Dritter Akt


[66] Gartensaal des Obersten.

Der Oberst im Vordergrund mit starken Schritten auf- und abgehend. Im Hintergrunde Adelheid und Ida Arm in Arm, letztere in lebhafter Bewegung. Kurze Pause. Darauf Senden.


SENDEN eilig zur Mitteltür hereinrufend. Es geht gut! 37 Stimmen gegen 29.

OBERST. Wer hat 37 Stimmen?

SENDEN. Natürlich Sie, Herr Oberst!

OBERST. Natürlich! Senden ab. – Der Wahltag ist unerträglich! In keiner Affäre meines Lebens habe ich dieses Gefühl von Angst gehabt! Es ist ein nichtswürdiges Kanonenfieber, das sich für keinen Fähnrich schickt! Und es ist lange her, daß ich Fähnrich war. Aufstampfend. Verdammt! Geht nach dem Hintergrunde.

IDA mit Adelheid in den Vordergrund tretend. Diese Ungewißheit ist schrecklich! Nur eines weiß ich sicher, ich werde unglücklich, wie diese Wahl auch ausfällt. Lehnt sich an Adelheid.

ADELHEID. Mut, Mut! mein kleines Mädchen, es kann noch alles gut werden. Verbirg deine Angst dem Vater, er ist ohnedies in einer Stimmung, die mir nicht gefällt.


Blumenberg eilig, an der Tür, der Oberst ihm entgegen.


OBERST. Nun, mein Herr, wie steht's?

BLUMENBERG. 41 Stimmen für Sie, Herr Oberst, 34 für unsern Gegner, drei Stimmen sind auf andere gefallen. Die Stimmen werden jetzt sehr einzeln zu Protokoll gegeben, aber die Differenz zu Ihren Gunsten bleibt so ziemlich dieselbe. Noch 8 Stimmen für Sie, Herr Oberst, und der Sieg ist erfochten. Es ist jetzt die höchste Wahrscheinlichkeit,[66] daß wir siegen. Ich eile zurück, die Entscheidung naht. Ich empfehle mich den Damen.


Ab.


OBERST. Ida!


Ida eilt zu ihm.


OBERST. Bist du meine gute Tochter?

IDA. Mein lieber Vater!

OBERST. Ich weiß, was dich ängstigt, mein Kind. Du bist am schlimmsten daran. Tröste dich, Ida, wenn, wie es den Anschein hat, der junge Herr von der Feder dem alten Soldaten das Feld räumen muß, dann wollen wir weiterreden. Oldendorf hat es nicht um mich verdient, es ist vieles an ihm, was mich ärgert. Aber du bist mein einziges Kind, ich werde nur daran denken! – Jetzt gilt es zuerst den Trotz des Jungen brechen!


Läßt Ida los, geht wieder auf und ab.


ADELHEID im Vordergrunde für sich. Ah, der Barometer ist gestiegen, die Sonne der Gnade bricht durch die Wolken. Wenn nur alles vorbei wäre, solche Aufregung ist ansteckend. Zu Ida. Du siehst, es ist noch nicht nötig, daß du ins Kloster gehst.

IDA. Wenn aber Oldendorf unterliegt, wie wird er das tragen?

ADELHEID die Achseln zuckend. Er verliert einen Sitz in einer ungemütlichen Gesellschaft und gewinnt dafür eine kleine amüsante Frau. Ich dächte, er könnte zufrieden sein. In jedem Falle wird er Gelegenheit haben, seine Reden zu halten. Ob er sie nun in der oder in der Kammer hält! Ich glaube, du wirst ihm andächtiger zuhören als jeder andere Abgeordnete.

IDA schüchtern. Aber, Adelheid, wenn es nun besser für das Land wäre, wenn Oldendorf gewählt würde?

ADELHEID. Ja, mein Schatz, da ist dem Lande nicht zu helfen. Unser Staat und die übrigen Länder in Europa müssen zusehen, wie sie ohne den Professor zurechtkommen; du bist dir selbst die Nächste, du willst ihn heiraten, du gehst vor! [67] Karl. Was bringen Sie, Karl?

KARL. Herr v. Senden läßt sich empfehlen und melden: 47 zu 42, der Wahlkommissar habe ihm bereits gratuliert.

OBERST. Gratuliert? – Halt meine Uniform bereit, laß dir den Schlüssel zum Weinkeller geben, und richte vor, es ist möglich, daß wir heut abend Besuch erhalten.

KARL. Zu Befehl, Herr Oberst.


Ab.


OBERST für sich, im Vordergrunde. Nun, junger Herr Professor? Mein Stil gefällt Ihnen nicht! Es mag sein, – ich gebe zu, daß Sie ein besserer Journalist sind; hier aber, wo es Ernst gilt, sollen Sie doch einmal nicht recht behalten! – Pause. Vielleicht wird es nötig, daß ich heut abend einige Worte rede. Vor meinem Regiment hatte ich doch den Ruf, daß ich immer treffend zu sprechen wußte, aber bei diesen Manövern im Zivilrock fühle ich mich unsicher. Überlegen wir! Es wird schicklich sein, daß ich in meiner Rede auch Oldendorf erwähne, natürlich mit Achtung und Anerkennung. Jawohl, das muß ich tun. Er ist ein redlicher Mann von vortrefflichem Herzen und ein Gelehrter von gutem Urteil. Und er kann sehr liebenswürdig sein, wenn man von seinen politischen Theorien absieht. Wir haben glückliche Abende miteinander verlebt. Und wenn wir so zusammensaßen bei meinem dicken Teekessel und der ehrliche Junge anfing, seine Geschichten zu erzählen, da hingen Idas Augen an seinem Gesicht und glänzten vor Vergnügen, und ich glaube, meine alten Augen auch. Es waren prächtige Abende! Warum sind sie nicht mehr? Bah, sie werden wiederkommen. Er wird seine Niederlage still tragen, wie es seine Art ist, eine gute, wohltuende Art! Keine Empfindlichkeit in ihm! Er ist doch im Grunde ein vortrefflicher Mensch, und Ida und ich, wir würden glücklich mit ihm sein. – Und deshalb, meine Herren Wähler – Aber Donnerwetter! Das alles kann ich doch nicht den Wählern sagen. – Ich werde sagen –


Senden.
[68]

SENDEN aufgeregt eintretend. Schändlich! schändlich! Alles ist verloren!

OBERST. Ha! Steht sogleich in militärischer Fassung.

IDA. Meine Ahnung! – Mein Vater! Eilt zu ihm.

ADELHEID. O weh!

SENDEN. Es stand vortrefflich. Wir hatten 47, die Gegner 42 Stimmen, 8 Stimmen waren noch nicht abgegeben, nur zwei davon für uns, und der Tag war unser. Die Stunde war gekommen, wo nach dem Gesetz das Protokoll geschlossen werden muß. Alles sah nach der Uhr und rief nach den säumigen Wahlmännern. Da polterte es auf dem Vorsaal; ein Haufe von acht Personen drang geräuschvoll in den Saal, an ihrer Spitze der grobe Weinhändler Piepenbrink, derselbe, welcher neulich bei dem Fest –

ADELHEID. Wir wissen, erzählen Sie weiter –

SENDEN. Einer nach dem andern aus der Gesellschaft trat vor, gab seine Stimme, und »Professor Eduard Oldendorf« kam aus jedem Munde. – Der letzte war dieser Piepenbrink. Bevor er die Stimme abgab, frug er seinen Nachbar: Hat's der Professor sicher? – Ja, war die Antwort. Und ich wähle als letzter Wahlmann zum Deputierten –


Hält inne.


