XCI.


Die Sterbens-Verkündigung.

[995] So wenig einem Menschen verborgen ist / daß es / am Ende deß Tages / Abend wird; so wenig kann er auch zweifeln / daß die zwiefache Sonne seiner Stirne endlich auch ertuncklen müsse / ja daß / wie ihn die wochent- wo nicht tägliche Begebenheiten lehren / noch wol / vor Abend / vor dem Grab-reiffem Alter / sage ich / ihm die Lebens-Sonne untergehn könne. Das Jahr aber / und den Tag seines Todes / weiß er nicht: sintemal der HERR und Fürst unsers Lebens uns denselben darum verschwiegen / daß wir / alle Tage / uns bereiten mögen / vor seinem Richterstuhl zu erscheinen. DEUS diem mortis incertum[995] salubriter constituit: (seynd deß heiligen Augustini Worte) ut diem ultimum suum quisque salubriter cogitet. Misericordia DEI est, quia nescit homo, quando moriatur. Latet ultimus dies, ut observentur omnes dies. GOtt hat / mit heilsamen Absehn / uns keinen gewissen Tag deß Todes benannt: damit ein Jedweder / an seinen letzten Tag / heilsamlich gedencken möge. Es rührt aus GOttes Barmhertzigkeit her / daß der Mensch nicht weiß / wann er müsse sterben. Der letzte Tag ist verborgen / auf daß man alle Tage beobachte.1

Dieses muß aber / von der allgemeinen Verborgenheit unsers Lebens-Ziels / überhaupt verstanden werden. Denn sonst wird bißweilen Jemanden sein nahes Ende / durch ein gewisses Zeichen / vorgebildet / und ihm ein Winck dadurch gegeben / daß er sich / zum seligen Ende / solle gefasst halten. Welches aber nicht ein Jedweder zu erwarten hat: weil GOtt sich Niemanden / zu einer absonderlichen Vorwarnung / hat verbunden. Er sagte dem Aaron und Moses an / daß sie sich schicken sollten / zum Sterben: Will aber darum nicht einem Jedweden / was Besonders machen. Dem Könige Hiskia ward nur / zum ersten Mal / angekündigt / daß er sein Haus beschicken sollte / und sterben müsste: aber daß es hernach / über funffzehen Jahre /abermal geschehen / lieset man nicht. Gnug / daß ein Jeder weiß / es sey ihm gesetzt ein Mal zu sterben /und hernach[996] das Gericht. Weßwegen Niemand seine Sterbens-Bereitung dem grauen Alter zuschieben muß / noch dieselbe verspahren / biß auf ein Vorzeichen deß Sterbens: ob gleich manches Mal sich gewisse Vorzeichen / auch wol gar Erscheinungen bißweilen /vorher spühren lassen: weil GOTT mit solcher mißlichen Erwartung nur versucht würde / und der Satan leicht Raum gewinnen dörffte / durch falsche Gesichte / Träume / oder andre Vorbedeutungen / einen solchen Vorzeichen-Fordrer zu betriegen / und darüber sicher zu machen: indem der / mit einem falschen Vorzeichen geäffte / Mensch endlich nur darüber Eines mit dem Andren in den Wind schlagen würde; weil Ein oder Andres / das er für ein Vorzeichen anfänglich angesehn / nicht eingetroffen. Wann aber GOtt Selbst allen Menschen einen Vorwinck gäbe; so würden /unter Allen / Ihrer noch viel wenigere / als jetzt /christlich und fürsichtig wandeln; sondern die Meisten sich / auf solche Vorwissenschafft ihres Ziels /verlassen / und damit Ursach geben / zu einer solchen Verstockung / die sie / am Ende / aus gerechtem Gericht GOttes / zur rechtschaffenen Busse / unerweichlich und unbequem machte.

Es seynd aber manche Anzeigungen und Vorverkündigungen deß Sterbens so beschaffen / daß wir nicht ungezweifelt können erkennen / ob sie von GOtt / oder vom Teufel / von einem Engel / oder bösen Geist / herrühren.

Was / von diesem nachgesetztem / zu halten sey /stelle ich dem christ-vernünfftigem Leser / zur Beurtheilung / heim.[997]

Der / bey voriger Erzehlung / angezogene / hochpreisliche Herr / Herr Johann Weichard / Freyherr von Valvasor / Herr zu Wagensberg / und Liechtenberg /etc. mein gnädiger Patron / hat mir / nach Erfahrung /daß ich etwas von Gespenstern schriebe / aus angeborner Leutseligkeit, unterschiedliche merckwürdige Sachen zugeschrieben / über deren etliche Er zwar seine sonderbare Gedancken / welche / von den gewöhnlichen Meynungen / ein wenig abweichen / eröffnet / aber doch nichts destoweniger mancher verwunderlichen und seltsamen Fälle dabey gedenckt. Wovon ich dem Leser anjetzo wiederum einen mittheile.

In dem Hertzogthum Crain / ligt / eine gute Meilwegs von der Hauptstadt Laybach / ein Schloß / Habach genannt. In demselben lag / vor dritthalb Jahren / deß Herrn Frantz Erassem / Freyherrns von Moskan / Gemahlinn / eine Geborne von Pernburg / kranck zu Bette. Bey solcher ihrer Bettlägrigkeit / erschien ihrem Ehherrn / zu Nachts / ein Gespenst / in Gestalt eines Weibsbildes / redete Ihn an / und sprach: Hör! du sollt deiner Frauen sagen / daß Sie sich zum Tode bereite: denn Sie wird / dieser Tagen / sterben.

Der gute Herr hub an hierauf zu weinen / und sagte: Was werde ich armer Mann allein alsdann anfangen? Das Gespenst antwortete ihm aber: Weil du ungehorsam bist / und willst es deinem Weibe nicht sagen / so musst du / an ihrer Stat / sterben. Hiemit ist das Gespenst verschwunden.[998]

Deß andren Tags / erzehlt der Herr von Moskan /was Ihm begegnet sey / und das Gespenst mit Ihm geredt habe. Man hats aber / wie ein Mährlein / angehört / oder für eine falsche und starcke Einbildung gehalten. Derhalben Er endlich selber auch die Meynung ergriffen / es würde der Ausgang nicht bestetigen /was das Gespenst Ihm gesagt.

Nichts destoweniger hat es der Erfolg bezeugt / daß die Erscheinung ihn nicht getäuschet. Denn über wenig Tage hernach / ist er / von einer Kranckheit /angegriffen / und lagerhafft / auch alsobald darauf /durch den Tod / aus dem Leben weggeruckt worden; hingegen seine Frau / zu voriger Gesundheit / gelangt.

Merh-hochersagter Herr Baron meldet dabey / es dörffte mancher Medicus dafür halten / dieses Gespenst sey der Spiritus vitalis gewest; ein Theologus aber dasselbe entweder für einen guten Geist und Engel / oder auch wol für einen bösen Geist / achten. Daß manche Medici dem Spiritui vitali, oder Lebens-Geist / dergleichen aufbürden wollen / ist gewiß genug / und mir selbsten ein fürnehmer hochgelehrter Medicinæ Doctor bekandt / der festiglich glaubt / daß die Gespenster / welche / in Gestalt eines Verstorbenen / erscheinen / deß Menschen Lebens-Geist seyen. Aber gesetzt / es könnte der Lebens-Geist also / in menschlicher Bildung / herum gehen / und sich darinn sichtbar machen; so würde doch nicht vermutlich fallen / daß der Lebens-Geist das Leben ihm selbsten sollte absagen. Was aber die zweyte Meynung betrifft;[999] zweifle ich nicht / es sey freylich entweder ein guter Engel / oder böser Geist / gewest.

Wann es ein böser gewest / so hat derselbige dem Freyherrn nur einbilden wollen / als müsste er darum /an stat seiner Gemahlinn / sterben / daß Er dieselbe /mit der Ansagung deß Todes / nicht erschrecken wollen: denn er hat / zweisels-frey / schon die natürliche Ursachen seines obhandenen Todes gesehen / und doch den Schein gesucht / als ob der Herr / um deß Ungehorsams willen / so bald würde deß Todes seyn. Jedoch lässt sich hievon keine rechte Gewißheit machen: sintemal man gar viel Exempel weiß / daß auch die gute Engel Manchen / zur Sterbens-Bereitung / ermahnet haben / durch Gesichte / entweder im Traum /oder bey wachenden Augen.

Fußnoten

1 August. lib. 50. Homiliarum, Homil. 13. Tom. 10. col. 441. B.


Quelle:
Francisci, Erasmus: Der Höllische Proteus, oder Tausendkünstige Versteller [...]. Nürnberg 1690, S. 995-1000.
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