Zweite Szene

[18] Redaktionszimmer der »Union«. Türen in der Mitte und zu beiden Seiten. Im Vordergrund links ein Arbeitstisch mit Zeitungen und Papieren, rechts ein ähnlicher kleinerer Tisch, Stühle.

Bolz aus der Seitentür rechts, darauf Müller durch die Mitteltür.


BOLZ eifrig. Müller! Faktotum! Wo sind die Postsachen?

MÜLLER mit einem Pack Briefe und Zeitungen, behend. Hier, Herr Bolz, ist die Post – und hier aus der Druckerei[18] das Probeblatt unserer heutigen Abendnummer zur Revision.

BOLZ am Tische links Briefe schnell öffnend, durchsehend und mit Bleistift bezeichnend. Ich habe die Revision bereits gemacht, alter Schelm.

MÜLLER. Nicht ganz. Hier unten ist noch das Mannigfaltige, welches Herr Bellmaus den Setzern gegeben hat.

BOLZ. Her damit! Liest in der Zeitung. Wäsche vom Boden gestohlen – Drillinge geboren – Konzert, Konzert, Vereinssitzung, Theater – Alles in Ordnung – Neuerfundene Lokomotive; die große Seeschlange gesehen. Aufspringend. Alle Wetter, kommt der wieder mit der alten Seeschlange! Ich wollte, sie würde ihm als Gelee gekocht, und er müßte sie kalt aufessen. Eilt zur Tür rechts. Bellmaus, Ungeheuer, komm hervor!


Bellmaus.


BELLMAUS von rechts eintretend, die Feder in der Hand. Was gibt's? Wozu der Lärm?

BOLZ feierlich. Bellmaus, als wir dir die Ehre erwiesen, dich mit Verfertigung der Nippessachen für dieses Blatt zu betrauen, da war die Meinung nicht, daß du die ewige große Seeschlange durch die Spalten unserer Zeitung wälzen solltest! – – Wie konntest du die abgedroschene Lüge wieder hineinsetzen?

BELLMAUS. Sie paßte gerade, es fehlte an sechs Zeilen.

BOLZ. Das ist eine Entschuldigung, aber keine gute. Erfinde deine eigenen Geschichten, wozu bist du Journalist? Mache ein kleines »Eingesandt«, z.B. eine Betrachtung über Menschenleben im allgemeinen, oder über das Umherlaufen von Hunden auf der Straße, oder suche eine haarsträubende Geschichte heraus, vielleicht einen Meuchelmord aus Höflichkeit, oder wie ein Hamster sieben schlafende Kinder erbissen hat, oder so etwas. Und wenn du etwas Merkwürdiges aus der Fremde erzählen willst, so ist der Kaiser Soulouque immer noch besser als diese abgenutzte Seeschlange. – Es gibt so vieles, was geschieht, und so ungeheuer[19] vieles, was nicht geschieht, daß es einem ehrlichen Zeitungsschreiber nie an Neuigkeiten fehlen darf.

BELLMAUS. Gib her, ich will's ändern.


Geht an den Tisch, sieht in ein gedrucktes Blatt, schneidet mit einer großen Schere einen Zettel davon ab und klebt ihn auf die Zeitungsnummer.


BOLZ. Recht so, mein Sohn, tue das und bessere dich. – Die Tür rechts öffnend. Kämpe, können Sie einen Augenblick hereinkommen? Zu Müller, welcher an der Türe wartet. Fort mit der Revision nach der Druckerei!


Müller erhält von Bellmaus das Blatt, eilt ab. Kämpe.


KÄMPE eintretend. Ich kann doch nichts Rechtes schreiben, wenn Sie solchen Lärm machen.

BOLZ. So! Was haben Sie denn jetzt geschrieben? Doch höchstens einen Liebesbrief an eine Tänzerin, oder eine Bestellung an Ihren Schneider?

BELLMAUS. Nein, er schreibt zärtliche Briefe. Er ist ernsthaft verliebt, denn er führte mich gestern im Mondenschein spazieren und sprach verächtlich von allen Getränken.

