Zweite Szene

[43] Seitenzimmer eines öffentlichen Saals. Die Hinterwand ein großer offener Bogen, womöglich 2–3teilig mit Pfeilern, durch welche man in den erleuchteten Saal sieht und dahinter in einen zweiten. Vorn links eine Tür, rechts Tische und Stühle; Kronleuchter; später von Zeit zu Zeit ferne Musik.

Im Saal Herren und Damen stehend, in Gruppen oder auf- und abgehend. Senden, Blumenberg, hinter diesen Schmock aus dem Saal.


SENDEN. Alles geht gut. Ein superber Geist in der Gesellschaft. Diese guten Bürger sind entzückt über unser Arrangement. – Das mit dem Fest war ein vortrefflicher Gedanke von Ihnen, Blumenberg.

BLUMENBERG. Machen Sie nur, daß die Leute schnell warm werden. Etwas Musik tut zum Anfang gute Dienste, am besten sind Wiener Tänze wegen der Frauen. Dann kommt eine Rede von Ihnen, dann einige Gesangstücke, und beim Essen die Vorstellung des Obersten und die Gesundheiten![43] Es kann nicht fehlen, die Leute müssen Herzen von Stein haben, wenn sie ihre Stimmen nicht geben zum Dank für ein solches Fest.

SENDEN. Die Gesundheiten sind verteilt.

BLUMENBERG. Aber die Musik? Warum schweigt die Musik?

SENDEN. Ich warte bis zur Ankunft des Obersten.

BLUMENBERG. Er muß mit einem Tusch empfangen werden; das wird ihm schmeicheln, wissen Sie.

SENDEN. So ist's bestellt. Gleich darauf beginnt ein Marsch, und wir führen ihn im Zuge ein.

BLUMENBERG. Sehr gut! Das gibt dem Eintritt die Feierlichkeit. Denken Sie nur an Ihre Rede; sein Sie populär, denn wir sind heut unter dem großen Haufen.


Gäste im mittleren Saal, unter ihnen Henning.


SENDEN mit Blumenberg die Honneurs machend. Sehr erfreut, Sie hier zu sehen. – Wir wußten, daß Sie uns nicht fehlen würden. – Ist dies Ihre Frau Gemahlin?

GAST. Ja, dieses ist meine Frau, Herr v. Senden.

SENDEN. Auch Sie bei uns, Herr Henning? Sein Sie willkommen, werter Herr!

HENNING. Ich bin durch meinen Freund eingeladen und war doch neugierig. Ich hoffe, mein Hiersein wird niemandem unangenehm sein?

SENDEN. Im Gegenteil. Wir sind entzückt, Sie hier zu begrüßen.


Gäste ab durch die Mitteltür, Senden im Gespräch mit ihnen ab.


BLUMENBERG. Er versteht's, die Leute zu treiben. Das sind die guten Manieren dieser Herren. Er ist nützlich; er ist auch mir nützlich; er treibt die andern, und ich treibe ihn. Sich umwendend, Schmock erblickend, der sich an der Tür herumbewegt. Was tun Sie hier? Was stehen Sie und horchen? Sie sind kein Torschreiber von der Akzise. Machen Sie, daß Sie nicht in meiner Nähe bleiben. Verteilen Sie sich in der Gesellschaft.[44]

SCHMOCK. Zu wem soll ich gehen, wenn ich keine Bekannten habe unter all den Leuten? Sie sind meine einzige Bekanntschaft.

BLUMENBERG. Wozu brauchen Sie den Leuten zu sagen, daß ich Ihre Bekanntschaft bin? Es ist mir keine Ehre, neben Ihnen zu stehen.

SCHMOCK. Wenn es keine Ehre ist, so ist es auch keine Schande. Ich kann auch gehen allein.

BLUMENBERG. Haben Sie Geld, daß Sie etwas verzehren können? Gehen Sie zum Restaurateur und lassen Sie sich etwas geben auf meinen Namen. Das Komitee wird's bezahlen.

SCHMOCK. Ich will nicht hingehen zu essen. Ich brauche nichts auszugeben, ich habe gegessen. Ferner Tusch und Marsch, Blumenberg ab. Schmock allein, nach vorn, heftig. Ich haß ihn, ich will's ihm sagen, daß ich ihn hasse und daß ich ihn verachte im Grund meines Herzens. Wendet sich zum Gehen, umkehrend. Ich kann's ihm doch nicht sagen, denn er streicht mir dann alles in meiner Korrespondenz, die ich ihm für die Zeitung mache. Ich will sehen, ob ich's kann hinunterschlucken. Ab durch die Mitteltür.


Bolz, Kämpe, Bellmaus zur Seitentür herein.


BOLZ einmarschierend. Da sind wir im Hause der Capulet. – Pantomime des Degeneinsteckens. Verbergt eure Schwerter unter Rosen, blast eure Bäckchen auf, und seht so dumm und unschuldig aus als möglich. Vor allem fangt mir keine Händel an, und wenn ihr diesem Tybald, dem Senden, begegnet, so seid so gut und drückt euch um die Ecke. – Man sieht die Polonaise durch die beiden hintern Säulen gehen. Du, Romeo Bellmaus, nimm dich vor den Weibsen in acht, ich sehe dort mehr Locken flattern und Taschentücher schwenken, als für deine Gemütsruhe gut ist.[45]

KÄMPE. Wetten wir eine Flasche Champagner, wenn einer von uns Händel bekommt, so sind Sie der eine.

BOLZ. Möglich, aber ich verspreche Ihnen, daß Sie Ihren Anteil daran sicher erhalten sollen. – Jetzt hört meinen Operationsplan. Sie, Kämpe – Schmock. Halt, wer ist das? – Wetter, das Faktotum des Coriolan! Unser Inkognito hat nicht lange gedauert.

SCHMOCK der schon vor den letzten Worten an der Tür beobachtend sichtbar gewesen, vortretend. Ich wünsche einen angenehmen Abend, Herr Bolz.

BOLZ. Ich wünsche dasselbe in noch angenehmerer Qualität, Herr Schmock.