ADELHEID. Den Professor?

SENDEN. Nein. Einen sehr gescheiten und pfiffigen Politikus, wie er sagte. Den Dr. Conrad Bolz – und damit drehte er kurz um, und ihm folgten seine Spießgesellen.

ADELHEID beiseite lächelnd. Ah!

SENDEN. Oldendorf ist Abgeordneter durch ein Mehr von zwei Stimmen.

OBERST. Ei!

SENDEN. Es ist schändlich! Niemand ist an diesem Ausfall schuld als diese Journalisten von der Union. Das war ein Laufen, ein Intrigieren, ein Händeschütteln mit allen Wahlmännern; ein Lobpreisen dieses Oldendorf und ein Achselzucken über uns und über Sie, verehrter Herr!

OBERST. So?[69]

IDA. Das Letzte ist nicht wahr.

ADELHEID zu Senden. Sein Sie anständig und schonen Sie hier.

OBERST. Du zitterst, meine Tochter. – Du bist ein Weib und läßt dich von solchen Kleinigkeiten zu sehr angreifen. – Ich will nicht, daß du diese Nachrichten länger anhörst. Geh, mein Kind! – Dein Freund hat ja gesiegt, für dich ist kein Grund zu weinen! Helfen Sie, Fräulein!

IDA wird von Adelheid bis zur Seitentür links geführt, bittend. Laß mich, bleibe beim Vater!

SENDEN. Der schlechte Geist und der Übermut, mit welchem diese Zeitung redigiert wird, ist auf Ehre nicht länger zu ertragen. – Oberst, da wir allein sind – denn Fräulein Adelheid wird mir erlauben, sie zu den Unsrigen zu rechnen – wir haben die Möglichkeit, uns glänzend zu rächen; sie haben ihr Wesen am längsten getrieben. Ich habe bereits vor längerer Zeit den Eigentümer der Union sondieren lassen. Er ist nicht abgeneigt, die Zeitung zu verkaufen, und hat nur noch sein Bedenken über die sogenannte Partei, welche das Blatt gegenwärtig in Händen hat. An dem Ressourcenabend habe ich selbst mit ihm gesprochen.

ADELHEID. Was hör ich?

SENDEN. Dieser Ausfall der Wahl wird bei allen unsern Freunden die größte Erbitterung hervorrufen, und ich zweifle nicht, daß wir in wenigen Tagen durch Aktienzeichnung die Kaufsumme zusammenbringen. Das wäre ein tödlicher Schlag für unsere Gegner, ein Triumph der guten Sache. Das gelesenste Blatt der Provinz in unserer Hand, redigiert durch ein Komitee –

ADELHEID. Dem Herr v. Senden seine Hilfe nicht versagen würde.

SENDEN. Es wäre meine Pflicht, mich dabei zu beteiligen. – Herr Oberst, wenn Sie mit unterzeichnen wollten, Ihr Beispiel würde den Kauf im Augenblick sichern.

OBERST. Mein Herr, was Sie zum Besten Ihrer politischen Tendenzen tun, das mögen Sie tun. Der Professor Oldendorf[70] ist aber in meinem Hause ein gern gesehener Gast gewesen, ich werde nie hinter seinem Rücken gegen ihn arbeiten. – Sie hätten mir diese Stunde erspart, wenn Sie mich nicht früher durch Ihre Versicherungen über die Stimmung der Majorität getäuscht hätten. Indes zürne ich Ihnen nicht, Sie haben in bester Meinung gehandelt, ich bin davon überzeugt. – Ich bitte die Anwesenden um Entschuldigung, wenn ich mich für heut zurückziehe, ich hoffe Sie morgen wiederzusehen, lieber Senden.

SENDEN. Unterdes werde ich die Subskription für Ankauf der Zeitung vorbereiten. Ich empfehle mich Ihnen.


Ab.


OBERST. Verzeihen Sie, liebe Adelheid, daß ich Sie allein lasse, ich wünsche einige Briefe zu schreiben, und Mit gezwungenem Lachen. – meine Zeitungen zu lesen.

ADELHEID teilnehmend. Darf ich Ihnen nicht gerade jetzt Gesellschaft leisten?

OBERST mit Anstrengung. Mir ist jetzt besser allein. Ab durch die Mitteltür.

ADELHEID allein. Mein armer Oberst! Die gekränkte Eitelkeit arbeitet heftig in seiner treuen Seele! – Und Ida? Öffnet leise die Tür links, bleibt stehen. Sie schreibt! Es ist nicht schwer zu raten, an wen. Schließt die Tür. – Und all das Unheil hat der böse Geist Journalismus angerichtet. Alle Welt klagt über ihn, und jedermann möchte ihn für sich benutzen. Mein Oberst hat so lange die Zeitungsschreiber verachtet, bis er selbst einer geworden ist, und Senden läßt keine Gelegenheit vorüber, auf meine guten Freunde von der Feder zu schelten, nur um selbst an ihre Stelle zu treten. Ich sehe kommen, daß Piepenbrink und ich auch noch Journalisten werden und zusammen ein kleines Blatt unter dem Titel »Der unartige Bolz« herausgeben. – Also die Union ist in Gefahr, heimlich verkauft zu werden? Dem Conrad wäre das recht heilsam, er müßte dann auch an andere Dinge denken als an die Zeitung. Ach, der Schelm würde sogleich eine neue anfangen. –


Oldendorf, Karl, dann Ida.
[71]

OLDENDORF noch außerhalb des Saals. Und der Herr Oberst ist nicht zu sprechen?

KARL. Für niemand, Herr Professor.


Ab.


ADELHEID Oldendorf entgegen. Lieber Professor, es ist nicht gut, daß Sie gerade jetzt kommen. Wir sind sehr gekränkt und unzufrieden mit der Welt, ganz besonders aber mit Ihnen.

OLDENDORF. Ich fürchte das, aber ich muß ihn sprechen.

IDA aus der Tür links ihm entgegen. Eduard! ich wußte, daß Sie kommen würden.

OLDENDORF. Meine liebe Ida!


Umarmt sie.


IDA an seinem Halse. Und was soll jetzt aus uns werden?


Oberst.


OBERST der durch die Mitteltür eingetreten, mit gezwungener Ruhe. Du sollst darüber nicht in Ungewißheit bleiben, meine Tochter! – Sie, Herr Professor, bitte ich zu vergessen, daß Sie in diesem Hause einst Freundschaft gefunden haben; von dir fordre ich, daß du nicht mehr an die Stunden denkst, wo dich dieser Herr von seinen Gefühlen unterhalten hat. – Heftiger. Still, in meinem Hause wenigstens ertrage ich von einem Journalisten keine Angriffe. Vergiß ihn, oder vergiß, daß du meine Tochter bist. Hinein! Führt Ida ohne Härte ab nach links, stellt sich vor die Tür. Auf diesem Posten, mein Herr Redakteur und Abgeordneter, vor dem Herzen meines Kindes sollen Sie mich nicht schlagen. Ab nach links.

ADELHEID beiseite. O weh, das ist arg!

OLDENDORF bevor der Oberst sich zum Abgang wendet, entschlossen. Herr Oberst, es ist unedel, mir jetzt eine Unterredung zu verweigern! Geht auf die Tür zu.

ADELHEID ihm schnell in den Weg tretend. Halt, nicht weiter! Er ist in einer Aufregung, wo jedes Wort Unheil stiften würde! – Gehen Sie aber nicht so von uns, Herr Professor, schenken Sie mir noch einige Augenblicke.

