XCIV.


Die Tafel-haltende Geister der Vorfahren.

[1021] Wie die alten Leute gemeinlich / an Kräfften / fast erschöpfft seynd; also nehmen auch die Geschichte / so ein hohes Alter auf sich haben / ins gemein seyr ab am Credit /[1021] und finden / bey Manchen / einen schwachen Glauben; bevorab / wann sie sich / auf keines bewehrten / und viel-bekandten Scribentens Zeugniß /steuren können. Also dörffte es vielleicht auch dieser nachgesetzten ergehn / daferrn sie keinen glaubwilligen Leser antrifft. Wiewol sie dennoch / von dem Speidelio, aus denen so getitulirten Documentis redivivis der Würtenbergischen Klöster / erzehlet wird: allda sie / mit folgenden Umständen / am 127 Blat /beschrieben stehn soll.

Albrecht / Freyherr von Zimbern / pflag zum öfftern / seinem Landsherrn / Friedrich / Hertzogen in Schwaben / mit einer Besuchung aufzuwarten: als bey dem er in sonderbaren Gnaden / und Ihm allezeit angenehm war; weil er bey Ihm auferzogen. Als er nun auch einsmals sich / bey demselben / einfand; stellete dieser Fürst einen Spatzier-Ritt an / in Begleitung seiner Grafen und Baronen / derer gemeinlich eine ziemlich-grosse Zahl sich / an seinem Hofe / aufzuhalten pflag: und galt dieser Lust-Ritt hinaus zum Grafen Erchinger von Mogenheim / auf dessen Wohn-Schloß / Mogenheim / zu / so im Zabergau lag: Zu welchem Er schon vorhin mehrmals hinüber geritten war; weil selbiger Graf ein Mann fröliges Gemüts / ein Liebhaber der Jagt / und sonst auch andren ehrlichen Ubungen ergeben war. Dieser hatte Mariam / eine Gräfinn von Tübingen / zur Gemahlinn; und zwo Fräulein /aber keinen Sohn / von Ihr erzielt: also / daß dieser Gräfliche Stamm / mit keinem männlichem Zweige /mehr versehn war.[1022]

Nun lieff / in dem grossen und lustigem Walde / Stromberg genannt / so von jetzt-besagtem Schloß nicht weit lag / schon eine ziemlich Zeit her / ein ansehnlich-grosser Hirsch / den weder die Jäger / noch die Hof-Bediente / jemals hatten fahen können. Derselbige ließ sich / bey dieser Anwesenheit deß Hertzogs / nun wiederum sehen / zu ihrer Aller grossen Freude / sonderlich deß Grafen Erchingers: Darum begaben sie sich Alle miteinander dahin / samt dem gewöhnlichen Jäger-Zeuge.

Unter dem Jagen / kam erst-gemeldter Baron von Zimbern von der Gesellschafft / und ritte in einer absonderlichen Gegend selbiges Waldes herum / biß er eines grossen und schönen Hirschens ansichtig ward /dessen gleichen ihm Keiner jemals in die Augen gekommen war. Demselbigen setzte er / durch den Wald / weit nach / biß er ihm gar aus dem Gesichte sich verlor / also / daß er nicht wusste / wo der Hirsch geblieben wäre.

Da begegnete ihm ein Mann schrecklicher Gestalt /für welchem der Baron Albrecht / ob er gleich sonst ein behertzter und großmütiger Cavallier war / sich hefftig entsetzte / und mit dem Zeichen deß Kreutzes wider ihn verwahrte. Jener aber sagte zu ihm / er sollte sich nicht fürchten: denn er wäre von GOtt gesandt / ihm etwas zu offenbaren; Er sollte ihm nur nachfolgen; alsdann wollte er Ihm wunderliche Sachen weisen / dergleichen ihm noch niemals vor Augen gekommen: und dabey hette Er sich keiner Gefahr zu besorgen. Baron Albrecht (den Speidelius bißweilen auch einen Grafen titulirt) willigte drein / und ging[1023] seinem vorangehenden schrecklichem Führer immer nach / biß sie miteinander zum Walde hinaus kamen.

Allda bedunckte den Herrn Albrecht / als sähe er trefflich-schöne Wiesen / und eine überaus lustige Gegend / imgleichen ein Schloß / welches / mit vielen Thürnen / und andren Zierrahten / so herrlich prangte / daß seine Augen dergleichen niemals geschaut. Indem sie / zu diesem Schloß / sich naheten / kamen ihnen viel Leute / als gleichsam Hof-Diener / entgegen: die redeten Alle kein Wort; sondern nahmen nur / von Ihm / sein Pferd. Der / so Ihn daher geführt /sagte / Er sollte sich solches ihr Stillschweigen nicht lassen befremden / und auch nicht mit ihnen / sondern nur mit ihm allein reden / und thun / was er Ihn heissen würde.

Also traten sie zum Schloß hinein / und führete Ihn sein Vorgänger / in einen grossen schönen Saal /allwo ein Fürst / mit den Seinigen / an der Tafel saß. Sie stunden / für dem Herrn Albrecht / Alle auf / bewillkommten Ihn gleichsam / mit ehrerbietiger Neigung ihrer Häupter / und setzten sich hernach wiederum nider; gleich als ob sie miteinander speiseten /ässen und trüncken. Herr Albrecht blieb stehen / hielt sein Schwert in der Hand / und wollte dasselbe durchaus nicht von sich legen / noch aus der Hand lassen; betrachtete aber unterdessen / mit Verwundrung / das wunderkünstliche silberne Tafel-Geschirr / darinn die Speisen auf- und hernach wieder weggetragen wurden / samt allem andren Tafel-Silber; wiewol solches Alles / mit Stillschweigen / geschahe.[1024] Der Herr / und seine Hofleute / assen Jedweder für sich selbsten /und bekümmerten sich um ihn nichts. Nachdem er also Alles lange genug angeschaut; erinnerte ihn der /welcher ihn hatte dahin geführt / er sollte dem Herrn /und dessen Ministern / eine Reverentz machen / und sich vor ihnen bücken: denn er wolle ihn nun wieder hinaus führen. Wie er solches that / stunden der Herr /und dessen Hof-Bediente / wiederum höflich auf / und neigten gleichfalls ihre Häupter ihm zu. Hernach ward er wieder von dannen / zu der Schloß-Pforten hinaus /geführt. Da stelleten ihm / diejenige / welche bißhero sein Pferd gehalten / dasselbe wieder zu; legten ihm aber dabey ein Stillschweigen auf / und kehrten wieder in das Schloß zurück. Da gürtete er sein Schwert wieder an / und ward / von seinem Gefährten / durch den vorigen Weg / wieder / nach dem Stromberger Walde hin / begleitet.

Er fragt hierauf denselben / was das doch für ein Schloß / und wer dessen Einwohner wären / die daselbst an der Tafel gesessen? Der Geist gab zur Antwort: Der Herr / welchen du gesehn / ist deines Vatern Bruder gewest / ein gottsfürchtiger Mann / welcher vielmals / wider die Ungläubige / gefochten. Ich aber / und die Andren / welche du sahest / waren / bey Leibes Leben / seine Bediente /und müssen nun unaussprechlich harte Pein leiden. Er hat / in seinem Leben / seine Unterthanen / mit unbilligen Auflagen / sehr gedruckt / und solches Geld / zum Kriege wider die Ungläubigen / angewendet. Wir Andren alle[1025] aber haben Ihm dazu Raht und Anschläge gegeben; und werden jetzo / um solcher Ungerechtigkeit willen / hart gestrafft / so lange es GOtt wird gefallen. Dieses ist dir / deiner guten Meriten wegen / geoffenbart: damit du / für solchen / und dergleichen Dingen /dich hüten / und dein Leben bessern mögest. Sihe! da ist der Weg / welcher dich wiederum /durch den Wald / an deinen vorigen Ort / bringt. Doch kannst du zuvor noch eins wieder zurück kehren: auf daß du sehest / in was für Elend und Jammer sich daselbst die vorige Glückseligkeit verkehrt habe. Diß gesagt / ist der Geist verschwunden.

Hierauf kehrte Graf (oder Baron) Albrecht wieder noch ein Mal zurück / nach dem Schloß / da ihn der Geist hinein geführt hatte. Sihe! da war Alles miteinander zu Feuer / Pech / und Schwefel / worden /davon ihm der Gestanck gar starck in die Nase ging. Daneben hörte er ein jämmerliches Geschrey / Wehklagen / und Lamentiren. Darüber entsetzte er sich dermassen / daß ihm die Haare aufstiegen. Derhalben drehete er sich kurtz / wandte sich eilends um / und ritte darauf deß vorigen Weges hin / der ihn / zum Hertzog Friedrich / und dem Grafen Erhinger / wieder hinführte. Denen er verändert und verstellt vorkam /daß sie ihn so bald nicht kunnten erkennen. Denn ob er gleich noch jung von Jahren / hatte ihm doch der grosse Schreck und Bestürtzung die Gestalt eines eysgrauen alten Manns[1026] angebildet: angesehn so wol sein Haar / als der Bart / einen Schnee gewonnen hatten.

Sie verwunderten sich darüber höchlich; und noch viel höher / als er ihnen Alles / was ihm wäre begegnet / erzehlete / nemlich die Erblickung deß grossen Hirsches / die Erscheinung deß Geistes / und Schlosses. Dessen erschracken sie allemiteinander / und kehrten traurig wieder um / nach Mogenheim.

Hiernechst ersuchte Herr Albrecht den Grafen Erhinger mit hoher Bitte / daß Er Ihm mögte erlauben /in seinem Gebiet / an dem Ort / da solches geschehen / eine Kirche zu bauen. Welches dann der Erhinger /so wol / als auch dessen Gemahlinn / gantz gern zugegeben / auch hierinn Ihm mit Raht und Beysteuer behülfflich zu erscheinen / sich erboten: damit / an selbigem Ort / ein Frauen-Kloster aufgerichtet / und GOtt stets gedient werde. Nicht weniger hat Hertzog Friedrich Hülffe und Subsidien dazu verheissen /damit je ehe / je lieber solcher Bau seinen Fortgang mögte gewinnen. Welches Er auch treulich erfüllete /un so wol gewisse Zehenden / als andre Gefälle dazu verordnete.

Man sagt, (schreibt Speidelius) diese Geschicht soll sich / unter der Regierung Keysers Lotharii, deß Zweyten / in obgemeldtem Jahr Christi 1134 / begeben haben. Der Ritter Conrad von Mospach / Großhofmeister deß Landgrafen Wilhelms / und Andre haben sie / in einem alten Buch / gelesen. Berchtold / Graf von Erberstein /[1027] welcher / bey dem Hertzog in Schwaben / auferzogen worden /ist damals / zu Mogenheim / auch gegenwärtig gewest / wie dem Herrn Albrecht solches widerfahren. Weßwegen derselbe gleichfalls ein Frauen- Kloster gestifftet / Frauen Alb (Dominarum Alba) genannt: gleichwie auch das Kloster Herrn Alb (Dominarum Alba) von diesem Grafen Berchtoldo von Erberstein seinen Anfang genommen.1

Ich lasse zwar den ersten Urheber oder Verfasser dieses Gesichts / für die Gewißheit desselben / stehen / und im Fall es eine warhafftige Geschicht seyn sollte / dem verständigen Leser die Beurtheilung anheim gestellt / was alsdann / aus solchem Gesicht / zu schliessen / und wofür es anzusehn sey; erinnere mich aber dabey / daß solcherley Art Gesichter noch mehr / bey den alten Scribenten / anzutreffen / als das Gesicht Keysers Caroli Calvi, in dem Speculo Historiali Vincentii Belluacensis; welches auch / in der Reisebeschreibung Hertzogs Bogislai in Pommern / erzehlet wird: und andre mehr: die allesämtlich / auf einen Zweck / ob schon durch unterschiedliche Wege / hinaus lauffen.

Hr. M. Daniel Ernst hat dem III. Theil seines historischen Bilderhauses diese Geschicht / wiewol mit wenigern Umständen / als sie Speidelius vorträgt /gleichfalls einverleibt / und / mit dieser guten Erinnerung an die Regenten / finalisirt / daß[1028] der unvorsichtige Rehabeam / samt seinen unerfahrnen hitzigen Rähten / diese Geschicht wol überlegen mögten: damit sie nicht Scorpionen über den Rücken ihrer Unterthanen /am meisten aber über ihre eigene / binden mögten. Welcher Meynung ich mit unterschreibe.

Fußnoten

1 Speidelius in Speculo Variarum Observat. sub voce Geist. Num. 46. p. 439. seq.


Quelle:
Francisci, Erasmus: Der Höllische Proteus, oder Tausendkünstige Versteller [...]. Nürnberg 1690, S. 1021-1029.
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