SCHMOCK. Könnte ich nicht ein paar Worte mit Ihnen sprechen?

BOLZ. Ein paar? Fordern Sie nicht zuwenig, edler Waffenträger des Coriolan. Zwei Dutzend Worte sollen Sie haben, aber nicht mehr. Machen wir das Geschäft schnell ab.

SCHMOCK. Könnten Sie mir nicht Beschäftigung geben bei Ihrer Zeitung?

BOLZ zu Kämpe und Bellmaus. Hört Ihr? Mit Gravität. Bei unserer Zeitung? Hm! Du forderst viel, edler Römer!

SCHMOCK. Ich hab's satt bei dem Coriolan. – Ich wollte Ihnen alles machen, was Sie zu tun haben. Ich möchte gern bei honetten Menschen sein, wo man seinen Verdienst hat und eine anständige Behandlung.

BOLZ. Was verlangen Sie von uns, Sklave Roms? Wir sollten Sie Ihrer Partei entziehen? Nimmermehr! Wir sollten Ihren politischen Überzeugungen Gewalt antun? Sie zum Abtrünnigen machen? Wir sollten die Schuld tragen, daß Sie zu unserer Partei kämen? Niemals! Unser Gewissen ist zart, es empört sich gegen Ihren Vorschlag.

SCHMOCK. Wozu machen Sie sich Sorgen um das? Ich habe bei dem Blumenberg gelernt, in allen Richtungen zu schreiben. Ich habe geschrieben links und wieder rechts. Ich kann schreiben nach jeder Richtung.[46]

BOLZ. Ich sehe, Sie haben Charakter. Sie sind zwar jetzt ein armer Teufel, aber es wird Ihnen noch besser gehen in der Welt. Ihnen kann's in unserer Zeit nicht fehlen. Ihr Anerbieten ehrt uns, aber wir können es jetzt nicht annehmen. Eine so welterschütternde Begebenheit wie Ihr Übertritt will reiflich erwogen sein. – Unterdes sollen Sie Ihr Vertrauen keinem fühllosen Barbaren geschenkt haben. – Beiseite zu den andern. Vielleicht ist etwas aus ihm herauszulocken! – Bellmaus, du hast das beste Herz unter uns dreien, du mußt dich heut seiner annehmen.

BELLMAUS. Was soll ich denn aber mit ihm anfangen?

BOLZ. Führe ihn nach der Restauration, setze dich mit ihm in eine Ecke und gieße ihm Punsch in alle Löcher seines armen Kopfes, bis seine Geheimnisse herausspringen wie nasse Mäuse. Mache ihn schwatzen, besonders über die Wahlen. Geh, Kleiner, und sei hübsch vorsichtig, daß du nicht selbst warm wirst und plauderst.

BELLMAUS. Auf die Art werde ich von dem Fest nicht viel sehen.

BOLZ. Das wirst du nicht, mein Sohn! Aber was hast du an dem Fest? Hitze, Staub und alte Tanzmusik! Übrigens werden wir dir morgen alles erzählen und zuletzt bist du Dichter und kannst dir das Ganze viel schöner vorstellen, als es in der Wirklichkeit ist. Deshalb gräme dich nicht. Deine Rolle scheint undankbar, aber sie ist die wichtigste von allen, denn sie erfordert Kälte und Schlauheit. Geh, meine Maus, und hüte dich vor Erhitzung.

BELLMAUS. Ich werde mich hüten, mein Herr Kater. – Kommen Sie, Schmock.


Bellmaus und Schmock ab.


BOLZ. Es wird gut sein, wenn auch wir uns trennen.

KÄMPE. Ich gehe die Stimmung beobachten. Wenn ich Sie brauche, werde ich Sie aufsuchen.

BOLZ. Ich darf mich nicht viel zeigen, ich bleibe hier in der Nähe. Kämpe ab. Endlich allein! Geht an die Mitteltür. Dort steht der[47] Oberst, von einem dichten Kreis umgeben! – Sie ist es! – Sie ist hier, und ich muß im Versteck liegen wie ein Fuchs unter Blättern! – Aber sie hat Falkenaugen, vielleicht – der Knäuel löst sich, sie geht mit Ida Arm in Arm durch den Saal – Lebhaft. sie kommen näher! – Ärgerlich. O weh! Hier stürzt Korb auf mich zu! Gerade jetzt!


Korb.


KORB. Herr Conrad, ich traue meinen Augen nicht, Sie hier, auf diesem Fest?

BOLZ eilig. Still, Alter, ich bin nicht ohne Grund hier. Ihnen kann ich mich anvertrauen, Sie gehören ja zu uns.

KORB. Mit Leib und Seele. In all dem Gerede und Gefiedel rufe ich immer im Stillen: Vivat die Union! Hier steckt sie


Zeigt eine Zeitung in der Tasche.


BOLZ. Gut, Korb, Sie können mir einen großen Gefallen tun. In einer Ecke der Restauration sitzt Bellmaus neben einem Fremden. Er soll den Fremden aushorchen, kann aber selbst nicht viel vertragen und kommt leicht ins Schwatzen. Sie tun der Partei einen großen Gefallen, wenn Sie eilig hingehen und Punsch trinken, um den Bellmaus zu unterstützen. Daß Sie fest sind, weiß ich aus alter Zeit.

KORB eilig. Ich gehe. – Sie haben doch immer noch Ihre Finten im Kopf. Verlassen Sie sich auf mich, der Fremde soll unterliegen, und die Union soll triumphieren. Schnell ab.


Musik schweigt bis zum Ende des Akts.


BOLZ. Armer Schmock! – An der Tür. Ah, sie gehen noch durch den Saal, Ida wird angeredet, sie bleibt stehen, Adelheid geht weiter, Lebhaft. sie kommt, sie kommt allein?


Adelheid.


ADELHEID wie an der Tür vorbeigehend, tritt schnell herein. Bolz verbeugt sich. Conrad! lieber Herr Doktor! Hält ihm die Hand hin.