KÄMPE der sich behaglich gesetzt hat. Ihr Herren, es ist unbillig, einen Menschen von der Arbeit abzurufen, um so schlechte Witze zu machen.

BOLZ. Ja, ja, er verleumdet Sie offenbar, wenn er behauptet, daß Sie etwas anderes lieben als Ihre neuen Stiefeln und ein klein wenig Ihre eigene Person. – Du selbst bist eine liebesprühende Natur, kleiner Bellmaus. Du glühst wie ein Räucherkerzchen, sooft du eine junge Dame siehst, du ziehst glimmend und räucherig um sie herum und hast doch nicht den Mut, sie nur einmal anzureden. Aber man muß Nachsicht mit ihm haben, denn er ist von Haus aus lyrischer Dichter gewesen, deshalb ist er schüchtern, er errötet vor den Frauen und ist noch schöner Wallungen fähig.

BELLMAUS. Ich habe keine Lust, mir unaufhörlich meine[20] Gedichte vorwerfen zu lassen; habe ich sie jemals Euch vorgelesen?

BOLZ. Nein, dem Himmel sei Dank, die Unverschämtheit hast du nie gehabt. – Ernsthaft. Aber zum Geschäft, ihr Herren! Die heutige Nummer ist fertig, Oldendorf ist noch nicht hier, lassen Sie uns unterdes vertrauten Rat halten. – Oldendorf muß Deputierter der Stadt für die nächsten Kammern werden, unsere Partei und die Union müssen das durchsetzen. Wie stehen unsere Aktien heut?

KÄMPE. So gut als möglich. Die Gegner geben zu, daß ihnen kein anderer Kandidat so gefährlich wäre, und unsere Freunde haben überall die beste Hoffnung. Aber Sie wissen, wie wenig das bedeutet. – Hier ist das Verzeichnis der Wahlmänner. Unser Wahlkomitee läßt Ihnen sagen, daß unsere Berechnungen richtig waren. Von den 100 Wahlmännern unserer Stadt gehören 40 mit Sicherheit zu uns, ungefähr ebensoviel stehen auf den Listen der Gegenpartei, der Rest von etwa 20 Stimmen ist unsicher. Es ist klar, daß die Wahl nur mit sehr kleiner Majorität vor sich gehen wird.

BOLZ. Natürlich werden wir die Majorität haben, eine Majorität von 8–10 Stimmen, erzählen Sie doch das überall mit der größten Sicherheit. Mancher, der noch unentschlossen ist, kommt zu uns, wenn er hört, daß wir die Stärkeren sind. Wo ist das Verzeichnis der unsicheren Wahlmänner?


Sieht hinein.


KÄMPE. Ich habe da Zeichen gemacht, wo nach der Meinung unserer Freunde ein Einfluß möglich wäre.

BOLZ. Bei dem einen Namen sehe ich zwei Kreuze, was bedeuten die?

KÄMPE. Das ist Piepenbrink, der Weinhändler Piepenbrink. Er hat einen großen Anhang in seinem Bezirk, ist ein wohlhabender Mann und soll über 5–6 Stimmen seiner Anhänger kommandieren.

BOLZ. Den müssen wir haben. Was ist's für eine Art Mann?

KÄMPE. Er soll sehr grob sein und sich um Politik gar nicht kümmern.[21]

BELLMAUS. Er hat aber eine hübsche Tochter.

KÄMPE. Was nützt seine hübsche Tochter! Ich wollte lieber, er hätte eine häßliche Frau, da wäre eher an ihn zu kommen.

BELLMAUS. Die hat er auch, eine Dame mit kleinen Locken und feuerroten Bändern an der Haube.

BOLZ. Mit oder ohne Frau, der Mann muß unser werden. – Still, man kömmt, das ist Oldendorfs Tritt. Er braucht von unsern Verhandlungen nichts zu wissen. Geht in euer Zimmer, ihr Herren, heut abend das Weitere.

KÄMPE an der Tür. Es bleibt doch dabei, daß ich in der nächsten Nummer den neuen Korrespondenten des Coriolan, den mit dem Pfeil, wieder angreife.

