Die Trennung

[348] Immo trat zu seinen Brüdern, welche, gewappnet in der Eisenhaube, die Rosse sattelten. Das Herz lachte ihm, als die hochgewachsenen Knaben sich so geschwind mit den Pferden tummelten. Da sah er, daß Odo den weißen Sachsenhengst herausführte, und ihm schoß das Blut nach dem Haupte, aber er bewältigte die Erregung in Mönchsweise, indem er schnell ein Vaterunser sprach; dann ging er an das Roß und sprach ihm leise zu, das Tier spitzte die Ohren und wieherte. »Einst gehörte das Pferd mir«, sagte er zu Odo, »und als ich schied, schenkte ich es unserem Bruder Gottfried.«

»Das tatest du«, versetzte Odo gleichmütig, »aber da es das beste Pferd im Hofe ist und für die Zucht wertvoll, so reite ich es lieber selbst; denn der Knabe ist unvorsichtig und tummelt sich wild, wo der Hengst zu Schaden kommen könnte.«

Immo schwieg, führte das Roß, welches ihm Herr Bernheri geschenkt hatte, aus dem Stall, sattelte es neben den anderen und begann: »Gefällt es euch, so reite ich mit.«

Die Brüder sahen einander an, und Immo merkte, daß eine stille Abweisung in ihren Blicken lag, endlich sprach Odo zu den anderen: »Da er als unser Bruder im Hof weilt, so mögen wir es nicht wehren. Doch nicht müßig reiten wir über das Feld, Immo, und für einen Gast aus der lateinischen Schule wird es ein langer Ritt, denn wir streifen über die Fluren wegen Sicherheit der Dörfer, sowohl in unserem Erbe als auch auf dem Lande der Nachbarn nach altem Brauch.«

»Ich kenne den Brauch«, versetzte Immo, »und möchte euch begleiten, wie ich zuweilen unserem Vater gefolgt bin.«

Odo nickte, aber Immo fühlte, daß es keine freundliche Einwilligung war, und die jungen Adalmar und Arnfried sprachen leise zueinander und lachten.[348]

»Wie kommt es, daß Gottfried uns nicht begleitet?« fragte Immo auf dem Roß.

»Er trägt nicht den Schwertgurt«, versetzte Odo kurz. »Vorwärts«, und in gestrecktem Lauf sprengten die Reiter aus dem Hofe.

Die Brüder sahen von der Seite prüfend auf Immos Reitkunst.

»Lang gefesselt sind die hessischen Pferde«, begann Erwin spottend, »übel steht ihnen die Bocknase.«

»Hättet ihr dem Bruder ein Roß aus der Hofzucht geboten, wie sich gebührte, so würde das fremde Gesicht euch nicht ärgern«, versetzte Immo und sah so finster auf den Tadler, daß dieser zur Seite ausbog.

»Ich habe nicht gehört, daß du uns das Begehren gestellt hast«, sagte Odo trocken.

»Freundlicher Sinn wartet bei dem, was sich geziemt, nicht auf die Bitte«, entgegnete Immo.

»Bei uns aber ist die Gewohnheit«, antwortete Odo, »daß der Gast am liebsten das eigene Pferd besteigt, dessen Tugenden er vertraut.«

»Ich lobe den Reiter«, rief Immo mit blitzenden Augen, »dem auch auf einem mäßigen Pferd ein guter Sprung gelingt. Folgt mir, ihr Knaben.« Er hob die Hand und setzte über Graben und Hecke, die sich längs dem Wege hinzogen. Sogleich folgten die Brüder einer nach dem anderen, nur Odo ritt gleichmütig auf dem Wege weiter, und als die Reiter zurücksprangen und lachend die aufgeregten Tiere zum Trabe bändigten, sagte er kühl: »Wir haben heut einen langen Ritt, und ein verstauchtes Bein wird uns hindern.« Aber das schnelle Wesen Immos gefiel doch den anderen, sie wandten sich seitdem vertraulicher zu ihm und hörten teilnehmend auf seinen Bericht über die Zucht der Klosterfüllen.

So ritt die Schar in scharfem Trabe über die Fluren, voran Ortwin, der Sprecher, zuletzt Erwin, der Marschall. Nahten die Reiter dem Wallgraben eines Dorfes, so blies Ortwin in ein Horn des Auerstiers, das er am Riemen trug, und sie sprengten in die Dorfgasse vor den Hof des Ortsmeisters, wo sie anhielten, bis der Mann heraustrat. Verschieden waren Gruß und Fragen, wenn er ein Freier und wenn er ein Höriger des Geschlechtes war. Auch in der Flur hemmten die Reiter den Trab, wo Arbeiter auf dem Acker schafften oder wo Hirten weideten; dann eilten auch diese heran und berichteten: ob fremdes Volk über die Fluren gestrichen, ob ein Diebstahl im Felde erkannt, ob ein Raubtier in die Gehege gebrochen sei und ob ein Wanderer neue Kunde aus der Welt getragen habe. Verwundert starrten die Landleute auf den fremden Reiter, aber wenn sie ihn erkannten, traten sie mit lautem Zuruf heran und boten ihm treuherzig die Hand, in den Dörfern drängten sich auch die Weiber und Kinder um ihn, und Immo hatte zuweilen Mühe, sich aus dem Haufen zu lösen, wenn Odo wartend nach ihm zurücksah.[349]

Über kahle Höhen und Gestrüpp ritten sie in einen alten Buchenwald und wanden sich zwischen mächtigen Stämmen, an denen selten die Axt klang, der Höhe zu. Dort gab Ortwin das Zeichen, aus der Tiefe vor ihnen antwortete ein ähnlicher Hornruf und wildes Geheul von Hunden. Die Reiter stiegen in ein Kesseltal hinab und sahen vor sich die Hütte, welche der Sauhirt für den Sommer aus Stangenholz und Rinde zusammengeschlagen hatte, und daneben das Gehege für die Schweine. Es war ein düsterer Ort, in den Vertiefungen des aufgewühlten Bodens stand sumpfiges Wasser, um welches sich die entblößten Baumwurzeln wie dicke Schlangen dahinwanden; das Roß Immos schnaubte und scheute vor der unholden Stätte. Ein riesiger Mann in einem Rock aus Fellen, mit hohen Lederstrümpfen und Schuhen, an denen noch die Haare hingen, kniete auf dem Boden, beschäftigt, einen toten Wolf abzubalgen. Er erhob sich, scheuchte die anspringenden Hunde und begann mit finsterem Lächeln: »Den alten Grauhund traf mein Holz diesen Morgen. Wollt ihr, daß die Herde nicht zersprengt werde, so helft selbst die Wölfe schlagen, ihr Herren, denn seit vielen Jahren haben sie nicht so arg zwischen den Hügeln geheult als in diesem Sommer; ich allein mit den Knechten vermag ihrer nicht Herr zu werden. Die Nachtgänger wissen, daß die Helden in der Ebene sich zur Kampfheide rüsten, und sie heulen nach ihrem Anteil an Lebenden und Toten.«

»Was hast du von der Herde verloren?« fragte Odo.

Der Knecht wies auf eingekerbte Zeichen an den Pfosten der Hütte. »Die Waldweide wird gut«, sagte er kurz, »und ihr könnt den Schaden ertragen. Ein fremdes Roß sehe ich«, fuhr er fort, »aber darüber zwei Augen, die einst meinen Wald so gut kannten als ich.«

»Sei gegrüßt, Eberhard«, rief Immo und faßte die Hand des Mannes.

Eberhard musterte den Arm. »Es ist eine Herrenfaust. Kommst du, festzuhalten oder wegzugeben?«

»Ich gedenke zu bewahren, was mir gefällt«, versetzte Immo.