Bolz neigt sich tief auf ihre Hand.
[48]

ADELHEID in freudiger Bewegung. Ich habe Sie sogleich aus der Ferne erkannt. Zeigen Sie mir Ihr treues Gesicht! Ja, es hat sich wenig verändert. Eine Narbe, etwas mehr Braun, und eine kleine Falte am Mund; – ich hoffe, die ist vom Lachen.

BOLZ. Wenn mir gerade jetzt etwas anderes näher ist als Lachen, so ist das nur eine vorübergehende Bosheit meiner Seele. Ich sehe mich doppelt, wie ein melancholischer Hochländer. Mit Ihnen tritt meine lange glückliche Kinderzeit leibhaftig vor meine Augen; alles, was sie von Freude und Schmerz gebracht, fühle ich so lebhaft wieder, als wäre ich noch der Knabe, der einst für Sie auf Abenteuer in den Wald zog und Rotkehlchen fing. – Und doch ist die schöne Gestalt, welche ich vor mir sehe, von der Gespielin so verschieden, daß ich merke, es ist nur ein holder Traum, den ich träume. – Ihre Augen glänzen so freundlich wie sonst, aber – Sich leicht verneigend. ich habe kaum noch das Recht, an alte Träume zu denken.

ADELHEID. Auch ich habe mich vielleicht nicht so verändert, als Sie glauben. – Und wie wir beide auch verwandelt sind, gute Freunde sind wir geblieben, nicht wahr, Herr Doktor?

BOLZ. Bevor ich den kleinsten Teil des Rechtes aufgebe, das ich an Ihrer Teilnahme habe, will ich lieber boshafte Artikel gegen mich selbst schreiben und drucken und verbreiten.

ADELHEID. Und doch sind Sie so stolz geworden, daß Sie Ihre Freundin bis heut noch nicht in der Stadt aufgesucht haben. Warum sind Sie dem Hause des Obersten fremd?

BOLZ. Ich bin ihm nicht fremd. Im Gegenteil, ich habe dort eine sehr achtbare Stellung, welche ich am besten dadurch erhalte, daß ich so wenig als möglich hingehe. Der Oberst und zuweilen auch Fräulein Ida beschwichtigen ihren Unwillen gegen Oldendorf und die Zeitung gern dadurch, daß sie in mir den Übeltäter mit Hörnern und Klauen sehen. Ein so zartes Verhältnis will mit Schonung behandelt[49] sein, ein Teufel darf sich nicht dadurch gemein machen, daß er alle Tage erscheint.

ADELHEID. Ich bitte Sie aber jetzt, diese hohe Stellung aufzugeben. Ich bleibe den Winter über in der Stadt, und ich hoffe. Sie werden Ihrer Jugendfreundin zuliebe als ein Bürger dieser Welt bei meinen Freunden auftreten.

BOLZ. In jeder Rolle, welche Sie mir zuteilen.

ADELHEID. Auch in der eines Friedensboten zwischen dem Obersten und Oldendorf?

BOLZ. Wenn der Friede nur dadurch zu erkaufen ist, daß Oldendorf zurücktritt, nein – sonst aber bin ich zu allen guten Werken erbötig.

ADELHEID. Und ich fürchte, daß der Friede gerade nur für diesen Preis zu erkaufen ist. – Sie sehen, Herr Conrad, auch wir sind Gegner geworden.

BOLZ. Etwas gegen Ihren Willen zu tun ist mir entsetzlich, so sehr ich auch Höllensohn bin. – Also meine Heilige wünscht und fordert, daß Oldendorf nicht Deputierter werde.

ADELHEID. Ich wünsche und fordere es, mein Herr Teufel!

BOLZ. Es ist hart. Sie haben in Ihrem Himmel so viele Herren, mit denen Sie Fräulein Ida beschenken können, warum müssen Sie einem armen Teufel gerade seine einzige Seele, den Professor, entführen?

ADELHEID. Gerade den Professor will ich haben, und Sie sollen mir ihn überlassen.

BOLZ. Ich bin in Verzweiflung, ich würde mir die Haare raufen, wenn die Örtlichkeit nicht so ungünstig wäre. Ich fürchte Ihren Unwillen, ich zittre bei dem Gedanken, daß diese Wahl Ihnen unlieb sein könnte.

ADELHEID. So suchen Sie die Wahl zu verhindern!

BOLZ. Das kann ich nicht, aber sobald sie vorüber ist, wird mein Schicksal sein, über Ihren Unwillen zu trauern und schwermütig zu werden. Ich werde mich aus der Welt zurückziehen, weit weg bis zum stillen Nordpol; dort werde ich während dem Rest meiner Tage traurig mit Eisbären[50] Domino spielen oder unter den Robben die Anfänge journalistischer Bildung verbreiten. Das wird leichter zu ertragen sein als ein zürnender Blick Ihrer Augen.

ADELHEID lachend. Ja, so waren Sie immer. Sie versprachen alles Mögliche und handelten stets nach Ihrem Kopf. – Bevor Sie aber nach dem Nordpol reisen, versuchen Sie vielleicht noch einmal, mich hier zu versöhnen. – Kämpe an der Tür sichtbar. Still – Ich erwarte Ihren Besuch, leben Sie wohl, mein wiedergefundener Freund! –


Ab.


BOLZ. Dort kehrt mir mein guter Engel zürnend den Rücken! – Jetzt bin ich rettungslos dir verfallen, du Hexe Politik! Schnell ab durch die Mitte.


Piepenbrink, Frau Piepenbrink, Berta, von Fritz Kleinmichel geführt, Kleinmichel durch die Mitteltür. Quadrille hinter der Szene.


PIEPENBRINK. Gott sei Dank, daß wir aus diesem Gedränge heraus sind.

FRAU PIEPENBRINK. Es ist sehr heiß.

KLEINMICHEL. Und die Musik ist zu laut, es sind zu viel Trompeten dabei, und die Trompeten sind mir zuwider.

PIEPENBRINK. Hier ist ein ruhiger Ort, hier wird hergesetzt.

FRITZ. Berta möchte noch in dem Saal bleiben, könnte ich nicht mit ihr umkehren?

