Zweite Szene.


[574] Zimmer Waldemars, wie im ersten Akt. Lichter.

Box und Bediente im Hintergrund, Graf Hugo eintretend.


HUGO. Nun, Boxi wie geht es Ihrem Herrn?

BOX. Ach, Herr Graf, das ist eine traurige Verwandlung! Seit er krank von seiner Reise zurückgekehrt ist, sitzt er den ganzen Tag finster und stumm, und kümmert sich um nichts, nicht um die Pferde, nicht um die Herrschaften, welche sich melden lassen. Die Kammerfrau der Frau Fürstin kommt täglich zweimal und bringt kleine Briefe; er aber hat nur einmal darauf geantwortet, und da schrieb er die Zeilen so nachlässig hin, und es war ihm ganz gleich, was für Papier ich ihm zu dem Briefe reichte. O, es ist sehr traurig!

HUGO. So ist er noch unwohl.

BOX. Am Geist mehr, als am Körper. Aber wie es mit ihm stehen muß, können der Herr Graf daraus schließen, daß sogar ich nicht mehr sein Vertrauen genieße. Es ist ein Geheimnis dabei, wer nur reden dürfte.

HUGO. Wenn hier ein Geheimnis ist, so werden Sie begreifen, daß ich dergleichen nicht von Ihnen zuerst zu hören wünsche. Melden Sie mich Ihrem Herrn.

BOX. Da ist er selbst. Zieht sich zurück.


Waldemar.


WALDEMAR. Du kommst pünktlich, ich danke dir. Ich habe einige von den Freunden eingeladen, mich zu zerstreuen.

HUGO. Du siehst leidend aus.

WALDEMAR. Ich bin müde, Hugo; ich nehme mir die Freiheit, mein Leben für albern zu halten, und mich selbst für einen Schwächling oder noch Schlimmeres.

HUGO. Niemand als du selbst dürfte mir das sagen. Diese Stimmung ist Folge deiner Krankheit.

WALDEMAR. Die Krankheit war nichts, ein Mückenstich,[575] der mir Fieber gemacht hat; aber was sie begleitete, das hat mir den Kopf zerrüttet. – O, es ist erbärmlich!

HUGO. Was ist erbärmlich, mein Freund?

WALDEMAR. Von seiner Schwester verflucht zu werden.

HUGO. Du hast ja keine Schwester.

WALDEMAR. Doch, ich hatte eine gefunden.

HUGO. Du? Und wo lebt sie?

WALDEMAR. Sie verkauft Blumen. Doch dein aristokratischer Sinn könnte sich darüber ärgern, hinweg damit! – Wein her! Wir wollen suchen die Sache zu vergessen. – Hugo, wir feiern heut meine Genesung.

HUGO. Und doch sehe ich, daß du sehr krank bist.

WALDEMAR. Nicht doch, Freund, es ist nichts, als das mißtönende Geklirr einiger Saiten, die in diesem Instrument schlaff geworden sind. Wein und Zerstreuung werden den Schaden ausbessern. – Ich hoffe dir eine Komödie vorzuspielen.


Randor.


Guten Abend, Randor; kommt Udaschkin?

RANDOR. Ich weiß nicht. Was hast du mit dem Vielfraß? Er ist seit deiner Krankheit ganz verändert, zerstreut und trübsinnig. Wenn es möglich wäre, daß er noch etwas anderes lieben könnte, als ein Austernfrühstück, so müßte man glauben, daß du die Ursache seines Grames bist.

HUGO. In der Tat hat er täglich unter den Anfragenden seine Karte selbst hergetragen.

RANDOR. Entweder hast du ihm einen Liebestrank eingegeben, oder du hast eine Sorte Wein im Keller, die er austrinken will, bevor du stirbst, und um die hat er sich gegrämt, das ist noch am wahrscheinlichsten.

HUGO. Oder er hat ein Duell annehmen müssen.

RANDOR. Nein, das würde er schon oft erzählt haben.[576] Aber vielleicht hat er sich mit seinem Koch geprügelt, der Koch soll ihn manchmal schlagen.

WALDEMAR. Ich glaube den Grund seiner Krankheit zu kennen. – Randor, wenn wir beisammen sind, läßt du wohl ein Kartenspiel anfangen, es greift mich am wenigsten an.