OLDENDORF. Ich muß in dieser Stimmung Ihre Nachsicht erbitten. Lange habe ich eine ähnliche Szene gefürchtet,[72] und fühle jetzt doch kaum die Kraft, meine Fassung zu bewahren.

ADELHEID. Sie kennen unsern Freund und wissen, daß sein lebhaftes Gefühl ihn zu Übereilungen hinreißt, die er wiedergutzumachen eilt.

OLDENDORF. Das war schlimmer als eine Laune. Es ist ein Bruch zwischen uns beiden – ein Bruch, der mir unheilbar scheint.

ADELHEID. Unheilbar, Herr Professor? Ist Ihr Gefühl für Ida, wie ich annehme, so ist die Heilung nicht schwer. Wäre es nicht an Ihnen, den Wünschen des Vaters noch jetzt, gerade jetzt nachzugeben? Verdient nicht das Weib, welches Sie lieben, daß Sie Ihren Ehrgeiz wenigstens einmal zum Opfer bringen?

OLDENDORF. Meinen Ehrgeiz, ja, meine Pflicht nicht.

ADELHEID. Ihr eigenes Glück, Herr Professor, scheint mir für lange, vielleicht für immer zerstört, wenn Sie von Ida auf solche Weise getrennt werden.

OLDENDORF finster. Nicht jeder kann in seinem Privatleben glücklich werden.

ADELHEID. Diese Resignation gefällt mir gar nicht, am wenigsten an einem Mann; verzeihen Sie, daß ich das gerade heraussage. Gutmütig. Ist das Unglück denn so groß, wenn Sie einige Jahre später oder niemals Vertreter dieser Stadt werden?

OLDENDORF. Mein Fräulein, ich bin nicht eingebildet, ich schlage meine Kraft nicht eben hoch an, und soweit ich mich kenne, verbirgt sich kein ehrgeiziger Drang auf dem Grund meiner Seele. Es ist möglich, daß, wie jetzt Sie, auch eine spätere Zeit unsern politischen Hader, unsere Parteibestrebungen und was damit zusammenhängt, sehr niedrig schätzen wird. Es ist möglich, daß unser ganzes Arbeiten resultatlos bleibt, es ist möglich, daß alles Gute, was wir ersehnen, sich, wenn es erreicht ist, in das Gegenteil verkehrt, ja, es ist höchst wahrscheinlich, daß mein eigener Anteil an dem Kampfe oft peinlich, unerquicklich und durchaus nicht das sein wird, was man eine dankbare[73] Tätigkeit nennt; aber das alles darf mich nicht abhalten, dem Kampf und Ringen der Zeit, welcher ich angehöre, mein Leben hinzugeben; denn es ist trotz alledem dieser Kampf das Höchste und Edelste, was die Gegenwart hervorbringt. Nicht jede Zeit erlaubt ihren Söhnen Resultate zu erobern, welche für alle Zeit groß bleiben, und ich wiederhole es, nicht jedes Jahrhundert ist geeignet, die Menschen, welche darin leben, stattlich und glücklich zu machen.

ADELHEID. Ich denke, jede Zeit ist dazu geeignet, wenn die einzelnen Menschen nur verstehen wollen, tüchtig und glücklich zu werden. Aufstehend. Sie, Herr Professor, wollen für das kleine Hausglück Ihres Lebens nichts tun, Sie zwingen Ihre Freunde, für Sie zu handeln.

OLDENDORF. Zürnen Sie wenigstens so wenig als möglich, und sprechen Sie für mich bei Ida.

ADELHEID. Ich werde versuchen, mit meinem Frauenverstand Ihnen zu nützen, mein Herr Staatsmann.


Oldendorf ab.


ADELHEID allein. Das also ist einer von den Edlen, Hochgebildeten, von den freien Geistern deutscher Nation? Sehr tugendhaft und außerordentlich vernünftig! Er klettert auch aus reinem Pflichtgefühl ins Feuer! Aber etwas zu erobern, die Welt, das Glück oder gar eine Frau, dazu ist er doch nicht gemacht.


Karl.


KARL meldend. Herr Doktor Bolz!

ADELHEID. Ah! – Der wenigstens wird kein solcher Tugendheld sein! – Wo ist der Herr Oberst?

KARL. Im Zimmer des gnädigen Fräuleins.

ADELHEID. Führen Sie den Herrn hier herein. – Karl ab. Ich fühle einige Verlegenheit, Sie wiederzusehen, Herr Bolz, ich will mir Mühe geben, Ihnen das nicht zu zeigen.


Bolz.
[74]

BOLZ. Soeben verläßt Sie eine arme Seele, die vergebens nach ihrer Philosophie sucht, um sich zu trösten; auch ich komme als Unglücklicher, denn ich habe gestern Ihr Mißfallen erregt, und ohne Ihre Gegenwart, welche eine mutwillige Szene abkürzte, würde mir Herr v. Senden im Interesse des gesellschaftlichen Anstandes wohl noch ärger mitgespielt haben. Ich danke Ihnen für die Erinnerung, welche Sie mir gaben; ich nehme sie als Beweis, daß Sie mir Ihre freundschaftliche Teilnahme nicht entziehen wollen.

ADELHEID beiseite. Sehr artig, sehr diplomatisch! – Es ist freundlich von Ihnen, daß Sie mein auffallendes Benehmen so gut deuten. – Aber verzeihen Sie noch eine dreiste Einmischung. Jene Szene mit Herrn v. Senden wird doch nicht die Veranlassung zu einer neuen werden?

BOLZ beiseite. Immer dieser Senden! – Ihr Interesse an ihm soll für mich ein Grund sein, weitere Folgen zu verhüten. Ich glaube, daß ich es vermag.

ADELHEID. Ich danke Ihnen. Und jetzt lassen Sie sich sagen, daß Sie ein gefährlicher Diplomat sind. Sie haben hier im Hause eine vollständige Niederlage angerichtet. – An diesem trüben Tage hat mich nur eins gefreut, die einzelne Stimme, welche Sie zum Deputierten machen wollte.

BOLZ. Es war ein toller Einfall des ehrlichen Weinhändlers.

ADELHEID. Sie haben sich so viel Mühe gegeben, Ihren Freund durchzusetzen. Warum haben Sie nicht für sich selbst gearbeitet? Der junge Herr, den ich einst kannte, hatte einen hohen Sinn, und nichts erschien seinem fliegenden Ehrgeiz unerreichbar. Sind Sie anders geworden, oder brennt das Feuer noch?

BOLZ lächelnd. Ich bin Journalist geworden, gnädiges Fräulein.

ADELHEID. Das ist Ihr Freund auch.

BOLZ. Nur so nebenbei, ich aber gehöre zur Zunft. Wer dazugehört, kann den Ehrgeiz haben, witzig oder bedeutend[75] zu schreiben; was darüber hinausgeht, ist nicht für uns.

ADELHEID. Nicht für Sie?

BOLZ. Dazu sind wir zu flüchtig, zu unruhig und zerstreut.

ADELHEID. Ist das Ihr Ernst, Conrad?

BOLZ. Mein völliger Ernst. Warum soll ich mich Ihnen anders zeigen, als ich bin? Wir Zeitungsschreiber füttern unsern Geist mit Tagesneuigkeiten, wir müssen alle Gerichte, welche Satan für die Menschen kocht, in den allerkleinsten Bissen durchkosten, darum müssen Sie uns schon etwas zugute halten. Der tägliche Ärger über das Verfehlte und Schlechte, die ewigen kleinen Aufregungen über alles mögliche, das arbeitet in dem Menschen. Im Anfange ballt man die Faust, später gewöhnt man sich, darüber zu spotten. Wer immer für den Tag arbeitet, ist es bei dem nicht auch natürlich, daß er in den Tag hinein lebt?