PIEPENBRINK. Ich habe nichts dagegen, daß ihr jungen Leute in den Saal zurückgeht, aber es ist mir lieber, wenn ihr bei uns bleibt. Ich habe gern alle meine Leute beisammen.

FRAU PIEPENBRINK. Bleibe bei deinen Eltern, mein Kind!

PIEPENBRINK. Setzt euch! Zu seiner Frau. Du setze dich an die Ecke, Fritz kommt neben mich. Nehmt Berta zwischen euch, Nachbarn, sie wird doch nächstens an euern Tisch kommen.


[51] Setzen sich an den Tisch rechts, an der linken Ecke Frau Piepenbrink, dann er selbst, Fritz, Berta,

Kleinmichel.


FRITZ. Wann wird das Nächstens sein, Herr Pate? Sie sagen das schon lange und schieben den Hochzeitstag immer wieder hinaus.

PIEPENBRINK. Das geht dich nichts an.

FRITZ. Ich dächte doch, Herr Pate, ich bin's ja, der Berta heiraten will.

PIEPENBRINK. Das ist was Rechts. Das kann jeder wollen. Aber ich soll sie dir geben, Junge, und das will mehr sagen, denn es wird mir schwer genug, die kleine Bachstelze aus meinem Nest zu lassen. Darum warte. Du sollst sie haben, aber warte!

KLEINMICHEL. Er wird warten, Nachbar!

PIEPENBRINK. Das will ich ihm auch geraten haben. – He! Kellner, Kellner!

FRAU PIEPENBRINK. Was diese Bedienung an solchen Orten schlecht ist!

PIEPENBRINK. Kellner! – Kellner kommt. Ich heiße Piepenbrink! – Ich habe sechs Flaschen von meinem Wein mitgebracht. Sie stehen beim Restaurateur, ich will sie herhaben.


Indem der Kellner Flaschen und Gläser herzuholt, treten auf: Bolz, Kämpe an der Tür; der Kellner ab und zu im Hintergrunde.


BOLZ beiseite zu Kämpe. Welcher ist es?

KÄMPE. Der uns den Rücken zukehrt, der mit den breiten Schultern.

BOLZ. Und was hat er für eine Art von Geschäft?

KÄMPE. Meist Rotweine.

BOLZ. Gut. Laut. Kellner, einen Tisch und zwei Stühle hierher! Eine Flasche Rotwein!


Der Kellner bringt das Geforderte nach dem Vordergrund links.
[52]

FRAU PIEPENBRINK. Was wollen die hier?

PIEPENBRINK. Das ist das Unbequeme bei solchen zusammengebetenen Gesellschaften, daß man nirgend allein bleiben kann.

KLEINMICHEL. Es scheinen anständige Herren; ich glaube, den einen habe ich schon gesehen.

PIEPENBRINK entschieden. Anständig oder nicht, uns sind sie unbequem.

KLEINMICHEL. Freilich sind sie das.

BOLZ sich mit Kämpe setzend. Da säßen wir in Ruhe vor einer Flasche Rotwein, mein Freund. Ich habe kaum den Mut einzuschenken, denn der Wein in solchen Restaurationen ist fast immer abscheulich. Was wird das nur für Zeug sein?

PIEPENBRINK gereizt. So? Hört doch!

KÄMPE. Versuchen wir's. Gießt ein, leise. Es ist ein P.P. auf dem Siegel, das könnte auch Piepenbrink bedeuten.

PIEPENBRINK. Ich bin doch neugierig, was diese Gelbschnäbel an dem Wein aussetzen werden.

FRAU PIEPENBRINK. Sei ruhig, Philipp, man hört dich drüben.

BOLZ leise. Sie haben sicher recht, der Restaurateur nimmt seinen Wein von ihm; deshalb ist er auch hergekommen.

PIEPENBRINK. Sie scheinen keinen Durst zu haben, Sie trinken nicht.

BOLZ kostet, laut. Nicht übel!

PIEPENBRINK ironisch. So?

BOLZ kostet wieder. Ein reiner guter Wein!

PIEPENBRINK aufatmend. Der Mensch hat kein schlechtes Urteil.

BOLZ. Aber er ist doch nicht zu vergleichen mit einem ähnlichen Wein, den ich neulich bei einem Freunde getrunken habe.

PIEPENBRINK. So?

BOLZ. Seit der Zeit weiß ich, daß es nur einen Mann in der Stadt gibt, von dem ein gebildeter Weintrinker seine Rotweine holen darf.[53]

KÄMPE. Und der ist?

PIEPENBRINK ironisch. Ich bin doch neugierig!

BOLZ. Ein gewisser Piepenbrink.

PIEPENBRINK zufrieden mit dem Kopfe nickend. Gut!

KÄMPE. Ja, das Geschäft gilt allgemein für sehr respektabel.

PIEPENBRINK. Die wissen nicht, daß auch ihr Wein aus meinen Kellern ist. Hahaha!

BOLZ sich zu ihm wendend. Lachen Sie über uns, mein Herr?

PIEPENBRINK. Hahaha! Nichts für ungut, ich hörte Sie nur über den Wein sprechen. Also Piepenbrinks Wein schmeckt Ihnen besser als dieser da? Hahaha!

BOLZ mit gelinder Entrüstung. Mein Herr, ich muß Sie ersuchen, meine Ausdrücke weniger komisch zu finden. Ich kenne den Herrn Piepenbrink nicht, aber ich habe das Vergnügen, seinen Wein zu kennen, und deshalb wiederhole ich die Behauptung, daß Piepenbrink bessern Wein in seinem Keller hat, als dieser hier ist. Warum finden Sie das lächerlich? Sie kennen die Weine von Piepenbrink nicht und haben gar kein Recht zu urteilen.

PIEPENBRINK. Ich kenne Piepenbrinks Weine nicht, ich kenne auch Philipp Piepenbrink nicht, ich habe seine Frau nie gesehen, merkst du, Lotte? Und wenn mir seine Tochter Berta begegnet, so frage ich, wer ist dieser kleine Schwarzkopf? Hahaha, das ist eine lustige Geschichte. Nicht wahr, Kleinmichel?