Henry und noch zwei Herren.


Ah, Henry, bringst du den Udaschkin?

HENRY. Er kommt, aber es hat Mühe gekostet, er hatte keine Lust heut auszugehen, wie er sagte; er spricht von seiner Abreise.

WALDEMAR. So? Lieber Hugo, ihr Freunde, noch schnell eine Bitte. Versprecht mir stets zu schweigen über alles, was Udaschkin und ich hier etwa zusammen sprechen.

RANDOR. Wie du willst, er wird ohnedies langweilig.

WALDEMAR. Gebt mir eure Hand, abgemacht! Ah, da ist er.


Udaschkin.


Mein Fürst, ich bin glücklich, daß Sie den Tag meiner Genesung feiern helfen, und ich rechne Ihr Kommen hoch an, denn ich höre, auch Sie sind leidend gewesen.

UDASCHKIN aufgeregt. In der Tat, ich fühle mich nicht wohl, allerlei Privatärger und Familientrauer. Waldemar vorführend. Nehmen Sie zuerst mein wärmstes Bedauern über den Unfall, der Sie betroffen hat. – Sie haben nicht allein gelitten, meine Schwägerin ist untröstlich. Sie wissen, daß ich etwas gespannt mit ihr stehe, aber ihre Angst ist so groß, daß sie sogar mich rührt. Sie sollten Ihre Freunde nicht so vernachlässigen, denn sie hat ohnedies Sorgen genug. Denken Sie, mein teurer Graf, zwei ihrer Domestiken sind verschwunden und nach ihrer Flucht ist eine solche Menge von Unterschleif und Nichtswürdigkeiten zu Tage gekommen, daß die Fürstin vor Schreck ohnmächtig wurde, von solchen Banditen umgeben zu sein.

WALDEMAR. Was Sie sagen! Entflohen, zwei Diener[577] der Frau Fürstin! Das ist auffallend. Ich sage Ihnen gelegentlich, weshalb diese Flucht auch mir ein Rätsel löst. Doch jetzt gehören Sie unsern Freunden. – Wein her! – Bediente präsentieren. Was tun wir, die Zeit zu töten?

HUGO. Laßt uns plaudern und medisieren.

HENRY. Oder mit Pistolen nach der Scheibe schießen.

WALDEMAR. In einer Krankenstube? das wäre sehr rücksichtsvoll.

HENRY. Nun, es ist nicht das erstemal, dort in der Tür steckt noch der Scheibennagel.

RANDOR. Nein, das ist nichts, bei Kerzenlicht schieße ich nicht um Geld. – Aber was quält ihr euch, Nichtswürdiges auszudenken? Nehmt die Karten, das ist offenbar das Ruchloseste von allem.

ALLE. Ja, gut, wir spielen.

WALDEMAR. Meinetwegen – Tisch und Karten! – Ein Spieltisch wird hereingesetzt. Mir erlaubt ihr, vom Sofa aus mitzuspielen. – Randor, setze für mich. Gibt ihm eine Tasche. Wer nimmt die Bank?

RANDOR. Udaschkin, das Glückskind, es ist sein Amt.

UDASCHKIN. Heut nicht. Nehmen Sie die Karten, Baron.

RANDOR. Ich kann nicht, ich bin ja Waldemars Vormund; es hilft Ihnen nichts, nehmen Sie, Udaschkin.

UDASCHKIN. Ich tu' es heut ungern. Sie gruppieren sich am Spieltisch.

RANDOR. Wie stark die Bank? Bei Euch, mein Fürst, muß man das fragen.

UDASCHKIN. Die Brieftasche hier und was ich sonst habe.

RANDOR. Gut, das lass' ich mir gelten. Sie spielen.

WALDEMAR der sich auf das Sofa gesetzt. Da kleben sie fest am Geld, wie ein Haufe Fliegen am Zucker, ein zweckloses, unnützes Geschlecht, ohne Mark im Rücken, mit sehr geringer Wärme im Herzen.