ADELHEID unruhig. Das ist ja traurig!

BOLZ. Im Gegenteil. Es ist ganz lustig. Wir summen wie die Bienen, durchfliegen im Geist die ganze Welt, saugen Honig, wo wir ihn finden, und stechen, wo uns etwas mißfällt. – Ein solches Leben ist nicht gerade gemacht, große Heroen zu bilden, es muß aber auch solche Käuze geben, wie wir sind.

ADELHEID. Jetzt fängt der auch an, und er ist noch ärger als der andere.

BOLZ. Wir wollen deshalb nicht gefühlvoll werden! Ich schreibe frisch drauflos, solange es geht. Geht's nicht mehr, dann treten andere für mich ein und tun dasselbe. Wenn Conrad Bolz, das Weizenkorn, in der großen Mühle zermahlen ist, so fallen andere Körner auf die Steine, bis das Mehl fertig ist, aus welchem vielleicht die Zukunft ein gutes Brot bäckt zum Besten vieler.

ADELHEID. Nein! Nein! Das ist Schwärmerei, solche Resignation ist ein Unrecht.

BOLZ. Solche Resignation findet sich zuletzt bei jedem Berufe. Sie ist nicht Ihr Los! Ihnen gebührt ein anderes Glück, und Sie werden es finden. – Mit Gefühl. Adelheid,[76] ich habe Ihnen als Jüngling zärtliche Verse geschrieben und mich in törichten Träumen gewiegt, ich habe Sie sehr liebgehabt, und die Wunde, welche mir unsere Trennung schlug, sie schmerzt zuweilen noch. – Adelheid macht eine abwehrende Bewegung. Erschrecken Sie nicht, ich werde Sie nicht verletzen. – Ich habe lange mit meinem Schicksal gegrollt und hatte Stunden, wo ich mir vorkam wie ein Verstoßener. Aber jetzt, wo Sie vor mir stehen in vollem Glanze, so schön, so begehrenswert, wo mein Gefühl für Sie so warm ist wie jemals, jetzt muß ich doch sagen, Ihr Vater hat zwar rauh an mir gehandelt, aber daß er uns trennte, daß er Sie, die reiche Erbin, an Ansprüche gewöhnt, in bestimmte Kreise eingelebt, verhinderte, Ihr Leben einem wilden Knaben zu schenken, der immer mehr Übermut als Kraft gezeigt hatte, das war doch sehr verständig, und er hat ganz recht daran getan.

ADELHEID in Aufregung seine Hände ergreifend. Ich danke Ihnen, Conrad, ich danke Ihnen, daß Sie so von meinem verstorbenen Vater reden. Ja, Sie sind gut, Sie haben ein Herz, es macht mich sehr glücklich, daß Sie mir das gezeigt haben.

BOLZ. Es ist nur ein ganz kleines Taschenherz zum Privatgebrauch, es geschah wider meinen Willen, daß es so zum Vorschein kam.

ADELHEID. Und jetzt genug von uns beiden. Hier im Hause braucht man unsere Hilfe. Sie haben gesiegt, haben Ihren Willen vollständig gegen uns durchgesetzt, ich unterwerfe mich und erkenne Sie als meinen Meister an. Jetzt aber üben Sie Gnade und werden Sie mein Verbündeter. Bei diesem Streit der Männer ist rauh in das Herz eines Mädchens gegriffen worden, das ich liebe. Ich möchte das gutmachen und wünsche, daß Sie mir dabei helfen.

BOLZ. Befehlen Sie über mich.

ADELHEID. Der Oberst muß versöhnt werden. Sinnen Sie etwas aus, das geeignet ist, sein krankes Selbstgefühl zu heilen.[77]

BOLZ. Ich habe daran gedacht und einiges vorbereitet. Leider kann ich nichts tun, als ihm fühlbar machen, daß sein Zorn gegen Oldendorf eine Torheit ist. Den milden Sinn, der zur Versöhnung treibt, werden Sie allein hervorrufen können.

ADELHEID. So müssen wir Frauen unser Heil versuchen.

BOLZ. Ich eile, unterdes das Wenige zu tun, was ich vermag.

ADELHEID. Leben Sie wohl, Herr Redakteur. Und denken Sie nicht allein an den Lauf der großen Welt, sondern zuweilen auch an eine einzelne Freundin, welche an dem unwürdigen Egoismus leidet, auf ihre eigene Hand das Glück zu suchen.

BOLZ. Sie haben immer Ihr Glück darin gefunden, für das Glück anderer zu sorgen. Wer diesen unwürdigen Egoismus hat, für den ist es keine Kunst, glücklich zu sein.


Bolz ab.


ADELHEID allein. Er liebt mich noch! – Er ist ein zartfühlender, hochherziger Mensch! – Aber auch er ist resigniert, sie sind alle krank, diese Männer. Sie haben keine Courage! Aus lauter Gelehrsamkeit und Nachdenken über sich selbst haben sie das Vertrauen zu sich selbst verloren. Dieser Conrad! Warum sagt er nicht zu mir: Adelheid, ich wünsche Sie zur Frau? Er ist ja sonst unverschämt genug! Behüte, er philosophiert über meine Art Glück und seine Art Glück! Es war alles sehr schön, aber es ist doch nichts als dummes Zeug. – Da sind meine Junker auf dem Lande ganz andere Leute. Die tragen kein großes Bündel Weisheit mit sich herum und haben mehr Grillen und Vorurteile, als verzeihlich ist, aber sie hassen und lieben doch tüchtig und trotzig darauflos und vergessen die Sorge für ihr eigenes Wohlbefinden niemals. Sie sind besser daran, ich lobe mir das Land, die frische Luft und meine Äcker. – Pause, mit Entschlossenheit. Die Union soll verkauft werden! Der Conrad soll mir auf das Land, damit er seine Grillen verliert! Setzt sich und schreibt; klingelt. Karl.[78] Diesen Brief an Herrn Justizrat Schwarz, ich bitte ihn, sich in einer dringenden Angelegenheit zu mir zu bemühen. Karl ab.


Ida.


IDA aus der Seitentür links. Ruhelos geh ich umher! Laß mich hier ausweinen! Weint an Adelheids Halse.

ADELHEID zärtlich. Mein armes Mädchen! Die bösen Männer haben schlimm an dir gehandelt. Traure, mein Liebling, aber sei nicht so stumm und ergeben.

IDA. Ich habe nur den einen Gedanken, er ist für mich verloren, für immer verloren!

ADELHEID. Du bist mein braves Mädchen. Aber sei ruhig! Du hast ihn gar nicht verloren! Im Gegenteil, wir wollen machen, daß du ihn weit schöner zurückerhältst. Mit geröteten Wangen und verklärten Augen soll er wieder vor dich treten, der edle Mann, dein erwählter Halbgott, und um Verzeihung soll dich der Halbgott auch bitten, daß er dir Schmerzen bereitet hat.

IDA zu ihr aufsehend. Was sagst du?

ADELHEID. Höre, heute nacht hab ich in den Sternen gelesen, daß du Frau Abgeordnete werden sollst. Ein großer Stern fiel vom Himmel, und darauf war mit leserlichen Buchstaben geschrieben: »Ohne Widerrede, sie soll ihn haben!« – Die Erfüllung ist nur an eine Bedingung geknüpft.

IDA. Welche Bedingung? Sag mir's.

ADELHEID. Ich habe dir neulich von einem gewissen Fräulein und einem unbekannten Herrn erzählt. Weißt du?