Lacht.


KLEINMICHEL. Es ist sehr lächerlich!


Lacht.


BOLZ aufstehend mit Würde. Mein Herr, ich bin Ihnen fremd und habe Sie nie beleidigt. Sie haben ein ehrenhaftes Aussehen, und ich sehe Sie in Gesellschaft liebenswürdiger Frauen. Deshalb kann ich nicht glauben, daß Sie hergekommen sind, um Fremde zu verhöhnen. Ich fordere also als Mann eine Erklärung von Ihnen, weshalb Sie meine harmlosen Worte so auffallend finden. Wenn Sie ein Feind von Herrn Piepenbrink sind, warum lassen Sie uns das entgelten?[54]

PIEPENBRINK aufstehend. Nur nicht hitzig, mein Herr! Merken Sie auf. Der Wein, welchen Sie hier trinken, ist auch aus Piepenbrinks Keller, und der Philipp Piepenbrink, dem zuliebe Sie auf mich losgehen, bin ich selbst. Jetzt begreifen Sie, warum ich lache.

BOLZ. Ah! steht die Sache so? Sie sind Herr Piepenbrink selbst? – Nun so freue ich mich aufrichtig, Ihre Bekanntschaft zu machen. Nichts für ungut, verehrter Herr.

PIEPENBRINK. Nein, nichts für ungut. Es ist alles in Ordnung.

BOLZ. Da Sie so freundlich waren, uns Ihren Namen zu nennen, so ist es auch in Ordnung, daß Sie die unsern erfahren. Doktor der Philosophie Bolz und hier mein Freund, Herr Kämpe.

PIEPENBRINK. Freue mich.

BOLZ. Wir sind ziemlich fremd in der Gesellschaft und haben uns in dies Nebenzimmer zurückgezogen, weil man seine Behaglichkeit unter den vielen fremden Gesichtern doch nicht hat. Es würde uns aber sehr leid tun, wenn wir durch unsere Nähe das Amüsement der Damen und die Unterhaltung einer so achtbaren Gesellschaft irgend störten. Sagen Sie geradeheraus, wenn wir Ihnen unbequem sind, wir suchen uns dann einen andern Platz.

PIEPENBRINK. Sie scheinen ein fideler Mann und sind mir durchaus nicht unbequem, mein Herr Doktor Bolz – so war ja wohl der Name?

FRAU PIEPENBRINK. Auch wir sind fremd hier und haben uns eben erst niedergesetzt. – Piepenbrink!


Stößt ihn leise an.


PIEPENBRINK. Wissen Sie was, Herr Doktor, da Sie den gelbgesiegelten aus meinem Keller doch schon kennen und ein sehr verständiges Urteil abgegeben haben, wie wär's, wenn Sie ihn hier noch einmal versuchten? Die Sorte wird Ihnen besser schmecken. Setzen Sie sich zu uns, wenn Sie nichts anderes vorhaben, wir schwatzen dann eins zusammen.

BOLZ mit Haltung, wie in dieser ganzen Szene, in welcher[55] er wie Kämpe durchaus nicht zudringlich erscheinen dürfen. Das ist ein sehr freundliches Anerbieten, und wir nehmen es mit Dank an. Haben Sie die Güte, vortrefflicher Herr, uns mit Ihrer Gesellschaft bekannt zu machen.

PIEPENBRINK. Dies hier ist meine Frau.

BOLZ. Zürnen Sie nicht über unser Eindringen, Madame, wir versprechen recht artig zu sein und so gute Gesellschafter, als zwei schüchternen Junggesellen nur möglich ist.

PIEPENBRINK. Hier meine Tochter!

BOLZ zu Frau Piepenbrink. Aus der Ähnlichkeit war das zu erraten.

PIEPENBRINK. Hier Herr Kleinmichel, mein Freund, und hier Fritz Kleinmichel, der Bräutigam meiner Tochter.

BOLZ. Ich wünsche Ihnen Glück, meine Herren, zu einer so holden Nachbarschaft. Zu Piepenbrink. Erlauben Sie mir, mich neben die Dame vom Hause zu setzen; Kämpe, ich dächte, Sie nähmen Platz neben dem Herrn Kleinmichel Setzen sich. So ist bunte Reihe. – Kellner! Der Kellner tritt zu ihm. Zwei Flaschen von diesem hier!

PIEPENBRINK. Halt da! Den Wein finden Sie hier nicht, ich habe meine Sorte mitgebracht, Sie müssen mit mir trinken.

BOLZ. Aber, Herr Piepenbrink –

PIEPENBRINK. Keine Einrede! Sie sollen mit mir trinken. Und wenn ich jemandem sage, er soll mit mir trinken, Herr, so meine ich nicht nippen wie die Frauen, sondern trink aus, schenk ein. Darnach mögen Sie sich richten.

BOLZ. Gut, ich bin's zufrieden. Wir nehmen Ihre Gastfreundschaft so dankbar an, als sie herzlich geboten wird. Aber Sie müssen mir dann erlauben, mich zu revanchieren. Am nächsten Sonntag sind Sie sämtlich meine Gäste, wollen Sie? Sagen Sie ja, mein gütiger Wirt! Punkt sieben Uhr freundschaftliches Abendessen, ich bin unverheiratet, also in einem anständigen ruhigen Hotel. Geben Sie Ihre Einwilligung, verehrte Frau – schlagen Sie ein, Herr Piepenbrink,[56] Sie auch, Herr Kleinmichel und Herr Fritz


Hält allen die Hand hin.


PIEPENBRINK. Wenn's meine Frau zufrieden ist, ich kann mir's wohl gefallen lassen.

BOLZ. Angenommen, abgemacht. Und jetzt die erste Gesundheit: – Der gute Geist, welcher uns heut zusammengeführt hat, er soll leben – Herumfragend. wie heißt der Geist?

FRITZ KLEINMICHEL. Der Zufall.

BOLZ. Nein, er trägt eine gelbe Mütze.

PIEPENBRINK. Der Gelbgesiegelte heißt er!

