichen[994] Anatomirungen / in meiner Jugend / zugeschaut; aber so wenig / als der übrige Umstand / das geringste Gepolter / oder etwas dergleichen vernommen. Mich berichten berühmte Medici, daß es / bey Herüberziehung frischer Hirnschalen /zwar wol / aber nur gar selten / geschehe. Daraus muß / meines Bedunckens / dieses fliessen / daß kein Lebens-Geist / sondern ein Gespenst / solche Händel anrichte. Denn was in der Natur gegründet / das geschicht allezeit / und dazu allemal auf gleiche Weise. Andrer Sachen / so dawider streiten / zu geschweigen.

Fußnoten

1 Seneca lib. 1. Controvers.


2 Helmontius Tract. 42. p.m. 824.


3 Tertullianus lib. de Anima.


4 S. Casparis Hennebergeri Preussische Chronic am 54. Bl. da diese Geschicht umständlich zu lesen ist.


Quelle:
Francisci, Erasmus: Der Höllische Proteus, oder Tausendkünstige Versteller [...]. Nürnberg 1690, S. 980-995.
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