RANDOR. Welche Karte willst du setzen, Waldemar?[578]

WALDEMAR. Fünfzig Louis zur Sieben. – Randor, Henry, sie alle, was sind sie mir, und was bin ich ihnen? Schlechte Gefährten einer wilden Trunkenheit; mir ist, als hätt' ich einen Rausch ausgeschlafen, und die bleichen Gesichter der Genossen starren mich an, wie Larven.

RANDOR. Gewonnen, Waldemar!

WALDEMAR. Laß stehen. – Und was soll aus mir werden? Unsinnige Frage. Was kann aus mir werden? Nichts mehr, ich bin fertig gekocht durch den Sonnenschein des Lebens, ja ich fange bereits an, einen kleinen Beigeschmack von Fäulnis zu bekommen.

RANDOR. Gewonnen, Waldemar!

WALDEMAR. Laß stehen. – Ich sehe mich allein, allein, wohin ich blicke, eine grauenvolle Öde. Keine Tätigkeit lockt mich, es ist alles sehr unnütz und zwecklos. Ich fühle mich ohne Willen, wie gebannt glotze ich dumpf und schläfrig in eine ewige Finsternis, ohne Interesse, ohne Leben, o es ist kläglich, kläglich. Legt das Haupt auf den Tisch.

RANDOR. Wieder gewonnen, Waldemar! Er hört nicht – das Ganze zur Dame – huit et madame – Bei Gott, sechshundert Louisdor gewonnen, Waldemar!

UDASCHKIN. Die Taille ist zu Ende. Sie haben Glück, Herr Graf.

WALDEMAR. Wein her! Ich habe stets im Anfange Glück, um zuletzt Unglück zu haben. Bediente präsentieren, alle außer Udaschkin treten zu Waldemar.

RANDOR. Die Bank hat viel verloren.

WALDEMAR der Udaschkin beobachtet, sieht, wie Udaschkin heimlich ein Spiel Karten aus der Tasche zieht und verwechselt. Er will sein Glück verbessern, er wird jetzt falsch spielen. Seltsamer Gesell, er ahnt, daß ich ihm Unheil brüte, und doch flattert er wie eine Motte in die heiße Versuchung.[579]

RANDOR. Die zweite Taille beginnt. Worauf soll ich setzen, Waldemar?

WALDEMAR. Auf den König.

RANDOR. Wie viel?

WALDEMAR. Alles, was ich dir gab.

RANDOR. Teufel, das ist grob! Jetzt, mein Fürst, hütet die Bank. Dem Spiel folgend. Trois et deux – quatre et madame – roi et valet. Alles ist verloren, Waldemar.

WALDEMAR. Gut, fange auf, Randor. Wirft ihm eine Börse zu.

RANDOR. Was soll ich setzen?

WALDEMAR. Die Börse zum König. Tritt an den Tisch; kurze Pause, in welcher weiter gespielt wird; Waldemar ruhig fragend. Mein Fürst, seit wann haben Sie eine Nähterin zur Geliebten?

UDASCHKIN innehaltend. Wie so? Was meinen Sie damit, Herr Graf?

WALDEMAR. Weil Ihre Karten durchstochen sind. Alle springen auf.

ALLE. Durchstochen?

WALDEMAR die Taille ergreifend. Hier, hier und hier, der ganze Talon mit Stichen bezeichnet, dies sind falsche Karten, der Bankier hat falsch gespielt.


Alle treten schweigend auf eine Seite, der Fürst steht allein. Pause.


WALDEMAR ihm artig Brieftasche und Banknoten präsentierend. Hier, gnädiger Herr, Ihre Kasse und Ihr Gewinst. Mein Wagen steht bereit, Sie nach Hause zu bringen. Meine Freunde sind Männer von Ehre, sie haben ihr Wort gegeben, über alles, was hier vorgegangen, zu schweigen.

UDASCHKIN. Ich frage den Teufel nach euch allen. Ab.

WALDEMAR. Ihm nach, Hugo! Nimm dies kleine Messer, ich fand es damals, als ich erkrankte, zwischen meinen Rippen und den Falten des Mantels, es gehört dem Fürsten; gib es ihm zurück gegen die Papiere, welche hier angegeben sind. [580] Gibt ihm einen Zettel. Die Papiere sende morgen früh unter Kuvert zur Frau Fürstin. Eile, Hugo. Hugo ab.