BOLZ. Richtig. Er soll leben! Wir wünschen dem Herrn eine recht lange Dauer, wie die Katze zum Vogel sagte, als sie ihm den Kopf abbiß.

KLEINMICHEL. Wir lassen ihn leben, indem wir ihm den Garaus machen.

BOLZ. Gut bemerkt. Vivat!

PIEPENBRINK. Vivat! Sie stoßen an. Piepenbrink zu seiner Frau. Es wird heut noch gut.

FRAU PIEPENBRINK. Es sind sehr bescheidene, nette Leute.

BOLZ. Sie glauben gar nicht, wie froh ich bin, daß unser Glück uns in so gute Nachbarschaft geführt hat. Denn dort drin ist zwar alles sehr hübsch arrangiert –

PIEPENBRINK. Alles, was wahr ist, es ist sehr anständig.

BOLZ. Sehr anständig! Aber diese politische Gesellschaft ist doch nicht nach meinem Geschmack.

PIEPENBRINK. Ach so! Sie gehören wohl nicht zu der Partei, deshalb gefällt es Ihnen nicht.

BOLZ. Das ist es nicht! Aber wenn ich mir denke, diese Leute sind nicht zusammengebeten, damit sie recht von Herzen vergnügt sind, sondern, damit sie nächstens ihre Stimmen dem oder jenem Herrn geben, so werde ich kalt.

PIEPENBRINK. So ist es doch wohl nicht gemeint. Darüber wäre noch zu reden; nicht wahr, Gevatter?[57]

KLEINMICHEL. Ich hoffe, es wird hier keine Verpflichtung unterschrieben.

BOLZ. Vielleicht auch nicht. Ich habe keine Stimme abzugeben, und ich lobe mir eine Gesellschaft, wo man an nichts anderes denkt, als sich mit seinem Nachbar zu freuen und aufmerksam zu sein gegen die Königinnen der Gesellschaft, gegen holde Frauen! Stoßen Sie an, meine Herren, auf das Wohl der Frauen, der beiden, welche unsern Kreis schmücken.


Alle stoßen an.


PIEPENBRINK. Komm her, Lotte, du sollst leben!

BOLZ. Mein Fräulein, erlauben Sie einem Fremden, auf das Glück Ihrer Zukunft anzustoßen.

PIEPENBRINK. Was wird denn eigentlich da drin noch vorgenommen?

FRITZ KLEINMICHEL. Ich höre, bei Tische wird man Reden halten, und der Wahlkandidat, der Oberst Berg, soll vorgestellt werden.

PIEPENBRINK. Ein sehr respektabler Herr!

KLEINMICHEL. Ja, es ist eine gute Wahl, welche die Herren vom Komitee getroffen haben.


Adelheid.


ADELHEID im Hintergrunde dann gleichgültig eintretend. Hier sitzt er? Was ist das für eine Gesellschaft?

KÄMPE. Man erzählt, der Professor Oldendorf hat große Aussicht, gewählt zu werden. Es sollen viele sein, die für ihn stimmen werden.

PIEPENBRINK. Ich sage nichts gegen ihn, aber für meinen Geschmack ist er zu jung.


Senden, später Blumenberg und Gäste.


SENDEN im Hintergrunde. Sie hier, mein Fräulein?

ADELHEID. Ich amüsiere mich, diese drolligen Leute zu beobachten. Sie tun, als wäre die übrige Gesellschaft nicht auf der Welt.[58]

SENDEN. Was seh ich? Da sitzt ja die Union selbst und bei einer der wichtigsten Personen des Festes!

BOLZ der sich unterdes mit Frau Piepenbrink unterhalten, aber mit Aufmerksamkeit zugehört hat, zu Frau Piepenbrink. Ah, sehen Sie, die Herren können es doch nicht lassen, von Politik zu sprechen. Erwähnten Sie nicht den Professor Oldendorf?

PIEPENBRINK. Ja, mein lustiger Herr Doktor, so gelegentlich.

BOLZ. Wenn Sie von dem sprechen, so bitte ich herzlich, reden Sie Gutes von ihm, denn er ist der beste, edelste Mensch, den ich kenne.

PIEPENBRINK. So? Sie kennen ihn?

KLEINMICHEL. Sie sind wohl einer seiner Freunde?

BOLZ. Mehr als das. Wenn heut der Professor zu mir sagt: Bolz, es ist mir nützlich, wenn du ins Wasser springst, ich müßte hineinspringen, so unangenehm mir auch gerade jetzt wäre, im Wasser zu ertrinken.

PIEPENBRINK. Oho, das ist stark!

BOLZ. Ich habe in dieser Gesellschaft kein Recht, über Wahlkandidaten mitzusprechen. Aber wenn ich einen Abgeordneten zu wählen hätte, er müßte es werden, er zuerst.

PIEPENBRINK. Sie sind ja sehr für den Mann eingenommen?

BOLZ. Seine politischen Ansichten kümmern mich hier nicht. Aber was verlange ich von einem Deputierten? Daß er ein Mann ist! Daß er ein warmes Herz hat und ein sicheres Urteil und ohne Schwanken und Umherfragen weiß, was gut und recht ist; und dann, daß er auch die Kraft hat, zu tun, was er für Recht erkennt, ohne Zaudern, ohne Bedenken.

PIEPENBRINK. Bravo!

KLEINMICHEL. Aber so ein Mann soll der Oberst auch sein.

BOLZ. Möglich, daß er so ist, ich weiß es nicht; von Oldendorf aber weiß ich's. Ich habe ihm recht ins Herz hinein[59] gesehen, bei einer kleinen Unannehmlichkeit, die mir widerfuhr. Ich war einmal gerade im Begriff, zu Pulver zu verbrennen, da hatte er die Aufmerksamkeit, das zu verhindern. Ihm verdanke ich, daß ich hier sitze, er hat mir das Leben gerettet.

SENDEN. Er lügt abscheulich!


Will vor.


ADELHEID ihn zurückhaltend. Still! Ich glaube, an der Geschichte ist etwas Wahres.

PIEPENBRINK. Na, daß er Ihnen das Leben gerettet hat, war recht schön; indes, dergleichen kommt oft vor.