BOLZ. Jawohl, gehen Sie ihm vornehm, aber tüchtig zu Leibe. Eine kleine Balgerei mit unsern Gegnern ist gerade jetzt vor den Wahlen nützlich; und die Artikel mit dem Pfeil geben große Blößen.


Kämpe, Bellmaus ab.

Oldendorf durch die Mitteltür.


OLDENDORF. Guten Tag, Conrad.

BOLZ am Tische rechts über den Wahllisten. Dein Eingang sei gesegnet! Dort liegt die Korrespondenz; es ist nichts Wichtiges.

OLDENDORF. Hast du mich heut hier nötig?

BOLZ. Nein, mein Herzblatt, die Abendnummer ist fertig, für morgen schreibt Kämpe den Leitartikel.

OLDENDORF. Worüber?

BOLZ. Kleines Vorpostengefecht mit dem Coriolan. Wieder gegen den unbekannten Korrespondenten mit dem Pfeil, welcher unsere Partei angegriffen hat. Aber sei ohne Sorge, ich habe dem Kämpe gesagt, er soll den Artikel würdig, sehr würdig halten.

OLDENDORF. Um alles nicht! Der Artikel darf nicht geschrieben werden.

BOLZ. Ich verstehe dich nicht. Wozu hat man seine politischen Gegner, wenn man sie nicht angreifen darf?[22]

OLDENDORF. So höre. Diese Artikel sind von dem Obersten verfaßt, er selbst hat es mir heut gesagt.

BOLZ. Alle Wetter!

OLDENDORF finster. Du magst denken, daß dies Geständnis von andern Andeutungen begleitet war, welche meine Stellung zum Obersten und seinem Hause gerade jetzt sehr unbehaglich machen.

BOLZ ernsthaft. Und was verlangt der Oberst von dir?

OLDENDORF. Er wird sich mit mir aussöhnen, wenn ich die Redaktion der Zeitung niederlege und als Wahlkandidat zurücktrete.

BOLZ. Teufel, das ist wenig gefordert.

OLDENDORF. Ich leide unter diesen Dissonanzen. Dir, mein Freund, kann ich das sagen.

BOLZ an ihn tretend und ihm die Hand drückend. Feierlicher Augenblick männlicher Rührung!

OLDENDORF. Sei jetzt wenigstens kein Hanswurst. – Du kannst dir denken, wie peinlich meine Stellung im Hause des Obersten geworden ist. Der würdige alte Herr entweder kalt oder heftig, die Unterhaltung mit beißenden Anspielungen gewürzt, Ida leidend, ich sehe oft, daß sie geweint hat. Siegt unsere Partei, werde ich Abgeordneter der Stadt, so fürchte ich, ist mir jede Hoffnung auf eine Verbindung mit Ida genommen.

BOLZ eifrig. Und trittst du zurück, so erleidet unsere Partei einen empfindlichen Verlust. Schnell und nachdrücklich. Die bevorstehende Sitzung der Kammern wird verhängnisvoll für den Staat. Die Parteien sind einander fast gleich. Jeder Verlust einer Stimme ist für unsere Sache ein Unglück. In dieser Stadt haben wir außer dir keinen Kandidaten, dessen Popularität groß genug ist, seine Wahl wahrscheinlich zu machen. Entziehst du dich aus irgend einem Grunde der Wahl, so siegen unsere Gegner.

OLDENDORF. Leider ist es, wie du sagst.

BOLZ immer eifrig. Ich will dich nicht unterhalten von dem Vertrauen, das ich in deine Talente setze, ich bin[23] überzeugt, du wirst in der Kammer und vielleicht als Mitglied der Regierung dem Lande nützen. Ich bitte dich, jetzt nur an die Pflichten zu denken, die du übernommen hast gegen unsere politischen Freunde, welche dir vertrauen, und gegen dies Blatt und uns, die wir drei Jahre fleißig gearbeitet haben, damit der Name Oldendorf, der an der Spitze des Blattes steht, zu Ansehen komme. Es handelt sich um deine Ehre, und jeder Augenblick Schwanken in dir wäre ein Unrecht.

OLDENDORF mit Haltung. Du wirst eifrig ohne Veranlassung. Auch ich halte es für Unrecht, mich zurückzuziehen, jetzt, wo man mir sagt, daß ich unserer Sache nötig sei. Aber wenn ich dir, meinem Freunde, gestehe, daß mir dieser Entschluß ein großes Opfer kostet, so vergebe ich dadurch weder unserer Sache noch uns beiden etwas.

BOLZ begütigend. Du hast ganz recht, du bist ein ehrlicher Kamerad. Und so Friede, Freundschaft, Courage! Dein alter Oberst wird nicht unversöhnlich sein.

OLDENDORF. Er ist mit Senden vertraut geworden, der ihm auf jede Weise schmeichelt und, wie ich fürchte, Pläne hat, welche auch mich nahe angehen. Ich würde noch mehr besorgt sein, wenn ich nicht gerade jetzt einen guten Anwalt im Hause des Obersten wüßte; Adelheid Runeck ist soeben angekommen.

BOLZ. Adelheid Runeck? Die fehlte noch! Eilig in die Türe rechts hineinrufend. Kämpe, der Artikel gegen den Ritter mit dem Pfeil wird nicht geschrieben. Verstehen Sie?


Kämpe.


KÄMPE an der Tür, die Feder in der Hand. Was wird denn aber geschrieben?

BOLZ. Das mag der Kuckuck wissen. – Hören Sie, vielleicht kann ich Oldendorf bewegen, daß er selbst den Leitartikel für morgen macht. Aber auf alle Fälle müssen Sie etwas bereithalten.

KÄMPE. Was denn aber?

BOLZ in Eifer. Schreiben Sie meinetwegen über die Auswanderung[24] nach Australien, das wird doch keinen Anstoß erregen.

KÄMPE. Gut. Soll ich dazu ermuntern oder abraten?

BOLZ schnell. Natürlich abraten. Wir brauchen alle Leute, welche arbeiten wollen, bei uns im Lande. – Schildern Sie Australien als ein nichtswürdiges Loch, durchaus wahrhaft, aber möglichst schwarz. – Wie das Känguruh, in einen Klumpen geballt, aus unbezwinglicher Bosheit dem Goldsucher an den Kopf springt, während ihn das Schnabeltier hinten in die Beine zwickt; wie der Goldsucher im Winter bis an den Hals im Salzwasser stehen muß, während er im Sommer durch drei Monate keinen Schluck zu trinken hat und wenn er das alles übersteht, zuletzt von diebischen Eingeborenen aufgefressen wird. Machen Sie das recht anschaulich und ans Ende setzen Sie die neuesten Marktpreise der australischen Wolle aus der Times. Die nötigen Bücher finden Sie in der Bibliothek. Wirft die Türe zu.

OLDENDORF am Tische. Du kennst die Runeck? Sie frägt häufig in ihren Briefen an Ida nach dir.

BOLZ. So? Ja, allerdings kenne ich sie. Wir sind aus demselben Dorf, sie vom Schlosse, ich aus dem Pfarrhaus, mein Vater hat uns zusammen unterrichtet. O ja, ich kenne sie!

OLDENDORF. Wie kommt es, daß ihr einander so fremd geworden seid? Du sprichst nie von ihr.

BOLZ. Hm! Das sind alte Geschichten, Familienzwistigkeiten, Montecchi und Capuletti. Ich habe sie seit langer Zeit nicht wiedergesehen.

OLDENDORF lächelnd. Ich will nicht hoffen, daß auch euch die Politik entzweite.

BOLZ. Etwas Politik war allerdings bei unserer Trennung im Spiel. – Du siehst, es ist ein allgemeines Unglück, daß Freundschaft durch das Parteileben vernichtet wird.

OLDENDORF. Es ist traurig! In Glaubenssachen wird jeder gebildete Mensch die Überzeugung des andern tolerieren, und in der Politik behandeln wir einander wie Bösewichter, weil der eine um einige Schattierungen anders gefärbt ist als sein Nachbar.[25]

BOLZ beiseite. Stoff für den nächsten Artikel! Laut. – Anders gefärbt ist als sein Nachbar, ganz meine Meinung. Das muß in unserm Blatte gesagt werden. Bittend. Höre, so ein kleiner tugendhafter Artikel: Ermahnung an unsere Wähler, Achtung vor unsern Gegnern! Denn sie sind ja unsere Brüder! Immer bittender. Oldendorf, das wäre etwas für dich, in dem Thema ist Tugend und Humanität; das Schreiben wird dich zerstreuen, und du bist dem Blatt einen Artikel schuldig, wegen der verbotenen Fehde. Tu mir die Liebe! Schreib dort in der Hinterstube, es soll dich niemand stören.

OLDENDORF lächelnd. Du bist ein gemeiner Intrigant!

BOLZ ihn vom Stuhle nötigend. Bitte, du findest Papier und Tinte dort. Komm, mein Schatz, komm. Begleitet ihn zur Tür links, Oldendorf ab. Bolz hineinrufend. Willst du eine Zigarre haben? Eine alte Ugues? Zieht ein Zigarrenetui aus der Tasche. Nicht? – Schreibe nur nicht zuwenig, es soll ein Hauptartikel werden! Schließt die Tür, ruft in die Tür rechts. Der Professor schreibt den Artikel selbst, sorgen Sie, daß ihn niemand stört. – Nach dem Vordergrund. Das wäre abgemacht. – Adelheid hier in der Stadt? – Da will ich doch gleich zu ihr! – Halt, immer hübsch kaltblütig. Du mein alter Bolz, bist nicht mehr der braune Bursch aus dem Pastorgarten, und wenn du's noch bist, sie ist längst eine andere geworden. Das Gras ist gewachsen über dem Grabe einer gewissen kindischen Neigung. Wozu trommelst du jetzt auf einmal so unruhig, liebe Seele? Sie ist hier in der Stadt gerade so weit von dir entfernt als auf ihrem Gute. Sich setzend, mit einem Bleistift spielend. Nichts über kaltes Blut! brummte der Salamander, als er im Ofenfeuer saß!


Korb.


KORB. Ist hier Herr Bolz zu finden?

BOLZ aufspringend. Korb! lieber Korb! Willkommen, herzlich willkommen! Das ist brav, daß Sie mich nicht vergessen[26] haben. Schüttelt ihm die Hand. Ich freue mich sehr, Sie zu sehen.

KORB. Und erst ich! – Da sind wir in der Stadt! Das ganze Dorf läßt grüßen! Von Anton, dem Pferdejungen – er ist jetzt Großknecht –, bis zum alten Nachtwächter, dem Sie sein Horn damals auf die Turmspitze gehängt haben. Nein, ist das eine Freude!

BOLZ. Wie geht es dem Fräulein? Erzählt, Alter!

KORB. Jetzt ganz vortrefflich. Aber es ist uns schlecht gegangen. Vier Jahre war der selige General krank, das war eine böse Zeit. Sie wissen, er war immer ein ärgerlicher Herr.

BOLZ. Ja, er war schwer zu behandeln.

KORB. Und vollends in seiner Krankheit. Aber das Fräulein hat ihn gepflegt, so sanftmütig und zuletzt so blaß wie ein Lamm. Jetzt, seit er tot ist, führt das Fräulein allein die Wirtschaft und wie der beste Wirt, jetzt ist wieder gute Zeit im Dorfe. Ich werde Ihnen alles erzählen, aber erst heut abend, das Fräulein wartet auf mich, ich bin nur schnell hergesprungen, Ihnen zu sagen, daß wir hier sind.

BOLZ. Nicht so eilig, Korb. – Also die Leute im Dorfe denken noch an mich.

KORB. Das will ich meinen. Kein Mensch kann sich erklären, warum Sie nicht zu uns kommen. – Solange der alte Herr noch lebte, ja das war etwas anderes, aber jetzt –

BOLZ ernst. Meine Eltern sind tot, im Pfarrhause wohnt ein Fremder!

KORB. Aber wir auf dem Schlosse leben ja noch! Das Fräulein würde sich gewiß freuen –

BOLZ. Erinnert sie sich noch meiner?

KORB. Natürlich. Sie hat erst heut nach Ihnen gefragt.

BOLZ. Was denn, Alter?

KORB. Sie frug mich, ob das wahr wäre, was die Leute sagen, daß Sie ein toller Christ geworden sind, Schulden machen, die Cour machen, Teufeleien machen.

BOLZ. O weh! Sie haben mich gerechtfertigt![27]

KORB. Versteht sich! Ich habe ihr gesagt, daß sich bei Ihnen das alles von selbst versteht.

BOLZ. Verwünscht! – So denkt sie von mir? – Hören Sie, Korb, Fräulein Adelheid hat wohl viele Freier?

KORB. Der Sand am Meere ist nichts dagegen.

BOLZ ärgerlich. Zuletzt kann sie doch nur einen wählen.

KORB schlau. Richtig! Aber wen? Das ist die Frage.

BOLZ. Wen denken Sie?

KORB. Ja, das ist schwer zu sagen. Da ist dieser Herr von Senden, der jetzt in der Stadt wohnt. Wenn einer Aussicht hat, wird er's wohl sein. Er ist geschäftig um uns, wie ein Wiesel. Eben erst, wie ich ausgehen will, schickt er ein ganzes Dutzend Eintrittskarten zu dem großen Ressourcen-Fest in unser Haus. Es muß so eine Ressource sein, wo die vornehmen Leute mit den Bürgern Arm in Arm gehen.

BOLZ. Ja, es ist eine politische Gesellschaft, bei welcher Senden Direktor ist. Sie hält einen großen Fischzug nach Wahlmännern. Und der Oberst und die Damen werden hingehen?

KORB. So höre ich, auch ich habe ein Billett bekommen.

BOLZ für sich. Ist es so weit gekommen? Der arme Oldendorf! – Und Adelheid beim Klubfest des Herrn von Senden!

KORB für sich. Wie fang ich's nur an, daß ich hinter seine Liebschaften komme! Laut. Ja, hören Sie, Herr Conrad, noch eins. Haben Sie vielleicht hier in diesem Geschäft einen recht guten Freund, dem Sie mich empfehlen können?

BOLZ. Wozu, mein Alter?

KORB. Es ist nur – ich bin hier im Orte fremd und habe manchmal Aufträge und Besorgungen, wo ich mir keinen Rat weiß, und da möchte ich hier jemand haben, bei dem ich mir Auskunft holen kann, wenn Sie einmal nicht hier sind; oder bei dem ich etwas für Sie zurücklassen kann.

BOLZ. Sie finden mich fast den ganzen Tag hier. Zur Tür. Bellmaus! [28] Bellmaus. Sieh diesen Herrn an, er ist ein alter würdiger Freund von mir, aus meinem Heimatdorfe. Wenn er mich einmal nicht antreffen sollte, so vertritt du meine Stelle – Dieser Herr heißt Bellmaus und ist ein guter Mensch.

KORB. Ich freue mich Ihrer Bekanntschaft, Herr Bellmaus.

BELLMAUS. Ich ebenfalls, Herr – du hast mir den Namen noch nicht gesagt.

BOLZ. Korb! Aus der großen Familie der Tragekörbe, er hat viel in seinem Leben zu tragen gehabt, auch mich hat er oft auf seinem Rücken getragen.

BELLMAUS. Ich freue mich ebenfalls, Herr Korb.


Schütteln einander die Hände.


KORB. So, abgemacht; und jetzt muß ich fort, sonst wartet das Fräulein.

BOLZ. Leben Sie wohl, auf baldiges Wiedersehen.


Korb ab, Bellmaus ab durch die Tür rechts.


BOLZ allein. Also dieser Senden wirbt um sie. Oh, das ist bitter!


Henning, gefolgt von Müller.


HENNING im Schlafrock, eilig, einen bedruckten Bogen in der Hand. Diener, Herr Bolz! Heißt es Konditor oder Kanditor? Der neue Korrektor hat korrigiert Kanditor.