Da erhellte sich das Gesicht des Mannes und er rief: »Ich dachte wohl, daß du von dem Glockenseil der Geschorenen zurückkehren würdest. Denn du gehörst zum Walde, und hier merkt der Mann andere Unsichtbare, welche ungern auf das Bimmeln der Ordorfer Glocke hören.« Er betrachtete die Brüder und fuhr dann fort: »Sechs Söhne Irmfrieds stehen vor mir, und allen weide ich mit meinen Knaben ihre Herden. Dennoch will ich wissen, wem ich selbst in Zukunft angehöre, und ihr sollt mir's kundtun.«

Die Brüder sahen einander lächelnd an. »Du sollst es wissen nach der Teilung.«

»Meint ihr den alten Knecht gleich seiner Herde durchs Los einem[350] unter euch anzuwerfen? Anders gedenke ich meinen Herrn zu finden. Steigt ab und folgt mir, ihr Jünglinge, denn ich will euch den Willen eures Vaters verkünden.« Er führte hinter die Hütte zu dem stärksten Eichbaum, den er mit Bündeln Astholz umschichtet hatte. »Seit acht Jahren liegt das Astholz an dieser Stelle, und jedes Jahr binde ich und schichte ich aufs neue, damit das Holz vor fremden Augen verberge, was mir das liebste Stück meiner Habe ist.« Als er geräumt hatte, sah man an dem Stamme eine Waldaxt, die mit starkem Schwunge eingetrieben war. »Diese Axt«, begann der Hirt, »schlug Herr Irmfried in den Baum, als er das letztemal zu seinen Ebern kam. Damals bot er mir eine Hand zum Abschiede, weil ich ihm ein treuer Knecht gewesen war, und die andere Hand legte er auf mein Haupt. Ich fragte unter seinen Händen: Herr, wenn Ihr nimmer keimkehrt, wem soll ich ferner dienen? Darauf sprach er: Deiner Herrin Edith, solange sie dir das Brot hinaussendet und dir das Lager bereiten läßt, wenn du im Winter zum Hofe kehrst. Ich antwortete: Das tue ich gern. Aber sieben Frischlinge laufen auf dem Hofe, und wenn mich die wilden Gewalten des Waldes bis zu dem Tage verschonen, an welchem ihnen die Eberzähne schießen, welchem der Jungen soll ich angehören? Laßt mich nur dem Besten dienen. Wer der Beste wird, weiß nur der Christengott, versetzte der Herr, nicht ich. Herr, sprach ich dagegen, der stärkste ist mir im Walde der Beste. Da sprach der Herr: Wenn der Tag kommt, wo die sieben miteinander zu deinem Baum treten, so nimm diese Axt, neu geschärft und mit neuem Stil, und biete sie meinen Söhnen dar, damit jeder von ihnen die Axt in diesen Baum schlage, mit dem besten Schwunge, den er vermag, der jüngste zuerst, der älteste zuletzt, so wie ich sie jetzt schlage. Und siebenmal sollst du selbst die geschwungene Axt aus dem Holze reißen, dabei prüfe, welcher von meinen Knaben am schärfsten schlägt; und der dir selbst als der stärkste erscheint, dem magst du dienen. Da hob Herr Irmfried seine Axt aus dem Sattelgurt und schlug sie in den Stamm, so wie sie jetzt noch hängt.« Die Jünglinge traten neugierig an die Waffe des Vaters. Der Alte aber stellte sich abwehrend davor und fuhr mit gehobenen Armen fort: »So bezeuge der Eichbaum und bezeuge die Herrenaxt, daß Held Irmfried mir solches Versprechen getan hat. Vor meinen Zeugen frage ich euch, ihr Söhne des Toten, ob ihr den Willen eures Vaters zu ehren gedenkt oder nicht.«

»Wir gedenken seines Willens«, antwortete Odo.

»So helft auch mir, daß ich danach zu tun vermag. Achtmal hat das Land gegrünt, niemand hat die Axt gehoben; das Eisen ist verrostet, das Holz ist herumgewachsen, ich selbst hütete sorglich meine Zeugen an ihrer Stelle. Jetzt aber naht die Zeit, wo ihr sieben zu euren Tagen kommt und im Schwertgurt das Erbe eures Vaters teilen werdet. Für diesen Tag muß ich den Stiel schnitzen und das[351] Eisen schärfen, und darum will ich, daß heut einer von euch die Herrenaxt heraushebe und mir in die Hand lege, damit ich mein Recht gewinnen kann.«

Da rief der junge Adalmar, nach dem Axtstiel greifend: »Gefällt es euch, Brüder, so schärfe der Knecht zur Stelle die Schneide, und heut schon prüfen wir die Kraft, damit er seinen Willen habe.«

»Mir aber gefällt es nicht, daß ihr leichtherzig an dem Stiele zerrt«, versetzte der Sauhirt finster. »Nicht alle seid ihr versammelt, der jüngste ist noch ein Kindlein, und ganz richtig begehre ich die Herrenwahl, wie euer Vater gebot. Heut will ich selbst einen von euch rufen, der zuerst nach seinem Vater den Stiel erfassen soll.«

Odo antwortete: »Wenn dein Ruf nur ein Spiel sein soll, das dir gefällt, so spreche ich nicht dawider.«

Da sprach der Hirt: »Ich aber wähle die Hand, die von Wolfsblut rot ist. Denn du, Immo, warst der einzige, der dem alten Knechte die Hand gereicht hat, wie dein Vater tat. Tritt an den Stamm und zucke dreimal, dann weiche zurück.«

Immo trat herzu und rückte gewaltig am Holzgriff. Beim dritten Zuge brach der Stiel, Immo aber riß das Eisen aus dem Baume, daß es auf den Grund fiel. Da hob der Alte das Eisen auf und betrachtete es kopfschüttelnd: »Eine Vorbedeutung erkenne ich für dich selbst, Immo; fest ist dein Griff, mit dem du die Herrschaft erwirbst, doch hüte dich, daß sie dir nicht bei hastiger Tat entgleite. Ich aber bewahre die Axt bis zu dem Tage, an dem sich der Knecht seinen Herrn sucht.«

Der Alte kehrte zu dem Wolfsbalg zurück, die Brüder schwangen sich auf die Rosse. Aus der Markung ihrer eigenen Dörfer führte Ortwin die Schar auf fremden Grund.

Wenige Wegstunden nordwärts umgab der Nessebach mit Teichen und sumpfigem Moor wie ein großer Wallgraben andere Höhen, an welchen fruchtbares Ackerland unter lichtem Laubwald lag. Auch dort waren alte Wohnstätten der Thüringe, während hinter ihnen im Norden viele angesiedelte Franken saßen, welchen der Graf von Tonna gebot; die Bauern vom Moor der Nesse aber hielten sich gern zu ihren Landgenossen am Walde. Sie waren stolz auf ihre Freiheit und wurden von den Dienstmannen des Grafen als altväterisch in Bräuchen und Bewaffnung verspottet. Denn sie zogen ungern zu Rosse ins Feld, auch wenn sie es vermochten. Aber sie waren auch als trotzige Gesellen in der ganzen Gegend gefürchtet, und man wußte, daß sie in Kriegsfahrten starke Fäuste bewährt hatten.

Seit alter Zeit bestand zwischen ihnen und dem Geschlecht des Irmfried, welches um die roten Berge wohnte, ein gutes Vernehmen. Niemand wußte zu sagen, woher das Bündnis kam, es war seit je[352] gewesen, und die Weisen sagten, daß es schon lange bestanden hatte, bevor die Ungarn ins Land brachen. Und es war ein alter Brauch, daß das Geschlecht Irmfrieds bei allen Fehden, welche die Dörfer mit den Nachbarn hatten, und auch bei Missetaten, über welche das Geschrei erhoben wurde, im Eisenhemd herzuritt und mit den Freien dort gemeinsam die Abwehr und Rache betrieb; dafür zog auch die Jugend der Dörfer dem Geschlecht mit Speer und Bogen zu Hilfe, wenn dieses mit anderen verfeindet war. Diese gute Nachbarschaft war den Grafen und den geistlichen Herrn unlieb. Denn die Landleute wehrten sich trotziger gegen jede neue Last, welche die Grafen auflegen wollten, und man sagte ihnen nach, daß sie auch heimlich abseit von dem Grafenstuhl untereinander Urteil fänden gegen ihresgleichen in schweren Fällen.

Als die Reiter dem ersten Dorfe nahten, erhob Ortwin den Horngesang, und sie fanden an Tor und Brücke die Alten des Dorfes aufgestellt. Odo ritt vor und wechselte mit ihnen alte Sprüche, welche den Freien am Wald eigen waren und anderen ungebräuchlich. »Im Sonnenschein, beim Wandel des Mondes, unter glitzerndem und fallendem Stern kommen wir zu euch wegen Recht und Rache.« Worauf die Bauern antworteten: »So grüße euch die Sonne, der Mond und der lichte Morgenstern, seid willkommen in unserer Burg.« Und als die Reiter abgestiegen waren, wurde ihnen ein Trunk gereicht und den Rossen Hafer in kleinen Krippen, dabei sagte der alte Bauer: »Freiwillig reitet ihr und freiwillig schütten wir den Hafer«, worauf Odo antwortete: »Und wenn wir nicht ritten, dann würdet ihr reiten, und wir würden euch den Hafer schütten.« Darauf besprach sich Odo heimlich mit den Alten, und die Schar brach zum nächsten Dorfe auf.

Als sie aus einem Gehölz herabkamen, um den Bach zu durchreiten, sahen sie vor sich eine hohe Rauchwolke aus niedergebranntem Hause aufsteigen. Ortwin hielt, und rückwärts gewandt sah er seinen Bruder Odo bedeutungsvoll an, dieser nickte, und die anderen Brüder tauschten leise Worte. Als sie nun weiter hinunterkamen zum Rand des Baches, fanden sie die Furt durch einen Wagen gesperrt, Hausrat, Leinwand und Kleider lagen unordentlich und halbverbrannt darauf. Ein bleiches, vergrämtes Weib hockte auf dem Sitz und hielt ein schreiendes Kind in den Armen, während der Mann mit verstörtem Gesicht und geschwärzten Händen vergebens auf sein Pferd schlug, damit das kraftlose Tier aus dem strudelnden Wasser die Höhe gewinne. Der Mann grüßte die Reiter mit scheuem Blick, aber gleich darauf rief er kläglich um Hilfe. Doch Odo wandte das Pferd ab, und die Brüder sprengten aufwärts zu einer anderen Stelle des Bachs, ohne den Gruß des Mannes zu erwidern und seine Not zu beachten. Immo, der im Kloster gewöhnt war, den Armen und Notleidenden Mitleid zu[353] erweisen, sprach den Brüdern zu: »Schmählich ist es, wegzureiten, während der Arme mit Weib und Kind im Wasser ringt.« Odo rief herrisch zurück: »Soll ich dir Gutes raten, so folge uns, ohne diesen anzureden.«

»Pfui über euch«, rief Immo wieder, »daß ihr ein Weib und Kind in der Angst zurücklaßt.« Er sprang ab, band sein Pferd an einen Baum und watete in das tiefe Wasser. »Treibe noch einmal«, riet er dem Manne und griff selbst mit voller Kraft in die Räder, die Peitsche knallte, der Mann schrie, und mit der Hilfe des Starken gelang es, den Karren aus dem Bach heraufzuführen. »Wer bist du?« fragte Immo, »und warum entfährst du hilflos der Feuerstätte?«

»Hunold bin ich genannt, wir gehören dem großen Bischof zu Erfurt. Sein Vogt hat mich auf neuer Rodung angesiedelt, im Frühjahr haben seine Leute mir geholfen, die Hütte zu bauen. In dieser Nacht wurde sie mir niedergesengt, und als der Hund in der Stube bellte und ich erwachte, war die Tür von außen verschlagen. Mit der Axt mußte ich sie unter loderndem Feuer aufbrechen, um diese zu retten. Einsam blieb ich während des Mordbrandes, kein Notschrei führte mir einen Helfer zu.«

»Und wo willst du hin, Unglücklicher?«

»Hinweg von hier, die Flur ist unheimlich für Fremde; den Herrn Vogt will ich anflehen, daß er mich ansiedle, wo es auch sei, nur weit von hier. Beschwerlich ist ein Lager unter den Disteln.« Das Weib heulte und das Kind schrie, Immo griff in den Beutel, den ihm der Abt geschenkt hatte, und legte der Frau eine Handvoll runden Silberblechs in den Schoß. »Aus dem Kloster seid ihr blanken, und in Klosterweise streue ich euch aus«, sagte er gutherzig. Er schüttelte sich das Wasser aus dem triefenden Gewande, sprang in den Sattel und ritt den Brüdern in gestrecktem Laufe nach. Als er ihre Schar erreichte, warfen die anderen finstere Blicke auf ihn und wandten die Gesichter ab.

»Seit wann beschützen die Söhne Irmfrieds den nächtlichen Mordbrand?« fragte Immo, zu Odo reitend, verächtlich.

»Nicht wir haben das Feuer entzündet«, versetzte Odo. »Kränkt dich, daß wir von einem Vogelfreien abwärts ritten, so kränkt uns deine hilfreiche Hand.«

»Galt euch der Mann als vogelfrei, so lobe ich den Brauch nicht, ihm Weib und Kind zu sengen.«

»Führt der Hahn sein Volk in die Burg des Fuchses, so büßt es Henne und Huhn. Ich riet dir nicht, unserem Ritt zu folgen.«

»Unwillkommen ist der Mahner«, rief Ortwin, »der unsere Bräuche nicht kennt.«

Und Erwin: »Dünkst du dich klüger als deine Landsleute, so wärst du besser bei den Mönchen geblieben.«[354]

»Kommst du, uns Mönchslehre zu geben«, spottete Adalmar, »so wirst du hier eine demütige Gemeinde nicht finden.«

»Wie die Eule schreist du deinen Warnungsruf, und dein Gesang klingt widerwärtig im Lande«, höhnte auch der junge Arnfried.

»Daß ich der älteste unter euch bin«, versetzte Immo, sich hoch im Sattel aufrichtend, »das will ich euch, ihr zuchtlosen Knaben, bewähren durch meine Lehre, die ihr mit Achtung hören mögt, und durch die Faust, mit der ich die Ungehorsamen strafe.« Sein Roß setzte im Sprunge zwischen die Schreier, und so gebieterisch war seine Haltung, daß die Jüngeren verstummten.

»Du irrst, Immo«, begann Odo, »nicht du bist der Erste im Hofe und auf unserer Flur, und nicht dir kommt es zu, die Knaben zu ziehen, sondern mir. Denn ich bin, da der Oheim uns verfeindet ist, der Älteste des Geschlechts, welcher ein Schwert trägt und auf Heldenwerk denkt, du aber wirst ein betender Pfaffe.«

»Ob ich dereinst ein geistliches Gewand tragen werde oder nicht, jetzt führe ich mein Schwert wie ihr, und die Ehre des Ältesten fordere ich als mein Recht, das nicht du und kein anderer mir nehmen soll.«

»Nicht die Jahre allein zählen wir, auch die Taten des Mannes«, antwortete Odo. »Während du auf der Schülerbank saßest, zog ich mit deinen Brüdern zum Kampf. Viermal hielt ich die Schildfessel im Grenzkriege gegen die Slawen, auch deine jüngeren Brüder sind mehr als einmal auf die Kampfheide geritten. Wo sind die Heldentaten, deren du dich rühmen kannst?«

»Ihr sahet zu, wenn Häuser brannten und Weiber in der Not ihre Arme hoben. Wenig vermag ich eure Kriegstaten zu loben«, rief Immo. »Fahret dahin auf eurem Weg, ich finde den meinen allein.« Er wendete zornig sein Roß und ritt seitwärts über die Flur.

Als Immo in beschwertem Mute dahinfuhr, hörte er aus der Ferne kunstvollen Peitschenknall, einen Gruß, den er wohl kannte. Er sprengte über das Brachfeld zu dem Acker, den Brunico, der Bruder des Mönches Rigbert, mit den Ochsen des Vaters pflügte. Der junge Landmann hielt an, Immo streckte schon von weitem die Hand aus, den Jugendgespielen zu begrüßen. »Denkst du der Reden«, sprach Immo, »die wir einst in unserem Hofe tauschten, daß wir miteinander im Eisenhemd reiten wollten?«

Brunico nickte. »Langsam wandeln die Ochsen, und langweilig dünkt mich, die Schollen zu treten.«

»Ich komme dich mahnen, ob du mit mir zum Heere des Königs ziehen willst als mein vertrauter Mann, der sich mir für die Schwertreise gelobt.«

Die Augen Brunicos glänzten. »Wenn der König und der Markgraf nur noch ein Jahr warten wollten, bevor sie aufeinander losschlagen, so wäre das besser wegen des Hengstes, auf dem ich[355] dich begleiten will. Denn das Roß ist noch jung für die Kriegsfahrt. Ich selber bin meines Vaters Sohn und sitze an seiner Bank. Und wenn ich auch etwas tun will, so bin ich doch der Worte nicht mächtig, um den Alten zu bereden; das mußt du wagen. Und dann gibt es noch jemanden, den ich gern darum früge.«

»Ist die Jungfrau aus eurem Dorfe?« fragte Immo lächelnd.

Brunico schüttelte das Haupt und wies nach Osten. »Weiter aufwärts am Bach. In der nächsten Nacht hole ich dort Bescheid.«

Als Immo die Schar der Brüder aus dem Dorfe reiten sah, lenkte er sein Pferd dem Hofe des Baldhard zu. Der Bauer stand in seinem Hoftor. »Sei gegrüßt, Immo«, rief er ihm zu, »einem Helden gleichst du auf deinem Rosse; reite ein, damit du der Mutter von ihrem Kinde erzählen kannst.«

Immo saß zwischen den beiden Alten, und vertraulicher als gegen sein eigenes Geschlecht sprach er zu ihnen vom Kloster und von der treuen Gesinnung des Rigbert. Frau Sunihild trug auf, was sie vermochte, um den Gast zu ehren, und pries ihn glücklich, daß er den Heiligen dienen sollte; doch in der Miene des Hausherrn erkannte Immo trotz der gutherzigen Weise eine Unzufriedenheit. »Manches Mal hast du mir Gutes geraten, Vater«, begann Immo, »auch heut begehre ich etwas von dir, was meiner Zukunft nützen soll.«

»Willst du Geheimes von mir hören«, versetzte der Alte, »so tritt hinaus ins Freie, denn der Wind, der über das Halmfeld weht, verträgt geheime Worte besser als die hallende Hauswand.« Baldhard führte seinen Gast aus der Niederung nach der alten Grenzeiche, die auf freier Höhe weit im Lande sichtbar stand. »Du kennst die Sage«, begann der Alte, »welche verkündet, daß um diese Eiche vorzeiten ein Lindwurm gehaust hat, welcher Feuer in die Höfe trug und sich die Menschen zum Fraß raubte, bis einmal ein starker Held mit seinem kleinen Sohn des Weges kam. Dieser setzte seinen Sohn auf einen Stein, und als der Arge herankam, das Kind zu holen, erlegte der Held den Wurm, aber ihn selbst verbrannte die flammende Lohe, welche aus dem Rachen des Untiers kam. Ein Weib aus unserem Dorfe drang mutig zu der Stätte, sie fand den Helden tot, den Knaben unversehrt unter brennendem Holz und versengtem Gras. Unsere Väter meinen, der Knabe sei von deinem Geschlecht gewesen und das Weib, welches ihn bewahrte und erzog, von meinem. Darum ist dies die Stelle, wo ich mit dir am liebsten vertraulich reden will.« Er trat unter die Eiche, wies nordwärts über die große Flur seines Dorfes und die benachbarten Markungen und begann: »So weit du hier das Land siehst, war einst alles freies Erbe handfester Männer, siehe zu, was die Kirche und die Grafen daraus gemacht haben. In allen Dörfern liegen jetzt die[356] Hufen unter verschiedenem Recht. Viele gehören den Mönchen deines Klosters, andere den Mönchen von Fulda, noch mehrere dem Erzbischof von Mainz, und was am leidigsten ist, viele auch den gräflichen Dienstmannen. Diese sitzen unter uns und sperren, wenn sie es vermögen, ihre Höfe mit einem Graben gegen das Dorf, obgleich sie vielleicht als unfreie Leute unter der Faust des Grafen stehen. Völlig zerrissen ist die Gemeinschaft der Dorfgenossen, schon sind an vielen Stätten unseres Stammes die Freien in der Minderzahl, alljährlich verschlingen die Kirche oder fremde Gebieter mehr von unseren Hufen und Behausungen. Wie sollen die Landleute noch zusammenhalten, wenn sie von allerlei Herren Befehle empfangen und um die Gunst verschiedener zu sorgen haben. Keine Dorflinde kenne ich, unter welcher der Friede bewahrt wird, bei jeder Fehde der Großen streiten die Genossen desselben Dorfes gegeneinander, und über jede Flur reiten fremde Herrenrosse. Wer aber mächtig ist, ob er die Kutte trägt oder den Schwertgurt, der weiß sich auszubreiten, wenn er sich einmal in einer Flur eingenistet hat. In unserem Dorf mißlang es den Fremden bisher noch, in den Bund der Freien einzudringen. Denn wenn die Grafen wider das Recht im Gemeindeholz gerodet hatten, um ihre Leibeigenen anzusiedeln, so weigerten unsere Knaben den Unfreien Gruß und Verkehr auf dem Anger und verbrannten bei Nacht die neuen Hütten.« Er sah mit einem wilden Blick nach der Seite, von welcher die Rauchsäule aufstieg. »Ich selbst habe einen Sohn auf den Altar gelegt, weil die Mutter das weinend von mir erbat, und ich hoffe, die Gabe wird den Heiligen willkommen sein. Auch bin ich nicht säumig, dem Kloster Spenden zu geben, und mehr als ein Füllen und manches junge Rind habe ich nach Ordorf geführt. Aber das Land, auf dem wir im Herrenschuh schreiten, wollen wir soweit es uns noch geblieben ist, vor den begehrlichen Mönchen bewahren, obgleich sie uns viel Günstiges in der großen Wolkenburg verheißen. Darum vernahmen wir Landleute mit Trauer, daß dein Geschlecht um deinetwillen eine gute Burg der Kirche übergeben will. Denn wir gedenken wohl, daß die roten Berge zur Zeit unserer Väter der ganzen Landschaft vor den wilden Ungarn Zuflucht gewährt haben. Damals lagen die Weiber und Kinder und das Herdenvieh unserer Dörfer in eurem Bergwall, und die Männer verschanzten die Talwege und die Höhen mit Verhau und Wasser und wehrten den Einbruch der grausamen Heiden siegreich ab Damals öffnete dein Geschlecht uns die rettende Burg, und seine Helden geboten im Kampfe. Jetzt aber sollen die Pfaffen dort herrschen, und niemand weiß, wem sie bei einer Fehde anhängen werden.«

Immo ergriff die Hand des Bauern. »Vater, so wie du denke auch ich. Wenn ich es zu hindern vermag, soll kein Geschorener auf der Mühlburg gebieten, nicht der Erzbischof und nicht ein anderer.«[357]

»Du selbst aber bist der Kirche verlobt?« fragte Baldhard erstaunt.

»Als Kriegsmann will ich zu König Heinrich reiten, wie sehr auch meine Mutter traure, und gerade deshalb komme ich zu dir.«

»Wahrlich«, rief der Bauer, dem Jüngling kräftig die Hand drückend, »jetzt gefällst du mir ganz und gar, Immo, und ich hoffe auch, obwohl du jung bist, daß du diesen Sinn bewahrst und in deinem Leben allem Herrendienst widerstehst.«

»Gefällt dir, was ich will, mein Vater«, fuhr Immo fort, »so hilf mir auch, daß ich's ausführe. Denn nicht als einzelner möchte ich dem König zuziehen, sondern mit der Jugend unserer Dörfer. Auch deinen Sohn Brunico, der einst mein Gespiele war, erbitte ich von dir für die erste Schwertreise.«

Baldhards Gesicht zog sich ernst zusammen, und er überlegte lange, bevor er entgegnete: »Willst du mit einem Gefolge, wie dir geziemt, zum Herr des Königs reisen, so siehe zu, ob dir manche unserer jungen Männer mit freiem Willen folgen, ich wehre dir's nicht und ich spreche nicht dagegen. Doch einen Heerdienst über das harte Maß, welches uns ohnedies aufgelegt ist, vermag ich auch nicht zu loben.«

»Vielleicht gefällt dir der Zug besser, mein Vater«, beredete Immo, »wenn du selbst an das denkst, was wir an deinem Herde über den bösen Willen der thüringischen Grafen sprachen. Denn ist der König in Bedrängnis durch die Untreue der Großen, so wird er es rühmen, wenn die freien Waldleute ihm jetzt ihre Treue beweisen, und darum mag der Zug euch in Zukunft frommen gegen die Grafen.«

»Verständig sprichst du, um mich zu überreden«, versetzte der Alte, »aber wer mehr tut, als ihm obliegt, der wagt vielleicht auch mehr, als ihm recht ist. Wenn der König seinen Feinden unterliegt, dann würden wir's büßen, daß wir mehr Eifer gezeigt haben, als uns geboten war. Darum dürfen unsere Knaben nur als Freigänger der Donau zuziehen, auf ihre eigene Gefahr und ohne Ladung der Gemeinde. Nützt uns ihr Zug beim Könige, so haben wir den Vorteil, im andern Falle tragen sie den Schaden. Ich sehe auch ungern, daß du meinen jüngsten Knaben zu deinem Roßdienst werben willst, und ich würde dir ihn am liebsten versagen. Aber ich gedenke, daß er mir nützen kann, wenn mein Geschlecht sich dem deinen wert erhält. Auch der Kriegskunst des Knaben kann es frommen, daß er einmal an deiner Seite sich im Schwertdienste übt. Dennoch fürchte ich für ihn die Verführung. Denn wenn er mit dir unter dem Rittervolk dahinfährt, werden ihm die roten Strümpfe der fränkischen Dienstmannen und ihr weißer Schwertgurt vielleicht gefallen, und er wird fortan lieber den Speer halten als den Pflugsterz. Ich aber kann nicht ertragen,[358] daß der ehrliche Bau in unserer Flur ihm verleidet wird. Darum gelobe mir, daß du meinen Knaben nur auf Jahr und Tag an dich bindest und daß du ihm, soweit du vermagst, sein Heimatdorf lieb erhältst und auch die Peitsche, mit welcher er einst auf seinem freien Erbe über Rinder und Rosse gebieten soll.«

Das gelobte Immo, und in gutem Einvernehmen verhandelten beide über die Fahrt zum König.

Als letzter kehrte Immo am Abend in den Saal zurück, die Brüder saßen zusammen an der Bank, beachteten seinen Eintritt wenig und sprachen leise miteinander. Immo sah finster über sie weg, begrüßte die Mutter, welche auf ihrem Stuhl seine Ankunft erwartet hatte, und setzte sich abseit. Ihm gegenüber hingen an der Wand die Rüstungen, welche sein Vater als Siegeszeichen aus dem Kriege heimgebracht hatte, daneben auch Slawenschwerter und Streitkeulen, die er noch nicht kannte. Er wußte, es waren Beutestücke seiner jüngeren Brüder. Da wurde ihm der Sinn noch mehr beschwert; er trat an eine Rüstung seiner Ahnen, hob das Schwert vom Pflock, trug es zu seinem Sitz, zog es aus der Scheide, prüfte seine Schärfe und legte es neben sich. Odo stand schweigend auf, nahm die Waffe weg und schritt zu dem Nagel, um sie aufzuhängen. Da fuhr Immo empor, riß dem Bruder das Schwert aus der Hand und rief: »Unheil bringe dir der Griff nach meiner Waffe, denn dieses Erbstück des Geschlechtes fällt nach dem Brauch dem Ältesten zu.«

»Vielleicht dem ältesten Kriegsmann«, versetzte Odo, »der aber bist du nicht. Besseres hat das gute Eisen verdient, als an der Seite eines Pfaffen zu hängen, der das Schwert nur trägt, wenn er seines geschorenen Haares vergißt.«

»Versuche es zu nehmen«, rief Immo, »so sollst du selbst erfahren, ob meine Hand es zu schwingen vermag.«

Gertrud, die zu den Füßen der Herrin saß, tat einen gellenden Schrei. Edith erhob sich aus ihren Gedanken, und als sie die Brüder kampflustig gegeneinander sah, wurde ihr Antlitz totenbleich, und sie stürzte zwischen die Hadernden: »Gib mir die Waffe, Immo«, rief sie und faßte die Scheide, »Unheil hängt an dem Eisen.« Sie löste die Waffe aus der Hand des Sohnes. »Wisset, ihr Zornigen, euer Vater selbst mied das Schwert, denn er trug es an einem Tage, der ihn oft gereut hat. Und als ein Unglückszeichen hängt es seitdem ungebraucht an der Wand. Harret der Zeit, wo das Los geworfen wird über diese und andere Habe, ich meine, keiner von euch wird dann noch lüstern sein, die Waffe an sich zu reißen.« Sie hing das Schwert an den Pflock und trat zu ihrem Sitz zurück, während die Söhne voneinander abgewandt gegen ihren Unwillen rangen.

Die Mutter, in deren Antlitz noch der Schrecken zuckte, gebot von der Höhe: »Töricht war euer Streit. Den Frieden des Hauses habt[359] ihr gebrochen, gleich unbändigen Knaben widerstrebt ihr einander. Reichet euch die Hand zur Versöhnung, damit auch ich euren Frevel vergesse.« Und da die Söhne unbeweglich standen, rief sie mit flammenden Augen: »Du zuerst, Immo, ich befehle es.« Widerwillig streckte Immo die Hand aus, die Odo ebenso ergriff. Ein langes unbehagliches Schweigen folgte, endlich begann Edith: »Sage mir, Immo, wie kommt es doch, daß du zu deiner Mutter so gar nicht von dem Kloster sprichst und von deiner Lehrzeit.«

»Du selbst weißt, Mutter, daß es nicht ziemet, die Geheimnisse des Klosters kundzutun.«

»Ist denn alles geheim, was ein Schüler dort erfährt?« fragte die Mutter. »Ich meine, nur die Mönche sind gebunden.«

»Auch mich bindet ein Gelöbnis, das ich vor Herrn Bernheri getan«, versetzte Immo.

»Dann lobe ich dein Schweigen«, fuhr Edith fort, »doch laß die Mutter noch eine Frage tun. Wie kommt es doch, daß du die frommen Väter zu Ordorf nicht begrüßt hast, da du doch sonst jeden Tag durch die Flur reitest? Mancher von ihnen kennt dich aus dem Kloster und von früher her, und mehr als einer will dir wohl. Und daß ich dir alles sage, der Magister war heut in unserem Hofe, deinetwegen kam er hierher, und er klagte, daß die Väter und die Scholastiker in seiner Zelle sich beschwert fühlen, weil du dich von ihnen fernhältst, obgleich du doch auf der Wassenburg mit den Dienstmannen verkehrt hast.«

»Gute Kundschaft haben die Mönche«, entgegnete Immo bitter, »und neugierig schleichen sie hin und her.«

»Du hast unrecht«, versetzte Edith, »guten Leumund haben sie im Lande.« Da Immo schwieg, fuhr sie fort: »Der Magister klagte, daß ein Bruder, der von dem großen Mann Tutilo gesandt ist, schwere Kunde aus dem Kloster gebracht habe. Von hartem Zwist der Mönche sprach er, und daß viele aus dem Kloster scheiden wollten. Auch dem Boten des Tutilo lag es sehr am Herzen, daß du in die Zelle nach Ordorf kämest.«

»Wenn ein Bote Tutilos mich ladet«, rief Immo, »so wird er vergeblich harren. Er mag seine Botschaft, wenn er es wagt, hierher zu meinen Ohren tragen.« Immo schritt aus der Halle in Mißbehagen und Sorge. Er gedachte einer guten Lehre des Bertram, die er nicht befolgt hatte. Weil er der Mutter und den Brüdern am ersten Tag seinen Willen verborgen hatte, fand er sich in Widerwärtigkeiten verstrickt. Auf den Beifall der Brüder durfte er nicht mehr hoffen, und das Herzeleid der Mutter ängstigte ihn jetzt viel mehr als auf der Reise. Dennoch erkannte er, daß er seinen kriegerischen Sinn nicht länger bergen durfte, und er beschloß, am nächsten Tage sich zuerst den Brüdern mit versöhnlichem Gemüt zu eröffnen und darauf der lieben Mutter. Als er aber nach wortkargem Abend in[360] seinem Schlafgemach wieder den Weihrauch roch und die Kerze und die gestickte Herrendecke sah, da bedrängte ihn die Ehre schwer, und auch am anderen Morgen machten ihm die zwitschernden Vögel und der pfeifende Knabe das gepreßte Herz nicht leichter.


Auf einem Vorsprunge des Mühlbergs waren die streitbaren Söhne Irmfrieds versammelt, dazu die Dienstmannen, welche die Burg und die Warttürme der nächsten Höhen besetzt hielten. Hinter den Männern erhob sich die starke Burgmauer, welche die beiden Türme und das hohe Dach eines Herrensaals umschloß, seitwärts ragten die Gipfel und Bergleiten des langgezogenen Ringwalls. Gerade unter dem Vorsprung war der Ring gegen das Tal geöffnet, gegenüber dem Mühlberg stand ein hoher Vorberg, gekrönt mit festem Turme, die beiden Höhen beschützten gleich Schanzen den Zugang. Durch die Talöffnung dazwischen warf die Abendsonne ihr Licht in die umschlossene Tiefe, auf Ackerstücke und Wiesen, und auf den großen, mit hohem Rohr bewachsenen Teich, über welchem dichte Schwärme von Staren und Wasservögeln auf- und niederflogen in unaufhörlichem Schwatzen und Zanken. Hoch aber über ihnen zogen zwei Bergadler ihre Kreise, bis sie in die Wolken der flatternden Vögel hinabstießen, ihre Beute zu holen, dann schrie und rauschte der ungeheure Schwarm und stob in wildem Getümmel auseinander.

Immo stand seinen Brüdern gegenüber. Er sagte ihnen, daß er für die Tage seiner Zukunft den Schwertgurt gewählt habe statt der Stola, und er bat sie mit herzlichen Worten, ihn als Bruder in ihre Genossenschaft zu nehmen und ihm als sein Recht die Ehren des Ältesten zu gewähren und seinen Anteil am Erbe. Er gestand ihnen auch, daß er dem König zuziehen wolle, und daß seine Ehre nicht gestatte, als Landloser unter den anderen Edlen zu reiten.

Als er seinen Willen verkündete, ein Kriegsmann zu werden, riefen ihm die Dienstmannen Heil und schlugen ihre Waffen zusammen, die Brüder aber standen mit umwölkter Stirn und waren nicht willig, ihm nachzugeben. Endlich begann Odo: »Hat sich dein Sinn so gewandelt, daß du gegen den Willen der Eltern ein Kriegsmann werden willst, so siehe zu, wie du dich vor unserer Mutter entschuldigst. Darüber mit dir zu rechten, steht uns Brüdern nicht zu. Die Teilung des Vatererbes aber vollbringen wir erst in Jahr und Tag, wenn das Kind Gottfried sein Schwert trägt und bei der Teilung als Jüngster sein Recht ausüben darf, vorweg zu wählen. Denn so ist es beschlossen, und wir alle haben uns seither in der Gemeinschaft wohl befunden. Die Mühlburg hatten wir widerwillig auf das Bitten der Mutter von dem Erbteil ausgeschieden, doch nur für den Fall, daß du die Pflicht der Weihen über dich nimmst, welche das Geschlecht dir aufgelegt hat. Weigerst du dich, dein Haupt zu scheren, so bestehen wir anderen darauf, daß die[361] Burg uns allen gemeinsam bleibe bis zur Teilung. Die Herrschaft aber im Geschlechte, über Dienstmannen und Höfe gestehen wir dir nicht zu, obgleich du an Jahren der älteste bist, denn aus dem Kloster kommst du, fremd dem Lande und fremd kriegerischer Sitte, und wir vermögen keinem, der von der Schülerbank entlief, die Sorge um unser Wohl und Wehe zu übergeben. Ziehe du dem Heere des Königs zu, wenn dich der Wunsch übermächtig treibt, versuche, ob du dort als Ältester Ehre gewinnst. Im Walde aber und im Tale der Heimat behaupte ich bis zur Teilung mein Recht, die Brüder und Mannen zu führen.«

Immos Hand ballte sich, und das Blut schoß ihm zum Haupte, aber Berthold, der alte Dienstmann, welcher in der Mühlburg gebot, trat schnell in den Ring und begann gegen Odo: »Traurig ist dieser Tag für einen Alten, der euch beide auf dem Arme hielt, als ihr noch lachende Kinder waret. Euch Herrensöhnen steht wohl an, heiß nach Ehre und Macht zu streben, doch hörte ich den Mann noch höher rühmen, der sich friedlich mit seinem Geschlecht verträgt. Aber deiner Rede, Herr Odo, muß ich widerstehen. Denn nicht zwischen euch allein schwebt der Streit, auch uns verdirbt er das Leben. Das Erbe des Vaters mögt ihr teilen, wann es euch gefällt, über die Ehre des Ältesten aber müßt ihr euch zur Stelle entscheiden. Das fordern wir, die wir euch dienen, als unser Recht. Ihr ladet uns und gebietet, daß wir auf die Kampfheide ziehen und gegen jeden streiten, der euer Feind ist, und jeden ehren, den ihr ehrt. Dem Geschlecht Irmfrieds haben wir Treue geschworen, und wir folgen, solange das Erbe ungeteilt ist, dem Ältesten. Bisher warst du, Odo, uns der Älteste. Jetzt aber steht ein Bruder, der an Jahren dir voraus ist, im Schwertgurt gegen dich und begehrt sein Geburtsrecht. Euch beiden zugleich vermag keiner von uns zu gehorchen, wenn ihr uneinig seid. Und ich sage dir, wir Dienstmannen müssen, bevor die Sonne untergeht, den Herrn erkennen, welchem wir fortan folgen. Darum vertragt euch zur Stelle gütlich, was ich herzlich wünsche, oder entscheidet euren Streit, wie Helden geziemt, indem ihr ein Urteil sucht vom Himmel oder von der Erde oder von eurem Schwert.«

»Gut spricht der Alte«, rief Immo. »Ich biete dir die Hand zur Versöhnung, mein Bruder, behalte du bis zur Teilung das Recht der Erstgeburt in allen Höfen, ja auch unter den Nachbarn, welche uns freiwillig ehren; mir laßt die Burg mit den Bergen und den Dienstmannen, bis in Jahr und Tag das ganze Geschlecht sich gütlich vergleicht.«

»Hältst du die roten Berge in deiner Hand«, versetzte Odo, »so bleibt das Geschlecht in der Ebene wehrlos, und die Mutter und die Brüder mögen büßen, was dein wechselnder Sinn ihnen erfindet. Nötig scheint mir, daß in dem Kriege, der jetzt entbrennt, Land und[362] Leute in einer Hand stehen, damit nicht auf dem Grunde unserer Väter der Kampf zwischen Brüdern beginne. Darum vermag ich nicht nach deinem Willen zu tun, selbst wenn ich dir bessere Gesinnung gegen uns zutraue, als du zeither bewiesen hast, und bevor ich dir nachgebe, hole ich ein Urteil von meiner Schwertseite.« Er griff nach dem Schwert, die Brüder sammelten sich um ihn.

»So bezeugt mir, ihr Helden, die ihr meinem Geschlechte dient«, rief Immo in aufbrennender Wut, »bezeuge mir, hoher Himmel, und du, Grund meiner Väter, daß ich den gerechten Stolz gebändigt und ihm nachgegeben habe, soweit ich vermochte, und daß er mich schmäht und meinen guten Willen verachtet. Entehrt vermag ich nicht zu leben, das Blut des Bruders scheue ich mich zu vergießen. Darum fordere ich ein Urteil vom Himmel oder aus der Tiefe. Besser ist es, daß einer von uns beiden dahinschwinde, als daß das ganze Geschlecht in Zwist verderbe. Seht euch um, ihr Männer, wo ihr steht, die roten Berge gleißen und leuchten zu der Herrenwahl, und die in der Erde hausen, rüsten sich, einen Helden zu empfangen.« Er wies vor sich hin, die Tiefe lag in grauem Dämmer, der Dunst auf Wasser und Wiese schied den Bergring von der Ebene; wie abgelöst vom Boden schwebten die Gipfel in der Luft, und in der Abendsonne leuchtete das Erdreich gleich glühendem Metall.

»Gewaltig sind die Worte, die du in der Schule gelernt hast«, warf ihm Odo mit düsterem Blick entgegen, »doch schwerlich gleicht ihnen die Tat. Du warst behend, über geschorene Köpfe zu hüpfen, aber denke nicht, dich ebenso mit leichtem Fuß in die Ehre des Geschlechts zu schwingen.«

»Verhöhnst du meine Sprünge«, schrie Immo außer sich, »so wage auch du mir einen Sprung nachzutun, den ich jetzt um mein Recht wage. Das Gottesurteil hole ich von dem Boden unserer Väter, vertraust du deinem Rechte, so folge mir nach oder entweiche.« Er wies nach der Seite.

Dort gähnte wenige Schritte von den Männern ein Erdriß, der nahe am Gipfel begann und sich bis zum Fuße des Berges hinzog. Vielleicht hatte das herabstürzende Wasser die Kluft geöffnet, vielleicht hatte unterirdische Gewalt das Gefüge des Bodens gesprengt. Die Stelle war unheimlich, und die Leute wußten, daß sich die Schlucht in mancher Zeit schloß und wieder öffnete, sooft Unheil die Landschaft bedrohte. Nackt und kahl starrte das wilde Erdreich in dem Spalt, kein grünes Kraut haftete darin, nur beim Gewitterregen rauschten schäumend die Wasser in trübem Schwall hinab und führten den roten Schlamm über das lichte Gehölz und den Wiesengrund. Ungern klomm jemand längs dem Riß hinab, denn man sagte, daß dort der Eingang in das Innere des Berges sei, und daß böse Gewalten aus dem Reich des alten Gottes das Tor hüteten. Mehr als einer der Burgleute hatte bei Nacht ihr Geschrei gehört,[363] Schnauben der Rosse und Bellen der Hunde, und viele hatten im Abendlicht erkannt, wie große Rudel von Wölfen hinein- und herausfuhren. Jetzt gerade war der Riß auf der Oberfläche breiter als wohl sonst, an manchen Stellen so tief, daß man von oben in das Innere des Berges hineinzusehen meinte.

Immo sprang an den Schlund, aber Berthold lief ihm nach und schlang die Arme um ihn. »Halt ein«, rief er, »greulich ist die Stelle, kein Menschenfuß vermag die Tiefe zu überfliegen, fürchte die Unsichtbaren, welche dort unten lauern.«

Aber Immo schüttelte den Alten ab und rief: »Den guten Gewalten meines Lebens vertraue ich, ob sie mir gnädig sind. Sieh her, Odo, der Springer schwingt sich in sein Erbe, folge mir, Kriegsmann, wenn du vermagst.« Und weit ausholend setzte er in mächtigem Schwunge über den Schlund. Erschrocken sahen die Männer die wilde Tat, als er aber am anderen Rand des Schlundes auf die Knie sank und die beiden Arme gegen die untergehende Sonne hob, da schrien die wilden Genossen lautes Heil und zogen die Schwerter. Im nächsten Augenblick verstummten die Rufe, der Leib eines Mannes sank mit schwerem Fall, Odo stürzte in die Tiefe. Immo wandte sich um, und Entsetzen durchfuhr ihn, als er den Bruder undeutlich unter sich liegen sah. Die jüngeren Brüder liefen abwärts, die Gewappneten drängten sich mit starren Blicken um den Spalt. Sobald aber Immo erkannte, daß Odo, der weiter abwärts an das Licht getragen wurde, die Glieder regte und sich auf die Schulter eines Bruders stützte, hob er sich empor auf den Vorsprung, der untergehenden Sonne zu, riß das Schwert aus der Scheide, schwang es dreimal gegen die Sonne und rief: »Zu mir, ihr Helden. Von der Sonne holten meine Ahnen ihr Recht und von keinem geborenen Manne. Bezeuge mir, milde Herrin, daß ich als rechter Erbe Besitz ergreife von Burg und Herrschaft.«

Die Schatten der Nacht lagen auf dem Lande, und dunkle Wolken verdeckten das Sternenlicht, als Immo in den Hof zurückkehrte. Vor der Tür harrte seiner der jüngste Bruder. »Wie geht es dem Gestürzten?« fragte Immo. »Er sitzt zerschlagen im Saal«, antwortete der Knabe traurig. Immo atmete tief und stieß die Tür auf, die Mutter saß bleich auf ihrem Sitz, die Brüder schweigend an der Bank.

Als Immo auf der Schwelle der Mutter gegenüberstand, erhob sie sich, riß das Schwert, welches sie den Abend vorher den Händen des Sohnes entwunden hatte, von der Wand und schleuderte es zwischen sich und Immo auf den Boden. »Hier nimm, was dir zukommt«, rief sie, »die Teilung des Erbes suchst du bei den bösen Geistern des Abgrundes. Das Recht des Ältesten begehrst du an Leib und Leben deiner Brüder. Dem Helden, der so mannhaft denkt, gehört die unheilvolle Waffe; prüfe die Schneide, du Held. Erkennst[364] du alte Rostflecke darauf, so wisse, daß die Waffe schon einmal von Bruderblut gerötet ist.«

Immo trat einen Schritt auf Odo zu. »Mich reut der wilde Zorn, mein Bruder, und groß war meine Angst, als ich dich in der Tiefe sah. Zur Stelle fühlte ich schweres Leid. Daß ich dich wiederfinde, nimmt mir das Grauen von der Seele.«

Aber Odo sah finster vor sich hin und antwortete nicht.

»Ich lobe die Entschuldigung«, rief Edith bitter, »welche eine Untat abbläst wie den Staub der roten Berge. Und da wir alle hier gesellt sind, das ganze Geschlecht Irmfrieds mit freundlichem Herzen und guter Meinung zueinander, so vernehmt eine Sage, meine Söhne, welche die Mutter am Feierabend für euch bereit hält. Einst, da ich Jungfrau war im Vaterhause, dachte ein junger Held der Thüringe darauf, ein Sachsenmädchen zur Hausfrau zu werben, und der Vater war ihm wohlgeneigt. Da kam der ältere Bruder des Jünglings, mächtiger an Gut und Ehren, von einem Kriegszuge in den Sachsenhof, dieser gewann größere Gunst des Vaters und erhielt die Jungfrau zum Weibe. Unter den Brüdern entbrannte Feindschaft, in den Mauern ihrer Stammburg zogen sie gegeneinander die Schwerter, und der jüngere wurde durch die Waffe des Bruders schwer getroffen. Seitdem ahnte den Gatten Übles für die Zukunft, und sie meinten den Zorn der Ewigen zu versöhnen, wenn sie das erste Kind dem Dienst des Himmelskönigs weihten. Dies Kind warst du, Immo. Heut aber trug ein Bruder deines Klosters mir die Kunde zu, daß du am Altar der Heiligen die Hand gegen einen Geweihten erhoben hast und als ein Missetäter aus dem Kerker des Klosters entwichen bist.«

»Den Tutilo schlug ich am Altar nieder«, rief Immo dagegen, »weil er die Faust gegen seinen Abt ballte und gegen mich selbst die Geißel schwang. Wurde die heilige Stätte entweiht, nicht ich war der Verbrecher, sondern er. Und wagt der Babenberger mir noch einmal gegenüberzutreten, bei allen Heiligen des Himmels, wo es auch sei, ich tue ihm dasselbe. Du selbst aber weißt, daß ich nicht aus dem Zaun des Klosters gebrochen bin, sondern durch den Abt in Freiheit zu dir gesandt.«

»Nicht als ein Freier kehrtest du in das Haus deiner Väter, als Geweihten des Herrn begrüßten wir dich, und du täuschtest die Mutter durch unwahren Bericht.«

»Das tat ich nicht«, rief Immo. »Als ich die Freude sah, mit der du auf meine Weihe hofftest, da wurde mir allzu schwer, dir zu sagen, daß ich die Stola für mich nicht begehre. Heut aber bekenne ich dir's, obwohl du zornig bist. Ich vermag nicht den Heiligen zu dienen, wie du begehrtest.«

»Ungehorsam willst du sein deinen Eltern und treulos gegen den Himmelsherrn«, rief Edith heftig.[365]

»Gehorsam wirst du mich finden in allem, worin der Sohn seiner Mutter gehorchen darf, und um die Gnade des Himmelsherrn denke ich als ehrlicher Kriegsmann zu werben. Aber ein Pfaff werde ich nicht.«

»Als ich dir das erste Gewand auf deinen Leib zog, habe ich dich dem Dienst der Heiligen gelobt. Wie darfst du wagen, das Gelübde deiner Mutter unwahr zu machen?«

»Hast du dein Kind zum Opfertiere geweiht, um dich von der eigenen Not zu lösen«, rief Immo, »so siehe zu, ob du ihm seine Hörner zu binden vermagst. Ist das die Liebe der Mutter, daß sie den Sohn in das Elend stößt und mit seinem Haupte die Buße bezahlt, um sich selbst das irdische Heil zu sichern?«

Edith zuckte wie unter einem Schlage, ihr Antlitz erblich, als sie sprach: »Eines Gottlosen Stimme höre ich. Für ein Elend gilt dir der heilige Dienst, und einen Verstoßenen nennst du dich, während ich dir das Beste bereiten will, was dem Menschen auf dieser Erde vergönnt ist. Mein bist du, von meinem Leibe kommst du, und meine Treue hat dir das Leben bewahrt. Wem gehörst du an, wenn nicht deiner Mutter?«

»Gabst du mir das Leben, so gabst du mir doch nicht denselben Wunsch, der dir die Seele füllt. Nicht nach deinen Gedanken vermag ich zu wandeln, Liebe und Leid fühle ich anders als du und dem eigenen Willen gedenke ich fortan zu vertrauen, wenn ich auch deinen Rat ehrfürchtig höre.«

»Bist du so frei von der Pflicht gegen die Mutter und gegen dein Geschlecht, so vergiß auch, wer dich laufen lehrte und wer dir zuerst die Worte deiner Rede vorsprach, vergiß, daß du ein Sohn des Irmfried und der Edith bist, und wandle dahin gleich einem Vater und Mutterlosen, der irgendwo am Wasser oder unter dem Baum gefunden ist. Alles Gute, das dir von der Mutter und den Ahnen kommt, willst du für dich nützen, deines Geschlechtes willst du dich rühmen, und wenn sie dir sagen, daß dein Antlitz dem deines Vaters gleicht, willst du lachen und nicken. Aber was dir von Pflichten obliegt als dem Sohne deines Hauses und dem Kinde deiner Eltern, dem willst du dich frevelhaft entziehen. Ich lobe die Klugheit, Immo. Doch wisse, du Freier, wenn du deine Pflicht gegen die Mutter verachtest, so naht der Tag, wo die Mutter sich deiner schämt.«

Mit glühendem Antlitz sprang Immo zurück: »In der Halle meiner Väter höre ich die Kuttenträger zischen; sehnsüchtig kam ich her und begehrte die Liebe der Mutter und der Brüder; geschwunden ist die Treue, kalte Hohnrede vernahm ich von den Lippen der nächsten Verwandten. Lenke du den Flug deiner Nestlinge, Mutter, wie es dir gefällt, mir aber hast du den Sinn verwandelt und unter den wilden Tieren will ich lieber hausen als hier.« Er sprang aus[366] der Tür und über den Hof, riß sein Pferd aus dem Stalle, hob den Balken des Hoftors und sprengte über die Brücke, während die Mutter in der erleuchteten Halle stand und die Hände über ihr Herz preßte. »Eilt ihm nach«, befahl die Mutter, »daß seine Seele nicht unter den bösen Geistern der Nacht verderbe.«

»Wie mögen wir ihn hindern, er ist ja der ältere«, versetzte Odo trotzig. Doch Gottfried lief in den Hof und rief den Namen des Bruders in die Nacht hinaus, nur undeutlich klang die Kinderstimme in das Ohr des Entweichenden. Es war ein leiser Ton, aber die Tränen brachen dem Flüchtigen aus den Augen, da er ihn hörte. In die Nacht hinein ritt Immo halb bewußtlos, das Blut hämmerte in seinem Haupte, die Mondsichel am Himmel zitterte, und die Sterne flirrten und verschwanden vor seinen Augen; er sprengte durch den Bach, daß die Flut um sein Haupt spritzte, und fuhr über Wiesengrund und Felder den Bergen zu. Dort fand er sich in dichter Finsternis, schwarze Baumwipfel bargen das Wolkenlicht, die Äste und Zweige schlugen in sein Gesicht und hielten wie mit Krallen sein Haar und Gewand. Zitternd suchte das Roß einen Weg durch das wilde Gestrüpp, bis der Reiter wieder den Nachthimmel über sich sah und einzelne Hügel, die dunkel vor ihm aufstiegen. Als er sich in dem Talkessel zwischen den roten Bergen fand, da hob er den Arm in wilder Freude nach den Gipfeln und ritt längs dem Bergwall dahin. Die Stimmen, welche in dem hohen Rohr schrien und stöhnten, warnten ihn, daß er sein Roß der Höhe zu riß, denn dort unten hausten tückische Geister, die Roß und Mann festhielten und langsam hinab in die grundlose Tiefe zogen. Vor ihm flackerte durch den Wasserdunst ein rotes Feuer, und undeutliche Schatten fuhren riesengroß durch den Lichtschein. Da sträubte sich ihm das Haar, auch das Roß ächzte und stauchte zurück, und er hörte eine Menschenstimme: »Wer stört das Mahl und dringt in den Reigen, haltet ihn fest und werfet ihn zu Boden.« Er spornte das Roß zu weiten Sätzen, und als er vorüberfuhr, sah er eine Flamme auf Steinhaufen, grellbeleuchtete Gestalten von Männern und Weibern, wilde Gesichter und gehobene Arme. Wie vom Sturmwind getragen fuhr er hindurch, hinter ihm flogen Speere und krachte eine geworfene Axt, lautes Hallo und Geheul folgte. Dann war er wieder allein in dichtem Nebel. Er schlug sein Kreuz und sprach hastig das Kredo, er wußte, jene hinter ihm waren Landleute aus der Ebene, die dort heimlich alten Opferbrauch übten. Als Kind hatte er Schreckensvolles gehört von der Grausamkeit, mit welcher sie die Störer ihrer abgöttischen Feier straften, und er erinnerte sich, daß er schon einmal als Knabe von fern den Lichtschein gesehen hatte und daß der fromme Bruder, der damals sein Lehrer war, ihn ermahnt hatte, sich abzuwenden, damit der teuflische Schimmer ihm nicht den Sinn verstöre.[367]

Wieder umschloß den Reiter unheimliche Nacht. Kläglich seufzten die Unken im Teich, und über ihm jammerten die Nachtvögel, die Rudel der Wölfe bellten und heulten und ihre schwarzen Schatten fuhren durch den Nebel dahin; da meinte er in der Luft die Gewaltigen der Nacht zu schauen, riesige Männer auf dunkeln Rossen, welche ihm zuwinkten und nach dem Tor im Berge wiesen. Denn vor ihm gähnte der Erdriß, den er heut übersprungen hatte, und die Schatten mahnten zur Rache. Er hielt wie festgebannt, das gellende Geschrei der Nachttiere und das Flattern in der Luft betäubten ihm das Hirn, daß er im Sattel schwankte. Aber im nächsten Augenblicke rückte er sich kräftig auf dem Rosse zurecht und atmete tief wie einer, welcher erkennt, daß sein Bangen unnötig war. Denn zwischen dem wilden Heidenlärm vernahm er laut und lauter das Rauschen eines gebändigten Wassers, unter welchem sich ein Rad schwang, und er vernahm das Klappern des Mühlwerks, die freundliche Stimme, welche von den Mönchen durch die Worte gedeutet war: Hilf, Herre Gott. Daran dachte er jetzt. Die Mühle klang bei Tag und Nacht langsam und schneller, wo Menschenwerk fleißig geübt wurde, sie hatte Frieden bei Heiden und Christen, und Gutes bedeutete ihr Gesang jedem, der ihn hörte; alle Hausfrauen im Lande riefen ihr Heil und Segen zu, denn das kluge Werk befreite ihren Hof von der Mühe, die Handsteine zu drehen; die wilden Tiere fürchteten den Lärm, und sogar der tückische Wassergeist saß, wie die Leute wußten, stundenlang am Ufer und horchte erstaunt auf das lustige Pochen. Und er hatte einst, da die Mühle gerade stillstand, dem Vater des jetzigen Müllers zugerufen: »Müller, laß dein Hackebrett klingen, damit meine Kleinen danach tanzen.« Da lachte Immo und er gedachte, daß er einst im Kloster als Schüler bei großer Wassersnot mit dem Sintram und einigen Jünglingen dem Müller zu Hilfe gesandt worden war. Dort hatte Vater Sintram in der Nacht lange gegen den Wasserschwall gebetet, bis er darüber entschlief. Die frechen Knaben aber hatten dem schlafenden Greise sein Gesicht und den Scheitel ganz mit Mehl bestreut, daß er aussah wie ein Schneemann. Und als der Alte so verwandelt vor den Müller trat und aus dem Lachen des Mannes die Untat erkannte, da hatte er ruhig sein Haupt in das Wasser getaucht und darauf zu Immo gesagt: »Mir geschah recht, weil ich im Schlaf meine Pflicht vergessen hatte. Du aber, mein Sohn, hast unrecht getan, einem alten Manne die Ehre zu kränken.« Seit diesen milden Worten bestand das gute Vernehmen zwischen ihm und den beiden Greisen.

Immo sprang vom Rosse und blickte lange auf das stäubende Wasser und die weißen Blasen, welche in der Finsternis dahinschwanden, übertönt war das wilde Geschrei in seinem Rücken, er stand im Frieden, den der Mensch von den Gewalten der Natur erzwingt. Er beugte sich nieder zum Wasser und schöpfte einen[368] Trunk mit der hohlen Hand, dann schlug er kräftig an die Pforte, bis Ruodhard, der Müller, öffnete und verwundert den Herrensohn und das Roß in seinem Gehege aufnahm.

Am Morgen saß Immo allein in dem öden Turmgemach der Mühlburg, der Gewitterregen schlug gegen die Mauern und goß sein Wasser durch die kleine Fensteröffnung auf den Steinboden. Die gute Lehre, welche der Mönch im Garten ihm zugeteilt hatte, war von ihm mißachtet worden. Hätte er der Mutter und den Brüdern sogleich bei der Ankunft die ganze Wahrheit gesagt, so hätte der Zorn nicht wie ein verdecktes Feuer um sich gefressen, bis er die Freundschaft verdarb. Er gedachte auch der Rede des Sintram und fragte sich selbst, ob er noch jemanden in der Welt hätte, der für ihn bete. Denn den Himmlischen war er wohl verleidet, die im Kloster haßten ihn und die eigene Mutter hatte ihn von sich gestoßen. Ein Gefühl der Einsamkeit, wie er es im Kloster nie gekannt, bedrückte ihm das Herz, jetzt war er frei, er saß als Herr in der Burg, welche die Feinde das Nest der Zaunkönige nannten, aber er war auch frei wie ein Vogel und freundlos.

Als er aufsah, stand vor ihm die alte Gertrud, vom Regen durchnäßt, und stellte einen Tragkorb zu seinen Füßen nieder. »Dies sendet dir Frau Edith, Immo.«

»Was sprach die Mutter?« fragte Immo wild.

Gertrud hob ein leinenes Bündel aus dem Korb und breitete es mit zitternden Händen auf der Bank aus. »So redete Frau Edith zu mir: Trage dies dem Jüngling Immo und sage ihm, ich sende, was ihm gehört und was ich in der Stille von seiner Habe bewahrte. Dies ist das erste Hemdlein, das ich ihm spann und das er trug, die Leinwand ist vergilbt, denn kein Sonnenstrahl hat sie gebleicht und kein Nachttau hat sie genetzt, aber die bitteren Tränen der Mutter hängen daran, denn als er das erste Gewand auf seinem kleinen Leibe trug, habe ich ihn dem Dienst der Heiligen gelobt. Und hier sind andere Gewänder des Kleinen, sein Spielwerk, an dem er sich freute, als er zu meinen Füßen saß, und die Kinderwaffen, welche ihm der Vater geschnitzt hat. Alles hob ich auf in der Truhe und oft hat mich gefreut, es herauszuholen und dabei an meinen Sohn zu denken. Jetzt hat er sich feindlich von mir gelöst, darum sende ich ihm, was sein ist.«

»Hart ist die Mutter«, rief Immo, seine Augen in der Hand verbergend.

»Und Frau Edith sprach weiter: Sage dem Kriegsmann, daß die Treue einer Mutter nicht verlorengeht, wenn auch der Sohn statt des Vaterhauses sich die finstere Nacht erwählte. Solange ich lebe, werde ich harren, daß er zu den Heiligen zurückkehrt. An dem Tage werden ihm meine Arme geöffnet sein und der Ehrensitz im Saal seiner Väter bereitet.«[369]

»Vergebens wird sie diesen Tag erwarten«, rief Immo.

»Beide seid ihr feurig«, fuhr Gertrud begütigend fort, »wenn auch die Mutter ihre Hast besser zu bergen weiß als du. Denn ganz ruhig sprach sie zu mir, aber ich weiß wohl, wie ihr zumute war. Euch beiden kommt wohl die Überlegung, daß eins dem anderen sich fügt. Unterdes gebot mir Frau Edith, daß ich auf dem Berge bei dir bleibe, mein Sohn, damit dir in der Einsamkeit die Pflege nicht fehle.«

Immo reichte der Alten die Hand. »Du wirst nicht lange für mich sorgen, denn ich gedenke von hinnen zu reiten.«

Am nächsten Tage sprengte der Knabe Gottfried in den Hof. »Heimlich habe ich mich aufgemacht«, begann er schüchtern, »ich komme, dich zu bitten, mein Bruder, daß du meiner in Liebe denkst.«

Immo drückte den Treuen fest an sich. »Sprich auch, wenn ich nicht da bin, freundlich von mir zu der Mutter.«

»Auch sie gedenkt deiner«, versetzte Gottfried zutraulich, »denn wisse, zum Mittagsmahl trägt sie selbst deinen Stuhl an ihre Seite und setzt deinen Teller und deinen Becher auf den leeren Platz.«

»Vergeblich ist die Sorge der Mutter, der Sitz wird leer bleiben«, rief Immo finster.

Quelle:
Gustav Freytag: Die Ahnen. München 1953, S. 348-370.
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