FRAU PIEPENBRINK. Erzählen Sie doch, Herr Doktor.

BOLZ. Die kleine Begebenheit ist wie hundert andere, und sie wäre mir gar nicht interessant, wenn ich sie nicht selbst erlebt hätte. Denken Sie sich ein altes Haus, ich bin Student und wohne darin drei Treppen hoch. In dem Hause mir gegenüber wohnt ein junger Gelehrter, wir kennen einander nicht. Mitten in einer Mitternacht weckt mich ein wüster Lärm und ein merkwürdiges Knistern unter mir. Wenn das Mäuse waren, so mußten sie einen Fackeltanz aufführen, denn meine Stube war hell erleuchtet. Ich springe an das Fenster, da schlägt die helle Flamme aus dem Stockwerk unter mir bis zu mir herauf, meine Fensterscheiben springen um meinen Kopf herum, und ein nichtswürdiger Qualm dringt auf mich ein. Weil es unter diesen Umständen ungemütlich wurde, sich zum Fenster hinauszulegen, so laufe ich an die Tür und öffne. Auch die Treppe kann die Gemeinheit nicht verleugnen, welche altem Holz eigen ist, sie brennt in heller Flamme. Drei Treppen hoch und kein Ausweg, ich gab mich verloren! – Halb besinnungslos stürzte ich zum Fenster zurück, ich hörte, daß man auf der Straße rief: Ein Mensch, ein Mensch! Die Leiter her! – Eine Leiter wurde angelegt, sie fing im Nu an zu rauchen und zu brennen, wie Zunder, sie wurde weggerissen. Da rauschten die Wasserstrahlen aller Spritzen in die Flamme unter mir, ich hörte deutlich, wie jeder einzelne Strahl auf der glühenden Mauer anschlug.[60] Eine neue Leiter wurde angelegt, es war unten totenstill, und Sie können denken, daß auch ich keine Lust hatte, in meinem feurigen Ofen Spektakel zu machen. Unten riefen die Leute: »es geht nicht«, da klang eine volle Stimme durch: »höher die Leiter« – sehen Sie, ich wußte auf der Stelle, daß dies die Stimme meines Retters war. »Schnell«, riefen die Leute unten. Da drang eine neue Dampfwolke in die Stube, ich hatte genug von dem dicken Rauche verschluckt und legte mich am Fenster auf den Fußboden.

FRAU PIEPENBRINK. Armer Herr Doktor!

PIEPENBRINK eifrig. Weiter!


Senden will voreilen.


ADELHEID ihn zurückhaltend. Bitte, lassen Sie ihn ausreden, die Geschichte ist wahr!

BOLZ. Da faßt mich eine Menschenhand am Genick, ein Seil wird mir unter die Arme geschlungen, und eine kräftige Faust hebt mich vom Boden. Im Augenblick darauf war ich auf der Leiter, halb gezogen, halb getragen, mit brennendem Hemd und ohne Bewußtsein kam ich auf dem Steinpflaster an. – Ich erwachte in dem Zimmer des jungen Gelehrten. Außer einigen kleinen Brandwunden hatte ich nichts in die neue Wohnung herübergebracht. Alle meine Habe war verbrannt. Der fremde Mann pflegte mich und sorgte für mich wie ein Bruder für den andern. – Erst als ich wieder ausgehen konnte, erfuhr ich, daß dieser Gelehrte, der mich bei sich aufgenommen hatte, derselbe Mann war, der mir in jener Nacht auf der Leiter seinen Besuch gemacht hatte. – Sehen Sie, der Mann hat das Herz auf dem rechten Fleck, und deshalb wünsche ich ihm, daß er jetzt Deputierter werde, und deshalb könnte ich für ihn tun, was ich für mich selbst nicht täte; ich könnte für ihn werben, intrigieren und ehrliche Leute zum besten haben. – Dieser Mann ist der Professor Oldendorf.

PIEPENBRINK. Das ist ja ein unbändig ehrenwerter Mann. Aufstehend. Er soll leben, hoch!


Alle stehen auf und stoßen an.
[61]

BOLZ sich gegen alle freundlich verneigend, zu Frau Piepenbrink. Ich sehe warme Teilnahme in Ihren Augen glänzen, edle Frau, ich danke Ihnen dafür! – Herr Piepenbrink, ich bitte um die Erlaubnis, Ihnen die Hand zu schütteln. Sie sind ein braver Mann. Klopft ihn auf den Rücken, umarmt ihn. Geben Sie mir Ihre Hand, Herr Kleinmichel! Umarmt ihn. Sie auch, Herr Fritz Kleinmichel! Möge Ihnen nie ein Kind im Feuer sitzen, wenn es aber darinsitzt, immer ein wackerer Mann bei der Hand sein, der es herausholt; kommen Sie näher, ich muß Sie auch umarmen.

FRAU PIEPENBRINK gerührt. Piepenbrink, wir haben morgen Kalbsbraten. Was meinst du? Spricht leise mit ihm.

ADELHEID. Er wird sehr übermütig!

SENDEN. Er ist unerträglich, ich sehe, daß Sie empört sind wie ich. Er fängt uns die Leute, es ist nicht länger zu dulden.

BOLZ der um den Tisch gegangen war, zurückkehrend, vor Frau Piepenbrink stehenbleibend. Es ist eigentlich Unrecht, hier stillzuhalten. Herr Piepenbrink, Hausherr, ich frage an, ich bitte um die Erlaubnis, die Hand oder den Mund.

ADELHEID ängstlich auf der Seite rechts nach vorn. Er küßt sie wahrhaftig!

PIEPENBRINK. Nur zu, alter Bursch, Courage!

FRAU PIEPENBRINK. Piepenbrink, ich erkenne dich nicht wieder!

ADELHEID geht in dem Augenblick, wo Bolz Frau Piepenbrink küssen will, wie zufällig bei ihnen vorbei, quer über die Bühne, und hält ihren Ballstrauß zwischen Bolz und Frau Piepenbrink, leise, schnell zu Bolz. Sie gehen zu weit, Sie sind beobachtet. Von links nach dem Hintergrund und ab.