BOLZ in Gedanken. Mein wackerer Herr Henning, die Union druckt Konditor.

HENNING. Ich hab's gleich gesagt. Zu Müller. Es soll geändert werden, die Maschine wartet. Müller eilig ab. Bei der Gelegenheit habe ich den Leitartikel gelesen. Er ist von Ihnen, jedenfalls. Er ist sehr gut, aber zu scharf, lieber Herr Bolz; Pfeffer und Senf, das wird Ärgernis geben, das wird böses Blut machen.

BOLZ in Gedanken, heftig. Ich habe von je gegen diesen Menschen einen Widerwillen gehabt.

HENNING gekränkt. Wie? Was? Herr Bolz? Sie haben einen Widerwillen gegen mich?[29]

BOLZ. Gegen wen? Nein, lieber Herr Henning, Sie sind ein braver Mann und wären der beste aller Zeitungsbesitzer, wenn Sie nicht manchmal ein furchtsamer Hase wären. Umarmt ihn. Empfehlen Sie mich Madame Henning, Herr, und lassen Sie mich allein, ich denke über den nächsten Artikel.

HENNING während er hinausgedrängt wird. Schreiben Sie nur recht sanft und menschenfreundlich, lieber Herr Bolz.

BOLZ allein, wieder umhergehend. Senden weicht mir aus, wo er kann; er erträgt von mir Dinge, die jeden andern in Harnisch brächten. Sollte er ahnen –


Müller.


MÜLLER eilig. Eine fremde Dame wünscht ihre Aufwartung zu machen.

BOLZ rasch. Eine Dame? und mir?

MÜLLER. Dem Herrn Redakteur.


Übergibt eine Karte.


BOLZ liest. Leontine Pavoni-Geßler, geb. Melloni, aus Paris. – Die muß von der Kunst sein. Ist sie hübsch?

MÜLLER. Hm! So so!

BOLZ. So sagen Sie ihr, wir ließen bedauern, daß wir nicht das Vergnügen haben könnten, die Redaktion hätte heut große Wäsche.

MÜLLER. Was?

BOLZ heftig. Wäsche, Kinderwäsche, wir säßen im Seifenschaum bis über die Ellenbogen.

MÜLLER lachend. Und das soll ich –?

BOLZ ungeduldig. Sie sind ein Strohkopf! Zur Tür. Bellmaus! Bellmaus. Bleibe hier, und nimm den Besuch ab. Gibt ihm die Karte.

BELLMAUS. Ach, das ist die neue Tänzerin, die hier erwartet wird. Seinen Rock besehend. Aber ich habe ja keine Toilette gemacht.[30]

BOLZ. Um so mehr Toilette wird sie gemacht haben. Zu Müller. Herein mit der Dame!


Müller ab.


BELLMAUS. Aber ich kann wirklich nicht –

BOLZ ärgerlich. Zum Henker, ziere dich nicht!


Madame Pavoni.


PAVONI. J'ai l'honneur de parler à monsieur le rédacteur –

BOLZ auf Bellmaus deutend. Veuiliez vous adresser à ce monsieur.

BELLMAUS. Französisch spricht sie? Das wird eine schöne Geschichte!

PAVONI zu Bellmaus. Ah c'est donc vous, monsieur, dont les articles pleins d'esprit et de charme brûlent le monde! Dont le langage gracieux et éloquent fait le délice des salons! Ah que je suis heureuse de voir ce grand homme –

BELLMAUS. Oh, ich bitte –! je vous prie! Entrez – in diese Stube, s'il vous plaît.

PAVONI. En vérité, on s'arrache les journaux, qui contiennent un mot de vous –


Hinein nach rechts.


BOLZ. Korb muß mir Eintritt zu diesem Ressourcenfest verschaffen.


Ab.


BELLMAUS ihr nach in der Tür. Eine französische Visite! – Welche Verlegenheit für einen deutschen Dichter![31]

Quelle:
Gustav Freytag: Die Journalisten. Stuttgart 1977, S. 18-32.
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