IDA. Ich habe unaufhörlich daran gedacht.

ADELHEID. Gut. An demselben Tage, wo diese Dame ihren Ritter wiederfindet, wirst auch du mit deinem Professor versöhnt werden. Nicht eher, nicht später, so steht's geschrieben.

IDA. Ich glaube dir so gern. Und wann wird der Tag kommen?

ADELHEID. Ja, mein Schatz, das weiß ich so genau nicht.[79] Aber im Vertrauen, weil wir Mädchen allein sind, die bewußte Dame hat das lange Hoffen und Harren herzlich satt, und ich fürchte, daß sie einen verzweifelten Schritt tut.

IDA sie umarmend. Mache nur, daß es nicht zu lange dauert.

ADELHEID sie haltend. Still, daß uns kein Mann hört! Korb. Was bringen Sie, alter Freund?

KORB. Fräulein, draußen ist Herr Bellmaus, der Freund –

ADELHEID. Schon gut; und er will mich sprechen.

KORB. Ja, ich selbst habe ihm zugeredet, sich an Sie zu wenden, er hat Ihnen etwas zu erzählen.

ADELHEID. Führen Sie ihn herein!


Korb ab.


IDA. Laß mich fort, ich habe verweinte Augen.

ADELHEID. So geh, mein Herz, in wenigen Minuten bin ich wieder bei dir. Ida ab. Auch der noch! Die ganze Union, einer nach dem andern! –


Bellmaus.


BELLMAUS schüchtern, mit vielen Verbeugungen. Sie haben mir erlaubt, gnädiges Fräulein! –

ADELHEID freundlich. Ich freue mich, Sie bei mir zu sehen, und bin neugierig auf die interessanten Entdeckungen, die Sie mir machen wollen.

BELLMAUS. Ich möchte niemandem lieber als Ihnen, mein gnädiges Fräulein, anvertrauen, was ich gehört habe. Da ich vom Herrn Korb erfahren, daß Sie eine Abonnentin unserer Zeitung sind, so habe ich das Vertrauen –

ADELHEID. Daß ich auch verdiene, eine Freundin der Redakteure zu sein. Ich danke Ihnen für die gute Meinung.

BELLMAUS. Da ist dieser Schmock! Er ist ein armer Mensch,[80] der wenig in guter Gesellschaft gelebt hat, und war bis jetzt Mitarbeiter am Coriolan.

ADELHEID. Ich erinnere mich, ihn gesehen zu haben.

BELLMAUS. Ich gab ihm auf den Wunsch von Bolz einige Gläser Punsch. Darauf wurde er lustig und erzählte mir von einem großen Komplott, welches zwischen Senden und dem Redakteur des Coriolan besteht. Diese beiden Herren haben nach seiner Versicherung den Plan, unsern Professor Oldendorf beim Herrn Obersten in Mißkredit zu bringen, und deshalb haben sie den Herrn Oberst angetrieben, Artikel in den Coriolan zu schreiben.

ADELHEID. Ist denn der junge Mann, welcher Ihnen diese Entdeckungen gemacht hat, irgendwie zuverlässig?

BELLMAUS. Er kann nicht viel Punsch vertragen, und als er drei Gläser getrunken hatte, erzählte er mir das alles freiwillig; sonst halte ich ihn freilich nicht für sehr anständig. Ich glaube, er ist ein guter Kerl, aber anständig? Nein, das ist er doch nicht.

ADELHEID gleichgültig. Würde dieser Herr – welcher die drei Gläser Punsch getrunken hat, wohl bereit sein, seine Enthüllungen vor andern Personen zu wiederholen?

BELLMAUS. Er sagte mir, daß er das tun wollte, und sprach auch von Beweisen.

ADELHEID beiseite. Ah so! – Laut. Ich fürchte, die Beweise werden nicht genügend sein. – Und Sie haben dem Professor oder Herrn Bolz keine Mitteilung darüber gemacht?

BELLMAUS. Unser Professor ist jetzt sehr beschäftigt, und Bolz ist der beste und lustigste Mensch von der Welt; aber weil er ohnedies mit Herrn v. Senden gespannt ist, so glaubte ich –

ADELHEID schnell. Und Sie hatten ganz recht, lieber Herr Bellmaus. – Also sonst sind Sie mit Herrn Bolz zufrieden?

BELLMAUS. Er ist ein verträglicher und ausgezeichneter Mensch, und ich stehe mit ihm sehr gut, wir alle stehen gut mit ihm.[81]

ADELHEID. Das freut mich.

BELLMAUS. Er ist manchmal etwas übermütig, aber er hat das beste Herz von der Welt.

ADELHEID beiseite. Aus dem Munde der Kinder und Unmündigen werdet Ihr die Wahrheit hören.

BELLMAUS. Freilich ist er eine rein prosaische Natur, für Poesie hat er keinen Sinn.

ADELHEID. Glauben Sie?

BELLMAUS. Ja, in der Beziehung wird er oft ausfällig.

ADELHEID aufbrechend. Ich danke Ihnen für Ihre Mitteilungen, auch wenn ich kein Gewicht darauf legen kann, und freue mich, in Ihnen einen Teil der Redaktion kennenzulernen. Die Herren Journalisten sind, wie ich merke, gefährliche Leute, und es ist gut, ihr Wohlwollen zu erhalten, obgleich ich als unbedeutende Person mich bemühen will, nie Stoff zu einem Zeitungsartikel zu geben. – Da Bellmaus zögert zu gehen. Kann ich Ihnen noch in irgend etwas dienen?

BELLMAUS mit Wärme. Ja, gnädiges Fräulein, wenn Sie die Güte haben wollen, dieses Exemplar meiner Gedichte anzunehmen. Es sind zwar Jugendgedichte, meine ersten Versuche, aber ich rechne auf Ihre freundliche Nachsicht. Zieht ein Buch mit Goldschnitt aus der Tasche, übergibt es.

ADELHEID. Ich danke Ihnen herzlich, Herr Bellmaus. Noch niemals hat mir ein Dichter seine Werke geschenkt, ich werde das schöne Buch auf dem Lande durchlesen und mich unter meinen Bäumen darüber freuen, daß ich in der Stadt Freunde habe, welche auch an mich denken, wenn sie für andere das Schöne darstellen.

BELLMAUS mit Feuer. Sein Sie überzeugt, gnädiges Fräulein, daß kein Dichter Sie vergessen wird, welcher das Glück gehabt hat, Sie kennenzulernen. Ab mit einer tiefen Verbeugung.

ADELHEID allein. Dieser Herr Schmock mit den drei Gläsern Punsch ist doch wohl einer Bekanntschaft wert. Korb soll ihn sogleich aufsuchen. – Kaum bin ich in der[82] Stadt angekommen, und mein Zimmer ist wie ein Geschäftsbüro, in welchem Redakteure und Schriftsteller ihr Wesen treiben. – Ich fürchte, das ist eine Vorbedeutung. Ab nach links.


Es wird dunkel. Der Oberst aus dem Garten.


OBERST langsam nach vorn. Es ist mir lieb, daß es aus ist zwischen uns. – Aufstampfend. Sehr lieb ist es mir! – Gedrückt. Ich fühle mich frei und leicht, wie seit lange nicht, ich glaube, ich könnte singen. In diesem Augenblick bin ich Gegenstand der Unterhaltung bei allen Teetassen, auf allen Bierbänken. Überall Räsonieren und Lachen: Dem geschieht recht, dem alten Narren! Verdammt! Karl mit Lichtern und der Zeitung. Wer hat dir erlaubt. Licht zu bringen?

KARL. Herr Oberst, es ist die Stunde, wo Sie die Zeitung lesen. Hier ist sie.


Legt sie auf den Tisch.


OBERST. Unwürdiges Volk, diese Herren von der Feder! Feig, boshaft, hinterlistig in ihrer Anonymität. Wie diese Bande jetzt triumphieren wird, und über mich! Wie sie ihren Redakteur bis in die Wolken erheben! Da liegt, das nichtswürdige Blatt! Darin steht meine Niederlage, ausposaunt mit vollen Backen, mit spöttischem Achselzucken – – weg damit! Geht auf und ab, sieht die Zeitung auf der Erde an, sie aufhebend. Ich will's doch auskosten! Setzt sich. Hier gleich im Anfange: Lesend. Professor Oldendorf – Majorität von zwei Stimmen. »Dies Blatt ist verpflichtet, sich über das Resultat zu freuen.« – Das glaub ich. – »Aber nicht weniger erfreulich war der Wahlkampf, welcher voranging.« – Natürlich. – »Es ist vielleicht noch nicht dagewesen, daß, wie hier, zwei Männer einander gegenüberstanden, so eng durch jahrelange Freundschaft verbunden, beide in gleicher Weise durch das Wohlwollen ihrer Mitbürger ausgezeichnet. Es war ein ritterlicher Kampf zwischen zwei Freunden, voll Hochherzigkeit, ohne Groll, ohne Eifersucht, ja vielleicht verbarg sich in[83] der Seele eines jeden von beiden der Wunsch, daß der befreundete Gegner und nicht er Sieger werde.« Legt das Blatt weg, trocknet sich die Stirn ab. Was ist das für eine Sprache? – Liest. »Und abgesehen von einzelnen Parteiansichten hat nie ein Mann größere Ansprüche auf den Sieg gehabt als unser verehrter Gegner. Was er durch seine biedere, edle Persönlichkeit dem großen Kreise seiner Freunde und Bekannten gilt, das zu rühmen ist nicht hier der Ort; wie er aber durch seine rege Teilnahme für alle gemeinnützigen Unternehmungen der Stadt mit Rat und Tat gewirkt, das ist allgemein bekannt und wird gerade heut von unsern Mitbürgern mit lebhaftem Dank empfunden.« – Legt das Blatt weg. Das ist ein niederträchtiger Stil! – Liest weiter. »Durch eine sehr geringe Majorität der Stimmen hat unsere Stadt beschlossen, die politischen Ansichten des jüngern Freundes in den Kammern geltend zu machen, aber von allen Parteien werden heut, wie verlautet, Adressen und Deputationen vorbereitet, nicht, um den Sieger im Wahlkampf zu feiern, sondern um seinem Gegner, seinem edlen Freunde, die allgemeine Achtung und Verehrung auszudrücken, deren nie ein Mann würdiger war als er.« – Das ist offenbar Meuchelmord! Das ist eine furchtbare Indiskretion Oldendorfs, das ist eine Journalistenrache, so fein und zugespitzt. – O das sieht ihm ähnlich! Nein, das sieht ihm nicht ähnlich! Es ist empörend, es ist unmenschlich! – Was soll ich tun? Deputationen und Adressen an mich? an Oldendorfs Freund? – Bah, das ist alles nur Geschwätz, Zeitungsgeschrei, das kostet nichts als ein paar schöne Worte! Die Stadt weiß nichts von diesen Empfindungen. Es ist eine Gaunerei!


Karl.


KARL. Briefe von der Stadtpost.


Legt sie auf den Tisch, ab.


OBERST. Darin steckt wieder etwas! Es ist mir unheimlich, sie aufzumachen. – Erbricht den ersten. Was Teufel! ein Gedicht? und an mich? »Unserm edlen Gegner in der Politik, dem besten Manne der Stadt« – unterschrieben? –[84] wie ist die Unterschrift: Baus! Baus? kenne ich nicht, das muß ein Pseudonym sein! Liest. Es scheint ganz ausgezeichnete Poesie! – Und was ist hier? Öffnet den zweiten Brief. »Dem Wohltäter der Armen, dem Vater der Verwaisten«, eine Adresse – Liest. Verehrung und Herzensgüte – Unterschrift: »Viele Frauen und Mädchen«, das Siegel ein P.P.? – Mein Gott, was soll das alles? Bin ich behext? – Sind das in Wahrheit Stimmen aus der Stadt, und wird der heutige Tag von den Menschen so aufgefaßt, so muß ich gestehen, daß die Leute besser von mir denken – als ich selbst. –


Karl.


KARL. Eine Anzahl Herren wünscht den Herrn Oberst zu sprechen.

OBERST. Was für Herren?

KARL. Sie sagen: Eine Deputation der Wahlmänner.

OBERST. Führe sie herein. Diese verdammte Zeitung hat doch recht gehabt.


Piepenbrink, Kleinmichel, noch drei andere Herren; sie verbeugen sich, der Oberst gleichfalls.


PIEPENBRINK feierlich. Mein Herr Oberst! – Eine Anzahl Wahlmänner hat uns als eine Deputation zu Ihnen gesandt, um Ihnen gerade heut zu sagen, daß die ganze Stadt Sie für einen höchst respektabeln und braven Mann hält.

OBERST steif. Ich bin für die gute Meinung verbunden.

PIEPENBRINK. Da ist nichts Verbindliches bei. Es ist die Wahrheit. Sie sind ein Ehrenmann durch und durch, und es macht uns Freude, Ihnen das zu sagen; es kann Ihnen nicht unangenehm sein, dies von Ihren Mitbürgern zu hören.

OBERST. Ich habe mich selbst immer für einen Mann von Ehre gehalten, meine Herren.

PIEPENBRINK. Da haben Sie ganz recht gehabt. Und Sie haben Ihre brave Gesinnung auch bewiesen. Bei jeder[85] Gelegenheit. Bei Armut, bei Teuerung, in Vormundschaften, auch bei unserm Schützenfest, überall, wo uns Bürgern ein wohlwollender und guter Mann Freude machte oder nützlich war, da sind Sie voran gewesen. Immer schlicht und treuherzig, ohne schnurrbärtiges Wesen und Hochmut. Daher kommt es denn, daß wir Sie allgemein lieben und verehren.


Oberst fährt sich über die Augen.


PIEPENBRINK. Heut haben viele von uns ihre Stimmen dem Professor gegeben. Manche wegen der Politik, manche, weil sie wissen, daß er Ihr genauer Freund ist und vielleicht gar Ihr Schwiegersohn wird.

OBERST ohne Härte. Mein Herr –

PIEPENBRINK. Auch ich selbst habe Ihnen meine Stimme nicht gegeben.

OBERST etwas eifriger. Mein Herr –

PIEPENBRINK. Aber ebendeswegen komme ich mit den andern zu Ihnen, und deswegen sagen wir Ihnen, wie man in der Bürgerschaft von Ihnen denkt. Und wir wünschen alle, daß Sie noch lange Ihre männliche Gesinnung und Ihr freundschaftliches Herz uns erhalten mögen als ein verehrter, äußerst respektabler Herr und Mitbürger.

OBERST ohne Härte. Warum sagen Sie das nicht dem Professor, auf den Ihre Wahl gefallen ist?

PIEPENBRINK. Er ist noch jung. Er soll sich's erst in den Kammern verdienen, daß die Stadt ihm dankt. Sie aber haben's um uns verdient und deshalb kommen wir zu Ihnen.

OBERST aufrichtig. Ich danke Ihnen, mein Herr, für Ihre freundlichen Worte. Sie tun mir gerade jetzt sehr wohl. Ich bitte Sie um Ihren Namen.

PIEPENBRINK. Ich heiße Piepenbrink.

OBERST erkältet, aber nicht unhöflich. Ah so, das ist der Name! – Mit Haltung. Ich danke Ihnen, meine Herren, für die wohlwollende Ansicht, welche Sie ausgesprochen haben, gleichviel, ob Sie die wahre Meinung der Stadt wiedergeben oder nach den Wünschen einzelner reden. Ich[86] danke Ihnen, und ich werde fortfahren, das zu tun, was ich für Recht halte. Verbeugt sich, die Deputation ebenfalls, letztere ab. Also das ist dieser Piepenbrink, der warme Freund seines Freundes! – Aber die Worte dieses Mannes waren verständig und sein ganzes Aussehen ehrenwert, es ist unmöglich, daß das alles Spitzbüberei sein kann. – Wer weiß! Es sind gewandte Intriganten. Senden mir Zeitungsartikel, Briefe und diese gutmütigen Leute ins Haus, um mich weichherzig zu machen, gebärden sich vor aller Welt als meine Freunde, um mich zu zwingen, Ihrer Falschheit wieder zu trauen! Ja, so ist's. Alles ist abgekartet! Sie sollen sich getäuscht haben!


Karl.


KARL. Herr Doktor Bolz!

OBERST. Ich bin für niemand mehr zu Hause.

KARL. Das habe ich dem Herrn auch gesagt, aber er bestand darauf, den Herrn Obersten zu sprechen, er komme in einer Ehrensache.

OBERST. Was? Oldendorf wird doch nicht so wahnsinnig sein – führ ihn her!


Bolz.


BOLZ mit Haltung. Herr Oberst, ich komme, Ihnen eine Mitteilung zu machen, welche für die Ehre eines dritten notwendig ist.

OBERST. Ich bin darauf gefaßt und bitte Sie, dieselbe nicht zu lang auszudehnen.

BOLZ. Nur so lang, als nötig ist. Der Artikel in dem heutigen Abendblatt der Union, welcher Ihre Persönlichkeit bespricht, ist von mir geschrieben und von mir ohne Oldendorfs Wissen in die Zeitung gesetzt.

OBERST. Es ist mir kaum von Interesse zu wissen, wer den Artikel geschrieben hat.

BOLZ artig. Aber es ist mir von Wichtigkeit, Ihnen zu sagen, daß er nicht von Oldendorf ist und daß Oldendorf[87] nichts davon gewußt hat. Mein Freund war in den letzten Wochen so sehr durch Trübes und Schmerzliches, das er selbst erleben mußte, in Anspruch genommen, daß er die Leitung des Blattes mir allein überließ. Für alles, was in dieser letzten Zeit darin stand, bin ich allein verantwortlich.

OBERST. Und wozu machen Sie diese Eröffnung?

BOLZ. Es wird Ihrem Scharfblick nicht entgehen, Herr Oberst, daß nach der Szene, welche heut zwischen Ihnen und meinem Freunde vorgefallen ist, Oldendorf als Mann von Ehre einen solchen Artikel weder schreiben noch in seiner Zeitung dulden konnte.

OBERST. Wieso, mein Herr? In dem Artikel selbst habe ich nichts Unwürdiges gefunden.

BOLZ. Der Artikel setzt meinen Freund in Ihren Augen dem Verdacht aus, als wolle er durch unwürdige Schmeichelei Ihre Teilnahme wiedergewinnen. Nichts liegt ihm ferner als ein solcher Weg. Sie, Herr Oberst, sind zu sehr Mann von Ehre, um selbst bei Ihrem Feinde eine gemeine Handlung natürlich zu finden.

OBERST. Sie haben recht! – Beiseite. Dieser Trotz ist unerträglich. – Ist Ihre Erklärung zu Ende?

BOLZ. Sie ist es. Ich habe noch eine zweite beizufügen, daß ich selbst sehr bedaure, diesen Artikel geschrieben zu haben.

OBERST. Ich tue Ihnen wohl nicht unrecht, wenn ich annehme, daß Sie schon anderes geschrieben haben, was eher zu bedauern war.

BOLZ fortfahrend. Diesen Artikel ließ ich drucken, bevor ich von Ihrer letzten Unterredung mit Oldendorf Kenntnis hatte; sehr artig ich bedaure ihn des halb, weil er nicht ganz wahr ist. Ich war zu schnell, als ich dem Publikum Ihre Persönlichkeit schilderte, das Bild entspricht wenigstens heut nicht mehr der Wirklichkeit, es ist geschmeichelt.

OBERST ausbrechend. Nun, beim Teufel, das ist grob.

BOLZ. Verzeihung, es ist nur wahr! Ich wünsche Sie zu[88] überzeugen, daß auch ein Journalist bedauern kann, Unwahres geschrieben zu haben.

OBERST. Herr! – Beiseite. Ich muß an mich halten, er behält sonst immer recht. – Mein Herr Doktor, ich sehe, daß Sie ein gewandter Mann sind und Ihr Handwerk verstehen. Da Sie außerdem heut in der Stimmung scheinen, nur die Wahrheit zu reden, so ersuche ich Sie noch, mir zu sagen, ob Sie vielleicht auch die Demonstrationen geleitet haben, welche sich mir heut als Stimmen des Publikums darstellen.

BOLZ sich verneigend. Allerdings bin ich dabei nicht untätig gewesen.

OBERST ihm die Briefe hinhaltend, heftig. Haben Sie dies veranlaßt?

BOLZ. Zum Teil, Herr Oberst. – Dies Gedicht ist der Herzenserguß eines ehrlichen Jungen, welcher in Ihnen den väterlichen Freund Oldendorfs und das Ideal eines ritterlichen Helden verehrt; ich habe ihm den Mut gemacht, Ihnen das Gedicht zu übersenden. Es war wenigstens gut gemeint. Der Poet mag sich ein anderes Ideal suchen. – Diese Adresse kommt von Frauen und Mädchen, welche den Verein für Erziehung verwahrloster Kinder bilden. Der Verein zählt auch Fräulein Ida Berg unter seine Mitglieder, ich selbst habe den Damen diese Adresse verfaßt, sie ist von der Tochter des Weinhändlers Piepenbrink abgeschrieben.

OBERST. Ungefähr so habe ich diese Briefe beurteilt. Es ist unnötig zu fragen, ob Sie auch der Machinist sind, welcher mir die Bürger hergeschickt hat.

BOLZ. Wenigstens habe ich nicht abgeraten.


Von außen vielstimmiges Männer-Quartett.


Hoch, hoch, hoch!

Es lebt ein Ritter hochgesinnt

In unsrer Mauern Bann,

Ihn segnet jedes Bürgerkind

Den edlen, treuen Mann.[89]

Wer Hilfe sucht in Not und Leid,

Der ruft den Ritter wert,

Denn Liebe ist sein Waffenkleid,

Erbarmen heißt sein Schwert.

Wir feiern heut mit Sang und Wort

Ihn, aller Armen Schutz und Hort,

Den Oberst, den Oberst,

Den edlen Oberst Berg.

OBERST klingelt nach den ersten Takten des Gesanges. Karl. Du wirst niemand vorlassen, wenn du in meinem Dienst bleiben willst.

KARL erschrocken. Herr Oberst, sie sind schon im Garten, eine große Gesellschaft, es ist die Liedertafel, die Anführer stehen bereits auf der Treppe.

BOLZ der das Fenster geöffnet. Sehr gut gesungen, Herr Oberst – Templer und Jüdin – Es ist der beste Tenor unserer Stadt, und die Begleitung ist originell genug.

OBERST beiseite. Es ist zum Tollwerden! – Führe die Herren herein. Karl ab; am Ende der Strophe. Fritz Kleinmichel, zwei andere Herren.

FRITZ KLEINMICHEL. Herr Oberst, die hiesige Liedertafel bittet um die Erlaubnis, Ihnen einige Lieder singen zu dürfen. Hören Sie das kleine Ständchen als einen schwachen Ausdruck der allgemeinen Verehrung und Liebe freundlich an.

OBERST. Meine Herren, ich bedaure sehr, daß eine Erkrankung in meiner Familie mir wünschenswert machen muß, Ihre künstlerischen Leistungen abgekürzt zu sehen. Ich danke Ihnen für die gute Meinung und ersuche Sie, Herrn Professor Oldendorf die Lieder zu singen, die Sie mir zugedacht haben.

FRITZ KLEINMICHEL. Wir hielten es für Pflicht, zuerst[90] Sie zu begrüßen, bevor wir Ihren Freund aufsuchen. Um Kranke nicht zu stören, werden wir uns, wenn Sie erlauben, weiter vom Hause ab im Garten aufstellen.

OBERST. Tun Sie nach Ihrem Belieben. – Fritz Kleinmichel und die beiden andern ab. Ist dieser Aufzug auch von Ihrer Erfindung?

BOLZ sich verneigend. Wenigstens zum Teil! – Aber Sie sind zu gütig, Herr Oberst, wenn Sie alle diese Demonstrationen auf mich allein zurückführen; mein Anteil daran ist doch sehr gering. Ich habe nichts getan, als die öffentliche Meinung ein wenig redigiert. Diese vielen Menschen sind keine Puppen, welche ein gewandter Puppenspieler an den Drähten umherziehen könnte. Alle diese Stimmen gehören tüchtigen und ehrenwerten Personen an, und was sie Ihnen gesagt haben, das ist in der Tat die allgemeine Meinung der Stadt, das heißt, die Überzeugung der Besseren und Verständigen in der Stadt. Wäre sie es nicht, so hätte ich mich diesen braven Leuten gegenüber sehr vergeblich bemüht, auch nur einen von ihnen in Ihr Haus zu führen.

OBERST. Er hat wieder recht, und ich habe immer unrecht!

BOLZ sehr artig. Gestatten Sie mir noch die Erklärung, daß mir gegenwärtig auch diese zarten Äußerungen der allgemeinen Achtung unpassend erscheinen und daß ich den Anteil, welchen ich daran habe, höflich bedaure. Wenigstens heut hat ein Freund Oldendorfs keine Veranlassung, Ihren ritterlichen Sinn oder Ihre Selbstverleugnung zu feiern.

OBERST auf ihn zugehend. Mein Herr Doktor, Sie benutzen das Vorrecht Ihrer Zunft, rücksichtslos zu reden und Fremde zu beleidigen, in einer Weise, welche meine Geduld erschöpft. Sie sind in meinem Hause, und es ist eine gewöhnliche Rücksicht der gesellschaftlichen Klugheit, daß man das Hausrecht des Gegners respektiert.

BOLZ sich über einen Stuhl lehnend, gemütlich. Wenn Sie damit sagen wollen, daß Ihnen das Recht zusteht, unangenehme Fremde aus Ihrem Hause zu entfernen, so war es[91] unnötig, mich daran zu erinnern, denn Sie haben heut schon einen andern aus Ihrem Hause gewiesen, dem seine Liebe zu Ihnen ein größeres Recht gab, hier zu sein, als ich habe.

OBERST. Herr, eine solche Dreistigkeit ist mir noch nicht vorgekommen.

BOLZ sich verneigend. Ich bin Journalist, Herr Oberst, und nehme nur das in Anspruch, was Sie soeben das Vorrecht meiner Zunft nannten.


Großer Marsch von Blasinstrumenten. Karl schnell herein.


OBERST ihm entgegen. Verschließe das Gartentor, niemand soll herein.


Die Musik schweigt.


BOLZ am Fenster. Sie sperren Ihre Freunde aus, diesmal bin ich unschuldig.

KARL. Ach, Herr Oberst, es ist zu spät. Hinten im Garten stehen die Sänger, und vorn kommt ein ungeheurer Zug vor das Haus, es ist Herr v. Senden und die ganze Ressource!


Nach dem Hintergrund.


OBERST. Herr, ich wünsche, daß die Unterredung zwischen uns ein Ende nehme.

BOLZ aus dem Fenster zurücksprechend. In Ihrer Lage, Herr Oberst, finde ich diesen Wunsch sehr natürlich. Wieder hinaussehend. Ein brillanter Aufzug, sie tragen alle Papierlaternen. Auf den Laternen sind Inschriften! – Außer den gewöhnlichen Devisen der Ressource sehe ich noch andere. – Daß dieser Bellmaus doch niemals zusieht, wo er der Zeitung nützlich sein könnte. Schnell eine Brieftasche vorziehend. Die Inschriften wollen wir schnell für die Zeitung notieren. Zurücksprechend. Verzeihen Sie! – Ach, das ist höchst merkwürdig. »Nieder mit unsern Feinden!« – und hier eine schwärzliche Laterne mit weißen Buchstaben: »Pereat die Union!« Alle Wetter! Zum Fenster hinausrufend. Guten Abend, meine Herren!

OBERST zu ihm tretend. Herr, Sie sind des Teufels![92]

BOLZ sich schnell umdrehend. Es ist sehr gütig von Ihnen, Herr Oberst, daß Sie sich neben mir am Fenster zeigen.


Oberst tritt zurück.


SENDEN von unten. Was ist das für eine Stimme?

BOLZ. Guten Abend, Herr von Senden! – Der Herr, welcher die braune Laterne mit der weißen Inschrift trägt, würde uns sehr verbinden, wenn er die Güte haben wollte, dem Herrn Oberst die Laterne einmal heraufzureichen. Blasen Sie Ihr Licht aus, Mann, und reichen Sie mir die Laterne. – So, ich danke Ihnen, Mann mit der geistreichen Devise. – Die Stocklaterne hereinholend. Hier, Herr Oberst, ist das Dokument der brüderlichen Gesinnung, welche Ihre Freunde gegen uns hegen. Reißt die Laterne vom Stock. Die Laterne für Sie, der Stock für den Laternenträger. Wirft den Stock zum Fenster hinaus. Ich habe die Ehre, mich zu empfehlen. Wendet sich zum Abgang, begegnet Adelheid.


Männerchor wieder nahe »Es lebt ein Ritter hochgeehrt«, einfallender Tusch, vielstimmiges: der Oberst Berg soll leben, hoch!

Adelheid.


ADELHEID von der Seite links während des Lärms eintretend. Ist denn heut die ganze Stadt in Aufruhr?

BOLZ. Ich habe das Meine getan, er ist halb bekehrt. Gute Nacht!

OBERST die Laterne zu Boden werfend, wütend. Zum Teufel mit allen Journalisten!


Männerchor, Senden, Blumenberg und viele andere Herren – im Zuge an der Gartentür sichtbar, die Deputation tritt ein. Chor und Laternen gruppieren sich am Eingange.


SENDEN mit lauter Stimme, bis der Vorhang am Boden ist. Herr Oberst, die Ressource gibt sich die Ehre, ihr hochverehrtes Mitglied zu begrüßen.


Der Vorhang fällt während der letzten Worte.
[93]

Quelle:
Gustav Freytag: Die Journalisten. Stuttgart 1977, S. 66-94.
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