RANDOR. Mir ist, als hätte der Blitz vor uns eingeschlagen. – Das war eine häßliche Komödie, die du mit uns gespielt hast Waldemar.

WALDEMAR. Das ganze Leben ist eine häßliche Komödie. – Ich bin müde, meine Herren. Gute Nacht.

RANDOR. Gute Nacht. – Randor, Henry, Gäste ab.


Box an der Tür.


WALDEMAR. Schaffe die Lichter fort, laß mich allein. Box mit Lichtern ab.

WALDEMAR allein, schenkt sich Wein in das Glas. Umsonst, auch der Wein widert mich an. Jeder Genuß wandelt sich vor meinen Lippen in das Gegenteil. Wie Tantalus stehe ich mitten in der Flut, und die Wasser gurgeln zur Tiefe rings um meinen dürstenden Mund, und die Früchte über meinem Haupte schnellen in die Höh', so oft ich danach greife. Das wird mir unheimlich! Zuerst erhalte ich statt eines Rendezvous einen Messerstich; ich trete von da hinein in das ruhige Glück ehrlicher Leute, und meine bloße Gegenwart bringt ihnen Schmerzen, Elend und Schande; ich gewinne ein Mädchen lieb, nicht mit den Augen, sondern endlich einmal recht schlechtweg von Herzen, und dasselbe Geschöpf Gottes flucht mir augenblicklich dafür und jagt mich von sich, wie man einen Hund von der Schwelle jagt, und wie ein Hund gehe ich auch. Das ist sehr seltsam! – Bah! Albernheit ist's, Blödsinn, krankhafte Schwäche! Und wer ist sie, das arme, unwissende Ding, diese Gärtnerstochter? Könnte ich sie nur verachten, mir würde besser. – Ich kann nicht, ich kann nicht! Die klare, sichere Empfindung, ihr jungfräuliches Vertrauen, es hat mich gefesselt an Arm und Bein, ich stecke in der Schlinge, wie eine erwürgte Drossel. – Ich will zu ihr – ich kann nicht beten, nicht schwören, nicht die Hände ringen, aber ich kann ihr sagen, daß mir in der Welt[581] an nichts mehr etwas gelegen ist, nur an ihrer Vergebung. – Kommt zurück. Tor, selbstsüchtiger Tor! Deine Nähe vergiftet, dein Gruß bringt ihr Verderben! Und kann selbst sie mich gesund machen? Ich wette, sie kann's nicht. Der Hauch ihres Mundes hat nur zusammengeblasen, was von toter Asche in mir lag, und jetzt drückt der ganze Wust des verkohlten Lebens auf mein Herz. – Dafür gibt's keine Hilfe, auf Erden keine, keine. – Stützt sich auf den Diwan. Holla, wer kommt? Herein, du später Gast, du wirst einen wunderlichen Gesellschafter finden.


Georgine durch die Tapetentür links.


WALDEMAR. Wer da! Kater oder Katze? – Frau Fürstin!

GEORGINE. Vergessen Sie heut, mein Graf, daß Georgine Udaschkin ein Weib ist; denken Sie, ich sei ein Mann, ein alter Freund, welcher kommt, seine Freundesrechte in Anspruch zu nehmen. Was die Welt Rücksichten nennt, zwischen uns darf das jetzt nicht gelten. Sie haben mich einst Ihre Freundin genannt; dies Zeichen des Vertrauens Den Schlüssel zeigend. ich habe es bewahrt! Ich komme zu Ihnen, um Vertrauen und Mitteilung zu fordern, von einem Kranken zu fordern, der sich selbst verloren hat.

WALDEMAR. Bei Gott, ein hochherziges Weib, und von ihr habe ich das nicht verdient.

GEORGINE launig. Ohne Umstände, lieber Graf, Ihn zum Sitzen auf den Diwan einladend und sich komisch auf eine Fußbank kauernd. ich heiße diesen Abend George und bin Ihr Trinkbruder, ohne Umstände, setzen Sie sich. – Sie rühmten einst meine fröhliche Laune, ich komme, sie Ihnen zu beweisen. Einen Anbeter habe ich in Ihnen verloren, bon! es tut gar nichts, ich bin liebenswürdiger als Freund, wie als Freundin. – Ich komme, Sie zu zerstreuen, Ihre Melancholie durch kleine Malicen wegzuplaudern, meinetwegen auch Sie in den Schlaf zu reden.