BOLZ. Eine Fee interveniert!

SENDEN der schon vorher einige andere Gäste, unter ihnen Blumenberg, haranguiert hat, in demselben Augenblick[62] geräuschvoll vor, zu der Tischgesellschaft. Er ist anmaßend, er hat sich eingedrängt!

PIEPENBRINK mit der Hand aufschlagend und sich erhebend. Oho! das wäre mir was! Wenn ich meine Frau küsse oder küssen lasse, so geht das niemanden etwas an. Niemanden! Kein Mann und kein Weib und keine Fee hat das Recht, ihr die Hand vor den Mund zu legen.

BOLZ. Sehr richtig! Ausgezeichnet, hört, hört!

SENDEN. Verehrter Herr Piepenbrink! Nichts gegen Sie, die Gesellschaft ist sehr erfreut, Sie an diesem Orte zu sehen. Nur Herrn Bolz wollen wir bemerken, daß seine Gegenwart hier Aufsehen erregt. Er hat so entschieden andere politische Grundsätze, daß wir sein Erscheinen bei diesem Fest als ein unpassendes Eindrängen betrachten müssen.

BOLZ. Ich hätte andere politische Grundsätze? Ich kenne in Gesellschaft keinen andern politischen Grundsatz als den einen, mit braven Leuten zu trinken und mit solchen, die ich nicht für brav halte, nicht zu trinken. Mit Ihnen, mein Herr, habe ich nicht getrunken!

PIEPENBRINK auf den Tisch schlagend. Das war gut gegeben!

SENDEN hitzig. Sie haben sich hier eingedrängt!

BOLZ entrüstet. Eingedrängt?

PIEPENBRINK. Eingedrängt? Alter Junge, Ihr habt doch eine Eintrittskarte?

BOLZ mit großer Biederkeit. Hier ist meine Karte! Nicht Ihnen zeige ich sie, sondern diesem Ehrenmanne, mit welchem Sie mich durch Ihren Überfall in Unfrieden bringen wollen. – Kämpe, geben Sie Ihre Karte Herrn Piepenbrink! Er ist der Mann, über alle Karten der Welt zu urteilen.

PIEPENBRINK. Das sind zwei Karten, die ebenso richtig sind als meine. Ihr habt sie ja allenthalben ausgetragen wie sauren Most. – Hoho! ich sehe wohl, wie die Sache steht. Ich gehöre auch nicht zu Eurer Geschichte, mich aber wollt Ihr haben. Des halb seid Ihr mir zwei- oder[63] dreimal ins Haus gelaufen, weil Ihr dachtet, mich zu kapern. Weil ich Wahlmann bin, deshalb liegt Euch an mir; aber dieser Ehrenmann ist kein Wahlmann, an dem liegt Euch nichts. Solche Schliche kennen wir!

SENDEN. Aber, Herr Piepenbrink!

PIEPENBRINK ihn unterbrechend, heftiger. Ist es recht, deshalb einen ruhigen Gast zu beleidigen? Ist es recht, meiner Frau den Mund zuzuhalten? Das ist eine Ungerechtigkeit gegen diesen Mann, und er soll jetzt hierbleiben, so gut wie ich! Und neben mir soll er hierbleiben. Und wer sich untersteht, ihn anzugreifen, der hat es mit mir zu tun!

BOLZ. Eure Faust, braver Herr! Ihr seid ein treuer Kamerad! So Hand in Hand mit dir, trotz ich dem Capulet und seiner ganzen Sippschaft.

PIEPENBRINK. Mit dir! Hast recht, alter Junge. Komm her, sie sollen sich ärgern, daß sie bersten. Auf du und du!


Trinken Brüderschaft.


BOLZ. Vivat Piepenbrink!

PIEPENBRINK. So, altes Haus! Und weißt du was? Weil wir so gemütlich beisammen sind, so denke ich, wir lassen diese hier machen, was sie wollen, und Ihr alle kommt zu mir nach Hause, dort braue ich eine Bowle, und wir sitzen lustig zusammen wie die Stare. Ich führe dich, Ihr andern geht voraus.

SENDEN und Gäste. Aber hören Sie doch, verehrter Herr Piepenbrink!

PIEPENBRINK. Nichts will ich hören, abgemacht!


Bellmaus, noch mehr Gäste.


BELLMAUS eilig durch den Haufen. Hier bin ich!

BOLZ. Mein Neffe! Holde Madame, ich stelle diesen unter Ihren Schutz! Neffe, du führst Madame Piepenbrink. Frau Piepenbrink faßt Bellmaus kräftig unter den Arm und hält ihn fest. Polka hinter der Szene. Lebt wohl, Ihr Herren, Ihr seid nicht imstande, uns die[64] Laune zu verderben. Dort beginnt die Musik. Wir marschieren im Festzuge ab, und noch einmal ruf ich zum Schlusse: Vivat Piepenbrink!

DIE ABZIEHENDEN. Vivat Piepenbrink! Marschieren im Triumph ab. Fritz Kleinmichel mit seiner Braut, Kämpe mit Kleinmichel, Frau Piepenbrink mit Bellmaus, zuletzt Bolz mit Piepenbrink.


Oberst.


OBERST. Was geht hier vor?

SENDEN. Ein nichtswürdiger Skandal! Die Union hat uns die beiden wichtigsten Wahlmänner entführt!


Der Vorhang fällt.
[65]

Quelle:
Gustav Freytag: Die Journalisten. Stuttgart 1977, S. 43-66.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Journalisten
Die Journalisten. Lustspiel in 4 Akten
Die Journalisten: A Comedy (German Edition)
Die Journalisten: Lustpiel in Vier Acten (German Edition)

Buchempfehlung

Ebner-Eschenbach, Marie von

Der gute Mond / Er laßt die Hand küssen / Ihr Traum. Drei Erzählungen

Der gute Mond / Er laßt die Hand küssen / Ihr Traum. Drei Erzählungen

Drei Erzählungen aus den »Neuen Dorf- und Schloßgeschichten«, die 1886 erschienen.

64 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon