Zugabe

Von etlichen Götzen-Gespenstern in Sina.

[1113] Pater Cornelius Hazart, ein Mitglied der Societät JEsu / spricht / ein jedes Alter / bey der Sinischen Christenheit / habe zwar seine sonderbare Tugend-Thaten; jedoch nehme das erste und zartere fast allen andren den Vorzug. Zum Exempel dessen / führet er an ein kleines Knäblein: welches / eben in demselbigen Jahr / zur Welt / als das Reich Sina unter Tartarische Herrschafft gekommen / und / von dem / in den Sinischen Beschreibungen gar sehr berühmten / P. Adamo Schall getauffet worden. Indem es aber mit der Geburt hart zugegangen; hat besagter Pater der kreissenden Mutter / nach Römisch-Catholischer Weise / derselben ein Heiligthum beygebracht /[1113] und /weil sie / nach einer fünfftägigen schmertzhafften Arbeit in Kindsnöthen / bald darauf entbunden worden /ihr zu verstehen gegeben / das Heiligthum hette / zu ihrer Entbürdung / Beförderung gethan / und ihr geholffen.

Das Kind hat hernach / wie ihm solches erzehlet worden / sich gegen dem Pater sehr günstig und ehrerbietig erwiesen / und alles / was ihm / zur Anzeigung einer Danckbarkeit / möglich gewest / angewendet; sprechend / daß es / gegen dem / nicht undanckbar mögte leben / ohne dem es diß Leben nicht hätte erhalten.

Nachdem seine Mutter ihm nachmals / durch den Tod / entzogen worden / und ein Sinischer Wahrsager seinem Vater geweissagt / dieses Kind würde von der Art der edlen Sineser aussetzen / und von der Hoheit Keyserlichen Herkommens mächtig-weit sich entferrnen: hat der abergläubische Vater besorgt / es dörffte etwan seinem Stamm / durch dieses Kind / ein grosses Nachtheil widerfahren; solchem nach es von Hofe wegnehmen lassen / und fremden Leuten / zur Auferziehung / anvertraut.

Im sechsten Jahr seines jungen Alters / ward es /von einer gefährlichen Kranckheit / angefallen. Indem man nun / um allerley Mittel / sich bewarb / diesem zarten Knaben das Leben zu erhalten; gab Pater Schall dem Vater das Versprechen / das Kind mit dem Leben davon zu bringen / daferrn mans ihm / zu seiner Beliebung / übergeben würde. Wie solches der Vater bewilligte; ertheilte er demselben die heilige Tauffe. Worauf der Knabe / so den Namen Johann / in der[1114] Tauffe empfing / nach einer Viertheil Stunden sich bey völlig-frischer Gesundheit befand / und allen anwesenden Heiden damit eine tieffe Bestürtzung verursachte.

Nach seiner Aufrichtung eilte der Knabe / zu sei nem Gutthäter / dem Pater Schall / und that die anmutige Bitte / daß derselbe ins künfftige nicht weniger seine Seele wollte seiner Fürsorge empfohlen seyn lassen / als wie er bißhero seinem Leibe geholffen hette. Ihm ward / vom Pater Schall / zur Antwort gegeben / für diese Gutthat wäre man dem grossen GOtt zu dancken schuldig: darum müsste man sich in die Kirche verfügen / und allda / nebenst gebührender Dancksagung für so vortreffliche Gnade / zugleich die christliche Glaubens-Bekenntniß ablegen.

Der kleine Knabe fordert hierauf alsofort seine beste Kleidung / legt eine Betschnur um den Hals /und fällt seinem Herrn Vatern zu Fuß / mit demütiger Bitte / er wolle ihm doch erlauben / vor dem grossen GOtt der Christen zu erscheinen / und demselben / für die erhaltene Wolthat / schuldigen Danck zu leisten. Wiewol nun der Vater / als ein bitterer Heide / so dem Christenthum gantz feind war / an solchem Begehren seines Söhnleins / schlechten Gefallen hatte: wollte er doch dasselbe / mit gäntzlichem Abschlage / nicht gleich betrüben; sondern speisete es ab / mit guten Worten / und gemachter Hoffnung; zoch aber die Sache auf / und ließ immittelst ein andres Opffer bereiten / für den Götzen Quonyun; als welchem er / für die Erhaltung seines Kindes Lebens / eines gelobt hatte.[1115]

Also ging das kleine Johannchen / von dem Angesicht seines verblendten Vaters / aller traurig hinweg /in den nechstgelegenen Saal; jedoch mit dieser Entschliessung / daß Es sich deß teuflischen Götzenopffers und abgöttischen Dienstes gar nicht wollte theilhafft machen: da sonst / bey den Sinesern / die Kinder ihren Eltern sehr gehorsam seynd.