WALDEMAR ihre Hand fassend. Und doch zittert Ihre Hand und[582] Ihr Auge blickt unstet, auch Ihre Fröhlichkeit hat einen trüben Bodensatz um meinetwillen.

GEORGINE. So? Und rechnen Sie das Wegstück für nichts, bei einem so berüchtigten Korsaren einzudringen? Sie sollen merken, Graf Waldemar, daß der zitternde Ton meiner Stimme der einzige Überrest weiblicher Schwäche ist. – Und jetzt plaudern wir, schnell, damit Sie dies hypochondrische Gesicht verlieren. Erst werde ich Sie gesund machen, dann sollen Sie mit mir reisen.

WALDEMAR. Und wohin?

GEORGINE. Altfränkische Frage, in die Welt. Ich werde sehr leichtsinnig sein; niemand soll mich begleiten, als mein Windspiel Puck, der mir das Liebste auf Erden ist, dann Graf Waldemar, den ich manchmal wohl leiden mag, meine Kammerfrau, die ich in das Gesicht kratze. – Ich entführe Sie – prächtig! ich entführe Sie geheimnisvoll, und während die unbehilflichen, groben Menschen hier im Lande noch starr sind vor Entsetzen, ziehe ich Sie neckend über Berg und Tal, als ein Schmetterling, der eine Brummfliege reisen lehrt.

WALDEMAR mit Empfindung. Liebe Georgine!

GEORGINE zärtlich. So müssen Sie mich ansehen, in dem Blick liegt doch etwas Menschliches.

WALDEMAR ihr Haar berührend. Ein Schmetterling, das Gleichnis paßt.

GEORGINE vorwurfsvoll. Schwerfälliger, trüber Gesell! Sie wendet sich zu ihm und streckt die Arme nach ihm aus, die dunkle Hülle gleitet von ihren Schultern, zärtlich. Waldemar!

WALDEMAR der sich zu ihr niederbeugt, hält an, starr. Still, woher der Ton? Den habe ich schon sonst gehört.

GEORGINE. Was hast du?

WALDEMAR. Es war nichts. Meine Sinne sind schwach und meine Phantasie riecht selbst aus Rosen den Leichenduft. O sprich weiter, du schöne Fee![583]

GEORGINE. Waldemar, geliebter Mann!

WALDEMAR. Horch, da tönt's wieder, wie aus dem Grabe klingt die Stimme, sie ruft alte, klägliche Erinnerungen wach. – Laß mich dein Antlitz sehen! Starrt sie an, aufspringend, schreiend. Ha! ich kenne dich! – Blödsinniger Tor, dies Auge sah ich schon einst, so hob sie den Arm, so wies sie die Zähne, wenn sie lachte – und ihr Kind trägt sie in einem Korbe zum Nachbar und verschwindet. Weib, wer bist du? Du bist nicht von Fleisch und Blut, ein Dämon bist du, gesandt mich zu zerstören.

GEORGINE. Erkennst du mich jetzt, Graf Waldemar?

WALDEMAR. Man kennt sich wohl endlich wieder, auch wenn man sich verändert hat. – Hahaha! Jetzt sehe ich, wie's mit meinem Leben steht; eine Schlange, die sich in den Schwanz beißt und daran krepiert. – Das Ende und der Anfang kommen zusammen, der Kreis ist geschlossen, ich bin fertig. Wirft sich in die Rissen.

GEORGINE ihn schüttelnd, in Angst. Waldemar! Waldemar, sprich zu mir, nur ein Wort! Ein Wort, Waldemar!

WALDEMAR tonlos. O, schöne Frau, verzeihen Sie meine Unart, aber ich bin krank auf den Tod. –

GEORGINE beiseite. Meine Kraft geht zu Ende, ich werde verlieren, o Qual, bittere Qual! – Laß mich so nicht von dir gehen, Waldemar! Es könnte ein Unglück werden für uns beide!

WALDEMAR schweigt.

GEORGINE. Du schweigst? Du wendest dich ab? – An der Tür. Verräter! noch einmal sollst du mir ins Auge sehen, und dann nie wieder! Georgine ab.

WALDEMAR nach einer Pause. Mein Witz ist bankrott. Ich habe oft mit andern gespielt, jetzt bin ich ein Spielball geworden, für Weiber, Kinder und – Gespenster. – Ich bin am Ende, das will erkannt sein, und danach wollen wir uns richten. Was tut's auch, daß das letzte Kapitel des Romans kläglich war! Es liegt beim Teufel nichts an der ganzen Geschichte. – Schellt.[584]

BOX beiseite. Er ist allein!

WALDEMAR. Hole mir den Gärtner Hiller, sogleich.

BOX. Gnädiger Herr, er ist bereits hier, ich wagte nicht ihn zu melden, weil der Herr Graf allein sein wollten.

WALDEMAR. Schurke! – führ' ihn herein. Box ab. Auch diese Rohrdommel fängt an, die Federn gegen mich zu sträuben.


Hiller.


Ihm entgegen. Vater Hiller, willkommen in meinem Hause! Reicht mir die Hand, guter Mann; sprecht, habt Ihr einen Groll gegen mich?

HILLER. Keinen Groll, Herr Graf, aber schwere Sorge ängstigt mich und führt mich noch so spät zu Ihnen. – Die Mutter des Kindes ist zurückgekehrt.

WALDEMAR. Ich weiß es.

HILLER. Sie hat meiner Tochter gedroht, den Knaben von uns zu nehmen und ihm ein Leid anzutun. In großer Furie ist sie fortgegangen, und wir müssen jede Stunde das Ärgste erwarten. – Ich habe die Absicht, wenn der Herr Graf einverstanden sind, den Knaben mit meiner Tochter tief in das Land zu schicken, zu einer Schwester von mir. Dort mögen sie verborgen bleiben, bis ich das Grundstück verkauft habe und ihnen nachziehe.

WALDEMAR. Sie wollen fort von hier, Hiller?

HILLER halb abgewendet. Unser Wohnhaus wird baufällig, wir müssen ein anderes suchen.

WALDEMAR. Ich verstehe. Mit dem Fuße stampfend. Verflucht, da bin ich wieder! Hastig. Vater, ich habe ein Gut, am Gebirge, einen großen Park dabei und Gewächshäuser, dort fehlt mir ein Garteninspektor – geht hin, Vater die Luft ist gesund, es ist ein sicherer Ort, geht, Vater! Ich komme nur einmal im Jahre hin – ihr schüttelt mit dem Kopf? – Ich will gar nicht hinkommen, Vater, nie, nie, ich will's euch zuschwören![585]

HILLER sich zum Gehen wendend. Ich danke, Herr Graf, Sie meinen es gut, aber es geht nicht. Gute Nacht, Herr Graf.

WALDEMAR. Geht noch nicht, Hiller! Sagt mir, was macht Gertrud, wie sieht es mit dem Knaben?

HILLER. Sie sitzen in der Stube Ihres Türstehers und erwarten meine Rückkehr, Gertrud fürchtete sich, allein zu Haus zu bleiben.

WALDEMAR. So gehen Sie, Hiller. Morgen in der ersten Frühe komme ich selbst, oder ich sende Ihnen einen zuverlässigen Mann, der Ihnen helfen wird, wo Sie wünschen. Und noch eine Bitte: erlauben Sie mir eine Unterredung mit Ihrer Tochter?

HILLER. Mit meiner Tochter? – Sie wird kommen, Herr Graf.

WALDEMAR. Leben Sie wohl, Hiller! Hiller ab. Der Gram sitzt in seinen Zügen! Alles meine Arbeit! – Auch dies Letzte wird vergeblich sein. Er sieht nachdenkend.


Gertrud.


Weich. Gertrud!

GERTRUD geht bewegt auf ihn zu, reicht ihm eine Hand, dann die andere. Ich bin heftig gegen Sie gewesen, verzeihen Sie mir das! – Stützt ihr Haupt auf seine Schulter. Ich hatte damals gehört, Sie liebten eine andere, das hat mich zornig gemacht, nachher hat mir's sehr leid getan. Als aber heut die Fremde bei mir war, sagte sie mir höhnend: Sie wären mir gut, und ich, ich liebte Sie wieder. Da erkannte ich, wie es mit mir stand. – Ich muß Ihnen alles sagen, wie es gekommen ist, denn der Vater erwartet mich, wir müssen scheiden, und ich sehe Sie niemals, niemals wieder! Und so dachte ich mir, die letzten Worte, die Sie von mir hörten, sollten diese sein. – Leben Sie wohl, ich werde immer an Sie denken.

WALDEMAR wendet sich schweigend ab, verbirgt das Gesicht, Pause. Und Sie müssen gehen, Gertrud?[586]

GERTRUD. Ich muß.

WALDEMAR. Ich bin sehr krank, Gertrud.

GERTRUD weich. Ich habe gehört, lieber Bruder.

WALDEMAR. Und was soll ich tun?

GERTRUD. Sie sind wohl jetzt bitter und feindlich gegen Welt und Menschen, aber Sie müssen bereuen, was Sie Unrecht getan haben, und still und gefaßt tragen, was aus alter, wilder Zeit auf Sie fällt von Pflichten und Schmerzen. Sie müssen dafür leben, das gut zu machen, was sie versehen haben.

WALDEMAR lebhaft. Nein, Mädchen, was du sagst das kann ich nicht, ich kann nicht den Kopf hängen und seufzen: zehn Menschen habe ich unglücklich gemacht, zwanzigen muß ich jetzt helfen; solches Barfüßerleben kann ich nicht führen, ich kann nicht leben, wenn die Gegenwart mir nichts ist, als ein umgewendeter Magen der Vergangenheit, solch schwindsüchtige Resignation ist nichts für mich. Soll ich leben, so muß ich tüchtig leben auf meine Faust; zu jedem Unrecht, das ich je getan, muß ich sagen können: ich habe dich getan, ich tu's nicht wieder, und damit abgemacht; keck und freudig muß ich leben können auf frische Rechnung; nur dazu hier sein, um alte Schulden zu bezahlen, das kann ich nicht.

GERTRUD. Weil Sie das nicht wollen, deshalb quält Sie jetzt die alte Schuld.

WALDEMAR. Ja, beim Teufel, das tut sie, aber das muß ich ändern. – Sie vorführend, rasch. Gertrud, könntest du dir denken, an meiner Seite zu leben?

GERTRUD erschrickt.

WALDEMAR. – Alles mit mir zu teilen, was ich mein nenne? Namen, Stand, Reichtum, alles will ich dir geben.

GERTRUD liebevoll. Können Sie mir etwas Größeres geben, als was ich Ihnen dafür wiedergebe, meine Liebe? Es gibt ja nichts auf der Welt, was mir mehr wert ist. – Was Sie mir sagen, sehr hold klingt es in mein Ohr – aber es kann[587] nicht sein, es ist unmöglich. Zu ungleich sind wir im Herzen, Sie wollen mich nehmen, wie der Kranke eine Medizin nimmt, um gesund zu werden, und ich würde das wohl fühlen, und das könnte ich nicht ertragen. Und dann, als die Fremde bei mir war, da sah ich, daß etwas zwischen uns steht, wie ein Schatten, ich weiß nicht, was es ist aber es hält mich fern von Ihnen. – Und so kann's nicht sein, daß wir zwei zusammen kommen auf dieser Erde.

WALDEMAR. So geh' dahin, und lebe, wie du kannst. Weißt du ein Mittel, die Wunden zu heilen, die ich dir geschlagen?

GERTRUD. Ich werde arbeiten, und immer werde ich an Sie denken.

WALDEMAR. Gehe, Gertrud.

GERTRUD ihn küssend. O, lebe wohl, der erste und der letzte Kuß, lebe wohl! Ab.

WALDEMAR klingelt.


Box.


WALDEMAR. Welche Zeit ist?

BOX. Um Mitternacht.

WALDEMAR. Fahre zum Grafen Hugo, ich lasse ihn bitten, mich sogleich zu besuchen. Dann eilst du zu meinem Notar, auch dieser soll kommen und Zeugen mitbringen, es wird einer sein Testament machen.


Vorhang fällt schnell.


Quelle:
Gustav Freytag: Gesammelte Werke. Serie 1, Band 6, Leipzig/ Berlin [o.J.], S. 574-588.
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