Da man nun / mit dem heidnischem Opffer / den Anfang machte; erhub sich urplötzlich ein ungeheures Getümmel / gleich als ob eine grosse Menge Volcks /mit grosser ungestümer Gewalt / zum Fenster hinein drünge. Bald hernach erschien ein erschreckliches Gespenst / in Gestalt deß Götzenbildes Quon yun, welchem der heidnische Vater damals opfferte; nemlich in Grösse eines ungeheuren Riesen / mit feurigen Augen / und flammendem Angesicht. Diesen gespenstischen Riesen-Götzen umgaben noch andre kleinere kohlschwartze Götzen. Und diese sämtliche schwartze Rotte näherte sich allgemach / zu dem Knaben. Welcher hiedurch / von Schrecken und Angst / so hart angegriffen ward / daß er anfing / überlaut zu heulen und zeterzuschreyen / auch sich eher nicht wollte stillen lassen / als / biß man ihn / seiner vorigen Bitte gemäß / von dem verfluchtem Ort / hinweg- in die Christen-Kirche hinüber geführt / und bey dem Pater Adamo Schallen / in die Kost gethan / auch dessen ferneren Unterweisung anvertrauet hatte.1

Einsmals reiseten ein Christ und Heide miteinander / und nachdem sie einen Theil deß Wegs[1116] hinter sich gelegt / kehreten sie zu einer Herberge ein / um daselbst ihre Speise zu bereiten. Weil es aber an Holtz mangelte / holten sie / von einem nechstligendem zerstörtem Götzen-Hause / etliche Balcken-Trümmer und Späne / und machten damit ein Feuer an. Deß andren Morgens war der Heide früh wieder auf / und eher reisfertig / als der Christ; ließ also seinen Reisgefährten ligen / und wanderte allein davon.

Kaum aber hatte er ein Feldwegs gewonnen / als ihm eine unsichtbare Faust in die Haare fiel / und mit harten Streichen ihn so hart und inständig schlug /daß der arme Tropff / vor grossem und schmertzhafftem Wehmut anhub zu klagen / und endlich / aus zörnender Ungedult / fragte / Wer der Mörder wäre / der solchen Gewalt und Frevel gegen ihm übte? Da gab das Gespenst / in unbekandter Stimme / zur Antwort /der Schutzherr deß Tempels / welchen er beraubt hette / suchte an ihm Rache: Daferrn er nun / von weiterer Plage / wollte befreyet seyn / sollte er den Werth deß entfremdeten Holtzes so hoch vermehren / daß das eingefallene Götzenhaus wiederum davon auf- und in vorigen Stand gerichtet werden könnte.

Der Heide ließ sich / in Gegenantwort / vernehmen / die Schuld hafftete an ihm allein nicht; man sollte seinen Gefährten und Theilhaber solches Kirchen-Raubes auch hernehmen / und ihm gleiche Geld-Buß auflegen; auf daß derjenige / welcher sich der Schuld theilhafft gemacht / auch einen Theil der Straffe und Gnugthuung tragen hülffe. Aber das Gespenst wollte davon nichts hören; sondern versetze / Jener wäre ein Christ /[1117] derhalben er demselben / weil er ausser seiner Gewalt / keine Straffe / noch Ungemach / zufügen könnte.

Weil dann der arme Mensch hieran merckte / was für einem Tyrannen er bißhero gedient / und daß derselbe / über die Christen / keine Macht hette: kündigte er ihm den Dienst auf / und nahm den christlichen Glauben an.2

Diß dienet allen Christen zum Spiegel ihrer hohen und unabsterblichen Danck-Verbindlichkeit / für die Erlösung aus deß Satans Gewalt / und für das sanffte Joch Christi / welches uns wahre Freyheit / und eine Herrlichkeit wircket / die da weiß von keiner Vergänglichkeit / noch


ENDE.

Fußnoten

1 P. Hazartus im siebendes Theil Sinischer Kirchen-Geschichte / c. 10. p. 427.


2 P. Cornel. Hazart. parte. 7. Historiæ ecclesiast. Sinicæ fol. 427.


Quelle:
Francisci, Erasmus: Der Höllische Proteus, oder Tausendkünstige Versteller [...]. Nürnberg 1690, S. 1113-1118.
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